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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche Geschichte und deutscher Beruf

sich durchsetzt und im Menschen in seiner das Ganze umfassenden Vernunft und
Liebe gipfelt.

Derselbe Gegensatz zwischen Zentrum und Peripherie dient Planck dann
auch wieder innerhalb der organischen, psychischen und geistigen Sphäre zur
Erklärung der Empfindung, in der das Zentrum die Zustände der Peripherie,
der Nerven, womit es in chemischer Offenheit verbunden ist, als die seinigen
hat und zugleich kraft der anatomischen und physiologischen Abgrenzung als
andre "unterscheidet."

Eigentümlich ist auch Plancks logische und erkenntnistheoretische Begründung
seiner Psychologie und Metaphysik. Er will die sinnliche Erscheinung in ihr
Recht einsetzen, während für die moderne Naturwissenschaft wie für den philo¬
sophischen Kritizismus die sinnlichen Vorstellungen ganz wesentlich Täuschungen,
subjektive Produkte sind. Da Planck hier wie überall vom Ganzen und von
dem tiefsten Jneinanderwirken ausgeht, so ist damit schon der Wahrheit der
sinnlichen Eindrücke und Vorstellungen vorgearbeitet. Freilich ist nun Planck
nichts weniger als reiner Empiriker. Das Denken ist ihm zwar rein formaler
Natur, aber gerade die pure Form, die das Denken ist, führt ihn nun rein,
apriori (und zwar so, daß das logische Schlußverfahren durch innere Anschauung
unterstützt wird) auf dem Wege des Gegensatzes zu dem Begriff der Ausdehnung
in Raum und Zeit, wodurch allein Inhalt und schon Existenz für jene an sich
rein formale Funktion geschaffen wird. Ein Nebeneinander in der räumlichen
Ausdehnung aber kann sich Planck nicht anders vergegenwärtigen als als ein
Zusammen aneinander grenzender und ineinander wirkender Teile, und so kon¬
struiert er rein ideal den Begriff des körperlichen Realen, des zusammengefaßten
Ausgedehnten, woran dann alle Erfahrung und Beobachtung als an einem Kanon
gemessen wird. Das alles mag so in der gedrängten Kürze und als im ganzen
noch heute neu, weil fast nirgends berücksichtigt, fremdartig und kühn klingen;
wer diesen Ideengängen näher tritt, wird sich bald mit ihnen befreunden, wenn
vielleicht auch nicht sofort identifizieren. Es wäre wirklich einmal an der Zeit,
daß ein Mann oder vielmehr ein Meister vom Fach die Schätze, die noch un¬
gehoben und ungefchöpft vor allem in Plancks "Weltaltern" (1850 und 1851)
und in "Seele und Geist" (1871) verborgen ruhn, zutage förderte und frucht¬
bar machte.

Es hat sich eigentlich, von wenigen historischen und monographischen Dar¬
stellungen abgesehen, bis heute niemand dazu bereit gefunden, wohl haupt¬
sächlich, weil weder im idealistischen, philosophischen und theologischen noch im
realistischen Heerlager, die ja beide die Zeit beherrschen, viel Aussicht auf Erfolg
solcher Bemühungen winkt. Aber wie an Nietzsche die Hochschulphilosophie
lange vorüberging und doch schließlich allseitig von ihm Notiz genommen hat,
so mögen nun einmal auch bei Planck die Akademiker die Dankesschuld ab¬
tragen gegen einen der besten produktiven deutschen Philosophen, zunächst ein¬
mal in sorgfältiger und ausführlicher historischer und kritischer Analyse! Ähnlich
wie die originalen Leistungen Plancks auf dem philosophischen Gebiet im
engern Sinn leider bis heute, trotz F- Wischers und K. Köstlins Empfehlung,
wenig Beachtung erfahren haben, so haben auch seine sozialpolitischen Ideen


Deutsche Geschichte und deutscher Beruf

sich durchsetzt und im Menschen in seiner das Ganze umfassenden Vernunft und
Liebe gipfelt.

Derselbe Gegensatz zwischen Zentrum und Peripherie dient Planck dann
auch wieder innerhalb der organischen, psychischen und geistigen Sphäre zur
Erklärung der Empfindung, in der das Zentrum die Zustände der Peripherie,
der Nerven, womit es in chemischer Offenheit verbunden ist, als die seinigen
hat und zugleich kraft der anatomischen und physiologischen Abgrenzung als
andre „unterscheidet."

Eigentümlich ist auch Plancks logische und erkenntnistheoretische Begründung
seiner Psychologie und Metaphysik. Er will die sinnliche Erscheinung in ihr
Recht einsetzen, während für die moderne Naturwissenschaft wie für den philo¬
sophischen Kritizismus die sinnlichen Vorstellungen ganz wesentlich Täuschungen,
subjektive Produkte sind. Da Planck hier wie überall vom Ganzen und von
dem tiefsten Jneinanderwirken ausgeht, so ist damit schon der Wahrheit der
sinnlichen Eindrücke und Vorstellungen vorgearbeitet. Freilich ist nun Planck
nichts weniger als reiner Empiriker. Das Denken ist ihm zwar rein formaler
Natur, aber gerade die pure Form, die das Denken ist, führt ihn nun rein,
apriori (und zwar so, daß das logische Schlußverfahren durch innere Anschauung
unterstützt wird) auf dem Wege des Gegensatzes zu dem Begriff der Ausdehnung
in Raum und Zeit, wodurch allein Inhalt und schon Existenz für jene an sich
rein formale Funktion geschaffen wird. Ein Nebeneinander in der räumlichen
Ausdehnung aber kann sich Planck nicht anders vergegenwärtigen als als ein
Zusammen aneinander grenzender und ineinander wirkender Teile, und so kon¬
struiert er rein ideal den Begriff des körperlichen Realen, des zusammengefaßten
Ausgedehnten, woran dann alle Erfahrung und Beobachtung als an einem Kanon
gemessen wird. Das alles mag so in der gedrängten Kürze und als im ganzen
noch heute neu, weil fast nirgends berücksichtigt, fremdartig und kühn klingen;
wer diesen Ideengängen näher tritt, wird sich bald mit ihnen befreunden, wenn
vielleicht auch nicht sofort identifizieren. Es wäre wirklich einmal an der Zeit,
daß ein Mann oder vielmehr ein Meister vom Fach die Schätze, die noch un¬
gehoben und ungefchöpft vor allem in Plancks „Weltaltern" (1850 und 1851)
und in „Seele und Geist" (1871) verborgen ruhn, zutage förderte und frucht¬
bar machte.

Es hat sich eigentlich, von wenigen historischen und monographischen Dar¬
stellungen abgesehen, bis heute niemand dazu bereit gefunden, wohl haupt¬
sächlich, weil weder im idealistischen, philosophischen und theologischen noch im
realistischen Heerlager, die ja beide die Zeit beherrschen, viel Aussicht auf Erfolg
solcher Bemühungen winkt. Aber wie an Nietzsche die Hochschulphilosophie
lange vorüberging und doch schließlich allseitig von ihm Notiz genommen hat,
so mögen nun einmal auch bei Planck die Akademiker die Dankesschuld ab¬
tragen gegen einen der besten produktiven deutschen Philosophen, zunächst ein¬
mal in sorgfältiger und ausführlicher historischer und kritischer Analyse! Ähnlich
wie die originalen Leistungen Plancks auf dem philosophischen Gebiet im
engern Sinn leider bis heute, trotz F- Wischers und K. Köstlins Empfehlung,
wenig Beachtung erfahren haben, so haben auch seine sozialpolitischen Ideen


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[0125] Deutsche Geschichte und deutscher Beruf sich durchsetzt und im Menschen in seiner das Ganze umfassenden Vernunft und Liebe gipfelt. Derselbe Gegensatz zwischen Zentrum und Peripherie dient Planck dann auch wieder innerhalb der organischen, psychischen und geistigen Sphäre zur Erklärung der Empfindung, in der das Zentrum die Zustände der Peripherie, der Nerven, womit es in chemischer Offenheit verbunden ist, als die seinigen hat und zugleich kraft der anatomischen und physiologischen Abgrenzung als andre „unterscheidet." Eigentümlich ist auch Plancks logische und erkenntnistheoretische Begründung seiner Psychologie und Metaphysik. Er will die sinnliche Erscheinung in ihr Recht einsetzen, während für die moderne Naturwissenschaft wie für den philo¬ sophischen Kritizismus die sinnlichen Vorstellungen ganz wesentlich Täuschungen, subjektive Produkte sind. Da Planck hier wie überall vom Ganzen und von dem tiefsten Jneinanderwirken ausgeht, so ist damit schon der Wahrheit der sinnlichen Eindrücke und Vorstellungen vorgearbeitet. Freilich ist nun Planck nichts weniger als reiner Empiriker. Das Denken ist ihm zwar rein formaler Natur, aber gerade die pure Form, die das Denken ist, führt ihn nun rein, apriori (und zwar so, daß das logische Schlußverfahren durch innere Anschauung unterstützt wird) auf dem Wege des Gegensatzes zu dem Begriff der Ausdehnung in Raum und Zeit, wodurch allein Inhalt und schon Existenz für jene an sich rein formale Funktion geschaffen wird. Ein Nebeneinander in der räumlichen Ausdehnung aber kann sich Planck nicht anders vergegenwärtigen als als ein Zusammen aneinander grenzender und ineinander wirkender Teile, und so kon¬ struiert er rein ideal den Begriff des körperlichen Realen, des zusammengefaßten Ausgedehnten, woran dann alle Erfahrung und Beobachtung als an einem Kanon gemessen wird. Das alles mag so in der gedrängten Kürze und als im ganzen noch heute neu, weil fast nirgends berücksichtigt, fremdartig und kühn klingen; wer diesen Ideengängen näher tritt, wird sich bald mit ihnen befreunden, wenn vielleicht auch nicht sofort identifizieren. Es wäre wirklich einmal an der Zeit, daß ein Mann oder vielmehr ein Meister vom Fach die Schätze, die noch un¬ gehoben und ungefchöpft vor allem in Plancks „Weltaltern" (1850 und 1851) und in „Seele und Geist" (1871) verborgen ruhn, zutage förderte und frucht¬ bar machte. Es hat sich eigentlich, von wenigen historischen und monographischen Dar¬ stellungen abgesehen, bis heute niemand dazu bereit gefunden, wohl haupt¬ sächlich, weil weder im idealistischen, philosophischen und theologischen noch im realistischen Heerlager, die ja beide die Zeit beherrschen, viel Aussicht auf Erfolg solcher Bemühungen winkt. Aber wie an Nietzsche die Hochschulphilosophie lange vorüberging und doch schließlich allseitig von ihm Notiz genommen hat, so mögen nun einmal auch bei Planck die Akademiker die Dankesschuld ab¬ tragen gegen einen der besten produktiven deutschen Philosophen, zunächst ein¬ mal in sorgfältiger und ausführlicher historischer und kritischer Analyse! Ähnlich wie die originalen Leistungen Plancks auf dem philosophischen Gebiet im engern Sinn leider bis heute, trotz F- Wischers und K. Köstlins Empfehlung, wenig Beachtung erfahren haben, so haben auch seine sozialpolitischen Ideen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/125>, abgerufen am 15.01.2025.