Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.von alten Büchern wohl-informirter Redner ist wenigstens neunmal aufgeleget, Hübners Oratorie Aber diese Satire handelt noch von ganz andern Dingen als von Feder, All das ist zwischen breite literarische Auseinandersetzungen eingestreut Aber klüglich ist es anzusehen, wenn seine Gegner, die er leider immer So erging es Philippi, dessen Name durch Liscows Satiren zu trauriger von alten Büchern wohl-informirter Redner ist wenigstens neunmal aufgeleget, Hübners Oratorie Aber diese Satire handelt noch von ganz andern Dingen als von Feder, All das ist zwischen breite literarische Auseinandersetzungen eingestreut Aber klüglich ist es anzusehen, wenn seine Gegner, die er leider immer So erging es Philippi, dessen Name durch Liscows Satiren zu trauriger <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295670"/> <fw type="header" place="top"> von alten Büchern</fw><lb/> <p xml:id="ID_2210" prev="#ID_2209"> wohl-informirter Redner ist wenigstens neunmal aufgeleget, Hübners Oratorie<lb/> hat eben das Glück gehabt."</p><lb/> <p xml:id="ID_2211"> Aber diese Satire handelt noch von ganz andern Dingen als von Feder,<lb/> Tinte und Papier. „?g.roa sse 8g,xisntig. <ZM rsMur mrmcius — Gering<lb/> ist die Weisheit, wodurch die Welt regiert wird" —, dieser Satz zieht sich<lb/> durch die Schrift hin und wird dargetan an Staat und Kirche, an Konzilien<lb/> und Kirchenvätern, an „denjenigen, welche am Ruder sitzen, Völker regieren.<lb/> Schlachten gewinnen, Seelen bekehren, Rechtshändel entscheiden, Pillen drechseln,<lb/> Rezepte verschreiben," an dem Beifall der Menge, an dem Wort, daß Volkes¬<lb/> stimme Gottesstimme sei. Politische Glaubenssätze, die heute noch gläubig nach¬<lb/> gesprochen werden, sind für Liscow „abgedroschne Grillen," kaum der Wider¬<lb/> legung wert; Eigentum ist eine Erfindung der Not und des Geizes, von den<lb/> künstlichen Kompromissen des philosophischen Christentums will er so wenig<lb/> wissen wie von dem engen Gottesbegriff der Orthodoxen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2212"> All das ist zwischen breite literarische Auseinandersetzungen eingestreut<lb/> und gleichsam versteckt, sodaß ein flüchtiges Auge wohl darüber hinauslesen<lb/> mag, und die Kühnheit der Meinungen steht in seltsamem Gegensatz zu der<lb/> ruhigen Heiterkeit der Sprache. Liscow spricht seine Ansichten aus, gleich¬<lb/> mütig und ohne sich zu ereifern, mit der gelassenen Ruhe, zu der andre erst<lb/> gelangen, wenn sie von der stillen Höhe des Alters herab auf die Jrrgänge<lb/> und Zickzackwege des Lebens zurückschauen. Seine überlegne Ironie ist der<lb/> natürliche Ausdruck seiner Denkart.</p><lb/> <p xml:id="ID_2213"> Aber klüglich ist es anzusehen, wenn seine Gegner, die er leider immer<lb/> unter den Schwachen wählte, versuchen, seine Waffe zu führen. Dann kennt<lb/> er kein Erbarmen. „Warum gab er sich mit mir ins Spotten? Warum wagte<lb/> er sich in die Ironie, eine Figur, die ihm zu hoch war? Er empfieng, was<lb/> seine Thaten werth waren."</p><lb/> <p xml:id="ID_2214" next="#ID_2215"> So erging es Philippi, dessen Name durch Liscows Satiren zu trauriger<lb/> Berühmtheit gelangte. Philippi war in Merseburg Advokat gewesen, aber seine<lb/> Prozeßführung hatte ihm wenig andres eingebracht als gerichtliche Verweise<lb/> und Geldstrafen „vor die gebrauchten Injurien." „Er begab sich aus Ver¬<lb/> zweifelung nach Halle und wurde dort Professor der deutschen Beredsamkeit."<lb/> Wenn die Verzweiflung Philippi zu nichts schlimmeren führte, so mochte er<lb/> ja noch von Glück sagen. Mit mehr Grund Hütte wohl die deutsche Bered¬<lb/> samkeit verzweifeln können, als ihren ersten öffentlichen Lehrstuhl dieser übel<lb/> berufne Ignorant einnahm, dessen Unwissenheit durch die klägliche Unbeholfen¬<lb/> heit, den mühseligen Schwulst seines Stils noch übertroffen wurde. „Allein<lb/> es hatte niemand das Hertz, mit dem Hrn. Prof. Philippi anzubinden. Man<lb/> fürchtete sich vor dessen Vater, der im Ober-Consistorio zu Dreßden viele<lb/> Freunde hatte, und er blieb eine gute Zeit in der süssen Einbildung, die er<lb/> von der Größe seiner Verdienste hatte, ungestöret. Aber gewisse Leute in<lb/> Sachsen ersuchten mich inständig, mich auch über diesen elenden Scribenten zu<lb/> erbarmen. Man schickte mir seine Sechs deutsche Reden, und ich muß be¬<lb/> kennen, daß ich über diese Proben der heroischen Beredsamkeit des Hrn. Prof.<lb/> Philippi erstaunte. Siehe! sprach ich, hier ist mehr als Sivers, und ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0451]
von alten Büchern
wohl-informirter Redner ist wenigstens neunmal aufgeleget, Hübners Oratorie
hat eben das Glück gehabt."
Aber diese Satire handelt noch von ganz andern Dingen als von Feder,
Tinte und Papier. „?g.roa sse 8g,xisntig. <ZM rsMur mrmcius — Gering
ist die Weisheit, wodurch die Welt regiert wird" —, dieser Satz zieht sich
durch die Schrift hin und wird dargetan an Staat und Kirche, an Konzilien
und Kirchenvätern, an „denjenigen, welche am Ruder sitzen, Völker regieren.
Schlachten gewinnen, Seelen bekehren, Rechtshändel entscheiden, Pillen drechseln,
Rezepte verschreiben," an dem Beifall der Menge, an dem Wort, daß Volkes¬
stimme Gottesstimme sei. Politische Glaubenssätze, die heute noch gläubig nach¬
gesprochen werden, sind für Liscow „abgedroschne Grillen," kaum der Wider¬
legung wert; Eigentum ist eine Erfindung der Not und des Geizes, von den
künstlichen Kompromissen des philosophischen Christentums will er so wenig
wissen wie von dem engen Gottesbegriff der Orthodoxen.
All das ist zwischen breite literarische Auseinandersetzungen eingestreut
und gleichsam versteckt, sodaß ein flüchtiges Auge wohl darüber hinauslesen
mag, und die Kühnheit der Meinungen steht in seltsamem Gegensatz zu der
ruhigen Heiterkeit der Sprache. Liscow spricht seine Ansichten aus, gleich¬
mütig und ohne sich zu ereifern, mit der gelassenen Ruhe, zu der andre erst
gelangen, wenn sie von der stillen Höhe des Alters herab auf die Jrrgänge
und Zickzackwege des Lebens zurückschauen. Seine überlegne Ironie ist der
natürliche Ausdruck seiner Denkart.
Aber klüglich ist es anzusehen, wenn seine Gegner, die er leider immer
unter den Schwachen wählte, versuchen, seine Waffe zu führen. Dann kennt
er kein Erbarmen. „Warum gab er sich mit mir ins Spotten? Warum wagte
er sich in die Ironie, eine Figur, die ihm zu hoch war? Er empfieng, was
seine Thaten werth waren."
So erging es Philippi, dessen Name durch Liscows Satiren zu trauriger
Berühmtheit gelangte. Philippi war in Merseburg Advokat gewesen, aber seine
Prozeßführung hatte ihm wenig andres eingebracht als gerichtliche Verweise
und Geldstrafen „vor die gebrauchten Injurien." „Er begab sich aus Ver¬
zweifelung nach Halle und wurde dort Professor der deutschen Beredsamkeit."
Wenn die Verzweiflung Philippi zu nichts schlimmeren führte, so mochte er
ja noch von Glück sagen. Mit mehr Grund Hütte wohl die deutsche Bered¬
samkeit verzweifeln können, als ihren ersten öffentlichen Lehrstuhl dieser übel
berufne Ignorant einnahm, dessen Unwissenheit durch die klägliche Unbeholfen¬
heit, den mühseligen Schwulst seines Stils noch übertroffen wurde. „Allein
es hatte niemand das Hertz, mit dem Hrn. Prof. Philippi anzubinden. Man
fürchtete sich vor dessen Vater, der im Ober-Consistorio zu Dreßden viele
Freunde hatte, und er blieb eine gute Zeit in der süssen Einbildung, die er
von der Größe seiner Verdienste hatte, ungestöret. Aber gewisse Leute in
Sachsen ersuchten mich inständig, mich auch über diesen elenden Scribenten zu
erbarmen. Man schickte mir seine Sechs deutsche Reden, und ich muß be¬
kennen, daß ich über diese Proben der heroischen Beredsamkeit des Hrn. Prof.
Philippi erstaunte. Siehe! sprach ich, hier ist mehr als Sivers, und ver-
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