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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Ronstantinopolitanische Reiseerlebnisse

trabte los. Dn er alle Nebengassen und Richtwege benutzte, so tauchte er immer
wieder neben meinem Pferdebahnwagen ans und gelangte fast zugleich mit mir auf
den Bahnhof. Das Billett nach Wien kostete 93 Franken und 35 Centimes (sehr
billig!), und unter den üblichen Backschischspenden drang ich dann glücklich bis zum
Zuge vor. Für eine Nachzahlung von zwei Franken erhalt mau in den ungarischen
Wagen das Recht auf Nachtruhe, d. h. man kommt zu vier in ein Coupe, klappt
dann die ledergepolsterten Lehnen von unter nach oben in die Höhe und schläft
auf einer der vier auf diese Weise hergestellten Schlafbänke. Ich legte mich auf
eine der beiden obern, hatte das aber bitter zu bereuen, denn die untern Bänke
waren von zwei galizischen Juden belegt, die sich Bernstein und Baruch ununten,
und uun während der Nacht ihre ganze Zwiebel-, Käse- und Knoblauchnnsdünstung
nach oben strömen ließen. Als ich aufwachte, wurde mir sofort übel, und ich öffnete
schleunigst die Ventilation.

Die Sonne ging uns über Adrianopel auf, dann folgte die türkische und gleich
darauf die bulgarische Gepäckrevision. Auch wurden uns von den weißgekleideten
bulgarischen Beamten die Pässe abgenommen und unsre sämtlichen Ruinen gewissen¬
haft in ein Buch eingetragen. Während der Fahrt spuckten die beiden Galizier
beständig in ekelhaftester Weise auf den Fußboden, obwohl auf jeder Seite ein
großer Spucknapf bereit stand. Endlich in Philippopel befreiten sie mich von ihrer
Gegenwart, um dort zu "ihre Leid" zu gehn. Philippopel selbst liegt malerisch
auf vier aus dem weiten Tal der Maritzn schroff aufsteigenden Vergknppen. Zahl¬
reiche Rvßherden weideten in der Ebne. Links von der Bahn sieht man das
mächtige Nhvdopegebirge (bis zu 2700 Metern), dessen zackige Gipfel noch tief hinunter
mit Schnee bedeckt waren. Im Altertum schwärmte hier die Bacchantin und schaute
staunend auf das noch vom Winterschnee weiße Tal des Hebrus (der Maritzn) her¬
nieder (Hör. Ob. III, 2'5), jetzt haust hier der edle makedonische Klcphthe, der mit
Vorliebe amerikanische Missionarinnen entführt. Zum Glück hatte ich jetzt einen
angenehmen Reisegefährten in einem jungen Franzosen bekommen, der in Geschäfts¬
angelegenheiten nach Paris reiste, aber in Kasanlyk wohnte, wo er in echtem Rosenöl
und handgesticklen Decken arbeitete. Über Sofia ging es dann an die serbische
Grenze, wo die Gcpäckrevision im Wagen selbst vorgenommen wurde. Dann wurden
wieder die Lehnen hochgeklappt, und die zweite Nacht im Eisenbahnwagen begann.
Diesesmal kleidete ich mich, dem Beispiel des Franzosen folgend, vollständig aus
und schlief in meine wollne Decke gehüllt ganz prachtvoll.

Als die Sonne aufging, hielten wir bei der Stadt des "Prinzen Eugenius,
des edeln Ritters." Doch blieb "Stadt und Festung Belgerad" rechts jenseits der
save liegen. Wir passierten frei den Dvnaufluß und schlugen dann bei Semlin
unser Lager, indem wir unser Sämtliches Gepäck ans die kaiserlich-königliche Zoll¬
station schleppen mußten, was dem Franzosen Anlaß gab, über ""hö animaux-la,"
weidlich zu räsonieren. Endlich waren "touiss es" ebosss dog-out-mios" erledigt.
Der neue Zug, i" den wir einstiegen, war mit deutschredenden Schaffnern besetzt,
hatte auch Warnungsinschriften in vorzüglichem Deutsch, wie folgende Wendung
beweist, die ich mir notiert habe: " ... da nach Versehen der erforderlichen Pünkt¬
lichkeit des Zugabgehens Gefahr erwachsen kann." Dieser Zug trug uns nun hinein
in die endlosen Pußten Südungarns, über die der Blick ungehemmt bis zum fernen
Horizont schweifte. Äcker und Weinfelder wechselten miteinander, aber kein Baum
war zu erblicken. Nur die vereinzelt liegenden Gehöfte waren durch hohe Laub¬
bäume -- Pappel", wie es schien -- gegen die Souue geschützt, die im übrigen
brennend ans der Ebne lag. Es war der heißeste Tag der ganzen Reise. Griechen¬
land, Kreta, Konstantinopel hatten gegen diese Pnßtenhitze eine milde, Troja sogar
eine eisige Temperatur.

Budapest, der Stolz der Magyaren, machte mir gegen das wirre Völkerge-
wimmel von Konstantinopel anfangs den Eindruck eiuer verschlafnen Kleinstadt. So
ruhig und langweilig war das Leben auf den Straßen. Auch sind nur die Haupt-


Ronstantinopolitanische Reiseerlebnisse

trabte los. Dn er alle Nebengassen und Richtwege benutzte, so tauchte er immer
wieder neben meinem Pferdebahnwagen ans und gelangte fast zugleich mit mir auf
den Bahnhof. Das Billett nach Wien kostete 93 Franken und 35 Centimes (sehr
billig!), und unter den üblichen Backschischspenden drang ich dann glücklich bis zum
Zuge vor. Für eine Nachzahlung von zwei Franken erhalt mau in den ungarischen
Wagen das Recht auf Nachtruhe, d. h. man kommt zu vier in ein Coupe, klappt
dann die ledergepolsterten Lehnen von unter nach oben in die Höhe und schläft
auf einer der vier auf diese Weise hergestellten Schlafbänke. Ich legte mich auf
eine der beiden obern, hatte das aber bitter zu bereuen, denn die untern Bänke
waren von zwei galizischen Juden belegt, die sich Bernstein und Baruch ununten,
und uun während der Nacht ihre ganze Zwiebel-, Käse- und Knoblauchnnsdünstung
nach oben strömen ließen. Als ich aufwachte, wurde mir sofort übel, und ich öffnete
schleunigst die Ventilation.

Die Sonne ging uns über Adrianopel auf, dann folgte die türkische und gleich
darauf die bulgarische Gepäckrevision. Auch wurden uns von den weißgekleideten
bulgarischen Beamten die Pässe abgenommen und unsre sämtlichen Ruinen gewissen¬
haft in ein Buch eingetragen. Während der Fahrt spuckten die beiden Galizier
beständig in ekelhaftester Weise auf den Fußboden, obwohl auf jeder Seite ein
großer Spucknapf bereit stand. Endlich in Philippopel befreiten sie mich von ihrer
Gegenwart, um dort zu „ihre Leid" zu gehn. Philippopel selbst liegt malerisch
auf vier aus dem weiten Tal der Maritzn schroff aufsteigenden Vergknppen. Zahl¬
reiche Rvßherden weideten in der Ebne. Links von der Bahn sieht man das
mächtige Nhvdopegebirge (bis zu 2700 Metern), dessen zackige Gipfel noch tief hinunter
mit Schnee bedeckt waren. Im Altertum schwärmte hier die Bacchantin und schaute
staunend auf das noch vom Winterschnee weiße Tal des Hebrus (der Maritzn) her¬
nieder (Hör. Ob. III, 2'5), jetzt haust hier der edle makedonische Klcphthe, der mit
Vorliebe amerikanische Missionarinnen entführt. Zum Glück hatte ich jetzt einen
angenehmen Reisegefährten in einem jungen Franzosen bekommen, der in Geschäfts¬
angelegenheiten nach Paris reiste, aber in Kasanlyk wohnte, wo er in echtem Rosenöl
und handgesticklen Decken arbeitete. Über Sofia ging es dann an die serbische
Grenze, wo die Gcpäckrevision im Wagen selbst vorgenommen wurde. Dann wurden
wieder die Lehnen hochgeklappt, und die zweite Nacht im Eisenbahnwagen begann.
Diesesmal kleidete ich mich, dem Beispiel des Franzosen folgend, vollständig aus
und schlief in meine wollne Decke gehüllt ganz prachtvoll.

Als die Sonne aufging, hielten wir bei der Stadt des „Prinzen Eugenius,
des edeln Ritters." Doch blieb „Stadt und Festung Belgerad" rechts jenseits der
save liegen. Wir passierten frei den Dvnaufluß und schlugen dann bei Semlin
unser Lager, indem wir unser Sämtliches Gepäck ans die kaiserlich-königliche Zoll¬
station schleppen mußten, was dem Franzosen Anlaß gab, über „«hö animaux-la,"
weidlich zu räsonieren. Endlich waren „touiss es« ebosss dog-out-mios" erledigt.
Der neue Zug, i» den wir einstiegen, war mit deutschredenden Schaffnern besetzt,
hatte auch Warnungsinschriften in vorzüglichem Deutsch, wie folgende Wendung
beweist, die ich mir notiert habe: „ ... da nach Versehen der erforderlichen Pünkt¬
lichkeit des Zugabgehens Gefahr erwachsen kann." Dieser Zug trug uns nun hinein
in die endlosen Pußten Südungarns, über die der Blick ungehemmt bis zum fernen
Horizont schweifte. Äcker und Weinfelder wechselten miteinander, aber kein Baum
war zu erblicken. Nur die vereinzelt liegenden Gehöfte waren durch hohe Laub¬
bäume — Pappel», wie es schien — gegen die Souue geschützt, die im übrigen
brennend ans der Ebne lag. Es war der heißeste Tag der ganzen Reise. Griechen¬
land, Kreta, Konstantinopel hatten gegen diese Pnßtenhitze eine milde, Troja sogar
eine eisige Temperatur.

Budapest, der Stolz der Magyaren, machte mir gegen das wirre Völkerge-
wimmel von Konstantinopel anfangs den Eindruck eiuer verschlafnen Kleinstadt. So
ruhig und langweilig war das Leben auf den Straßen. Auch sind nur die Haupt-


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[0758] Ronstantinopolitanische Reiseerlebnisse trabte los. Dn er alle Nebengassen und Richtwege benutzte, so tauchte er immer wieder neben meinem Pferdebahnwagen ans und gelangte fast zugleich mit mir auf den Bahnhof. Das Billett nach Wien kostete 93 Franken und 35 Centimes (sehr billig!), und unter den üblichen Backschischspenden drang ich dann glücklich bis zum Zuge vor. Für eine Nachzahlung von zwei Franken erhalt mau in den ungarischen Wagen das Recht auf Nachtruhe, d. h. man kommt zu vier in ein Coupe, klappt dann die ledergepolsterten Lehnen von unter nach oben in die Höhe und schläft auf einer der vier auf diese Weise hergestellten Schlafbänke. Ich legte mich auf eine der beiden obern, hatte das aber bitter zu bereuen, denn die untern Bänke waren von zwei galizischen Juden belegt, die sich Bernstein und Baruch ununten, und uun während der Nacht ihre ganze Zwiebel-, Käse- und Knoblauchnnsdünstung nach oben strömen ließen. Als ich aufwachte, wurde mir sofort übel, und ich öffnete schleunigst die Ventilation. Die Sonne ging uns über Adrianopel auf, dann folgte die türkische und gleich darauf die bulgarische Gepäckrevision. Auch wurden uns von den weißgekleideten bulgarischen Beamten die Pässe abgenommen und unsre sämtlichen Ruinen gewissen¬ haft in ein Buch eingetragen. Während der Fahrt spuckten die beiden Galizier beständig in ekelhaftester Weise auf den Fußboden, obwohl auf jeder Seite ein großer Spucknapf bereit stand. Endlich in Philippopel befreiten sie mich von ihrer Gegenwart, um dort zu „ihre Leid" zu gehn. Philippopel selbst liegt malerisch auf vier aus dem weiten Tal der Maritzn schroff aufsteigenden Vergknppen. Zahl¬ reiche Rvßherden weideten in der Ebne. Links von der Bahn sieht man das mächtige Nhvdopegebirge (bis zu 2700 Metern), dessen zackige Gipfel noch tief hinunter mit Schnee bedeckt waren. Im Altertum schwärmte hier die Bacchantin und schaute staunend auf das noch vom Winterschnee weiße Tal des Hebrus (der Maritzn) her¬ nieder (Hör. Ob. III, 2'5), jetzt haust hier der edle makedonische Klcphthe, der mit Vorliebe amerikanische Missionarinnen entführt. Zum Glück hatte ich jetzt einen angenehmen Reisegefährten in einem jungen Franzosen bekommen, der in Geschäfts¬ angelegenheiten nach Paris reiste, aber in Kasanlyk wohnte, wo er in echtem Rosenöl und handgesticklen Decken arbeitete. Über Sofia ging es dann an die serbische Grenze, wo die Gcpäckrevision im Wagen selbst vorgenommen wurde. Dann wurden wieder die Lehnen hochgeklappt, und die zweite Nacht im Eisenbahnwagen begann. Diesesmal kleidete ich mich, dem Beispiel des Franzosen folgend, vollständig aus und schlief in meine wollne Decke gehüllt ganz prachtvoll. Als die Sonne aufging, hielten wir bei der Stadt des „Prinzen Eugenius, des edeln Ritters." Doch blieb „Stadt und Festung Belgerad" rechts jenseits der save liegen. Wir passierten frei den Dvnaufluß und schlugen dann bei Semlin unser Lager, indem wir unser Sämtliches Gepäck ans die kaiserlich-königliche Zoll¬ station schleppen mußten, was dem Franzosen Anlaß gab, über „«hö animaux-la," weidlich zu räsonieren. Endlich waren „touiss es« ebosss dog-out-mios" erledigt. Der neue Zug, i» den wir einstiegen, war mit deutschredenden Schaffnern besetzt, hatte auch Warnungsinschriften in vorzüglichem Deutsch, wie folgende Wendung beweist, die ich mir notiert habe: „ ... da nach Versehen der erforderlichen Pünkt¬ lichkeit des Zugabgehens Gefahr erwachsen kann." Dieser Zug trug uns nun hinein in die endlosen Pußten Südungarns, über die der Blick ungehemmt bis zum fernen Horizont schweifte. Äcker und Weinfelder wechselten miteinander, aber kein Baum war zu erblicken. Nur die vereinzelt liegenden Gehöfte waren durch hohe Laub¬ bäume — Pappel», wie es schien — gegen die Souue geschützt, die im übrigen brennend ans der Ebne lag. Es war der heißeste Tag der ganzen Reise. Griechen¬ land, Kreta, Konstantinopel hatten gegen diese Pnßtenhitze eine milde, Troja sogar eine eisige Temperatur. Budapest, der Stolz der Magyaren, machte mir gegen das wirre Völkerge- wimmel von Konstantinopel anfangs den Eindruck eiuer verschlafnen Kleinstadt. So ruhig und langweilig war das Leben auf den Straßen. Auch sind nur die Haupt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/758>, abgerufen am 29.06.2024.