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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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tativverfassung. Freilich bestanden auch hier Feudalitcit und Hörigkeit, aber
der Hörige hatte es leicht, sich zum Ritter emporzuschwingen, und die Hörig¬
keit drückte ihn nicht. In Kastilien wühlten sich die Hörigen ihre Lehns¬
herren selbst, und sie durften sich einen wählen, der irgendwo in einer Grenz¬
provinz an der Küste ansässig war; das heißt also, die Abhängigkeit war rein
nominell.

In Gnipuzcoa und in Biscaya wurde jedes Männlein als Edelmann
geboren. Franz der Erste von Frankreich rief einmal: Glückliches Spanien,
wo die Menschen in Waffen zur Welt kommen. Selbstverständlich bedeutete
diese Freiheit die Anarchie; darum beschlossen Ferdinand und Jsabella, die ein
geordnetes Staatswesen herstellen wollten, sie zu brechen; und zu diesem
Zweck hat nach Desdevises Ferdinand der unbändigen Nation den furchtbaren
Zügel der Inquisition augelegt. V. A. Huber, der Spanien genau kannte,
hat sie deswegen für notwendig erklärt, weil das Volk in Gefahr geschwebt
habe, durch Wechselheiraten mit Mauren und durch negerblutiges Hausgesinde
mit orientalischen Lastern angesteckt zu werden. Vielleicht hat dieser Beweg¬
grund unbewußt mitgewirkt; es mag ein gesunder Volksinstinkt gewesen sein,
der die Inquisition sowie die Austreibung der Mauren und der Juden
populär machte. Freilich gehörten beide Maßregeln zu deu Doktor Eisenbart¬
kuren, die den Patienten übermäßig schwächen, wenn sie ihn nicht umbringen.
Desdevises meint, das Volk habe sich hundertundfunfzig Jahre lang dagegen
gewehrt, und es würde ihm zum Heile der Zivilisation gelungen sein, das
Joch abzuschütteln, wenn es nicht unglücklicherweise durch Karl den Fünften
und durch den gewaltigen überseeischen Erwerb Weltmacht geworden wäre.
Jeder Abenteurer hatte Aussicht, irgendwo Vizekönig und unermeßlich reich
zu werden; die Befriedigung der Habgier und der Rnhmbegier entschädigte
für den Verlust der Freiheit, der übrigens gar nicht empfunden wurde, wenn
man in den Nebenlündern und in den Kolonien Karriere machte. Wer herrscht,
der fühlt sich frei, und der Spanier glaubte sich damals von Geburt zur
Herrschaft berufen.

Daß die Kriege zwischen Christen und Mauren bis gegen Ende des
fünfzehnten Jahrhunderts den friedlichen und freundschaftlichen Wechselverkehr
zwischen deu beiden an vielen Orten vermischt lebenden Völkern nicht hinderten,
hebt auch Desdevises hervor. Die Mohammedaner, meint er, seien weniger
unduldsam gewesen als die Christen, ohne Zweifel, weil sie im Durchschnitt
unterrichteter und philosophischer waren als diese. Mohammed habe Moses
und Jesus als Propheten anerkannt und die Ungläubigen nur dann auszu¬
rotten befohlen, wenn sie sich weigerten, Tribut zu zcihleu. (Der Tribut
wird wohl die einzige Ursache sein, weshalb Türken und andre Mohammedaner
in ihren Ländern christliche Bevölkerungen nicht nur geduldet, sondern gern
gehabt haben.) Trotz der prinzipiellen Unduldsamkeit ihrer Religion aber
hätten die spanischen Christen mit den Mohammedanern, abgesehen von Zeiten
des erklärten Krieges, auf gutem Fuße gestanden. Ihr Klerus sei unwissend,
verwelkliche und kriegerisch, ihr Leben barbarisch, ihre geschlechtliche Moral
sehr lax gewesen; neben der ordentlichen Ehe sei in allen Bevölkerungsklassen


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tativverfassung. Freilich bestanden auch hier Feudalitcit und Hörigkeit, aber
der Hörige hatte es leicht, sich zum Ritter emporzuschwingen, und die Hörig¬
keit drückte ihn nicht. In Kastilien wühlten sich die Hörigen ihre Lehns¬
herren selbst, und sie durften sich einen wählen, der irgendwo in einer Grenz¬
provinz an der Küste ansässig war; das heißt also, die Abhängigkeit war rein
nominell.

In Gnipuzcoa und in Biscaya wurde jedes Männlein als Edelmann
geboren. Franz der Erste von Frankreich rief einmal: Glückliches Spanien,
wo die Menschen in Waffen zur Welt kommen. Selbstverständlich bedeutete
diese Freiheit die Anarchie; darum beschlossen Ferdinand und Jsabella, die ein
geordnetes Staatswesen herstellen wollten, sie zu brechen; und zu diesem
Zweck hat nach Desdevises Ferdinand der unbändigen Nation den furchtbaren
Zügel der Inquisition augelegt. V. A. Huber, der Spanien genau kannte,
hat sie deswegen für notwendig erklärt, weil das Volk in Gefahr geschwebt
habe, durch Wechselheiraten mit Mauren und durch negerblutiges Hausgesinde
mit orientalischen Lastern angesteckt zu werden. Vielleicht hat dieser Beweg¬
grund unbewußt mitgewirkt; es mag ein gesunder Volksinstinkt gewesen sein,
der die Inquisition sowie die Austreibung der Mauren und der Juden
populär machte. Freilich gehörten beide Maßregeln zu deu Doktor Eisenbart¬
kuren, die den Patienten übermäßig schwächen, wenn sie ihn nicht umbringen.
Desdevises meint, das Volk habe sich hundertundfunfzig Jahre lang dagegen
gewehrt, und es würde ihm zum Heile der Zivilisation gelungen sein, das
Joch abzuschütteln, wenn es nicht unglücklicherweise durch Karl den Fünften
und durch den gewaltigen überseeischen Erwerb Weltmacht geworden wäre.
Jeder Abenteurer hatte Aussicht, irgendwo Vizekönig und unermeßlich reich
zu werden; die Befriedigung der Habgier und der Rnhmbegier entschädigte
für den Verlust der Freiheit, der übrigens gar nicht empfunden wurde, wenn
man in den Nebenlündern und in den Kolonien Karriere machte. Wer herrscht,
der fühlt sich frei, und der Spanier glaubte sich damals von Geburt zur
Herrschaft berufen.

Daß die Kriege zwischen Christen und Mauren bis gegen Ende des
fünfzehnten Jahrhunderts den friedlichen und freundschaftlichen Wechselverkehr
zwischen deu beiden an vielen Orten vermischt lebenden Völkern nicht hinderten,
hebt auch Desdevises hervor. Die Mohammedaner, meint er, seien weniger
unduldsam gewesen als die Christen, ohne Zweifel, weil sie im Durchschnitt
unterrichteter und philosophischer waren als diese. Mohammed habe Moses
und Jesus als Propheten anerkannt und die Ungläubigen nur dann auszu¬
rotten befohlen, wenn sie sich weigerten, Tribut zu zcihleu. (Der Tribut
wird wohl die einzige Ursache sein, weshalb Türken und andre Mohammedaner
in ihren Ländern christliche Bevölkerungen nicht nur geduldet, sondern gern
gehabt haben.) Trotz der prinzipiellen Unduldsamkeit ihrer Religion aber
hätten die spanischen Christen mit den Mohammedanern, abgesehen von Zeiten
des erklärten Krieges, auf gutem Fuße gestanden. Ihr Klerus sei unwissend,
verwelkliche und kriegerisch, ihr Leben barbarisch, ihre geschlechtliche Moral
sehr lax gewesen; neben der ordentlichen Ehe sei in allen Bevölkerungsklassen


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[0502] spanisches tativverfassung. Freilich bestanden auch hier Feudalitcit und Hörigkeit, aber der Hörige hatte es leicht, sich zum Ritter emporzuschwingen, und die Hörig¬ keit drückte ihn nicht. In Kastilien wühlten sich die Hörigen ihre Lehns¬ herren selbst, und sie durften sich einen wählen, der irgendwo in einer Grenz¬ provinz an der Küste ansässig war; das heißt also, die Abhängigkeit war rein nominell. In Gnipuzcoa und in Biscaya wurde jedes Männlein als Edelmann geboren. Franz der Erste von Frankreich rief einmal: Glückliches Spanien, wo die Menschen in Waffen zur Welt kommen. Selbstverständlich bedeutete diese Freiheit die Anarchie; darum beschlossen Ferdinand und Jsabella, die ein geordnetes Staatswesen herstellen wollten, sie zu brechen; und zu diesem Zweck hat nach Desdevises Ferdinand der unbändigen Nation den furchtbaren Zügel der Inquisition augelegt. V. A. Huber, der Spanien genau kannte, hat sie deswegen für notwendig erklärt, weil das Volk in Gefahr geschwebt habe, durch Wechselheiraten mit Mauren und durch negerblutiges Hausgesinde mit orientalischen Lastern angesteckt zu werden. Vielleicht hat dieser Beweg¬ grund unbewußt mitgewirkt; es mag ein gesunder Volksinstinkt gewesen sein, der die Inquisition sowie die Austreibung der Mauren und der Juden populär machte. Freilich gehörten beide Maßregeln zu deu Doktor Eisenbart¬ kuren, die den Patienten übermäßig schwächen, wenn sie ihn nicht umbringen. Desdevises meint, das Volk habe sich hundertundfunfzig Jahre lang dagegen gewehrt, und es würde ihm zum Heile der Zivilisation gelungen sein, das Joch abzuschütteln, wenn es nicht unglücklicherweise durch Karl den Fünften und durch den gewaltigen überseeischen Erwerb Weltmacht geworden wäre. Jeder Abenteurer hatte Aussicht, irgendwo Vizekönig und unermeßlich reich zu werden; die Befriedigung der Habgier und der Rnhmbegier entschädigte für den Verlust der Freiheit, der übrigens gar nicht empfunden wurde, wenn man in den Nebenlündern und in den Kolonien Karriere machte. Wer herrscht, der fühlt sich frei, und der Spanier glaubte sich damals von Geburt zur Herrschaft berufen. Daß die Kriege zwischen Christen und Mauren bis gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts den friedlichen und freundschaftlichen Wechselverkehr zwischen deu beiden an vielen Orten vermischt lebenden Völkern nicht hinderten, hebt auch Desdevises hervor. Die Mohammedaner, meint er, seien weniger unduldsam gewesen als die Christen, ohne Zweifel, weil sie im Durchschnitt unterrichteter und philosophischer waren als diese. Mohammed habe Moses und Jesus als Propheten anerkannt und die Ungläubigen nur dann auszu¬ rotten befohlen, wenn sie sich weigerten, Tribut zu zcihleu. (Der Tribut wird wohl die einzige Ursache sein, weshalb Türken und andre Mohammedaner in ihren Ländern christliche Bevölkerungen nicht nur geduldet, sondern gern gehabt haben.) Trotz der prinzipiellen Unduldsamkeit ihrer Religion aber hätten die spanischen Christen mit den Mohammedanern, abgesehen von Zeiten des erklärten Krieges, auf gutem Fuße gestanden. Ihr Klerus sei unwissend, verwelkliche und kriegerisch, ihr Leben barbarisch, ihre geschlechtliche Moral sehr lax gewesen; neben der ordentlichen Ehe sei in allen Bevölkerungsklassen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/502>, abgerufen am 23.07.2024.