Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Das neue Griechenland im neuen uichtet hat; die politischen, indem es "mit seinen großen Träumen und Wir sehen am Ende dieser Betrachtung, daß der Kampf um die innerliche Das neue Griechenland im neuen uichtet hat; die politischen, indem es „mit seinen großen Träumen und Wir sehen am Ende dieser Betrachtung, daß der Kampf um die innerliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0137" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296148"/> <fw type="header" place="top"> Das neue Griechenland im neuen</fw><lb/> <p xml:id="ID_799" prev="#ID_798"> uichtet hat; die politischen, indem es „mit seinen großen Träumen und<lb/> schwülstigen Worten die selbstgeschaffne leitende Klasse der Vornehmen verdrängt<lb/> und vernichtet hat, und wir als Opfer dem Maulhelden- und Demagogentum<lb/> überliefert wurden"; die sozialen, indem es die Instinkte der Tapferkeit und<lb/> der Religion ertötet hat durch Lühmuug der ethischen Triebfedern in der Schule<lb/> und ihrer einseitig klassizistischen Tendenz; die geistigen endlich, indem es durch<lb/> Aufzwingung einer künstlichen Sprache den Menschen des Organs beraubt,<lb/> feine Gedanken in natürlicher Form zu äußern und dadurch seine willkürliche<lb/> Aufmerksamkeit, seine Beobachtungsgabe und die übrigen wirkenden Kräfte des<lb/> Geistes abstumpft, was zur Folge hat, daß die Griechen weder in der Literatur<lb/> noch in der Wissenschaft noch im Staate vorwärts kommen. Erst durch An¬<lb/> nahme der lebenden Sprache als nationale Sprache wird der praktische und<lb/> fortschrittliche Geist dem unfruchtbaren Scholästizismus den Todesstoß versetzen.<lb/> „Dann auch wird die Universität nur den vierten Teil der Studenten umfassen,<lb/> die sie jetzt hat (3000); denn die übrigen drei Viertel werden sich der Arbeit,<lb/> dem Leben, den praktischen Berufen widmen."</p><lb/> <p xml:id="ID_800" next="#ID_801"> Wir sehen am Ende dieser Betrachtung, daß der Kampf um die innerliche<lb/> Befreiung des Griechentums auf der ganzen Linie entbrannt ist, wenn es auch<lb/> nur erst vereinzelte feurige Punkte sind, die aus dem Dunkel aufleuchten. Aber<lb/> bald wird das an den künstlichen Bau des neugriechischen Königreichs gelegte<lb/> Feuer weiter um sich greifen, denn die Feuerzeichen im Innern beginnen sich<lb/> zu mehren; was noch vor kurzem das Vorrecht einzelner kühner Ketzergeister<lb/> war, beginnt sich einer größern Menge zu bemächtigen, die tapfern Führer und<lb/> Vorkämpfer finden in der jüngern Generation eine immer mehr anwachsende<lb/> Gefolgschaft; vor etwa zwei Jahren gründete der als Verfasser des Dramas:<lb/> «Lebende und Tote" genannte Arzt Tcmgopulos ein Wochenblatt launig., das<lb/> eine gründliche Reform des politischen, sozialen und geistigen Lebens anstrebt<lb/> und die besten Kräfte der griechischen Jugend als Mitarbeiter um sich schart.<lb/> Hier verspürt man wieder etwas von dem frischen Geist des griechischen Volks-<lb/> tums, das für jeden, der es kennt, etwas so anheimelndes und erfrischendes<lb/> hat wie die Luft der griechischen Berge und Meere: hier weht reine Lebens¬<lb/> luft, nicht die trockne Stickluft der Schulstube noch die parfümierte Luft der<lb/> Pariser Salons. Man schöpft neue Hoffnung für die Zukunft dieses in so<lb/> viele Fesseln geschlagner Volks, wenn man in diesem Blatte liest. Aber man<lb/> darf freilich nicht vergessen, daß es immer nur erst eine kleine Gemeinde ist,<lb/> eine Oase in der Wüste, die hier dem Blick erscheint; es wird noch langer und<lb/> schwerer Arbeit bedürfen, bis die ganze geistige Wüste in eine grüne Oase ver¬<lb/> wandelt sein wird, und es ist nur zu wünschen, daß sich die hier vorgeführten<lb/> Vertreter eines neuen Geistes auf altem Boden nicht als Prediger in der<lb/> Wüste erweisen mögen. Wenn irgend etwas eine Gewähr bietet, daß sich dieser<lb/> neue Geist trotz allen verständnislosen Anfeindungen im eignen Vaterlande<lb/> schließlich durchsetzen wird, so ist es wiederum das in so vielen Punkten analoge<lb/> Schicksal Italiens. Wie lange hat es gedauert, bis hier der sprachliche und<lb/> der literarische Klassizismus, bis die kleinliche Parteisucht und die politische<lb/> Zerrissenheit überwunden waren! Im letzten Grunde aber beruht — und das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0137]
Das neue Griechenland im neuen
uichtet hat; die politischen, indem es „mit seinen großen Träumen und
schwülstigen Worten die selbstgeschaffne leitende Klasse der Vornehmen verdrängt
und vernichtet hat, und wir als Opfer dem Maulhelden- und Demagogentum
überliefert wurden"; die sozialen, indem es die Instinkte der Tapferkeit und
der Religion ertötet hat durch Lühmuug der ethischen Triebfedern in der Schule
und ihrer einseitig klassizistischen Tendenz; die geistigen endlich, indem es durch
Aufzwingung einer künstlichen Sprache den Menschen des Organs beraubt,
feine Gedanken in natürlicher Form zu äußern und dadurch seine willkürliche
Aufmerksamkeit, seine Beobachtungsgabe und die übrigen wirkenden Kräfte des
Geistes abstumpft, was zur Folge hat, daß die Griechen weder in der Literatur
noch in der Wissenschaft noch im Staate vorwärts kommen. Erst durch An¬
nahme der lebenden Sprache als nationale Sprache wird der praktische und
fortschrittliche Geist dem unfruchtbaren Scholästizismus den Todesstoß versetzen.
„Dann auch wird die Universität nur den vierten Teil der Studenten umfassen,
die sie jetzt hat (3000); denn die übrigen drei Viertel werden sich der Arbeit,
dem Leben, den praktischen Berufen widmen."
Wir sehen am Ende dieser Betrachtung, daß der Kampf um die innerliche
Befreiung des Griechentums auf der ganzen Linie entbrannt ist, wenn es auch
nur erst vereinzelte feurige Punkte sind, die aus dem Dunkel aufleuchten. Aber
bald wird das an den künstlichen Bau des neugriechischen Königreichs gelegte
Feuer weiter um sich greifen, denn die Feuerzeichen im Innern beginnen sich
zu mehren; was noch vor kurzem das Vorrecht einzelner kühner Ketzergeister
war, beginnt sich einer größern Menge zu bemächtigen, die tapfern Führer und
Vorkämpfer finden in der jüngern Generation eine immer mehr anwachsende
Gefolgschaft; vor etwa zwei Jahren gründete der als Verfasser des Dramas:
«Lebende und Tote" genannte Arzt Tcmgopulos ein Wochenblatt launig., das
eine gründliche Reform des politischen, sozialen und geistigen Lebens anstrebt
und die besten Kräfte der griechischen Jugend als Mitarbeiter um sich schart.
Hier verspürt man wieder etwas von dem frischen Geist des griechischen Volks-
tums, das für jeden, der es kennt, etwas so anheimelndes und erfrischendes
hat wie die Luft der griechischen Berge und Meere: hier weht reine Lebens¬
luft, nicht die trockne Stickluft der Schulstube noch die parfümierte Luft der
Pariser Salons. Man schöpft neue Hoffnung für die Zukunft dieses in so
viele Fesseln geschlagner Volks, wenn man in diesem Blatte liest. Aber man
darf freilich nicht vergessen, daß es immer nur erst eine kleine Gemeinde ist,
eine Oase in der Wüste, die hier dem Blick erscheint; es wird noch langer und
schwerer Arbeit bedürfen, bis die ganze geistige Wüste in eine grüne Oase ver¬
wandelt sein wird, und es ist nur zu wünschen, daß sich die hier vorgeführten
Vertreter eines neuen Geistes auf altem Boden nicht als Prediger in der
Wüste erweisen mögen. Wenn irgend etwas eine Gewähr bietet, daß sich dieser
neue Geist trotz allen verständnislosen Anfeindungen im eignen Vaterlande
schließlich durchsetzen wird, so ist es wiederum das in so vielen Punkten analoge
Schicksal Italiens. Wie lange hat es gedauert, bis hier der sprachliche und
der literarische Klassizismus, bis die kleinliche Parteisucht und die politische
Zerrissenheit überwunden waren! Im letzten Grunde aber beruht — und das
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