Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches nicht wüßte, beiß er ihren Anschauungen und ihrer Geschmacksrichtung damit ent¬ Herr Müller übersieht weiter, daß Völker nicht von Sympathien oder Anti¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches nicht wüßte, beiß er ihren Anschauungen und ihrer Geschmacksrichtung damit ent¬ Herr Müller übersieht weiter, daß Völker nicht von Sympathien oder Anti¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296127"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_741" prev="#ID_740"> nicht wüßte, beiß er ihren Anschauungen und ihrer Geschmacksrichtung damit ent¬<lb/> spräche. Das Publikum würde sich das gar nicht gefallen lassen. Ein recht lehr¬<lb/> reiches Beispiel sind die unaufhörlichen Lügennachrichten aus Deutsch-Südwestafrika,<lb/> die, obwohl regelmäßig als Schwindel entlarvt, von der englischen Presse immer<lb/> wieder aufgenommen und verbreitet werden, weil der für Deutschland nachteilige<lb/> Inhalt den englischen Wünschen entspricht. Als jüngst die Nachricht telegraphiert<lb/> Wurde, daß Hereros und Hottentotten einen unglaublich langen Wagenzug im<lb/> Rücken der fechtenden deutschen Truppen erbeutet hätten, was eine schwere Nieder¬<lb/> lage der Deutschen bedeute, da war der I)g,ii^ Ali-gr, ein Londoner Witzblatt, flugs<lb/> bei der Hand, ein Spottbild daraus zu machen, worin er Reihen gefesselter deutscher<lb/> Soldaten im Paradeschritt einherziehn ließ, umtanzt von den bewaffneten Wilden, und<lb/> im Vordergrunde John Bull, der sich die Frage stellte, ob er nicht dem Hottentotten¬<lb/> häuptling eine Glückwunschdepesche zu dem Siege schicken solle. Er könne dazu den<lb/> — darunter abgedruckten — Text des Telegramms des Kaisers an den Präsidenten<lb/> Krüger wörtlich gebrauchen. Als Kaiser Wilhelm sein Telegramm an Krüger<lb/> sandte, handelte es sich um eiuen Einfall gesetzloser Banden in ein Land, mit dem<lb/> wir seit elf Jahren durch einen Freundschafts- und Handelsvertrag verbunden<lb/> waren, auf Grund dessen wir allerlei Rechte hatten. Deutschland war somit an<lb/> der Erhaltung des bestehenden öffentlichen Rechtszustandes in hohem Grade inter¬<lb/> essiert. Bismnrck, der damals noch lebte, und der von Politik ja wohl immerhin<lb/> etwas verstand, war über das Telegramm aufrichtig erfreut. Die Erregung der<lb/> englischen Presse war ihm schwer begreiflich, er meinte: eigentlich hatte die Königin<lb/> Viktoria das Telegramm absenden müssen. Wenn die Engländer sich vergegenwärtigen,<lb/> daß sie damals einem Mbustierunternehmen gegen eine geordnete Staatsgewalt und<lb/> ein unabhängiges Land Beifall zollten, einem Unternehmen, das von ihnen, wenn<lb/> gegen englischen Besitz gerichtet, mit schwersten Leibes- und Lebensstrafen bedroht ist,<lb/> so haben sie heute, auf den Trümmern der Burenrepubliken, keinen Grund, über<lb/> das Telegramm zu spotten, sondern allen Anlaß, sich ihrer damaligen Haltung zu<lb/> schämen. Blätter, Wie der Vs,i1^ Airor, arbeiten aber sicherlich nur im Sinne<lb/> der Instinkte der Masse, denen sie damit schmeichelnd entgegenkommen wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_742" next="#ID_743"> Herr Müller übersieht weiter, daß Völker nicht von Sympathien oder Anti¬<lb/> pathien bestimmt und geleitet werden, sondern von Interessen; ihre Sym¬<lb/> pathien sind da, wo ihre Interessen sind. Unsre Schiffahrt, unser Handel, unsre<lb/> überseeische Betätigung, sogar unsre bescheidne Flotte sind drüben unbequem geworden.<lb/> Es bedarf keines Hervorhebens, daß kein Engländer 20000 deutsche Soldaten und<lb/> ein Geschwader von 23 Schiffen, das mit Linienschiffen den Jangtse befuhr, gern<lb/> in China sah. Erst damit und mit der Uangtse-Konvention ist das Gefühl eines<lb/> außergewöhnlichen Wachstums Deutschlands zur See in den Allgemeinbesitz des<lb/> englischen Volkes übergegangen. Ein deutscher Oberbefehlshaber hatte in China die<lb/> Rolle, die sonst bei solchen Anlässen einem englischen General zuzufallen pflegte!<lb/> Wir wollen das Thema nicht weiter ausspinnen, Material genug wäre vorhanden.<lb/> Diese ganze Summe von ursächlichen und zwar rein sachlichen Dingen läßt Herr<lb/> Müller-Meiningen einfach unberücksichtigt und unberührt. Die Presse eines Landes<lb/> kann gelegentlich in ihrer Stellung zu Vorgängen im Auslande irren und fehl<lb/> greifen und einen Teil der Nation in einen falschen Kurs hineinsteuern, das ist<lb/> z. B. bei einem nicht geringen Teile unsrer Presse, die liberale eingeschlossen,<lb/> während des südafrikanischen Krieges der Fall gewesen; aber ein solcher Mißgriff<lb/> wäre doch nicht eine längere Reihe von Jahren möglich, am allerwenigsten in<lb/> England, wenn er nicht einer bestimmten Richtung der öffentlichen Meinung ent¬<lb/> spräche. Rigbt or vronZ- — in^ oounti^! Großbritannien stand im Kriege gegen<lb/> die Buren, mit dem festen Entschluß, sie endgiltig niederzuwerfen. Es hatte für<lb/> die Herbeiführung des Krieges die Moral nicht auf seiner Seite, das haben viele<lb/> Stimmen in England selbst zugegeben, aber es konnte trotzdem mit Recht sagen:<lb/> Wer nicht für mich ist, der ist wider mich. Eine starke öffentliche Meinung in<lb/> Deutschland hat mit einem großen Teile der Presse in diesem auch für England</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0116]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
nicht wüßte, beiß er ihren Anschauungen und ihrer Geschmacksrichtung damit ent¬
spräche. Das Publikum würde sich das gar nicht gefallen lassen. Ein recht lehr¬
reiches Beispiel sind die unaufhörlichen Lügennachrichten aus Deutsch-Südwestafrika,
die, obwohl regelmäßig als Schwindel entlarvt, von der englischen Presse immer
wieder aufgenommen und verbreitet werden, weil der für Deutschland nachteilige
Inhalt den englischen Wünschen entspricht. Als jüngst die Nachricht telegraphiert
Wurde, daß Hereros und Hottentotten einen unglaublich langen Wagenzug im
Rücken der fechtenden deutschen Truppen erbeutet hätten, was eine schwere Nieder¬
lage der Deutschen bedeute, da war der I)g,ii^ Ali-gr, ein Londoner Witzblatt, flugs
bei der Hand, ein Spottbild daraus zu machen, worin er Reihen gefesselter deutscher
Soldaten im Paradeschritt einherziehn ließ, umtanzt von den bewaffneten Wilden, und
im Vordergrunde John Bull, der sich die Frage stellte, ob er nicht dem Hottentotten¬
häuptling eine Glückwunschdepesche zu dem Siege schicken solle. Er könne dazu den
— darunter abgedruckten — Text des Telegramms des Kaisers an den Präsidenten
Krüger wörtlich gebrauchen. Als Kaiser Wilhelm sein Telegramm an Krüger
sandte, handelte es sich um eiuen Einfall gesetzloser Banden in ein Land, mit dem
wir seit elf Jahren durch einen Freundschafts- und Handelsvertrag verbunden
waren, auf Grund dessen wir allerlei Rechte hatten. Deutschland war somit an
der Erhaltung des bestehenden öffentlichen Rechtszustandes in hohem Grade inter¬
essiert. Bismnrck, der damals noch lebte, und der von Politik ja wohl immerhin
etwas verstand, war über das Telegramm aufrichtig erfreut. Die Erregung der
englischen Presse war ihm schwer begreiflich, er meinte: eigentlich hatte die Königin
Viktoria das Telegramm absenden müssen. Wenn die Engländer sich vergegenwärtigen,
daß sie damals einem Mbustierunternehmen gegen eine geordnete Staatsgewalt und
ein unabhängiges Land Beifall zollten, einem Unternehmen, das von ihnen, wenn
gegen englischen Besitz gerichtet, mit schwersten Leibes- und Lebensstrafen bedroht ist,
so haben sie heute, auf den Trümmern der Burenrepubliken, keinen Grund, über
das Telegramm zu spotten, sondern allen Anlaß, sich ihrer damaligen Haltung zu
schämen. Blätter, Wie der Vs,i1^ Airor, arbeiten aber sicherlich nur im Sinne
der Instinkte der Masse, denen sie damit schmeichelnd entgegenkommen wollen.
Herr Müller übersieht weiter, daß Völker nicht von Sympathien oder Anti¬
pathien bestimmt und geleitet werden, sondern von Interessen; ihre Sym¬
pathien sind da, wo ihre Interessen sind. Unsre Schiffahrt, unser Handel, unsre
überseeische Betätigung, sogar unsre bescheidne Flotte sind drüben unbequem geworden.
Es bedarf keines Hervorhebens, daß kein Engländer 20000 deutsche Soldaten und
ein Geschwader von 23 Schiffen, das mit Linienschiffen den Jangtse befuhr, gern
in China sah. Erst damit und mit der Uangtse-Konvention ist das Gefühl eines
außergewöhnlichen Wachstums Deutschlands zur See in den Allgemeinbesitz des
englischen Volkes übergegangen. Ein deutscher Oberbefehlshaber hatte in China die
Rolle, die sonst bei solchen Anlässen einem englischen General zuzufallen pflegte!
Wir wollen das Thema nicht weiter ausspinnen, Material genug wäre vorhanden.
Diese ganze Summe von ursächlichen und zwar rein sachlichen Dingen läßt Herr
Müller-Meiningen einfach unberücksichtigt und unberührt. Die Presse eines Landes
kann gelegentlich in ihrer Stellung zu Vorgängen im Auslande irren und fehl
greifen und einen Teil der Nation in einen falschen Kurs hineinsteuern, das ist
z. B. bei einem nicht geringen Teile unsrer Presse, die liberale eingeschlossen,
während des südafrikanischen Krieges der Fall gewesen; aber ein solcher Mißgriff
wäre doch nicht eine längere Reihe von Jahren möglich, am allerwenigsten in
England, wenn er nicht einer bestimmten Richtung der öffentlichen Meinung ent¬
spräche. Rigbt or vronZ- — in^ oounti^! Großbritannien stand im Kriege gegen
die Buren, mit dem festen Entschluß, sie endgiltig niederzuwerfen. Es hatte für
die Herbeiführung des Krieges die Moral nicht auf seiner Seite, das haben viele
Stimmen in England selbst zugegeben, aber es konnte trotzdem mit Recht sagen:
Wer nicht für mich ist, der ist wider mich. Eine starke öffentliche Meinung in
Deutschland hat mit einem großen Teile der Presse in diesem auch für England
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