Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.Smyrna hat den großen Vorteil, daß es reinlicher ist. Immer noch gibt es Schmutz Das Wohnen in Landhäusern hat auch hier mit zunehmender Landes¬ Die Stätte einer schon im Altertum so hohen Kultur bietet natürlich, In größern Entfernungen liegen Ephesos, Magnesia, Sardes, Pergamos. Grenzboten IV 1904 dz2
Smyrna hat den großen Vorteil, daß es reinlicher ist. Immer noch gibt es Schmutz Das Wohnen in Landhäusern hat auch hier mit zunehmender Landes¬ Die Stätte einer schon im Altertum so hohen Kultur bietet natürlich, In größern Entfernungen liegen Ephesos, Magnesia, Sardes, Pergamos. Grenzboten IV 1904 dz2
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295680"/> <fw type="header" place="top"> Smyrna</fw><lb/> <p xml:id="ID_2240" prev="#ID_2239"> hat den großen Vorteil, daß es reinlicher ist. Immer noch gibt es Schmutz<lb/> genug, und das Pflaster quält Mensch und Pferd, aber es ist doch ideal im<lb/> Vergleich zu dem, was Konstantinopel und gar sein asiatisches Gegenüber,<lb/> Skutari, der Welt zu bieten wagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2241"> Das Wohnen in Landhäusern hat auch hier mit zunehmender Landes¬<lb/> sicherheit rasch um sich gegriffen. Wo auf den nahen Bergen ein Wässerchen<lb/> herabrieselt, da wird es aufgefangen, damit es den Boden für Garten und Flur<lb/> tränkt. Dunkle Zypressen verkünden schon von ferne dem nahenden Wandrer<lb/> das gepflegte Land. Obstbäume, Oliven, Maulbeerbäume gesellen sich hinzu.<lb/> Unter ihren Zweigen entfaltet sich ein köstlicher Flor von Rosen, Oleander,<lb/> Margariten. Rosmarin, Narzissen. Die Hecken sind, was man schon aus<lb/> Korsika, in Neapel und auf Sizilien so viel sieht, aus stachlichten Opuntienkaktus<lb/> gebildet. Unter den wilden Blumen behaupten im Frühling prachtvolle dunkel¬<lb/> rote Anemonen den ersten Platz. Kleine Fährdampfer oder Lokalzüge der<lb/> Eisenbahnen bringen Morgens die Geschäftsleute aus ihren Villen in die Stadt<lb/> und Abends wieder zurück; auch die Bauern mit vortrefflichem Gemüse sieht<lb/> man diese neuzeitlichen Verkehrsmittel an der Geburtsstätte Homers benutzen.<lb/> So bedeckt sich das Gelände um Smyrna herum immer mehr mit blühenden<lb/> Vororten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2242"> Die Stätte einer schon im Altertum so hohen Kultur bietet natürlich,<lb/> wenn auch nicht in der Stadt selbst, so doch in der Umgegend manche Über¬<lb/> bleibsel, die den Erdbeben wie der Zerstörung durch Krieg und Glaubens¬<lb/> fanatismus getrotzt haben. Dabei grassiert ebenso natürlich die Liebhaberei,<lb/> solchen Ruinen prunkvolle Namen aus der Geschichte und der Sage beizulegen.<lb/> Das ärgste, was Leichtgläubigen zu bieten gewagt wird, ist wohl „Rahels<lb/> Grab" zwischen Jerusalem und Bethlehem: eine muhammedanische Kubba. Bei<lb/> Smyrna, am Sipylos, über der Nachbarstadt Cordclio zeigt man das „Grab<lb/> des Tantalus." Immerhin ist dieses ein uraltes Grab, denn es ist mit einem<lb/> Scheingewölbe nach mykenischer Art bedeckt. Welcher Held oder König dort<lb/> auch seine ewige Ruhestätte gefunden haben mag, heute ist es ein romantischer<lb/> Punkt zwischen Felsen; der Weg dahin bietet wunderherrliche Ausblicke über<lb/> Meer und Land.</p><lb/> <p xml:id="ID_2243" next="#ID_2244"> In größern Entfernungen liegen Ephesos, Magnesia, Sardes, Pergamos.<lb/> Leicht zu erreichen auf einer durch wechselreiche Ausblicke ausgezeichneten Berg¬<lb/> bahn ist das 77 Kilometer entfernt liegende Ephesos. Einst lag sein Hafen<lb/> nur eine Viertelstunde vor dem Tore. Seitdem hat der Kaistros Massen von<lb/> Schlamm und Erde von den entwaldeten Bergen ins Meer gewälzt und den<lb/> Saum der Küste um vier Kilometer weiter hinausgeschoben und leider kein be¬<lb/> wohnbares Land, sondern einen Fiebersumpf gebildet. Wie eine Niobe trauernd<lb/> um vergangnes Glück, so liegt die Akropolis da. Von dem berühmten Tempel<lb/> der Artemis, der den Parthenon um das Dreifache übertroffen haben soll, von<lb/> Theater, Odeion, Stadion, Gymnasium und Markt sind nur noch die Funda¬<lb/> mente oder gar nur die Linien im Boden zu erkennen. Die Ruinen einer über<lb/> Bogen geführten Wasserleitung erinnern an die römische Campagna. Aus spät¬<lb/> römischer Zeit hat sich ein zweites Gymnasium etwas besser erhalten; es stehn</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1904 dz2</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0461]
Smyrna
hat den großen Vorteil, daß es reinlicher ist. Immer noch gibt es Schmutz
genug, und das Pflaster quält Mensch und Pferd, aber es ist doch ideal im
Vergleich zu dem, was Konstantinopel und gar sein asiatisches Gegenüber,
Skutari, der Welt zu bieten wagen.
Das Wohnen in Landhäusern hat auch hier mit zunehmender Landes¬
sicherheit rasch um sich gegriffen. Wo auf den nahen Bergen ein Wässerchen
herabrieselt, da wird es aufgefangen, damit es den Boden für Garten und Flur
tränkt. Dunkle Zypressen verkünden schon von ferne dem nahenden Wandrer
das gepflegte Land. Obstbäume, Oliven, Maulbeerbäume gesellen sich hinzu.
Unter ihren Zweigen entfaltet sich ein köstlicher Flor von Rosen, Oleander,
Margariten. Rosmarin, Narzissen. Die Hecken sind, was man schon aus
Korsika, in Neapel und auf Sizilien so viel sieht, aus stachlichten Opuntienkaktus
gebildet. Unter den wilden Blumen behaupten im Frühling prachtvolle dunkel¬
rote Anemonen den ersten Platz. Kleine Fährdampfer oder Lokalzüge der
Eisenbahnen bringen Morgens die Geschäftsleute aus ihren Villen in die Stadt
und Abends wieder zurück; auch die Bauern mit vortrefflichem Gemüse sieht
man diese neuzeitlichen Verkehrsmittel an der Geburtsstätte Homers benutzen.
So bedeckt sich das Gelände um Smyrna herum immer mehr mit blühenden
Vororten.
Die Stätte einer schon im Altertum so hohen Kultur bietet natürlich,
wenn auch nicht in der Stadt selbst, so doch in der Umgegend manche Über¬
bleibsel, die den Erdbeben wie der Zerstörung durch Krieg und Glaubens¬
fanatismus getrotzt haben. Dabei grassiert ebenso natürlich die Liebhaberei,
solchen Ruinen prunkvolle Namen aus der Geschichte und der Sage beizulegen.
Das ärgste, was Leichtgläubigen zu bieten gewagt wird, ist wohl „Rahels
Grab" zwischen Jerusalem und Bethlehem: eine muhammedanische Kubba. Bei
Smyrna, am Sipylos, über der Nachbarstadt Cordclio zeigt man das „Grab
des Tantalus." Immerhin ist dieses ein uraltes Grab, denn es ist mit einem
Scheingewölbe nach mykenischer Art bedeckt. Welcher Held oder König dort
auch seine ewige Ruhestätte gefunden haben mag, heute ist es ein romantischer
Punkt zwischen Felsen; der Weg dahin bietet wunderherrliche Ausblicke über
Meer und Land.
In größern Entfernungen liegen Ephesos, Magnesia, Sardes, Pergamos.
Leicht zu erreichen auf einer durch wechselreiche Ausblicke ausgezeichneten Berg¬
bahn ist das 77 Kilometer entfernt liegende Ephesos. Einst lag sein Hafen
nur eine Viertelstunde vor dem Tore. Seitdem hat der Kaistros Massen von
Schlamm und Erde von den entwaldeten Bergen ins Meer gewälzt und den
Saum der Küste um vier Kilometer weiter hinausgeschoben und leider kein be¬
wohnbares Land, sondern einen Fiebersumpf gebildet. Wie eine Niobe trauernd
um vergangnes Glück, so liegt die Akropolis da. Von dem berühmten Tempel
der Artemis, der den Parthenon um das Dreifache übertroffen haben soll, von
Theater, Odeion, Stadion, Gymnasium und Markt sind nur noch die Funda¬
mente oder gar nur die Linien im Boden zu erkennen. Die Ruinen einer über
Bogen geführten Wasserleitung erinnern an die römische Campagna. Aus spät¬
römischer Zeit hat sich ein zweites Gymnasium etwas besser erhalten; es stehn
Grenzboten IV 1904 dz2
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |