Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.saxonica erklärt sich die dem Sachsen eigne Loyalität, die wir mit ihren Vorzügen und Als ein allerdings zeitlich ziemlich weit zurückliegendes Kuriosum dafür, saxonica erklärt sich die dem Sachsen eigne Loyalität, die wir mit ihren Vorzügen und Als ein allerdings zeitlich ziemlich weit zurückliegendes Kuriosum dafür, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0553" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295772"/> <fw type="header" place="top"> saxonica</fw><lb/> <p xml:id="ID_2842" prev="#ID_2841"> erklärt sich die dem Sachsen eigne Loyalität, die wir mit ihren Vorzügen und<lb/> Mängeln oben schon auf dem Gebiete der äußern Politik haben kennen lernen,<lb/> und in ihnen liegt im wesentlichen auch der Schlüssel zu der Art und Weise,<lb/> wie in Sachsen öffentliche und private Dinge geordnet und behandelt werden.<lb/> Insbesondre drücken sich diese charakteristischen Züge auch in der innern Ver¬<lb/> waltung Sachsens aus. Ganz augenscheinlich weist die Verwaltungsgesetzgebung<lb/> in Preußen dank namentlich der Einwirkung Gueists einen größern Zuschnitt und<lb/> insbesondre auch einen systematischem Ausbau auf als die sächsische. Dafür<lb/> hat sich aber auf der andern Seite die sächsische Verwaltungsgesetzgebung von<lb/> mancher theoretischen Einseitigkeit freigehalten, die der preußischen Berwaltungs-<lb/> gesetzgebung infolge des Einflusses desselben Rechtslehrers anhaftet, und ebenso<lb/> anch in manchen Beziehungen der Ausbildung der einzelnen Verwaltungszweige<lb/> mehr Sorgfalt zugewandt. Ja man kann sagen: kaum auf einem andern Ge¬<lb/> biete des öffentlichen Lebens strahlen die tüchtigen Eigenschaften des sächsischen<lb/> Charakters Heller als auf dem der innern Verwaltung. Kann sich diese doch,<lb/> was weise Ordnung, verständnisvolles Eingehn auf alle Verhältnisse, die im<lb/> wirtschaftlichen und sozialen Leben von Wert sind, sorgfältige Pflege und Aus¬<lb/> bildung der im Volke schlummernden Fähigkeiten und Kräfte anlangt, getrost<lb/> mit der Verwaltung des bestregierten Staats messen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2843" next="#ID_2844"> Als ein allerdings zeitlich ziemlich weit zurückliegendes Kuriosum dafür,<lb/> wie der Sachse auch ans gesetzgeberischen Gebiet, ähnlich wie in den oben<lb/> hervorgehobnen Teilen auf dem Gebiete der äußern Politik, loyal am Be¬<lb/> stehenden festhält, wenn er mir von dessen innerer Berechtigung überzeugt ist,<lb/> möchte es auch sonst stellenweise noch so sehr mit den Anforderungen der Zeit<lb/> im Widerspruch stehn, kann das Zivilprozeßverfnhren gelten, das in Sachsen<lb/> bis zur Einführung der Neichszivilprozeßordnung, also bis zum Jahre 1879,<lb/> in Kraft war. Es war dies das früher auch in den meisten andern deutschen<lb/> Ländern geltende, in Sachsen selbst geschaffne und ausgebildete und darum auch<lb/> als der „sächsische Prozeß" bezeichnete Verfahren. Dieses Verfahren beruhte<lb/> bekanntermaßen auf dem Schriftlichkeitsprinzip und bildete in bezug auf seine<lb/> Einzelheiten geradezu eine mittelalterliche Folterkammer schlimmster Art, aus¬<lb/> gestattet mit allen Marterwerkzeugen, die jemand in Gestalt von komplizierten<lb/> Förmlichkeiten, lästigen Weiterungen und fatalen und nichtfatalen Fristen nur<lb/> erfinden kann. Ein Prozeß nach diesem Verfahren glich der Fahrt durch eine<lb/> Unzahl Klippen und Untiefen, und es gehörte ein ebenso geschickter Steuermann<lb/> wie ausgesprochnes Glück dazu, das Prozeßschiff durch alle diese ungezählte,,<lb/> Hindernisse hindurch in den Hafen zu leiten. Ein solches Verfahren stand<lb/> offenbar im schreiendsten Widerspruche mit der damals schon hohen Ausbildung<lb/> des wirtschaftlichen Lebens in Sachsen und seiner durchaus auf Beweglichkeit<lb/> cmgewiesnen Formen, und schon längst waren in den übrigen deutschen Ländern,<lb/> die sämtlich wirtschaftlich mehr oder weniger weit hinter Sachsen zurückstanden,<lb/> die Härten dieses Verfahrens wesentlich gemildert worden. Dennoch genügte<lb/> es in Sachsen den Juristen und Nichtjuristen, daß dieser Prozeß die, wie man<lb/> ihm allerdings nicht absprechen konnte, konsequente Ausgestaltung des ihm<lb/> zugrunde liegenden Schriftlichkeitsprinzips bildete, sich mit seinen offenbaren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0553]
saxonica
erklärt sich die dem Sachsen eigne Loyalität, die wir mit ihren Vorzügen und
Mängeln oben schon auf dem Gebiete der äußern Politik haben kennen lernen,
und in ihnen liegt im wesentlichen auch der Schlüssel zu der Art und Weise,
wie in Sachsen öffentliche und private Dinge geordnet und behandelt werden.
Insbesondre drücken sich diese charakteristischen Züge auch in der innern Ver¬
waltung Sachsens aus. Ganz augenscheinlich weist die Verwaltungsgesetzgebung
in Preußen dank namentlich der Einwirkung Gueists einen größern Zuschnitt und
insbesondre auch einen systematischem Ausbau auf als die sächsische. Dafür
hat sich aber auf der andern Seite die sächsische Verwaltungsgesetzgebung von
mancher theoretischen Einseitigkeit freigehalten, die der preußischen Berwaltungs-
gesetzgebung infolge des Einflusses desselben Rechtslehrers anhaftet, und ebenso
anch in manchen Beziehungen der Ausbildung der einzelnen Verwaltungszweige
mehr Sorgfalt zugewandt. Ja man kann sagen: kaum auf einem andern Ge¬
biete des öffentlichen Lebens strahlen die tüchtigen Eigenschaften des sächsischen
Charakters Heller als auf dem der innern Verwaltung. Kann sich diese doch,
was weise Ordnung, verständnisvolles Eingehn auf alle Verhältnisse, die im
wirtschaftlichen und sozialen Leben von Wert sind, sorgfältige Pflege und Aus¬
bildung der im Volke schlummernden Fähigkeiten und Kräfte anlangt, getrost
mit der Verwaltung des bestregierten Staats messen.
Als ein allerdings zeitlich ziemlich weit zurückliegendes Kuriosum dafür,
wie der Sachse auch ans gesetzgeberischen Gebiet, ähnlich wie in den oben
hervorgehobnen Teilen auf dem Gebiete der äußern Politik, loyal am Be¬
stehenden festhält, wenn er mir von dessen innerer Berechtigung überzeugt ist,
möchte es auch sonst stellenweise noch so sehr mit den Anforderungen der Zeit
im Widerspruch stehn, kann das Zivilprozeßverfnhren gelten, das in Sachsen
bis zur Einführung der Neichszivilprozeßordnung, also bis zum Jahre 1879,
in Kraft war. Es war dies das früher auch in den meisten andern deutschen
Ländern geltende, in Sachsen selbst geschaffne und ausgebildete und darum auch
als der „sächsische Prozeß" bezeichnete Verfahren. Dieses Verfahren beruhte
bekanntermaßen auf dem Schriftlichkeitsprinzip und bildete in bezug auf seine
Einzelheiten geradezu eine mittelalterliche Folterkammer schlimmster Art, aus¬
gestattet mit allen Marterwerkzeugen, die jemand in Gestalt von komplizierten
Förmlichkeiten, lästigen Weiterungen und fatalen und nichtfatalen Fristen nur
erfinden kann. Ein Prozeß nach diesem Verfahren glich der Fahrt durch eine
Unzahl Klippen und Untiefen, und es gehörte ein ebenso geschickter Steuermann
wie ausgesprochnes Glück dazu, das Prozeßschiff durch alle diese ungezählte,,
Hindernisse hindurch in den Hafen zu leiten. Ein solches Verfahren stand
offenbar im schreiendsten Widerspruche mit der damals schon hohen Ausbildung
des wirtschaftlichen Lebens in Sachsen und seiner durchaus auf Beweglichkeit
cmgewiesnen Formen, und schon längst waren in den übrigen deutschen Ländern,
die sämtlich wirtschaftlich mehr oder weniger weit hinter Sachsen zurückstanden,
die Härten dieses Verfahrens wesentlich gemildert worden. Dennoch genügte
es in Sachsen den Juristen und Nichtjuristen, daß dieser Prozeß die, wie man
ihm allerdings nicht absprechen konnte, konsequente Ausgestaltung des ihm
zugrunde liegenden Schriftlichkeitsprinzips bildete, sich mit seinen offenbaren
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