Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.H. L. Andersen Das Heim der Klubs.le ist ein kleines Zimmer, und der arme Schuster Der Großvater väterlicherseits, der einstmals ein wohlhabender Mann ge¬ Das alles und noch vieles andre steht in dem "Märchen meines Lebens" Der Vater war allmählich im Laufe der Zeit in den Augen des Sohnes Und mit einem strahlenden Glorienschein stand die Mutter des Vaters vor Die Kindheitseindrücke sind ja immer die stärksten und die dauerhaftesten, H. L. Andersen Das Heim der Klubs.le ist ein kleines Zimmer, und der arme Schuster Der Großvater väterlicherseits, der einstmals ein wohlhabender Mann ge¬ Das alles und noch vieles andre steht in dem „Märchen meines Lebens" Der Vater war allmählich im Laufe der Zeit in den Augen des Sohnes Und mit einem strahlenden Glorienschein stand die Mutter des Vaters vor Die Kindheitseindrücke sind ja immer die stärksten und die dauerhaftesten, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296043"/> <fw type="header" place="top"> H. L. Andersen</fw><lb/> <p xml:id="ID_74"> Das Heim der Klubs.le ist ein kleines Zimmer, und der arme Schuster<lb/> hat eigenhändig sein Brautbett aus dem hölzernen Gerüst zimmern müssen, das<lb/> kurz zuvor einen gräflichen Sarg getragen hat — die schwarzen Tuchleisten an<lb/> der Bettstelle sind eine Erinnerung daran, und niemand fällt es ein, sie zu<lb/> entfernen.</p><lb/> <p xml:id="ID_75"> Der Großvater väterlicherseits, der einstmals ein wohlhabender Mann ge¬<lb/> wesen ist, ist geistesschwach; die Gassenbuben in Odense schreien hinter ihm drein,<lb/> und der Enkel verkriecht sich angstzitternd vor ihm.</p><lb/> <p xml:id="ID_76"> Das alles und noch vieles andre steht in dem „Märchen meines Lebens"<lb/> zu lesen, aber der Dichter spricht nur mit der kindlichsten Pietät von den<lb/> Eltern. Die Mutter ist es, die er uns später liebevoll und verständnisinnig<lb/> als die alte Domenica im „Jmprovisator" und dann schonend und fast ehr¬<lb/> erbietig als Waschfrau in „Sie taugte nichts" zeichnet; der Vater, der im Hol¬<lb/> berg und in „Tausendundeine Nacht" liest, und der für Napoleon schwärmt, wird<lb/> zu einer stolzen, poetischen Gestalt in „Nur ein Geiger." Und das Heim der<lb/> Kindheit hört nie aus, dem Sohn ein Heim zu sein. „In der Dachrinne, zwischen<lb/> unserm und des Nachbars Hause, stand ein Kasten mit Erde, darin wuchsen<lb/> Schnittlauch und Petersilie, meiner Mutter ganzer Garten," schreibt er — in<lb/> dem Sonnenschein der Erinnerung blüht der Garten noch heute in der „Schnee¬<lb/> königin."</p><lb/> <p xml:id="ID_77"> Der Vater war allmählich im Laufe der Zeit in den Augen des Sohnes<lb/> für ihn etwas ähnliches geworden, was Goethes Mutter diesem war; hatte er<lb/> auch nicht seine „Frohnatur" von ihm, so betrachtete er doch seine „Lust zu<lb/> fabulieren" als ein väterliches Erbe.</p><lb/> <p xml:id="ID_78"> Und mit einem strahlenden Glorienschein stand die Mutter des Vaters vor<lb/> ihm, die jeden Tag, wenn auch auf wenig Augenblicke, kommen mußte, um den<lb/> Enkel mit ihren sanften, blauen Augen anzusehen, und die einst die Frau des<lb/> wohlhabenden Landmanns gewesen war, jetzt aber in großer Armut mit ihrem<lb/> geisteskranken Mann in dem kleinen Häuschen wohnte, das sie für den letzten,<lb/> bescheidnen Nest ihres Vermögens gekauft hatten, und die doch niemals weinte,<lb/> niemals klagte, sondern nur im stillen seufzte, wenn sie von ihren Familien¬<lb/> traditionen erzählte, von der Mutter ihrer Mutter, die „eine adliche Dame in<lb/> einer großen deutschen Stadt, in Kassel, gewesen war und dort einen Komödianten<lb/> geheiratet hatte," mit dem sie aus dem Lande entflohen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_79" next="#ID_80"> Die Kindheitseindrücke sind ja immer die stärksten und die dauerhaftesten,<lb/> besonders stark haben sie H. C. Andersen geprägt. Die Großmutter nahm ihn<lb/> eines Tages mit ins Hospital, in den „Trallerkasten," wo die Geisteskranken<lb/> im grünen Garten umhergingen, und wo er durch die Türspalte in eine der<lb/> Zellen lugte. Eine nackte Frau saß auf einem Bündel Stroh und sang mit<lb/> wunderschöner Stimme; plötzlich stürzte sie mit einem Schrei auf die Tür, auf<lb/> den Jungen los, er schrie vor Entsetzen, und sein ganzes Leben lang sah er<lb/> die nackte Frau, hörte ihren Gesang, gellte ihr Schrei ihm in den Ohren. Die<lb/> Eltern waren in Gesellschaft gebeten, das kam gewiß nur selten vor — in<lb/> Gesellschaft zum Pförtner des Zuchthauses; der Sohn war mitgenommen worden,<lb/> ein Paar Gefangne warteten bei Tische auf, die andern hörte er singen, während</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
H. L. Andersen
Das Heim der Klubs.le ist ein kleines Zimmer, und der arme Schuster
hat eigenhändig sein Brautbett aus dem hölzernen Gerüst zimmern müssen, das
kurz zuvor einen gräflichen Sarg getragen hat — die schwarzen Tuchleisten an
der Bettstelle sind eine Erinnerung daran, und niemand fällt es ein, sie zu
entfernen.
Der Großvater väterlicherseits, der einstmals ein wohlhabender Mann ge¬
wesen ist, ist geistesschwach; die Gassenbuben in Odense schreien hinter ihm drein,
und der Enkel verkriecht sich angstzitternd vor ihm.
Das alles und noch vieles andre steht in dem „Märchen meines Lebens"
zu lesen, aber der Dichter spricht nur mit der kindlichsten Pietät von den
Eltern. Die Mutter ist es, die er uns später liebevoll und verständnisinnig
als die alte Domenica im „Jmprovisator" und dann schonend und fast ehr¬
erbietig als Waschfrau in „Sie taugte nichts" zeichnet; der Vater, der im Hol¬
berg und in „Tausendundeine Nacht" liest, und der für Napoleon schwärmt, wird
zu einer stolzen, poetischen Gestalt in „Nur ein Geiger." Und das Heim der
Kindheit hört nie aus, dem Sohn ein Heim zu sein. „In der Dachrinne, zwischen
unserm und des Nachbars Hause, stand ein Kasten mit Erde, darin wuchsen
Schnittlauch und Petersilie, meiner Mutter ganzer Garten," schreibt er — in
dem Sonnenschein der Erinnerung blüht der Garten noch heute in der „Schnee¬
königin."
Der Vater war allmählich im Laufe der Zeit in den Augen des Sohnes
für ihn etwas ähnliches geworden, was Goethes Mutter diesem war; hatte er
auch nicht seine „Frohnatur" von ihm, so betrachtete er doch seine „Lust zu
fabulieren" als ein väterliches Erbe.
Und mit einem strahlenden Glorienschein stand die Mutter des Vaters vor
ihm, die jeden Tag, wenn auch auf wenig Augenblicke, kommen mußte, um den
Enkel mit ihren sanften, blauen Augen anzusehen, und die einst die Frau des
wohlhabenden Landmanns gewesen war, jetzt aber in großer Armut mit ihrem
geisteskranken Mann in dem kleinen Häuschen wohnte, das sie für den letzten,
bescheidnen Nest ihres Vermögens gekauft hatten, und die doch niemals weinte,
niemals klagte, sondern nur im stillen seufzte, wenn sie von ihren Familien¬
traditionen erzählte, von der Mutter ihrer Mutter, die „eine adliche Dame in
einer großen deutschen Stadt, in Kassel, gewesen war und dort einen Komödianten
geheiratet hatte," mit dem sie aus dem Lande entflohen war.
Die Kindheitseindrücke sind ja immer die stärksten und die dauerhaftesten,
besonders stark haben sie H. C. Andersen geprägt. Die Großmutter nahm ihn
eines Tages mit ins Hospital, in den „Trallerkasten," wo die Geisteskranken
im grünen Garten umhergingen, und wo er durch die Türspalte in eine der
Zellen lugte. Eine nackte Frau saß auf einem Bündel Stroh und sang mit
wunderschöner Stimme; plötzlich stürzte sie mit einem Schrei auf die Tür, auf
den Jungen los, er schrie vor Entsetzen, und sein ganzes Leben lang sah er
die nackte Frau, hörte ihren Gesang, gellte ihr Schrei ihm in den Ohren. Die
Eltern waren in Gesellschaft gebeten, das kam gewiß nur selten vor — in
Gesellschaft zum Pförtner des Zuchthauses; der Sohn war mitgenommen worden,
ein Paar Gefangne warteten bei Tische auf, die andern hörte er singen, während
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