Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren Weilen einen Lappen darum und war, als ich mich im Gasthofe zum Schlafen Als ich nach einiger Zeit -- es war in Konstanz -- in einer Wirtschaft den Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren Weilen einen Lappen darum und war, als ich mich im Gasthofe zum Schlafen Als ich nach einiger Zeit — es war in Konstanz — in einer Wirtschaft den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/296114"/> <fw type="header" place="top"> Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren</fw><lb/> <p xml:id="ID_514" prev="#ID_513"> Weilen einen Lappen darum und war, als ich mich im Gasthofe zum Schlafen<lb/> niederlegte, durch mein doppeltes Mißgeschick und die Kälte, die mich den ganzen<lb/> Tag über belästigt hatte, weil ich mich nicht warm arbeiten konnte, so herabgestimmt,<lb/> daß ich ernstlich Selbstmordgedanken hegte und lebhaft bedauerte, keinen Revolver<lb/> zu haben, mit dem ich dem Jammer ein Ende machen konnte. Am andern Tage<lb/> ging ich zu einem Bader, der mir ein Stück Sehne aus dem Finger schnitt und<lb/> mir einen Verband anlegte. Da gerade Sonntag war, mußten wir der Kirche<lb/> wegen die Arbeit unterbrechen und wurden erst am Montag so weit fertig, daß<lb/> wir, obwohl das Dach noch fehlte, eine Vorstellung geben konnten. Zu der Parade<lb/> gab mir mein Prinzipal einen roten Manegefrack, der noch von der alten Zirkus¬<lb/> herrlichkeit übrig geblieben war, und worin ich mich mit meinen verbundnen Händen<lb/> äußerst komisch ausnahm. Die beiden Töchter der Haushälterin standen in ihren<lb/> Kostümen neben mir, und ein kleiner Leierkasten, den früher der Elefant gedreht<lb/> hatte, lieferte die Musik. Des ungünstigen Platzes wegen ließ sich jedoch kein<lb/> Publikum sehen, und so blieb mir nichts andres übrig, als in meinem roten Frack<lb/> und in Begleitung des Wunderbaren Lulu durch den Marktflecken zu Pilgern, einen<lb/> Tamtam zu schlagen und dabei der Bevölkerung zu verkünden, daß in der Bergheher<lb/> Menagerie sogleich die Vorstellung beginne. Aber auch das hatte keinen besondern<lb/> Erfolg, und die Einnahmen ließen viel zu wünschen übrig. Wir brachten mit<lb/> Ach und Krach ein paar schlecht besuchte Vorstellungen zustande, und mein Anteil<lb/> an dem Trinkgeld, den mir der Prinzipal zugesichert hatte, und der in dem<lb/> vierten Teil bestand, machte während des ganzen Marktes alles in allem fünfzig<lb/> Pfennige ans.</p><lb/> <p xml:id="ID_515" next="#ID_516"> Als ich nach einiger Zeit — es war in Konstanz — in einer Wirtschaft den<lb/> „Kometen" las, fand ich eine Annonce von der Menagerie Nvuma Hawa, worin<lb/> ein Wärter gesucht wurde. Ich dachte an die Zeit zurück, die ich bei dieser<lb/> Menagerie verbracht hatte, und sagte mir, es sei trotz der kleinen Differenz nicht<lb/> die schlechteste meiner bisherigen Stellen gewesen. Was mir bet der Menagerie<lb/> Nouma Hawa immer besonders gefallen hatte, war die Ordnung, Reinlichkeit und<lb/> Pünktlichkeit, die dort überall geherrscht hatten. Auch der Umstand, daß die An¬<lb/> gestellten dort am Montag früh um neun pünktlich ihren Lohn erhielten und nicht,<lb/> wie es sonst üblich ist, monatlich oder überhaupt nicht, war mir immer sehr au¬<lb/> genehm gewesen. Ich überlegte hin und her, setzte mich schließlich hin und schrieb<lb/> nach Bern, wo sich die Menagerie gerade aufhielt, einen Brief, worin ich die<lb/> Bitte aussprach, mir eine Antwort nach Freiburg im Breisgau postlagernd zu<lb/> senden. Zuhause ließ ich mir natürlich hiervon nichts merken, und so verluden<lb/> wir denn nach Schluß der Messe und fuhren über Schaffhausen nach Freiburg.<lb/> Schon auf der Reise benutzte ich jede Gelegenheit, über meine schmerzende Hand<lb/> und meinen in der Tat kaum noch erträglichen Zustand zu klagen, weil mir daran<lb/> lag, den Prinzipal schonend auf meinen Austritt vorzubereiten. Als wir in Frei¬<lb/> burg angekommen waren, erklärte ich, ich hielte es nicht mehr länger aus und<lb/> müsse sogleich einen Arzt konsultieren. Berg machte zwar ein langes Gesicht, mußte<lb/> mich aber gehn lassen, da er einsah, daß ich so doch nicht weiter arbeiten könnte.<lb/> In der Klinik, wo schon verschiedne Patienten warteten, wurde ich von einem Arzt<lb/> gefragt, was mir fehle, und dieser zeigte sich, als ich ihm meine Hände vorwies,<lb/> über den interessanten Fall äußerst erfreut. Er rief einige Kollegen herbei, führte<lb/> mich hinter eine spanische Wand, und dort mußte ich den Herren die Geschichte<lb/> meiner Verletzung durch die Löwen ganz ausführlich erzählen. Die Herren sagten,<lb/> es sei die höchste Zeit, daß ich komme, und sie wollten mich operieren. Zu diesem<lb/> Zwecke überbrausten sie erst meine linke und dann meine rechte Hand an den schon<lb/> weiß gewordnen Stellen mit Äther, bis sich eine Kruste Eis auf der Haut bildete,<lb/> und begannen dann zu schneiden und mit einem scharfen Löffel tief im Fleische<lb/> herumzuwühlen, bis sie allen Eiter, der sich an dieser Stelle gesammelt hatte,<lb/> herausgeholt hatten. Dann verbanden sie mich sehr sorgfältig und gebrauchten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
Unter Runden, Komödianten und wilden Tieren
Weilen einen Lappen darum und war, als ich mich im Gasthofe zum Schlafen
niederlegte, durch mein doppeltes Mißgeschick und die Kälte, die mich den ganzen
Tag über belästigt hatte, weil ich mich nicht warm arbeiten konnte, so herabgestimmt,
daß ich ernstlich Selbstmordgedanken hegte und lebhaft bedauerte, keinen Revolver
zu haben, mit dem ich dem Jammer ein Ende machen konnte. Am andern Tage
ging ich zu einem Bader, der mir ein Stück Sehne aus dem Finger schnitt und
mir einen Verband anlegte. Da gerade Sonntag war, mußten wir der Kirche
wegen die Arbeit unterbrechen und wurden erst am Montag so weit fertig, daß
wir, obwohl das Dach noch fehlte, eine Vorstellung geben konnten. Zu der Parade
gab mir mein Prinzipal einen roten Manegefrack, der noch von der alten Zirkus¬
herrlichkeit übrig geblieben war, und worin ich mich mit meinen verbundnen Händen
äußerst komisch ausnahm. Die beiden Töchter der Haushälterin standen in ihren
Kostümen neben mir, und ein kleiner Leierkasten, den früher der Elefant gedreht
hatte, lieferte die Musik. Des ungünstigen Platzes wegen ließ sich jedoch kein
Publikum sehen, und so blieb mir nichts andres übrig, als in meinem roten Frack
und in Begleitung des Wunderbaren Lulu durch den Marktflecken zu Pilgern, einen
Tamtam zu schlagen und dabei der Bevölkerung zu verkünden, daß in der Bergheher
Menagerie sogleich die Vorstellung beginne. Aber auch das hatte keinen besondern
Erfolg, und die Einnahmen ließen viel zu wünschen übrig. Wir brachten mit
Ach und Krach ein paar schlecht besuchte Vorstellungen zustande, und mein Anteil
an dem Trinkgeld, den mir der Prinzipal zugesichert hatte, und der in dem
vierten Teil bestand, machte während des ganzen Marktes alles in allem fünfzig
Pfennige ans.
Als ich nach einiger Zeit — es war in Konstanz — in einer Wirtschaft den
„Kometen" las, fand ich eine Annonce von der Menagerie Nvuma Hawa, worin
ein Wärter gesucht wurde. Ich dachte an die Zeit zurück, die ich bei dieser
Menagerie verbracht hatte, und sagte mir, es sei trotz der kleinen Differenz nicht
die schlechteste meiner bisherigen Stellen gewesen. Was mir bet der Menagerie
Nouma Hawa immer besonders gefallen hatte, war die Ordnung, Reinlichkeit und
Pünktlichkeit, die dort überall geherrscht hatten. Auch der Umstand, daß die An¬
gestellten dort am Montag früh um neun pünktlich ihren Lohn erhielten und nicht,
wie es sonst üblich ist, monatlich oder überhaupt nicht, war mir immer sehr au¬
genehm gewesen. Ich überlegte hin und her, setzte mich schließlich hin und schrieb
nach Bern, wo sich die Menagerie gerade aufhielt, einen Brief, worin ich die
Bitte aussprach, mir eine Antwort nach Freiburg im Breisgau postlagernd zu
senden. Zuhause ließ ich mir natürlich hiervon nichts merken, und so verluden
wir denn nach Schluß der Messe und fuhren über Schaffhausen nach Freiburg.
Schon auf der Reise benutzte ich jede Gelegenheit, über meine schmerzende Hand
und meinen in der Tat kaum noch erträglichen Zustand zu klagen, weil mir daran
lag, den Prinzipal schonend auf meinen Austritt vorzubereiten. Als wir in Frei¬
burg angekommen waren, erklärte ich, ich hielte es nicht mehr länger aus und
müsse sogleich einen Arzt konsultieren. Berg machte zwar ein langes Gesicht, mußte
mich aber gehn lassen, da er einsah, daß ich so doch nicht weiter arbeiten könnte.
In der Klinik, wo schon verschiedne Patienten warteten, wurde ich von einem Arzt
gefragt, was mir fehle, und dieser zeigte sich, als ich ihm meine Hände vorwies,
über den interessanten Fall äußerst erfreut. Er rief einige Kollegen herbei, führte
mich hinter eine spanische Wand, und dort mußte ich den Herren die Geschichte
meiner Verletzung durch die Löwen ganz ausführlich erzählen. Die Herren sagten,
es sei die höchste Zeit, daß ich komme, und sie wollten mich operieren. Zu diesem
Zwecke überbrausten sie erst meine linke und dann meine rechte Hand an den schon
weiß gewordnen Stellen mit Äther, bis sich eine Kruste Eis auf der Haut bildete,
und begannen dann zu schneiden und mit einem scharfen Löffel tief im Fleische
herumzuwühlen, bis sie allen Eiter, der sich an dieser Stelle gesammelt hatte,
herausgeholt hatten. Dann verbanden sie mich sehr sorgfältig und gebrauchten
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