Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Line Kulturgeschichte des Römerreichs dringen jüdischer und heidinscher Anschauungen und Bräuche erwägt, das Grupp Eine der gefährlichsten Klüfte, über die Grupp leichten Fußes hinweg¬ Line Kulturgeschichte des Römerreichs dringen jüdischer und heidinscher Anschauungen und Bräuche erwägt, das Grupp Eine der gefährlichsten Klüfte, über die Grupp leichten Fußes hinweg¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0141" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296152"/> <fw type="header" place="top"> Line Kulturgeschichte des Römerreichs</fw><lb/> <p xml:id="ID_808" prev="#ID_807"> dringen jüdischer und heidinscher Anschauungen und Bräuche erwägt, das Grupp<lb/> ebenfalls gewissenhaft verzeichnet, und das an sich keinen Vorwurf für die<lb/> römische Kirche begründen würde, wenn es nicht später die Dogmatik beein¬<lb/> flußt hätte. Die Bigotten modernsten Stils werden Sätze wie die folgenden<lb/> kaum mit der katholischen Dogmatik vereinbar finden: „Das Gebet ersetzte<lb/> den Christen das Opfer und heißt bei einem der apostolischen Väter ausdrücklich<lb/> ein Lvbopfer der Lippen. Von Opfern, Priestern und Tempeln im Sinne<lb/> der Heiden und der Juden wollten sie nichts wissen, nannten vielmehr jeden<lb/> Gläubigen einen Priester, die ganze Gemeinde ein Priestervolk, jeden Leib<lb/> einen Tempel des Geistes und jedes Gebet ein Opfer. Sie kannten keine<lb/> Tempel, sondern nur Versammlungs-, Herren- oder Bethäuser." Das alles ist<lb/> unbestreitbar, aber ein reformierter Christ würde bravo! dazu rufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_809" next="#ID_810"> Eine der gefährlichsten Klüfte, über die Grupp leichten Fußes hinweg¬<lb/> hüpft, ist die Einführung der Kindertaufe, deren Verteidigung gegen die<lb/> Wiedertäufer auch den Reformatoren keine geringen Schwierigkeiten verursacht<lb/> hat. Wer Augustins Konfessionen gelesen hat, der weiß, daß noch im vierten<lb/> Jahrhundert die Katechumenen die Taufe aufzuschieben pflegten, weil sie nicht<lb/> Lust hatten, auf ein Konkubinat oder auf irgendeinen andern von der Kirche<lb/> verpöntem Genuß oder Vorteil zu verzichten, und daß sogar fromme Eltern<lb/> ihre Kinder von der Taufe zurückhielten, wenn sie ihnen die zur Erfüllung<lb/> der Christenpflichten nötige sittliche Kraft noch nicht zutrauten; Grupp bringt<lb/> noch viele andre Zeugnisse für diese Gepflogenheit bei. In ihr aber liegt doch,<lb/> gleichviel wie man über die Bedeutung und die Wirkungen der Taufe gedacht<lb/> haben mag, die Anerkennung, daß es die sittliche Beschaffenheit des Menschen<lb/> und nicht eine Zeremonie oder ein sogenanntes Gnadenmittel ist, was sein<lb/> Verhältnis zu Gott bestimmt, was ihn zum Christen macht, und was ihn vom<lb/> Heiden unterscheidet: der bewußte Glaube also, selbstverständlich der in Liebe<lb/> wirksame, machte selig. Indem man dann aber Kinder taufte und diesen durch<lb/> die Taufe die Seligkeit zu sichern meinte, verwandelte man die Taufe in ein<lb/> Zaubermittel, das ohne Rücksicht auf die Gemütsbeschaffenheit des Menschen<lb/> diesen Gott wohlgefällig mache. Aus der damit als orthodox anerkannten<lb/> Anschauung konnte und mußte sich bei der Gier der damaligen Menschen nach<lb/> solchen Mitteln die kirchliche Heilsmittellehre entwickeln. Daß der nach dieser<lb/> Lehre immer reicher ausgestattete Heilsmittelapparat im ganzen mehr schadet<lb/> als nützt, hat die Geschichte von anderthalb Jahrtausenden bewiesen. „Mit<lb/> der Vermehrung der Gnadenmittel, mit der Vervielfältigung der Eucharistie,<lb/> dem Aufkommen der Kindertaufe, mit der Zunahme der Priester und der<lb/> Gotteshäuser wuchs nicht auch in gleichem Grade der christliche Geist," gesteht<lb/> Grupp. Die vorhergehenden und die nachfolgenden Schilderungen beweisen,<lb/> daß er überhaupt nicht wuchs, sondern statt seiner die Wildheit, Roheit und<lb/> Zügellosigkeit. „Christen und Heiden lebten vermischt und unterschieden sich<lb/> wenig voneinander." Die Frage, in welchem Grade und Umfange und ob<lb/> überhaupt das Christentum die alte Welt sittlich erneuert habe, ist sehr schwer<lb/> zu beantworten. Daß viele Christen Tugendheroen gewesen sind und sich<lb/> namentlich durch geschlechtliche Enthaltsamkeit ausgezeichnet haben, was bei</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0141]
Line Kulturgeschichte des Römerreichs
dringen jüdischer und heidinscher Anschauungen und Bräuche erwägt, das Grupp
ebenfalls gewissenhaft verzeichnet, und das an sich keinen Vorwurf für die
römische Kirche begründen würde, wenn es nicht später die Dogmatik beein¬
flußt hätte. Die Bigotten modernsten Stils werden Sätze wie die folgenden
kaum mit der katholischen Dogmatik vereinbar finden: „Das Gebet ersetzte
den Christen das Opfer und heißt bei einem der apostolischen Väter ausdrücklich
ein Lvbopfer der Lippen. Von Opfern, Priestern und Tempeln im Sinne
der Heiden und der Juden wollten sie nichts wissen, nannten vielmehr jeden
Gläubigen einen Priester, die ganze Gemeinde ein Priestervolk, jeden Leib
einen Tempel des Geistes und jedes Gebet ein Opfer. Sie kannten keine
Tempel, sondern nur Versammlungs-, Herren- oder Bethäuser." Das alles ist
unbestreitbar, aber ein reformierter Christ würde bravo! dazu rufen.
Eine der gefährlichsten Klüfte, über die Grupp leichten Fußes hinweg¬
hüpft, ist die Einführung der Kindertaufe, deren Verteidigung gegen die
Wiedertäufer auch den Reformatoren keine geringen Schwierigkeiten verursacht
hat. Wer Augustins Konfessionen gelesen hat, der weiß, daß noch im vierten
Jahrhundert die Katechumenen die Taufe aufzuschieben pflegten, weil sie nicht
Lust hatten, auf ein Konkubinat oder auf irgendeinen andern von der Kirche
verpöntem Genuß oder Vorteil zu verzichten, und daß sogar fromme Eltern
ihre Kinder von der Taufe zurückhielten, wenn sie ihnen die zur Erfüllung
der Christenpflichten nötige sittliche Kraft noch nicht zutrauten; Grupp bringt
noch viele andre Zeugnisse für diese Gepflogenheit bei. In ihr aber liegt doch,
gleichviel wie man über die Bedeutung und die Wirkungen der Taufe gedacht
haben mag, die Anerkennung, daß es die sittliche Beschaffenheit des Menschen
und nicht eine Zeremonie oder ein sogenanntes Gnadenmittel ist, was sein
Verhältnis zu Gott bestimmt, was ihn zum Christen macht, und was ihn vom
Heiden unterscheidet: der bewußte Glaube also, selbstverständlich der in Liebe
wirksame, machte selig. Indem man dann aber Kinder taufte und diesen durch
die Taufe die Seligkeit zu sichern meinte, verwandelte man die Taufe in ein
Zaubermittel, das ohne Rücksicht auf die Gemütsbeschaffenheit des Menschen
diesen Gott wohlgefällig mache. Aus der damit als orthodox anerkannten
Anschauung konnte und mußte sich bei der Gier der damaligen Menschen nach
solchen Mitteln die kirchliche Heilsmittellehre entwickeln. Daß der nach dieser
Lehre immer reicher ausgestattete Heilsmittelapparat im ganzen mehr schadet
als nützt, hat die Geschichte von anderthalb Jahrtausenden bewiesen. „Mit
der Vermehrung der Gnadenmittel, mit der Vervielfältigung der Eucharistie,
dem Aufkommen der Kindertaufe, mit der Zunahme der Priester und der
Gotteshäuser wuchs nicht auch in gleichem Grade der christliche Geist," gesteht
Grupp. Die vorhergehenden und die nachfolgenden Schilderungen beweisen,
daß er überhaupt nicht wuchs, sondern statt seiner die Wildheit, Roheit und
Zügellosigkeit. „Christen und Heiden lebten vermischt und unterschieden sich
wenig voneinander." Die Frage, in welchem Grade und Umfange und ob
überhaupt das Christentum die alte Welt sittlich erneuert habe, ist sehr schwer
zu beantworten. Daß viele Christen Tugendheroen gewesen sind und sich
namentlich durch geschlechtliche Enthaltsamkeit ausgezeichnet haben, was bei
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