Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Die Lebensschicksale eines geisteskranken Fürsten Herzog gestellten Fragen sowie die von ihm gegebnen Antworten im Wortlaut Hofprediger Magister Henselmanu aus Weimar: Ist Eurer Fürstlichen Gnaden Princeps: Solch Gespräche wird zwar zu nicht viel nütze, wohl eher ganz vergeblich H.: O Herr, denket an den Spruch, der da aufgezeichnet stehet Lukas im P.: El freilich, das ist wohl ein feiner Spruch, aber er dienet nicht zum Braten. H.: Gehet in Euch, Herr, wachet auf! P.: O, ich bin längst aufgewacht, habe sogar die Nacht herzlich schlecht geschlafen. H.: Ja, Eure Gnaden haben heut Nacht übel gehauset, sind oftmals vom P.: Siehe, siehe, das hat alles der Caspar Schlevoigt gebätzet, das ist mir H.: Euer Gnaden haben auch gescholten und gesagt: "Ihr leuget, ihr leuget, P.: Wenn Ihr also in Fesseln läget wie ich, führtet Ihr nicht auch lautes H.: Euer Gnaden haben doch gesagt "ihr Knjone, müsset also mit zween P. (lacht): Ja ja, es waren ja zween da. Grenzboten IV 1905 33
Die Lebensschicksale eines geisteskranken Fürsten Herzog gestellten Fragen sowie die von ihm gegebnen Antworten im Wortlaut Hofprediger Magister Henselmanu aus Weimar: Ist Eurer Fürstlichen Gnaden Princeps: Solch Gespräche wird zwar zu nicht viel nütze, wohl eher ganz vergeblich H.: O Herr, denket an den Spruch, der da aufgezeichnet stehet Lukas im P.: El freilich, das ist wohl ein feiner Spruch, aber er dienet nicht zum Braten. H.: Gehet in Euch, Herr, wachet auf! P.: O, ich bin längst aufgewacht, habe sogar die Nacht herzlich schlecht geschlafen. H.: Ja, Eure Gnaden haben heut Nacht übel gehauset, sind oftmals vom P.: Siehe, siehe, das hat alles der Caspar Schlevoigt gebätzet, das ist mir H.: Euer Gnaden haben auch gescholten und gesagt: „Ihr leuget, ihr leuget, P.: Wenn Ihr also in Fesseln läget wie ich, führtet Ihr nicht auch lautes H.: Euer Gnaden haben doch gesagt „ihr Knjone, müsset also mit zween P. (lacht): Ja ja, es waren ja zween da. Grenzboten IV 1905 33
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Die Lebensschicksale eines geisteskranken Fürsten
Herzog gestellten Fragen sowie die von ihm gegebnen Antworten im Wortlaut
wiedergegeben. Es starrt uns aus diesen Verhören die ganze heimtückische und
verlogne Praxis des .Hexenprozesses entgegen, die durch hinterlistige Kniffe und
schamlose Verdrehungen jedes in ihre Hand gegebne Opfer, sogar das un¬
schuldigste, auch ohne Folter schließlich doch der ihm zur Last gelegten, meist
objektiv unmöglichen Handlungen zu überführen verstand. Daneben lassen die
Niederschriften entnehmen, daß der Herzog trotz seiner zeitweise eintretenden
geistigen Umnachtung, seiner hoffnungslosen Lage und seiner Verzweiflung,
wobei er oft in erschütternde Klagen und Vorwürfe ausbrach, doch eines ge¬
wissen Humors nicht entbehrte, der sich namentlich in einer meist freilich
überaus zynischen Verhöhnung seiner Seelsorger, in spöttischen Zwischenrufen
und Antworten während der Predigten und der Konferenzen Luft machte. Bei
diesen Gelegenheiten ist Witz und Logik oft mehr bei dem wahnsinnigen und
sonst so abergläubischen Herzoge, Beschränktheit und Widersinn bei den gelehrten
und approbierten Magistern, Professoren und Doktoren, und es ergeben sich
daraus Szenen von einer so grotesken Komik, daß sie der Phantasie Shakespeares
durchaus würdig gewesen wären. Aus den hier zum erstenmal benutzten Auf¬
zeichnungen sei der Verlauf einer der täglichen Konferenzen rekonstruiert, wobei
allerdings namentlich insofern einige Freiheit walten möge, als Äußerungen, die
als an verschiednen Tagen gefallen berichtet sind, im Zusammenhang aneinander¬
gereiht werden.
Hofprediger Magister Henselmanu aus Weimar: Ist Eurer Fürstlichen Gnaden
genehm, eine erbauliche und gottgefällige Unterredung zu pflegen?
Princeps: Solch Gespräche wird zwar zu nicht viel nütze, wohl eher ganz vergeblich
sein. Immerhin dienet es vielleicht, die Zeit zu vertreiben. Und weilen Ihr doch
nun bald nach Weimar zum Hohenpriester Cromeyer werdet gefordert werden,
müsset Ihr berichten können, daß Ihr Euer schwarzes Schnflein auf Eurer Gottes-
gelahrtheit Wiese mit Eifer geweidet.
H.: O Herr, denket an den Spruch, der da aufgezeichnet stehet Lukas im
15. Kapitel: „Es ist Freude im Himmel über einen Sünder, der Buße tuet."
P.: El freilich, das ist wohl ein feiner Spruch, aber er dienet nicht zum Braten.
H.: Gehet in Euch, Herr, wachet auf!
P.: O, ich bin längst aufgewacht, habe sogar die Nacht herzlich schlecht geschlafen.
H.: Ja, Eure Gnaden haben heut Nacht übel gehauset, sind oftmals vom
"ager aufgestanden, haben in alle Ecken gebrömmelt, mit Händen und Haupt ge¬
winket, wie man einem Menschen wirket, zum Fenster hinaus geredet, das Haar
vom Ohr gestrichen, den Kopf an die Mauer gerecket, mit Fleiß gehorchet, bald
laut gelacht, bald sauer gesehen und allerlei seltsame Charakteres gemachet. Mit
wem haben Eure Gnaden also Zwiesprache gehalten?
P.: Siehe, siehe, das hat alles der Caspar Schlevoigt gebätzet, das ist mir
ein feiner Gesell.
H.: Euer Gnaden haben auch gescholten und gesagt: „Ihr leuget, ihr leuget,
'hr Kujone, ihr versprächet mich in dreien Tagen los zu macheu, und nun ist es
schon eine Nacht darüber."
P.: Wenn Ihr also in Fesseln läget wie ich, führtet Ihr nicht auch lautes
Klagen und Jammern?"
H.: Euer Gnaden haben doch gesagt „ihr Knjone, müsset also mit zween
Geistern oder mehr gesprochen haben.
P. (lacht): Ja ja, es waren ja zween da.
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