fliehenden Kassiererin, zerschlug den Lüster und warf das Möbelstück auf drei elsässjsche Krieger, die ihm den Weg verstellten. Der eine packt ihn darauf am Halse, rollt mit ihm auf der Erde herum und sucht ihn unter einer Flut von Stockschlägen zu würgen. "Ich hatte einen Ausruf der Bewunderung. Wen erkannte ich? Meinen jungen Herrn Ehrmann! Welches Beispiel! Er war offiziell im Dienste Deutschlands und privatim ein Volontär Frankreichs. Er erschien als deutsche Avantgarde und schlug sich wie eine französische Arriere- garde." (!) Barres war enthusiasmiert und wollte sich eben "wie meine ganze Nation" auf ihn stürzen, um ihn zu befreien, als leider Gottes die Polizei dazwischen kam, alles zur Tür hinauswarf und die Hauptpersonen auf die Wache brachte. Ein andrer junger Elsässer veranlaßt Ehrmann, sich wegen seiner Uniform den Händen der Polizei zu entziehn, und wird dafür von einem Schutzmann als Von/zur beschimpft, was der Student sich verbittet, dn er Sohn des Bürgermeisters von T. sei. Die Sache kommt vor den Senat der Universität, feierliche Sitzung, die mit Freisprechung der Studenten endet, weil die Polizei sie beschimpft habe. Der Polizist wird bestraft. Barres sucht in¬ folgedessen einen deutschen Professor auf, um sich über das Wesen der Uni¬ versitätsgerichte zu informieren, einen Deutschen, den er zum Teil nicht ver¬ standen zu haben scheint. Obwohl der Professor den Franzosen zum erstenmal sieht, ergeht er sich diesem gegenüber, und zwar als Deutscher, alsbald in so lebhaften Kritiken des Kaisers, daß Barres es nicht wiederzugeben vermag, ist ferner dem Offizierkorps sehr feindlich gesinnt und in seinen Äußerungen vou einer Kühnheit, "die weit über die gewöhnlichen Äußerungen eines Elsässers hinausgeht." Das war nun ein Deutscher nach Barres Herzen, der ihm lange im Kopf herumgeht. Er zieht daraus die Folgerung, daß Frankreich Unrecht daran getan habe, dem Chor der deutschen Stimmen bewundernd zu lauschen und darüber die harte Verschlossenheit Preußens zu vernachlässigen. "Deutsch¬ land ist eine Vielheit von dreißig nebeneinander gesetzten Nationen. Obwohl sie sich alle ein Apostolcit gegen Frankreich und die lateinische Welt zuerkennen, haben mehrere von ihnen doch unsern Einfluß empfangen und würden ihn gern wieder suchen. Unser geborner Feind ist Preußen, das ihr Zentrum und ihr Haupt geworden ist." Barres vertieft sich darauf in Betrachtungen über das Urteil des Universitütsgerichts, worin er den Ausdruck des aristo¬ kratischen und des Klassengeistes findet, der die deutsche Gesellschaft beherrscht. Diese Aristokratie ist ihm eine weit mehr in den Gebräuchen als im Gesetz begründete Tradition. Nirgends stehe geschrieben, daß der Student einer Spezialgcrichtsbarkeit unterliege, dennoch würden seine Keinen Vergehen zuerst vor den akademischen Senat gebracht. Der Senat entschuldige ox oKiais alles, was als nächtlicher Lärm oder Trunkenheitsszene gelten könne. Im äußersten Falle finde er Hintertüren. Daneben ist Barres aber doch unangenehm be¬ rührt von der Art, wie diese jungen Elsässer den Folgen der Varicteschlacht entwischt sind. Er würde es vorgezogen haben, "ihre schönen Soldateninstinkte nicht mit der Geschicklichkeit vermischt zu sehen." Jedoch die Verantwortlichkeit für diese äiminnrion nor-ne falle nicht den Elsässern zu, sondern ausschließlich den Verhältnissen, unter denen sie seit dreiunddreißig Jahren lebten. Sie
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fliehenden Kassiererin, zerschlug den Lüster und warf das Möbelstück auf drei elsässjsche Krieger, die ihm den Weg verstellten. Der eine packt ihn darauf am Halse, rollt mit ihm auf der Erde herum und sucht ihn unter einer Flut von Stockschlägen zu würgen. „Ich hatte einen Ausruf der Bewunderung. Wen erkannte ich? Meinen jungen Herrn Ehrmann! Welches Beispiel! Er war offiziell im Dienste Deutschlands und privatim ein Volontär Frankreichs. Er erschien als deutsche Avantgarde und schlug sich wie eine französische Arriere- garde." (!) Barres war enthusiasmiert und wollte sich eben „wie meine ganze Nation" auf ihn stürzen, um ihn zu befreien, als leider Gottes die Polizei dazwischen kam, alles zur Tür hinauswarf und die Hauptpersonen auf die Wache brachte. Ein andrer junger Elsässer veranlaßt Ehrmann, sich wegen seiner Uniform den Händen der Polizei zu entziehn, und wird dafür von einem Schutzmann als Von/zur beschimpft, was der Student sich verbittet, dn er Sohn des Bürgermeisters von T. sei. Die Sache kommt vor den Senat der Universität, feierliche Sitzung, die mit Freisprechung der Studenten endet, weil die Polizei sie beschimpft habe. Der Polizist wird bestraft. Barres sucht in¬ folgedessen einen deutschen Professor auf, um sich über das Wesen der Uni¬ versitätsgerichte zu informieren, einen Deutschen, den er zum Teil nicht ver¬ standen zu haben scheint. Obwohl der Professor den Franzosen zum erstenmal sieht, ergeht er sich diesem gegenüber, und zwar als Deutscher, alsbald in so lebhaften Kritiken des Kaisers, daß Barres es nicht wiederzugeben vermag, ist ferner dem Offizierkorps sehr feindlich gesinnt und in seinen Äußerungen vou einer Kühnheit, „die weit über die gewöhnlichen Äußerungen eines Elsässers hinausgeht." Das war nun ein Deutscher nach Barres Herzen, der ihm lange im Kopf herumgeht. Er zieht daraus die Folgerung, daß Frankreich Unrecht daran getan habe, dem Chor der deutschen Stimmen bewundernd zu lauschen und darüber die harte Verschlossenheit Preußens zu vernachlässigen. „Deutsch¬ land ist eine Vielheit von dreißig nebeneinander gesetzten Nationen. Obwohl sie sich alle ein Apostolcit gegen Frankreich und die lateinische Welt zuerkennen, haben mehrere von ihnen doch unsern Einfluß empfangen und würden ihn gern wieder suchen. Unser geborner Feind ist Preußen, das ihr Zentrum und ihr Haupt geworden ist." Barres vertieft sich darauf in Betrachtungen über das Urteil des Universitütsgerichts, worin er den Ausdruck des aristo¬ kratischen und des Klassengeistes findet, der die deutsche Gesellschaft beherrscht. Diese Aristokratie ist ihm eine weit mehr in den Gebräuchen als im Gesetz begründete Tradition. Nirgends stehe geschrieben, daß der Student einer Spezialgcrichtsbarkeit unterliege, dennoch würden seine Keinen Vergehen zuerst vor den akademischen Senat gebracht. Der Senat entschuldige ox oKiais alles, was als nächtlicher Lärm oder Trunkenheitsszene gelten könne. Im äußersten Falle finde er Hintertüren. Daneben ist Barres aber doch unangenehm be¬ rührt von der Art, wie diese jungen Elsässer den Folgen der Varicteschlacht entwischt sind. Er würde es vorgezogen haben, „ihre schönen Soldateninstinkte nicht mit der Geschicklichkeit vermischt zu sehen." Jedoch die Verantwortlichkeit für diese äiminnrion nor-ne falle nicht den Elsässern zu, sondern ausschließlich den Verhältnissen, unter denen sie seit dreiunddreißig Jahren lebten. Sie
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fliehenden Kassiererin, zerschlug den Lüster und warf das Möbelstück auf drei
elsässjsche Krieger, die ihm den Weg verstellten. Der eine packt ihn darauf am
Halse, rollt mit ihm auf der Erde herum und sucht ihn unter einer Flut von
Stockschlägen zu würgen. „Ich hatte einen Ausruf der Bewunderung. Wen
erkannte ich? Meinen jungen Herrn Ehrmann! Welches Beispiel! Er war
offiziell im Dienste Deutschlands und privatim ein Volontär Frankreichs. Er
erschien als deutsche Avantgarde und schlug sich wie eine französische Arriere-
garde." (!) Barres war enthusiasmiert und wollte sich eben „wie meine ganze
Nation" auf ihn stürzen, um ihn zu befreien, als leider Gottes die Polizei
dazwischen kam, alles zur Tür hinauswarf und die Hauptpersonen auf die
Wache brachte. Ein andrer junger Elsässer veranlaßt Ehrmann, sich wegen
seiner Uniform den Händen der Polizei zu entziehn, und wird dafür von einem
Schutzmann als Von/zur beschimpft, was der Student sich verbittet, dn er
Sohn des Bürgermeisters von T. sei. Die Sache kommt vor den Senat der
Universität, feierliche Sitzung, die mit Freisprechung der Studenten endet, weil
die Polizei sie beschimpft habe. Der Polizist wird bestraft. Barres sucht in¬
folgedessen einen deutschen Professor auf, um sich über das Wesen der Uni¬
versitätsgerichte zu informieren, einen Deutschen, den er zum Teil nicht ver¬
standen zu haben scheint. Obwohl der Professor den Franzosen zum erstenmal
sieht, ergeht er sich diesem gegenüber, und zwar als Deutscher, alsbald in so
lebhaften Kritiken des Kaisers, daß Barres es nicht wiederzugeben vermag,
ist ferner dem Offizierkorps sehr feindlich gesinnt und in seinen Äußerungen
vou einer Kühnheit, „die weit über die gewöhnlichen Äußerungen eines Elsässers
hinausgeht." Das war nun ein Deutscher nach Barres Herzen, der ihm lange
im Kopf herumgeht. Er zieht daraus die Folgerung, daß Frankreich Unrecht
daran getan habe, dem Chor der deutschen Stimmen bewundernd zu lauschen
und darüber die harte Verschlossenheit Preußens zu vernachlässigen. „Deutsch¬
land ist eine Vielheit von dreißig nebeneinander gesetzten Nationen. Obwohl
sie sich alle ein Apostolcit gegen Frankreich und die lateinische Welt zuerkennen,
haben mehrere von ihnen doch unsern Einfluß empfangen und würden ihn gern
wieder suchen. Unser geborner Feind ist Preußen, das ihr Zentrum
und ihr Haupt geworden ist." Barres vertieft sich darauf in Betrachtungen
über das Urteil des Universitütsgerichts, worin er den Ausdruck des aristo¬
kratischen und des Klassengeistes findet, der die deutsche Gesellschaft beherrscht.
Diese Aristokratie ist ihm eine weit mehr in den Gebräuchen als im Gesetz
begründete Tradition. Nirgends stehe geschrieben, daß der Student einer
Spezialgcrichtsbarkeit unterliege, dennoch würden seine Keinen Vergehen zuerst
vor den akademischen Senat gebracht. Der Senat entschuldige ox oKiais alles,
was als nächtlicher Lärm oder Trunkenheitsszene gelten könne. Im äußersten
Falle finde er Hintertüren. Daneben ist Barres aber doch unangenehm be¬
rührt von der Art, wie diese jungen Elsässer den Folgen der Varicteschlacht
entwischt sind. Er würde es vorgezogen haben, „ihre schönen Soldateninstinkte
nicht mit der Geschicklichkeit vermischt zu sehen." Jedoch die Verantwortlichkeit
für diese äiminnrion nor-ne falle nicht den Elsässern zu, sondern ausschließlich
den Verhältnissen, unter denen sie seit dreiunddreißig Jahren lebten. Sie
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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/725>, abgerufen am 09.01.2025.
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