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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Uonstantinopolitanische Reiseerlebnisse

strcißen breit und einigermaßen elegant, die Nebengassen zeigen noch stark, daß der
Ort ein junger Emporkömmling ist. Die Abneigung der Magyaren gegen alles
Österreichische wurde mir recht augenfällig klar, als ich in keiner Buchhandlung,
auch in der größten nicht, einen Führer dnrch Wien erhalten konnte. Den Buch¬
händler fragte ich dann noch, wo die Pferdebahn zur Donau ginge. Er antwortete:
"Nach Donau geht kein Pferdebohu, Donan ist schon do."

Ich fand den Strom denn auch einige Hundert Schritt weiter und setzte mich
auf das nächste Dampfschiff- Die Fahrt ging an dem riesigen, prunkvollen Parla¬
mentsgebäude vorüber, mit dessen Länge und Kuppelhöhe sich der deutsche Reichstag
nicht messen kann, um so mehr natürlich mit der im Innern zutage tretenden poli¬
tischen Weisheit -- oder zweifelt etwa jemand daran? Dann nahm mich der
kühlende Vaumschatten der Margareteninsel auf, und ich genoß hier am Ufer der
schönen blauen Donau zum erstenmal seit langer Zeit wieder ein gutes, fein her¬
gerichtetes Mahl und konnte meinen Wein mit wirklich kühlem Wasser aus beschlagner
Karaffe vermischen. Wenn ich freilich glaubte, nunmehr aus dem Backschisch heraus
zu sein, so irrte ich mich schwer. In Konstantinopel hatte ich bei jeder Mahlzeit
ein Trinkgeld gegeben, hier erwarteten drei Menschen, von mir beschenkt zu werden,
einer, der die Speisen brachte, einer, der den Wein aufsetzte, und einer, der mein
Geld in Empfang zu nehmen geruhte.

Ganz ebenso war es in Wien, wo ich außerdem der großen Fronleichnam-
Prozession beiwohnen konnte. Ich kann mir nicht helfen, auf die Gefahr, als ein
schlechter Christ betrachtet zu werden, der Selamlik des Sultans machte einen viel
stolzem, großartigern Eindruck. Dort der Herrscher nicht nur über die Leiber,
sondern auch über die Seelen, Sultan und Kauf in einer Person, im Galawagen
und umgeben von der ehrfürchtigen Menge der Beamten und Gläubigen, hier der
greise Kaiser, barhaupt, ungeschützt gegen die Strahlen der Sonne, mit einem großen
brennenden Wachslicht in der Hand, hinter einem Baldachin und einem Meßgewande
zu Fuß hergehend wie ein armer Büßer. Und ebenso wie er auch der Thron¬
folger, die Erzherzöge, die Minister und Diplomaten in ihren gestickten Uniformen,
die höhern Staatsbeamten und die städtischen Magistrate, an ihrer Spitze der
"schöne Karl," wie eine freundliche Wienerin neben mir den großen Lueger be¬
zeichnete. Alle diese Herren trugen Wachskerzen in den Händen, die dann der
Kirche zufallen und von dieser gleich wieder an den "Wachszieher" verkauft werden.
Alle suchten, so gut es ging, ihre größtenteils kahlen Häupter dnrch Empvrhnlten
der Hände und Hüte gegen die sie sichtlich genierenden Sonnenstrahlen zu schützen.
Ich hatte hier den Eindruck vollkommner Unterordnung des Staats unter die
Kirche, deren triumphierende Macht sich in endlosen Zügen von Geistlichen, Kon¬
gregationen, Mönchen mit Kreuzen, Büchern und Fahnen darstellte. Daran ver¬
mochte auch das militärische Aufgebot nichts zu ändern, nicht einmal die roten
"Arcieri" und die stolzesten der Stolzen, die schmucken ungarischen Leibgarden
mit den grünen Schabracken, gefleckten Leopardenfellen und laugen weißen Büschen.
Einen für mein altes Soldateugefühl besonders peinlichen Eindrnck machte es, daß
die Kaiserjäger hier auf der Straße zu Ehren der Prozession nicht nur schießen,
sondern auch bete" mußten oder wenigstens so tun, als ob sie beteten. Sie standen
in zwei Gliedern spalierbildeud vor dem Publikum. Da kamen die Kommandos:
"Niederknien zum Gebet, Hut ab, Hut auf, Aufstehn, Fertig zum Chargieren, Legt
an, Feuer," und drei geistliche Ehrensalven rollten über die Menge hin. Während
ich mich, wie gesagt, bei dieser Vermischung von Geistlichen und Weltlichen, von
Kirchlichen und Militärischen, von Weihrauch und Pulver eines unangenehmen
Gefühls nicht entschlagen konnte, amüsierten sich die lustigen Wienerinnen nur
darüber -- und das war wohl das richtigste.

Dieses Wiener Fronleichnamsfest war der letzte fremdartige und seltsame
Eindrnck, den mir die Reise bot. Nach flüchtiger Zollrevision in Tetschen tat
mir das Vaterland seine Grenzen auf, Dresden spendete mir reichlich und viel-


Uonstantinopolitanische Reiseerlebnisse

strcißen breit und einigermaßen elegant, die Nebengassen zeigen noch stark, daß der
Ort ein junger Emporkömmling ist. Die Abneigung der Magyaren gegen alles
Österreichische wurde mir recht augenfällig klar, als ich in keiner Buchhandlung,
auch in der größten nicht, einen Führer dnrch Wien erhalten konnte. Den Buch¬
händler fragte ich dann noch, wo die Pferdebahn zur Donau ginge. Er antwortete:
„Nach Donau geht kein Pferdebohu, Donan ist schon do."

Ich fand den Strom denn auch einige Hundert Schritt weiter und setzte mich
auf das nächste Dampfschiff- Die Fahrt ging an dem riesigen, prunkvollen Parla¬
mentsgebäude vorüber, mit dessen Länge und Kuppelhöhe sich der deutsche Reichstag
nicht messen kann, um so mehr natürlich mit der im Innern zutage tretenden poli¬
tischen Weisheit — oder zweifelt etwa jemand daran? Dann nahm mich der
kühlende Vaumschatten der Margareteninsel auf, und ich genoß hier am Ufer der
schönen blauen Donau zum erstenmal seit langer Zeit wieder ein gutes, fein her¬
gerichtetes Mahl und konnte meinen Wein mit wirklich kühlem Wasser aus beschlagner
Karaffe vermischen. Wenn ich freilich glaubte, nunmehr aus dem Backschisch heraus
zu sein, so irrte ich mich schwer. In Konstantinopel hatte ich bei jeder Mahlzeit
ein Trinkgeld gegeben, hier erwarteten drei Menschen, von mir beschenkt zu werden,
einer, der die Speisen brachte, einer, der den Wein aufsetzte, und einer, der mein
Geld in Empfang zu nehmen geruhte.

Ganz ebenso war es in Wien, wo ich außerdem der großen Fronleichnam-
Prozession beiwohnen konnte. Ich kann mir nicht helfen, auf die Gefahr, als ein
schlechter Christ betrachtet zu werden, der Selamlik des Sultans machte einen viel
stolzem, großartigern Eindruck. Dort der Herrscher nicht nur über die Leiber,
sondern auch über die Seelen, Sultan und Kauf in einer Person, im Galawagen
und umgeben von der ehrfürchtigen Menge der Beamten und Gläubigen, hier der
greise Kaiser, barhaupt, ungeschützt gegen die Strahlen der Sonne, mit einem großen
brennenden Wachslicht in der Hand, hinter einem Baldachin und einem Meßgewande
zu Fuß hergehend wie ein armer Büßer. Und ebenso wie er auch der Thron¬
folger, die Erzherzöge, die Minister und Diplomaten in ihren gestickten Uniformen,
die höhern Staatsbeamten und die städtischen Magistrate, an ihrer Spitze der
„schöne Karl," wie eine freundliche Wienerin neben mir den großen Lueger be¬
zeichnete. Alle diese Herren trugen Wachskerzen in den Händen, die dann der
Kirche zufallen und von dieser gleich wieder an den „Wachszieher" verkauft werden.
Alle suchten, so gut es ging, ihre größtenteils kahlen Häupter dnrch Empvrhnlten
der Hände und Hüte gegen die sie sichtlich genierenden Sonnenstrahlen zu schützen.
Ich hatte hier den Eindruck vollkommner Unterordnung des Staats unter die
Kirche, deren triumphierende Macht sich in endlosen Zügen von Geistlichen, Kon¬
gregationen, Mönchen mit Kreuzen, Büchern und Fahnen darstellte. Daran ver¬
mochte auch das militärische Aufgebot nichts zu ändern, nicht einmal die roten
„Arcieri" und die stolzesten der Stolzen, die schmucken ungarischen Leibgarden
mit den grünen Schabracken, gefleckten Leopardenfellen und laugen weißen Büschen.
Einen für mein altes Soldateugefühl besonders peinlichen Eindrnck machte es, daß
die Kaiserjäger hier auf der Straße zu Ehren der Prozession nicht nur schießen,
sondern auch bete» mußten oder wenigstens so tun, als ob sie beteten. Sie standen
in zwei Gliedern spalierbildeud vor dem Publikum. Da kamen die Kommandos:
„Niederknien zum Gebet, Hut ab, Hut auf, Aufstehn, Fertig zum Chargieren, Legt
an, Feuer," und drei geistliche Ehrensalven rollten über die Menge hin. Während
ich mich, wie gesagt, bei dieser Vermischung von Geistlichen und Weltlichen, von
Kirchlichen und Militärischen, von Weihrauch und Pulver eines unangenehmen
Gefühls nicht entschlagen konnte, amüsierten sich die lustigen Wienerinnen nur
darüber — und das war wohl das richtigste.

Dieses Wiener Fronleichnamsfest war der letzte fremdartige und seltsame
Eindrnck, den mir die Reise bot. Nach flüchtiger Zollrevision in Tetschen tat
mir das Vaterland seine Grenzen auf, Dresden spendete mir reichlich und viel-


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[0759] Uonstantinopolitanische Reiseerlebnisse strcißen breit und einigermaßen elegant, die Nebengassen zeigen noch stark, daß der Ort ein junger Emporkömmling ist. Die Abneigung der Magyaren gegen alles Österreichische wurde mir recht augenfällig klar, als ich in keiner Buchhandlung, auch in der größten nicht, einen Führer dnrch Wien erhalten konnte. Den Buch¬ händler fragte ich dann noch, wo die Pferdebahn zur Donau ginge. Er antwortete: „Nach Donau geht kein Pferdebohu, Donan ist schon do." Ich fand den Strom denn auch einige Hundert Schritt weiter und setzte mich auf das nächste Dampfschiff- Die Fahrt ging an dem riesigen, prunkvollen Parla¬ mentsgebäude vorüber, mit dessen Länge und Kuppelhöhe sich der deutsche Reichstag nicht messen kann, um so mehr natürlich mit der im Innern zutage tretenden poli¬ tischen Weisheit — oder zweifelt etwa jemand daran? Dann nahm mich der kühlende Vaumschatten der Margareteninsel auf, und ich genoß hier am Ufer der schönen blauen Donau zum erstenmal seit langer Zeit wieder ein gutes, fein her¬ gerichtetes Mahl und konnte meinen Wein mit wirklich kühlem Wasser aus beschlagner Karaffe vermischen. Wenn ich freilich glaubte, nunmehr aus dem Backschisch heraus zu sein, so irrte ich mich schwer. In Konstantinopel hatte ich bei jeder Mahlzeit ein Trinkgeld gegeben, hier erwarteten drei Menschen, von mir beschenkt zu werden, einer, der die Speisen brachte, einer, der den Wein aufsetzte, und einer, der mein Geld in Empfang zu nehmen geruhte. Ganz ebenso war es in Wien, wo ich außerdem der großen Fronleichnam- Prozession beiwohnen konnte. Ich kann mir nicht helfen, auf die Gefahr, als ein schlechter Christ betrachtet zu werden, der Selamlik des Sultans machte einen viel stolzem, großartigern Eindruck. Dort der Herrscher nicht nur über die Leiber, sondern auch über die Seelen, Sultan und Kauf in einer Person, im Galawagen und umgeben von der ehrfürchtigen Menge der Beamten und Gläubigen, hier der greise Kaiser, barhaupt, ungeschützt gegen die Strahlen der Sonne, mit einem großen brennenden Wachslicht in der Hand, hinter einem Baldachin und einem Meßgewande zu Fuß hergehend wie ein armer Büßer. Und ebenso wie er auch der Thron¬ folger, die Erzherzöge, die Minister und Diplomaten in ihren gestickten Uniformen, die höhern Staatsbeamten und die städtischen Magistrate, an ihrer Spitze der „schöne Karl," wie eine freundliche Wienerin neben mir den großen Lueger be¬ zeichnete. Alle diese Herren trugen Wachskerzen in den Händen, die dann der Kirche zufallen und von dieser gleich wieder an den „Wachszieher" verkauft werden. Alle suchten, so gut es ging, ihre größtenteils kahlen Häupter dnrch Empvrhnlten der Hände und Hüte gegen die sie sichtlich genierenden Sonnenstrahlen zu schützen. Ich hatte hier den Eindruck vollkommner Unterordnung des Staats unter die Kirche, deren triumphierende Macht sich in endlosen Zügen von Geistlichen, Kon¬ gregationen, Mönchen mit Kreuzen, Büchern und Fahnen darstellte. Daran ver¬ mochte auch das militärische Aufgebot nichts zu ändern, nicht einmal die roten „Arcieri" und die stolzesten der Stolzen, die schmucken ungarischen Leibgarden mit den grünen Schabracken, gefleckten Leopardenfellen und laugen weißen Büschen. Einen für mein altes Soldateugefühl besonders peinlichen Eindrnck machte es, daß die Kaiserjäger hier auf der Straße zu Ehren der Prozession nicht nur schießen, sondern auch bete» mußten oder wenigstens so tun, als ob sie beteten. Sie standen in zwei Gliedern spalierbildeud vor dem Publikum. Da kamen die Kommandos: „Niederknien zum Gebet, Hut ab, Hut auf, Aufstehn, Fertig zum Chargieren, Legt an, Feuer," und drei geistliche Ehrensalven rollten über die Menge hin. Während ich mich, wie gesagt, bei dieser Vermischung von Geistlichen und Weltlichen, von Kirchlichen und Militärischen, von Weihrauch und Pulver eines unangenehmen Gefühls nicht entschlagen konnte, amüsierten sich die lustigen Wienerinnen nur darüber — und das war wohl das richtigste. Dieses Wiener Fronleichnamsfest war der letzte fremdartige und seltsame Eindrnck, den mir die Reise bot. Nach flüchtiger Zollrevision in Tetschen tat mir das Vaterland seine Grenzen auf, Dresden spendete mir reichlich und viel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/759>, abgerufen am 29.06.2024.