Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
spanisches

schickten: die abgesetzte Königin von Etrurien, des Prinzen von Asturien und
nachmaligen Königs Ferdinand des Siebenten Schwester und ihre Kinder.
Man erfuhr, daß der vierzehnjährige Infant Francisco sich weinend sträube
und nicht in den Wagen steigen wolle; die Weiber heulten, die Männer ge¬
rieten in Wut. Eine Dynastie, ein Monarch mag noch so jämmerlich und
verachtet sein, bei einer Bedrohung durch das Ausland schätzt das Volk die fürst¬
lichen Personen als Symbole und Bürgen der nationalen Unabhängigkeit.
Der Kampf am Tage und die auf Murats Befehl in der Nacht vollzoguen
Füsilladen kosteten ungefähr zwölfhundert Menschen das Leben. Desdevises
erzählt den Verlauf der Revolte ausführlich. Am 3. Mai bemerkte Murat
in eiuer Beratung mit deu spanischen Ministern: "Der gestrige Tag sichert
dem Kaiser den Besitz Spaniens." Der Kriegsminister O'Farrill erwiderte:
"Sagen Sie vielmehr, er hat es ihm für immer geraubt." Nicht 80000,
sondern 300000 Mann mußte Napoleon fünf Jahre lang in Spanien kämpfen
lassen, und der Kampf war vergebens. Freilich kamen den Spaniern die
Engländer zu Hilfe. Bei deren Nennung erinnern wir uns einer Anekdote,
die wir vor langen Jahren in einem der vielen historischen Werke Wolfgang
Menzels gelesen haben, und die sich beim Einzuge eines englischen Generals
-- ob es Wellington war, wissen wir nicht mehr -- in eine spanische Stadt
ereignet haben soll. Der protzcnhafte Engländer sing an, Geld unter das
Volk zu werfen. Da verstummte der Jubel, niemand bückte sich, die Geld¬
stücke aufzuheben; ein armer Mann trat an das Pferd des Lords heran und
sagte: Wir begrüßen Sie mit Jubel, weil Sie uns in unserm Freiheitskämpfe
zu Hilfe kommen; Ihr Geld wollen wir nicht.

Nach den Schilderungen heutiger Reisefeuilletous zu urteilen hat sich
der spanische Volkscharakter, wie sich bei der Dauerhaftigkeit von Nassen-
eigentümlichkeiten ja auch erwarten ließ, in den letzten hundert Jahren nicht
geändert. Und obwohl Spanien jetzt in der hohen Politik übergangen zu
werden scheint, wird doch auch in Zukunft die Diplomatie gut tun, diesen Volks¬
charakter im Gedächtnis und im Ange zu behalten. Anlässe zu Reibungen
können immerhin noch entstehn, und wenn bei einer solchen ein Großstaat
Spanien von oben herab behandelt oder ihm Ehrenkränkendes zumutet, so
kann er einen Kampf heraufbeschwören, worin er zwar siegen wird, dessen
Opfer aber der Ertrag nicht aufwiegt. Bismarck hat darum klug gehandelt,
als er vor neunzehn Jahren in einem solchen Falle den Papst als Schieds¬
richter anrief und den Spaniern die Karolinen überließ.




spanisches

schickten: die abgesetzte Königin von Etrurien, des Prinzen von Asturien und
nachmaligen Königs Ferdinand des Siebenten Schwester und ihre Kinder.
Man erfuhr, daß der vierzehnjährige Infant Francisco sich weinend sträube
und nicht in den Wagen steigen wolle; die Weiber heulten, die Männer ge¬
rieten in Wut. Eine Dynastie, ein Monarch mag noch so jämmerlich und
verachtet sein, bei einer Bedrohung durch das Ausland schätzt das Volk die fürst¬
lichen Personen als Symbole und Bürgen der nationalen Unabhängigkeit.
Der Kampf am Tage und die auf Murats Befehl in der Nacht vollzoguen
Füsilladen kosteten ungefähr zwölfhundert Menschen das Leben. Desdevises
erzählt den Verlauf der Revolte ausführlich. Am 3. Mai bemerkte Murat
in eiuer Beratung mit deu spanischen Ministern: „Der gestrige Tag sichert
dem Kaiser den Besitz Spaniens." Der Kriegsminister O'Farrill erwiderte:
„Sagen Sie vielmehr, er hat es ihm für immer geraubt." Nicht 80000,
sondern 300000 Mann mußte Napoleon fünf Jahre lang in Spanien kämpfen
lassen, und der Kampf war vergebens. Freilich kamen den Spaniern die
Engländer zu Hilfe. Bei deren Nennung erinnern wir uns einer Anekdote,
die wir vor langen Jahren in einem der vielen historischen Werke Wolfgang
Menzels gelesen haben, und die sich beim Einzuge eines englischen Generals
— ob es Wellington war, wissen wir nicht mehr — in eine spanische Stadt
ereignet haben soll. Der protzcnhafte Engländer sing an, Geld unter das
Volk zu werfen. Da verstummte der Jubel, niemand bückte sich, die Geld¬
stücke aufzuheben; ein armer Mann trat an das Pferd des Lords heran und
sagte: Wir begrüßen Sie mit Jubel, weil Sie uns in unserm Freiheitskämpfe
zu Hilfe kommen; Ihr Geld wollen wir nicht.

Nach den Schilderungen heutiger Reisefeuilletous zu urteilen hat sich
der spanische Volkscharakter, wie sich bei der Dauerhaftigkeit von Nassen-
eigentümlichkeiten ja auch erwarten ließ, in den letzten hundert Jahren nicht
geändert. Und obwohl Spanien jetzt in der hohen Politik übergangen zu
werden scheint, wird doch auch in Zukunft die Diplomatie gut tun, diesen Volks¬
charakter im Gedächtnis und im Ange zu behalten. Anlässe zu Reibungen
können immerhin noch entstehn, und wenn bei einer solchen ein Großstaat
Spanien von oben herab behandelt oder ihm Ehrenkränkendes zumutet, so
kann er einen Kampf heraufbeschwören, worin er zwar siegen wird, dessen
Opfer aber der Ertrag nicht aufwiegt. Bismarck hat darum klug gehandelt,
als er vor neunzehn Jahren in einem solchen Falle den Papst als Schieds¬
richter anrief und den Spaniern die Karolinen überließ.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0506" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295725"/>
          <fw type="header" place="top"> spanisches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2527" prev="#ID_2526"> schickten: die abgesetzte Königin von Etrurien, des Prinzen von Asturien und<lb/>
nachmaligen Königs Ferdinand des Siebenten Schwester und ihre Kinder.<lb/>
Man erfuhr, daß der vierzehnjährige Infant Francisco sich weinend sträube<lb/>
und nicht in den Wagen steigen wolle; die Weiber heulten, die Männer ge¬<lb/>
rieten in Wut. Eine Dynastie, ein Monarch mag noch so jämmerlich und<lb/>
verachtet sein, bei einer Bedrohung durch das Ausland schätzt das Volk die fürst¬<lb/>
lichen Personen als Symbole und Bürgen der nationalen Unabhängigkeit.<lb/>
Der Kampf am Tage und die auf Murats Befehl in der Nacht vollzoguen<lb/>
Füsilladen kosteten ungefähr zwölfhundert Menschen das Leben. Desdevises<lb/>
erzählt den Verlauf der Revolte ausführlich. Am 3. Mai bemerkte Murat<lb/>
in eiuer Beratung mit deu spanischen Ministern: &#x201E;Der gestrige Tag sichert<lb/>
dem Kaiser den Besitz Spaniens." Der Kriegsminister O'Farrill erwiderte:<lb/>
&#x201E;Sagen Sie vielmehr, er hat es ihm für immer geraubt." Nicht 80000,<lb/>
sondern 300000 Mann mußte Napoleon fünf Jahre lang in Spanien kämpfen<lb/>
lassen, und der Kampf war vergebens. Freilich kamen den Spaniern die<lb/>
Engländer zu Hilfe. Bei deren Nennung erinnern wir uns einer Anekdote,<lb/>
die wir vor langen Jahren in einem der vielen historischen Werke Wolfgang<lb/>
Menzels gelesen haben, und die sich beim Einzuge eines englischen Generals<lb/>
&#x2014; ob es Wellington war, wissen wir nicht mehr &#x2014; in eine spanische Stadt<lb/>
ereignet haben soll. Der protzcnhafte Engländer sing an, Geld unter das<lb/>
Volk zu werfen. Da verstummte der Jubel, niemand bückte sich, die Geld¬<lb/>
stücke aufzuheben; ein armer Mann trat an das Pferd des Lords heran und<lb/>
sagte: Wir begrüßen Sie mit Jubel, weil Sie uns in unserm Freiheitskämpfe<lb/>
zu Hilfe kommen; Ihr Geld wollen wir nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2528"> Nach den Schilderungen heutiger Reisefeuilletous zu urteilen hat sich<lb/>
der spanische Volkscharakter, wie sich bei der Dauerhaftigkeit von Nassen-<lb/>
eigentümlichkeiten ja auch erwarten ließ, in den letzten hundert Jahren nicht<lb/>
geändert. Und obwohl Spanien jetzt in der hohen Politik übergangen zu<lb/>
werden scheint, wird doch auch in Zukunft die Diplomatie gut tun, diesen Volks¬<lb/>
charakter im Gedächtnis und im Ange zu behalten. Anlässe zu Reibungen<lb/>
können immerhin noch entstehn, und wenn bei einer solchen ein Großstaat<lb/>
Spanien von oben herab behandelt oder ihm Ehrenkränkendes zumutet, so<lb/>
kann er einen Kampf heraufbeschwören, worin er zwar siegen wird, dessen<lb/>
Opfer aber der Ertrag nicht aufwiegt. Bismarck hat darum klug gehandelt,<lb/>
als er vor neunzehn Jahren in einem solchen Falle den Papst als Schieds¬<lb/>
richter anrief und den Spaniern die Karolinen überließ.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0506] spanisches schickten: die abgesetzte Königin von Etrurien, des Prinzen von Asturien und nachmaligen Königs Ferdinand des Siebenten Schwester und ihre Kinder. Man erfuhr, daß der vierzehnjährige Infant Francisco sich weinend sträube und nicht in den Wagen steigen wolle; die Weiber heulten, die Männer ge¬ rieten in Wut. Eine Dynastie, ein Monarch mag noch so jämmerlich und verachtet sein, bei einer Bedrohung durch das Ausland schätzt das Volk die fürst¬ lichen Personen als Symbole und Bürgen der nationalen Unabhängigkeit. Der Kampf am Tage und die auf Murats Befehl in der Nacht vollzoguen Füsilladen kosteten ungefähr zwölfhundert Menschen das Leben. Desdevises erzählt den Verlauf der Revolte ausführlich. Am 3. Mai bemerkte Murat in eiuer Beratung mit deu spanischen Ministern: „Der gestrige Tag sichert dem Kaiser den Besitz Spaniens." Der Kriegsminister O'Farrill erwiderte: „Sagen Sie vielmehr, er hat es ihm für immer geraubt." Nicht 80000, sondern 300000 Mann mußte Napoleon fünf Jahre lang in Spanien kämpfen lassen, und der Kampf war vergebens. Freilich kamen den Spaniern die Engländer zu Hilfe. Bei deren Nennung erinnern wir uns einer Anekdote, die wir vor langen Jahren in einem der vielen historischen Werke Wolfgang Menzels gelesen haben, und die sich beim Einzuge eines englischen Generals — ob es Wellington war, wissen wir nicht mehr — in eine spanische Stadt ereignet haben soll. Der protzcnhafte Engländer sing an, Geld unter das Volk zu werfen. Da verstummte der Jubel, niemand bückte sich, die Geld¬ stücke aufzuheben; ein armer Mann trat an das Pferd des Lords heran und sagte: Wir begrüßen Sie mit Jubel, weil Sie uns in unserm Freiheitskämpfe zu Hilfe kommen; Ihr Geld wollen wir nicht. Nach den Schilderungen heutiger Reisefeuilletous zu urteilen hat sich der spanische Volkscharakter, wie sich bei der Dauerhaftigkeit von Nassen- eigentümlichkeiten ja auch erwarten ließ, in den letzten hundert Jahren nicht geändert. Und obwohl Spanien jetzt in der hohen Politik übergangen zu werden scheint, wird doch auch in Zukunft die Diplomatie gut tun, diesen Volks¬ charakter im Gedächtnis und im Ange zu behalten. Anlässe zu Reibungen können immerhin noch entstehn, und wenn bei einer solchen ein Großstaat Spanien von oben herab behandelt oder ihm Ehrenkränkendes zumutet, so kann er einen Kampf heraufbeschwören, worin er zwar siegen wird, dessen Opfer aber der Ertrag nicht aufwiegt. Bismarck hat darum klug gehandelt, als er vor neunzehn Jahren in einem solchen Falle den Papst als Schieds¬ richter anrief und den Spaniern die Karolinen überließ.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/506
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/506>, abgerufen am 23.07.2024.