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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Von alten Büchern
Gin Uritiker aus dem achtzehnten Jahrhundert
B. wülcker von (Schluß)

hilippi, der es verstand, immer und überall Ärgernis zu erregen,
hatte wegen einer boshaften Äußerung über den Leutnant von
Katte, den unglücklichen Vertrauten des Kronprinzen, von zwei
Verwandten Kaltes arge Schläge hinnehmen müssen. Da schrieb
Liscow seinen "Glaubwürdiger Bericht eines berühmten Medici
von dem Zustande in welchem er den (8. Herrn Prof. Philippi den 20^"
Junii 1734 angetroffen."

"Da der Herr Prof. Philippi heute das Unglück gehabt hat, von zween Per¬
sonen, mit welchen er in Händel gerathen, sehr übel zugerichtet zu werden, ward
ich Endes Unterschriebener zu ihm gefordert und verfügte mich so gleich nach seiner
Behausung- Ich traf denselben auf einem Ruhe-Bette, noch in seinen Kleidern,
und in einer tiefen Ohnmacht liegend an." Der Arzt bringt ihn durch einen
kräftigen Balsam wieder zum Bewußtsein, untersucht ihn und findet außer unter-
schiednem Striemen und Beulen eine gefährliche Kopfwunde. Er will den Patienten
über seinen Zustand beruhigen, aber der fühlt, daß es mit ihm zu Ende geht, und
angesichts des nahen Todes weicht die unselige Verblendung seines Gemüts von
ihm. Er sieht jetzt seine Schriften wie sie sind, in ihrer ganzen Scheußlichkeit, er
schlägt in sich, flucht der elenden Schmiersucht, die ihn zu einem Liedlein in der
gelehrten Welt gemacht hat, und bittet den Doktor, von seiner Reue und Bekehrung
zu zeugen. Hierauf "kehrete er das Gesicht gegen die Wand und weinete bitterlich.

Wie nahe ist der arme Mann der Verzweifelung nicht gewesen? Doch hat er
sich endlich noch ziemlich gefasset und ein Ende genommen, das sehr erbaulich ist.

Er starb den 21^" Junius Abends um 6 Uhr 53 Minnten. Eine halbe
Stunde vorher wiederholte er nochmahl das gethane Bekänntniß von der Scheußlich¬
keit seiner Schriften, bereuete mit Thränen, daß er sie gemacht, und ließ alle die¬
jenigen, die noch nicht gedruckt waren, vor seinen Augen verbrennen. Wie dieses
geschehen war, rief er gnntz freudig: Nun will ich gerne sterben. Und ach! fuhr
er seufzend fort, was wolte ich darum geben, daß ich meine schon gedruckten Schriften
eben so vernichten könnte! Aber es gehet leider! nicht an. Er wolte noch mehr
sagen: Allein der Tod übereilte ihn und machte seinen Klagen und seinem Jammer
ein Ende."

Ein Exemplar dieses glaubwürdigen Berichts wurde, noch feucht vom
Druck, Philippi zugestellt. Philippi schrieb eilends eine Widerlegung, aber
veröffentlichte sie nicht unter seinem Namen, sondern gab ihr den Titel
"Bedenken der Geheimen patriotischen ^sssindies." Da ließ Liscow die
Schrift erscheinen, die, wie keine andre, noch heute dem einen sein Ul, dem
andern sein Nachtigall ist, die "Bescheidene Beantwortung der Einwürffe
wieder die Nachricht von dem Tode des Herrn v. Philippi." Ich lege sie




Von alten Büchern
Gin Uritiker aus dem achtzehnten Jahrhundert
B. wülcker von (Schluß)

hilippi, der es verstand, immer und überall Ärgernis zu erregen,
hatte wegen einer boshaften Äußerung über den Leutnant von
Katte, den unglücklichen Vertrauten des Kronprinzen, von zwei
Verwandten Kaltes arge Schläge hinnehmen müssen. Da schrieb
Liscow seinen „Glaubwürdiger Bericht eines berühmten Medici
von dem Zustande in welchem er den (8. Herrn Prof. Philippi den 20^«
Junii 1734 angetroffen."

„Da der Herr Prof. Philippi heute das Unglück gehabt hat, von zween Per¬
sonen, mit welchen er in Händel gerathen, sehr übel zugerichtet zu werden, ward
ich Endes Unterschriebener zu ihm gefordert und verfügte mich so gleich nach seiner
Behausung- Ich traf denselben auf einem Ruhe-Bette, noch in seinen Kleidern,
und in einer tiefen Ohnmacht liegend an." Der Arzt bringt ihn durch einen
kräftigen Balsam wieder zum Bewußtsein, untersucht ihn und findet außer unter-
schiednem Striemen und Beulen eine gefährliche Kopfwunde. Er will den Patienten
über seinen Zustand beruhigen, aber der fühlt, daß es mit ihm zu Ende geht, und
angesichts des nahen Todes weicht die unselige Verblendung seines Gemüts von
ihm. Er sieht jetzt seine Schriften wie sie sind, in ihrer ganzen Scheußlichkeit, er
schlägt in sich, flucht der elenden Schmiersucht, die ihn zu einem Liedlein in der
gelehrten Welt gemacht hat, und bittet den Doktor, von seiner Reue und Bekehrung
zu zeugen. Hierauf „kehrete er das Gesicht gegen die Wand und weinete bitterlich.

Wie nahe ist der arme Mann der Verzweifelung nicht gewesen? Doch hat er
sich endlich noch ziemlich gefasset und ein Ende genommen, das sehr erbaulich ist.

Er starb den 21^» Junius Abends um 6 Uhr 53 Minnten. Eine halbe
Stunde vorher wiederholte er nochmahl das gethane Bekänntniß von der Scheußlich¬
keit seiner Schriften, bereuete mit Thränen, daß er sie gemacht, und ließ alle die¬
jenigen, die noch nicht gedruckt waren, vor seinen Augen verbrennen. Wie dieses
geschehen war, rief er gnntz freudig: Nun will ich gerne sterben. Und ach! fuhr
er seufzend fort, was wolte ich darum geben, daß ich meine schon gedruckten Schriften
eben so vernichten könnte! Aber es gehet leider! nicht an. Er wolte noch mehr
sagen: Allein der Tod übereilte ihn und machte seinen Klagen und seinem Jammer
ein Ende."

Ein Exemplar dieses glaubwürdigen Berichts wurde, noch feucht vom
Druck, Philippi zugestellt. Philippi schrieb eilends eine Widerlegung, aber
veröffentlichte sie nicht unter seinem Namen, sondern gab ihr den Titel
„Bedenken der Geheimen patriotischen ^sssindies." Da ließ Liscow die
Schrift erscheinen, die, wie keine andre, noch heute dem einen sein Ul, dem
andern sein Nachtigall ist, die „Bescheidene Beantwortung der Einwürffe
wieder die Nachricht von dem Tode des Herrn v. Philippi." Ich lege sie


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[0507] [Abbildung] Von alten Büchern Gin Uritiker aus dem achtzehnten Jahrhundert B. wülcker von (Schluß) hilippi, der es verstand, immer und überall Ärgernis zu erregen, hatte wegen einer boshaften Äußerung über den Leutnant von Katte, den unglücklichen Vertrauten des Kronprinzen, von zwei Verwandten Kaltes arge Schläge hinnehmen müssen. Da schrieb Liscow seinen „Glaubwürdiger Bericht eines berühmten Medici von dem Zustande in welchem er den (8. Herrn Prof. Philippi den 20^« Junii 1734 angetroffen." „Da der Herr Prof. Philippi heute das Unglück gehabt hat, von zween Per¬ sonen, mit welchen er in Händel gerathen, sehr übel zugerichtet zu werden, ward ich Endes Unterschriebener zu ihm gefordert und verfügte mich so gleich nach seiner Behausung- Ich traf denselben auf einem Ruhe-Bette, noch in seinen Kleidern, und in einer tiefen Ohnmacht liegend an." Der Arzt bringt ihn durch einen kräftigen Balsam wieder zum Bewußtsein, untersucht ihn und findet außer unter- schiednem Striemen und Beulen eine gefährliche Kopfwunde. Er will den Patienten über seinen Zustand beruhigen, aber der fühlt, daß es mit ihm zu Ende geht, und angesichts des nahen Todes weicht die unselige Verblendung seines Gemüts von ihm. Er sieht jetzt seine Schriften wie sie sind, in ihrer ganzen Scheußlichkeit, er schlägt in sich, flucht der elenden Schmiersucht, die ihn zu einem Liedlein in der gelehrten Welt gemacht hat, und bittet den Doktor, von seiner Reue und Bekehrung zu zeugen. Hierauf „kehrete er das Gesicht gegen die Wand und weinete bitterlich. Wie nahe ist der arme Mann der Verzweifelung nicht gewesen? Doch hat er sich endlich noch ziemlich gefasset und ein Ende genommen, das sehr erbaulich ist. Er starb den 21^» Junius Abends um 6 Uhr 53 Minnten. Eine halbe Stunde vorher wiederholte er nochmahl das gethane Bekänntniß von der Scheußlich¬ keit seiner Schriften, bereuete mit Thränen, daß er sie gemacht, und ließ alle die¬ jenigen, die noch nicht gedruckt waren, vor seinen Augen verbrennen. Wie dieses geschehen war, rief er gnntz freudig: Nun will ich gerne sterben. Und ach! fuhr er seufzend fort, was wolte ich darum geben, daß ich meine schon gedruckten Schriften eben so vernichten könnte! Aber es gehet leider! nicht an. Er wolte noch mehr sagen: Allein der Tod übereilte ihn und machte seinen Klagen und seinem Jammer ein Ende." Ein Exemplar dieses glaubwürdigen Berichts wurde, noch feucht vom Druck, Philippi zugestellt. Philippi schrieb eilends eine Widerlegung, aber veröffentlichte sie nicht unter seinem Namen, sondern gab ihr den Titel „Bedenken der Geheimen patriotischen ^sssindies." Da ließ Liscow die Schrift erscheinen, die, wie keine andre, noch heute dem einen sein Ul, dem andern sein Nachtigall ist, die „Bescheidene Beantwortung der Einwürffe wieder die Nachricht von dem Tode des Herrn v. Philippi." Ich lege sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/507>, abgerufen am 23.07.2024.