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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Das neue Griechenland im neuen

neunten seiner ästhetischen Briefe schreibt: "Nicht jedem, dem dieses Ideal in
der Seele glüht, wurde die schöpferische Ruhe und der große geduldige Sinn
verliehen. . . . Viel zu ungestüm stürzt sich der göttliche Bildungstrieb oft un¬
mittelbar auf die Gegenwart und auf das handelnde Leben, den formlosen
Stoff der moralischen Welt umzubilden. Dringend spricht das Unglück seiner
Gattung zu den fühlenden Menschen, dringender ihre Entwürdigung." Keineswegs
als ob überhaupt diese Worte auf Planck zuträfen, nur relativ, meinen wir;
denn auch er hat es unternommen und sein Leben daran gesetzt, das "Ideal,"
das ihm "in der Seele glühte," gewissermaßen "in den verschwiegnen Stein
einzudrücken oder in das nüchterne Wort auszugießen und den treuen Handen
der Zeit zu vertrauen." Möchte sich die Nation im Schillerjahr auch dieses
andern Schwaben erinnern! So manches auch bei ihm seinem Jahrhundert
angehören mag, er ist es wert, einmal gehört zu werden. So sei denn das
jüngste Buch Plancks anch den Lesern der Grenzboten warm empfohlen.


Adolf Baumeister

Das neue Griechenland im neuen
von Aarl Dieterich (Schluß)

> er "alte Dimos," einer der wenigen überlebenden Zeugen des
Freiheitskampfes, übt strenge Kritik an den Schwächen der gegen¬
wärtigen Generation; er geißelt vor allem ihre drei Hauptfehler,
Iden persönlichen Egoismus, den sozialen Jndifferentismus und
I den geistigen Klassizismus. Von ihnen entwirft der Verfasser
nicht gerade sehr schmeichelhafte Bilder. So heißt es von dem Egoismus:
"Ein jeder jagt seiner Arbeit nach . . . jeder ist sein eigner Mittelpunkt, und
dieser ist das "Ich" des Griechen." Die persönliche Eitelkeit steht ihm höher
als die Sorge für das Gemeinwohl: "Was könnte einer nicht alles leisten, der
imstande ist, sich tagelang abzumühen, um unverdauliche Verse zu schmieden,
nutzlose Lobreden zu schwingen und nach feilen Bestechungen zu jagen, wenn
er sein Ich vergäße und an die elende Nation dächte, die ehrliche Arbeiter
mit der Laterne sucht und nicht findet!" Leider wird dieser Egoismus durch
die bestehende Staatsverfassung nur noch genährt; diese wird geradezu bezeichnet
als "ein nationaler Honigkuchen, auf dem sich Arbeitsscheue und Hungerleider
ansetzen wie die Wespen." "Um das Gemeinwohl kümmert sich der Grieche
nicht: er sorgt für sein Hauswesen und für sein Vermögen; alles andre läßt
er durch besoldete Schulmeister besorgen." Der Grieche rafft sich nur dann
auf, wenn es sich um seine nächsten, augenblicklichen Interessen handelt. "Hält
man ihm seine Pflichten gegen die Gemeinde und gegen das Vaterland vor,
so erwidert er: Ach, was sind das für Narrheiten! . . . Laß uns lieber dieses
Gesuch an den Mufti beenden, damit er uns den Gefallen tut und die Mauer
des Nachbars einreißt, die uns die Fenster verdunkelt!"


Das neue Griechenland im neuen

neunten seiner ästhetischen Briefe schreibt: „Nicht jedem, dem dieses Ideal in
der Seele glüht, wurde die schöpferische Ruhe und der große geduldige Sinn
verliehen. . . . Viel zu ungestüm stürzt sich der göttliche Bildungstrieb oft un¬
mittelbar auf die Gegenwart und auf das handelnde Leben, den formlosen
Stoff der moralischen Welt umzubilden. Dringend spricht das Unglück seiner
Gattung zu den fühlenden Menschen, dringender ihre Entwürdigung." Keineswegs
als ob überhaupt diese Worte auf Planck zuträfen, nur relativ, meinen wir;
denn auch er hat es unternommen und sein Leben daran gesetzt, das „Ideal,"
das ihm „in der Seele glühte," gewissermaßen „in den verschwiegnen Stein
einzudrücken oder in das nüchterne Wort auszugießen und den treuen Handen
der Zeit zu vertrauen." Möchte sich die Nation im Schillerjahr auch dieses
andern Schwaben erinnern! So manches auch bei ihm seinem Jahrhundert
angehören mag, er ist es wert, einmal gehört zu werden. So sei denn das
jüngste Buch Plancks anch den Lesern der Grenzboten warm empfohlen.


Adolf Baumeister

Das neue Griechenland im neuen
von Aarl Dieterich (Schluß)

> er „alte Dimos," einer der wenigen überlebenden Zeugen des
Freiheitskampfes, übt strenge Kritik an den Schwächen der gegen¬
wärtigen Generation; er geißelt vor allem ihre drei Hauptfehler,
Iden persönlichen Egoismus, den sozialen Jndifferentismus und
I den geistigen Klassizismus. Von ihnen entwirft der Verfasser
nicht gerade sehr schmeichelhafte Bilder. So heißt es von dem Egoismus:
„Ein jeder jagt seiner Arbeit nach . . . jeder ist sein eigner Mittelpunkt, und
dieser ist das »Ich« des Griechen." Die persönliche Eitelkeit steht ihm höher
als die Sorge für das Gemeinwohl: „Was könnte einer nicht alles leisten, der
imstande ist, sich tagelang abzumühen, um unverdauliche Verse zu schmieden,
nutzlose Lobreden zu schwingen und nach feilen Bestechungen zu jagen, wenn
er sein Ich vergäße und an die elende Nation dächte, die ehrliche Arbeiter
mit der Laterne sucht und nicht findet!" Leider wird dieser Egoismus durch
die bestehende Staatsverfassung nur noch genährt; diese wird geradezu bezeichnet
als „ein nationaler Honigkuchen, auf dem sich Arbeitsscheue und Hungerleider
ansetzen wie die Wespen." „Um das Gemeinwohl kümmert sich der Grieche
nicht: er sorgt für sein Hauswesen und für sein Vermögen; alles andre läßt
er durch besoldete Schulmeister besorgen." Der Grieche rafft sich nur dann
auf, wenn es sich um seine nächsten, augenblicklichen Interessen handelt. „Hält
man ihm seine Pflichten gegen die Gemeinde und gegen das Vaterland vor,
so erwidert er: Ach, was sind das für Narrheiten! . . . Laß uns lieber dieses
Gesuch an den Mufti beenden, damit er uns den Gefallen tut und die Mauer
des Nachbars einreißt, die uns die Fenster verdunkelt!"


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[0130] Das neue Griechenland im neuen neunten seiner ästhetischen Briefe schreibt: „Nicht jedem, dem dieses Ideal in der Seele glüht, wurde die schöpferische Ruhe und der große geduldige Sinn verliehen. . . . Viel zu ungestüm stürzt sich der göttliche Bildungstrieb oft un¬ mittelbar auf die Gegenwart und auf das handelnde Leben, den formlosen Stoff der moralischen Welt umzubilden. Dringend spricht das Unglück seiner Gattung zu den fühlenden Menschen, dringender ihre Entwürdigung." Keineswegs als ob überhaupt diese Worte auf Planck zuträfen, nur relativ, meinen wir; denn auch er hat es unternommen und sein Leben daran gesetzt, das „Ideal," das ihm „in der Seele glühte," gewissermaßen „in den verschwiegnen Stein einzudrücken oder in das nüchterne Wort auszugießen und den treuen Handen der Zeit zu vertrauen." Möchte sich die Nation im Schillerjahr auch dieses andern Schwaben erinnern! So manches auch bei ihm seinem Jahrhundert angehören mag, er ist es wert, einmal gehört zu werden. So sei denn das jüngste Buch Plancks anch den Lesern der Grenzboten warm empfohlen. Adolf Baumeister [Abbildung] Das neue Griechenland im neuen von Aarl Dieterich (Schluß) > er „alte Dimos," einer der wenigen überlebenden Zeugen des Freiheitskampfes, übt strenge Kritik an den Schwächen der gegen¬ wärtigen Generation; er geißelt vor allem ihre drei Hauptfehler, Iden persönlichen Egoismus, den sozialen Jndifferentismus und I den geistigen Klassizismus. Von ihnen entwirft der Verfasser nicht gerade sehr schmeichelhafte Bilder. So heißt es von dem Egoismus: „Ein jeder jagt seiner Arbeit nach . . . jeder ist sein eigner Mittelpunkt, und dieser ist das »Ich« des Griechen." Die persönliche Eitelkeit steht ihm höher als die Sorge für das Gemeinwohl: „Was könnte einer nicht alles leisten, der imstande ist, sich tagelang abzumühen, um unverdauliche Verse zu schmieden, nutzlose Lobreden zu schwingen und nach feilen Bestechungen zu jagen, wenn er sein Ich vergäße und an die elende Nation dächte, die ehrliche Arbeiter mit der Laterne sucht und nicht findet!" Leider wird dieser Egoismus durch die bestehende Staatsverfassung nur noch genährt; diese wird geradezu bezeichnet als „ein nationaler Honigkuchen, auf dem sich Arbeitsscheue und Hungerleider ansetzen wie die Wespen." „Um das Gemeinwohl kümmert sich der Grieche nicht: er sorgt für sein Hauswesen und für sein Vermögen; alles andre läßt er durch besoldete Schulmeister besorgen." Der Grieche rafft sich nur dann auf, wenn es sich um seine nächsten, augenblicklichen Interessen handelt. „Hält man ihm seine Pflichten gegen die Gemeinde und gegen das Vaterland vor, so erwidert er: Ach, was sind das für Narrheiten! . . . Laß uns lieber dieses Gesuch an den Mufti beenden, damit er uns den Gefallen tut und die Mauer des Nachbars einreißt, die uns die Fenster verdunkelt!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/130>, abgerufen am 15.01.2025.