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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Frauentrost

eine egoistische und ungerechte Mutter doch nur wenig helfen kann. Er sieht
zunächst nicht frühzeitig genug klar in den weiblichen Angelegenheiten, die sich
nun zwischen Mutter und Tochter abzuspielen beginnen. Geht ihm allmählich
die Einsicht auf, so wird er um des Friedens willen möglichst lange zu kavieren
suchen, bis es zu spät und der innere Konflikt zwischen Mutter und Tochter
unheilbar geworden ist. Dieses Übel schleicht jetzt durch zahlreiche gebildete und
wohlhabende Familien; die Vertrauten des Hauses haben dafür den Ausdruck:
Die Tochter kann sich mit der Mutter nicht stellen -- oder noch feiner: ver-
stehn --, sie wünscht sich fort. So lange die Kinder klein waren, empfand sie
die Mutter als eine Last, um deren willen sie sich beseufzte und sich die selbstver¬
ständlichen Mutterpflichten als einen Schatz guter Werke anzurechnen pflegte.
Nun, wo sie groß geworden sind, sollten sie ihr einen Teil ihrer Lebenslast
abnehmen, aber statt dessen wollen sie auch etwas sein, auch etwas vom Leben
haben, und sie kommen mit Ansprüchen an das Elternhaus, die ihnen natürlich
scheinen, und an die Mutter, die bisher nur ihren Egoismus gepflegt hat. Wie
sollte das diese verstehn können, die ja selbst dem Leben gegenüber noch lange
nicht auf ihre Rechnung gekommen ist! Als Herrin des Hauses hat sie aber
die stärkere Position, die sie in großen und kleinen Dingen gegen eine Tochter
ausnutzen kann, und hier erreicht sie, was ihr dem Manne gegenüber nicht so
ohne weiteres hat gelingen können, sie regiert. Keiner von uns wird es einer
solchen Mutter gönnen, daß die Töchter ihre gefülligen Dienerinnen werden.
Bei einem permanenten Konflikt zwischen Mann und Frau mag man die
Ursachen auf beiden Seiten suchen. Eine Mutter, die sich mit ihren Töchtern
nicht stellen kann, hat immer die Schuld. Diese bedauernswerten Kinder schicken
ein Hauptkontingent zu dem Heer der stcllesuchenden Frauen. Die einen müssen
dabei zugleich auf ihre materielle Versorgung bedacht sein, die andern wollen
nur dem Hause entfliehn, das ihnen keine Heimat mehr ist, sie suchen sich irgend
eine Beschäftigung, die ihnen das Gefühl geben soll, daß sie nicht überflüssig
seien in der Welt, die arbeitet. Beide tragen an der Verschuldung eiuer un¬
nützen Mutter und müssen nun an fremde Türen klopfen. Wünschen wir ihnen,
daß sie auch offne Herzen finden.

Damit sind wir wieder an einen Ausgangspunkt unsrer Betrachtung und
zugleich an ihr Ende gelangt. Was wir zu sagen hatten, kann weder Frauen
noch Männern tröstlich, aber vielleicht beiden nützlich sein, und hoffentlich wird
es unsern Grenzbotenfreund nicht verdrießen, daß wir an dein Gewebe seines
feinen Büchleins mit gröbern Fäden weiterzuspinnen versucht haben.




Frauentrost

eine egoistische und ungerechte Mutter doch nur wenig helfen kann. Er sieht
zunächst nicht frühzeitig genug klar in den weiblichen Angelegenheiten, die sich
nun zwischen Mutter und Tochter abzuspielen beginnen. Geht ihm allmählich
die Einsicht auf, so wird er um des Friedens willen möglichst lange zu kavieren
suchen, bis es zu spät und der innere Konflikt zwischen Mutter und Tochter
unheilbar geworden ist. Dieses Übel schleicht jetzt durch zahlreiche gebildete und
wohlhabende Familien; die Vertrauten des Hauses haben dafür den Ausdruck:
Die Tochter kann sich mit der Mutter nicht stellen — oder noch feiner: ver-
stehn —, sie wünscht sich fort. So lange die Kinder klein waren, empfand sie
die Mutter als eine Last, um deren willen sie sich beseufzte und sich die selbstver¬
ständlichen Mutterpflichten als einen Schatz guter Werke anzurechnen pflegte.
Nun, wo sie groß geworden sind, sollten sie ihr einen Teil ihrer Lebenslast
abnehmen, aber statt dessen wollen sie auch etwas sein, auch etwas vom Leben
haben, und sie kommen mit Ansprüchen an das Elternhaus, die ihnen natürlich
scheinen, und an die Mutter, die bisher nur ihren Egoismus gepflegt hat. Wie
sollte das diese verstehn können, die ja selbst dem Leben gegenüber noch lange
nicht auf ihre Rechnung gekommen ist! Als Herrin des Hauses hat sie aber
die stärkere Position, die sie in großen und kleinen Dingen gegen eine Tochter
ausnutzen kann, und hier erreicht sie, was ihr dem Manne gegenüber nicht so
ohne weiteres hat gelingen können, sie regiert. Keiner von uns wird es einer
solchen Mutter gönnen, daß die Töchter ihre gefülligen Dienerinnen werden.
Bei einem permanenten Konflikt zwischen Mann und Frau mag man die
Ursachen auf beiden Seiten suchen. Eine Mutter, die sich mit ihren Töchtern
nicht stellen kann, hat immer die Schuld. Diese bedauernswerten Kinder schicken
ein Hauptkontingent zu dem Heer der stcllesuchenden Frauen. Die einen müssen
dabei zugleich auf ihre materielle Versorgung bedacht sein, die andern wollen
nur dem Hause entfliehn, das ihnen keine Heimat mehr ist, sie suchen sich irgend
eine Beschäftigung, die ihnen das Gefühl geben soll, daß sie nicht überflüssig
seien in der Welt, die arbeitet. Beide tragen an der Verschuldung eiuer un¬
nützen Mutter und müssen nun an fremde Türen klopfen. Wünschen wir ihnen,
daß sie auch offne Herzen finden.

Damit sind wir wieder an einen Ausgangspunkt unsrer Betrachtung und
zugleich an ihr Ende gelangt. Was wir zu sagen hatten, kann weder Frauen
noch Männern tröstlich, aber vielleicht beiden nützlich sein, und hoffentlich wird
es unsern Grenzbotenfreund nicht verdrießen, daß wir an dein Gewebe seines
feinen Büchleins mit gröbern Fäden weiterzuspinnen versucht haben.




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[0572] Frauentrost eine egoistische und ungerechte Mutter doch nur wenig helfen kann. Er sieht zunächst nicht frühzeitig genug klar in den weiblichen Angelegenheiten, die sich nun zwischen Mutter und Tochter abzuspielen beginnen. Geht ihm allmählich die Einsicht auf, so wird er um des Friedens willen möglichst lange zu kavieren suchen, bis es zu spät und der innere Konflikt zwischen Mutter und Tochter unheilbar geworden ist. Dieses Übel schleicht jetzt durch zahlreiche gebildete und wohlhabende Familien; die Vertrauten des Hauses haben dafür den Ausdruck: Die Tochter kann sich mit der Mutter nicht stellen — oder noch feiner: ver- stehn —, sie wünscht sich fort. So lange die Kinder klein waren, empfand sie die Mutter als eine Last, um deren willen sie sich beseufzte und sich die selbstver¬ ständlichen Mutterpflichten als einen Schatz guter Werke anzurechnen pflegte. Nun, wo sie groß geworden sind, sollten sie ihr einen Teil ihrer Lebenslast abnehmen, aber statt dessen wollen sie auch etwas sein, auch etwas vom Leben haben, und sie kommen mit Ansprüchen an das Elternhaus, die ihnen natürlich scheinen, und an die Mutter, die bisher nur ihren Egoismus gepflegt hat. Wie sollte das diese verstehn können, die ja selbst dem Leben gegenüber noch lange nicht auf ihre Rechnung gekommen ist! Als Herrin des Hauses hat sie aber die stärkere Position, die sie in großen und kleinen Dingen gegen eine Tochter ausnutzen kann, und hier erreicht sie, was ihr dem Manne gegenüber nicht so ohne weiteres hat gelingen können, sie regiert. Keiner von uns wird es einer solchen Mutter gönnen, daß die Töchter ihre gefülligen Dienerinnen werden. Bei einem permanenten Konflikt zwischen Mann und Frau mag man die Ursachen auf beiden Seiten suchen. Eine Mutter, die sich mit ihren Töchtern nicht stellen kann, hat immer die Schuld. Diese bedauernswerten Kinder schicken ein Hauptkontingent zu dem Heer der stcllesuchenden Frauen. Die einen müssen dabei zugleich auf ihre materielle Versorgung bedacht sein, die andern wollen nur dem Hause entfliehn, das ihnen keine Heimat mehr ist, sie suchen sich irgend eine Beschäftigung, die ihnen das Gefühl geben soll, daß sie nicht überflüssig seien in der Welt, die arbeitet. Beide tragen an der Verschuldung eiuer un¬ nützen Mutter und müssen nun an fremde Türen klopfen. Wünschen wir ihnen, daß sie auch offne Herzen finden. Damit sind wir wieder an einen Ausgangspunkt unsrer Betrachtung und zugleich an ihr Ende gelangt. Was wir zu sagen hatten, kann weder Frauen noch Männern tröstlich, aber vielleicht beiden nützlich sein, und hoffentlich wird es unsern Grenzbotenfreund nicht verdrießen, daß wir an dein Gewebe seines feinen Büchleins mit gröbern Fäden weiterzuspinnen versucht haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/572>, abgerufen am 23.07.2024.