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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Die Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Küste

Die nordfriesischen Inseln sind von dem Strandsegenmärchen nicht ver¬
sehrt worden. Hell ist ihr Strand, nur die Schatten der Silbermöwen huschen
über ihn hin. Durch den Neigen dieser Vögel, die wie "eine geflügelte Wache"
über ihren Nestern am Strande schweben, hat der graue Vogel von Bornholm
keinen Weg gefunden.

Und doch haben sich auf diesen hellen Jnselrändern mit ihren von der
Sonne durchleuchteten Vogelwolken arme Menschen schwer mit Schuld beladen.
So schwer, daß es unmöglich scheint, die Last auszugleichen. Allein die schwere
Not ihres Lebens genügt, die Schale der Schuld zum Steige" und stehenden
Schweben zu bringen.

Dem Friesenvolke auf den Uthlanden an der Westküste Schleswigs zer¬
brach das Meer die Heimat. Um das Jahr 1250 umfaßten die Inseln und
die Festlandmarschen, die man die Uthlande nennt, noch fünfzig Quadratmeilen,
um 1600 waren sie auf zwanzig Quadratmeilen geschwunden, und von den
zehn Quadratmeilen Jnselland, die es 1600 noch gab, waren 1856 nnr noch
fünf übrig.

"Mandrank" auf "Mandrant" ging über das Jnselland, vom Festlande
kam der Schwarze Tod und Räubervolk wie Kork Widerik aus Bühnen und
seine Bande übers Watt, Kriegsnot und Steuerdruck, der sogar den kargen
Gewinn aus dem Rochenfange nicht verschonte, brachen dem Volksreste, den Flut
und Seuche übrig gelassen hatten, die sittliche Kraft. Im Jahre 1436 suchte
der "blanke Haus" Hörmim, die schmale südliche Halbinsel von Sylt, heim
und nahm den wenigen Bewohnern des Dorfes Alt-Rantum, die diese Sturm¬
flut überlebten, Heim und Habe und den Mut, zu pflügen und zu säen wie
bisher. Die zähe Liebe zum Heimatboden vermochte er ihnen nicht zu nehmen.
Sie zogen auf der zerbrechlichen Halbinsel südwärts und bauten sich in Kressen-
jakobsdül, einem Dünentale auf der Südspitze, Erdhütten. Hier fanden sie
sogar wieder den Mut zu singen, allerdings klingt, was sie nach Hansen, dem
Chronisten der friesischen Uthlande, sangen:

an Schillers Rüuberlied an.

Sie taten, was ihr Lied vermuten läßt. Die von dem Elemente räuberisch
heimgesuchten Hörnumer wurden selber Räuber. Unter ihrem Führer Pidder
Lung wurden sie am Ende des fünfzehnten und am Anfange des sechzehnten
Jahrhunderts den Küstennachbarn furchtbar, doch erhob sich der lange Peter
und seine Schar dadurch weit über das Treiben und die Geltung gewöhn¬
licher Strand- und Seeräuber, daß er seine Landsleute in ihren Kümpfm
mit Nachbarstaaten unterstützte, bis er selbst den Hamburgern unterlag.

Dann begann ein drei Jahrhunderte langer Kampf der Strandvögte gegen
die Strcmdrüuber auf Hörnum. Die Vögte Erk Mcmuis, Riß Bohn und



") Reede.
Die Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Küste

Die nordfriesischen Inseln sind von dem Strandsegenmärchen nicht ver¬
sehrt worden. Hell ist ihr Strand, nur die Schatten der Silbermöwen huschen
über ihn hin. Durch den Neigen dieser Vögel, die wie „eine geflügelte Wache"
über ihren Nestern am Strande schweben, hat der graue Vogel von Bornholm
keinen Weg gefunden.

Und doch haben sich auf diesen hellen Jnselrändern mit ihren von der
Sonne durchleuchteten Vogelwolken arme Menschen schwer mit Schuld beladen.
So schwer, daß es unmöglich scheint, die Last auszugleichen. Allein die schwere
Not ihres Lebens genügt, die Schale der Schuld zum Steige« und stehenden
Schweben zu bringen.

Dem Friesenvolke auf den Uthlanden an der Westküste Schleswigs zer¬
brach das Meer die Heimat. Um das Jahr 1250 umfaßten die Inseln und
die Festlandmarschen, die man die Uthlande nennt, noch fünfzig Quadratmeilen,
um 1600 waren sie auf zwanzig Quadratmeilen geschwunden, und von den
zehn Quadratmeilen Jnselland, die es 1600 noch gab, waren 1856 nnr noch
fünf übrig.

„Mandrank" auf „Mandrant" ging über das Jnselland, vom Festlande
kam der Schwarze Tod und Räubervolk wie Kork Widerik aus Bühnen und
seine Bande übers Watt, Kriegsnot und Steuerdruck, der sogar den kargen
Gewinn aus dem Rochenfange nicht verschonte, brachen dem Volksreste, den Flut
und Seuche übrig gelassen hatten, die sittliche Kraft. Im Jahre 1436 suchte
der „blanke Haus" Hörmim, die schmale südliche Halbinsel von Sylt, heim
und nahm den wenigen Bewohnern des Dorfes Alt-Rantum, die diese Sturm¬
flut überlebten, Heim und Habe und den Mut, zu pflügen und zu säen wie
bisher. Die zähe Liebe zum Heimatboden vermochte er ihnen nicht zu nehmen.
Sie zogen auf der zerbrechlichen Halbinsel südwärts und bauten sich in Kressen-
jakobsdül, einem Dünentale auf der Südspitze, Erdhütten. Hier fanden sie
sogar wieder den Mut zu singen, allerdings klingt, was sie nach Hansen, dem
Chronisten der friesischen Uthlande, sangen:

an Schillers Rüuberlied an.

Sie taten, was ihr Lied vermuten läßt. Die von dem Elemente räuberisch
heimgesuchten Hörnumer wurden selber Räuber. Unter ihrem Führer Pidder
Lung wurden sie am Ende des fünfzehnten und am Anfange des sechzehnten
Jahrhunderts den Küstennachbarn furchtbar, doch erhob sich der lange Peter
und seine Schar dadurch weit über das Treiben und die Geltung gewöhn¬
licher Strand- und Seeräuber, daß er seine Landsleute in ihren Kümpfm
mit Nachbarstaaten unterstützte, bis er selbst den Hamburgern unterlag.

Dann begann ein drei Jahrhunderte langer Kampf der Strandvögte gegen
die Strcmdrüuber auf Hörnum. Die Vögte Erk Mcmuis, Riß Bohn und



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[0494] Die Sage vom Strandsegen und das Strandrecht an der deutschen Küste Die nordfriesischen Inseln sind von dem Strandsegenmärchen nicht ver¬ sehrt worden. Hell ist ihr Strand, nur die Schatten der Silbermöwen huschen über ihn hin. Durch den Neigen dieser Vögel, die wie „eine geflügelte Wache" über ihren Nestern am Strande schweben, hat der graue Vogel von Bornholm keinen Weg gefunden. Und doch haben sich auf diesen hellen Jnselrändern mit ihren von der Sonne durchleuchteten Vogelwolken arme Menschen schwer mit Schuld beladen. So schwer, daß es unmöglich scheint, die Last auszugleichen. Allein die schwere Not ihres Lebens genügt, die Schale der Schuld zum Steige« und stehenden Schweben zu bringen. Dem Friesenvolke auf den Uthlanden an der Westküste Schleswigs zer¬ brach das Meer die Heimat. Um das Jahr 1250 umfaßten die Inseln und die Festlandmarschen, die man die Uthlande nennt, noch fünfzig Quadratmeilen, um 1600 waren sie auf zwanzig Quadratmeilen geschwunden, und von den zehn Quadratmeilen Jnselland, die es 1600 noch gab, waren 1856 nnr noch fünf übrig. „Mandrank" auf „Mandrant" ging über das Jnselland, vom Festlande kam der Schwarze Tod und Räubervolk wie Kork Widerik aus Bühnen und seine Bande übers Watt, Kriegsnot und Steuerdruck, der sogar den kargen Gewinn aus dem Rochenfange nicht verschonte, brachen dem Volksreste, den Flut und Seuche übrig gelassen hatten, die sittliche Kraft. Im Jahre 1436 suchte der „blanke Haus" Hörmim, die schmale südliche Halbinsel von Sylt, heim und nahm den wenigen Bewohnern des Dorfes Alt-Rantum, die diese Sturm¬ flut überlebten, Heim und Habe und den Mut, zu pflügen und zu säen wie bisher. Die zähe Liebe zum Heimatboden vermochte er ihnen nicht zu nehmen. Sie zogen auf der zerbrechlichen Halbinsel südwärts und bauten sich in Kressen- jakobsdül, einem Dünentale auf der Südspitze, Erdhütten. Hier fanden sie sogar wieder den Mut zu singen, allerdings klingt, was sie nach Hansen, dem Chronisten der friesischen Uthlande, sangen: an Schillers Rüuberlied an. Sie taten, was ihr Lied vermuten läßt. Die von dem Elemente räuberisch heimgesuchten Hörnumer wurden selber Räuber. Unter ihrem Führer Pidder Lung wurden sie am Ende des fünfzehnten und am Anfange des sechzehnten Jahrhunderts den Küstennachbarn furchtbar, doch erhob sich der lange Peter und seine Schar dadurch weit über das Treiben und die Geltung gewöhn¬ licher Strand- und Seeräuber, daß er seine Landsleute in ihren Kümpfm mit Nachbarstaaten unterstützte, bis er selbst den Hamburgern unterlag. Dann begann ein drei Jahrhunderte langer Kampf der Strandvögte gegen die Strcmdrüuber auf Hörnum. Die Vögte Erk Mcmuis, Riß Bohn und ") Reede.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/494>, abgerufen am 23.07.2024.