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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Napoleon der Lrste in Dresden 1.307

Wieder aus und besetzten die Brücke und den Weg bis zum Weißen Tore, den
der Hof schon gestern auf der Fahrt nach Moritzburg passiert hatte. Um sechs
Uhr donnerten die Kanonen und meldeten den Anwohnern beider Elbufer,
soweit man noch nicht davon unterrichtet war, daß der Kaiser die Stadt wieder
verlassen hatte. Der Zug war ähnlich wie bei dem Einzug. Auch der König
begleitete seinen Gast wieder und fuhr mit bis Meißen, von wo er noch am
Abend zurückkehrte, während Napoleon ohne längere Unterbrechung heim nach
Frankreich eilte. In Leipzig, wo man den Kaiser schon seit einigen Tagen er¬
wartete und große Vorbereitungen getroffen hatte, traf der Kaiser am Donnerstag
früh um fünf Uhr ein und wechselte zur allgemeinen Enttäuschung nur die
Pferde. Am 27. Juli war er in Paris.

Der fünftägige Besuch des Kaisers war für Hof und Residenz sicherlich
eine große viclbemerkte Auszeichnung, um so mehr, als, wie der schon zitierte
zeitgenössische Chronist hervorhebt, "Höchstdieselben (Napoleon) im gerechten Ver¬
trauen auf die Biederkeit der Sachsen, keinen einzigen Mann von Ihren Leib¬
garden mitgebracht, sondern lediglich dem Schutze der Königlichen Trabanten
die Bewachung Ihrer höchsten Person überlassen" hatten. Aber auch der Kaiser
durfte mit der Aufnahme zufrieden sein; alles, was er wünschte, wurde ihm
geboten: weitestes politisches Entgegenkommen, rauschende Ovationen, prunkvolle
Hoffeste. Er hat spater noch öfter in Dresden geweilt, und diese Tage voll
weltgeschichtlicher Bedeutung haben den anscheinend bedeutungsarmen Besuch in
den Julitagen 1807 im Allgemeinbcwußtsein verlöscht. Es ist bekannt, wie er
im Frühjahr 1812 nahezu zwei Wochen, umgeben von den Fürsten Europas,
in Dresden Hof hielt, und wie er im Winter desselben Jahres auf seiner
Flucht von Rußlands leichenbedeckten Schneefeldern den Schlitten Nachts auf
ein paar Stunden in Dresden halten ließ, um mit Friedrich August heimliche
Zwiesprache zu halten. Noch bekannter ist sein Aufenthalt im Sommer 1813,
denn er währte Monate und verwandelte Dresden der Reihe nach in Napoleons
Kriegslager, Residenz, militärischen Stützpunkt und schließlich sogar in ein
blutiges Schlachtfeld. Aber wenn sich der Besuch im Jahre 1807 auch an
weltgeschichtlicher Bedeutung diesen Ereignissen nicht vergleichen kann, so ist
er doch für Sachsen nicht minder wichtig. Denn er ist die feierliche Be-
siegelung der sächsisch-französischen Allianz und ein notwendiges Glied in der
Kette der damit verbundnen Ereignisse. Man kann ihn gewissermaßen mit
einem Nekognoszierungsritt vergleichen, bei dem das Terrain für die zukünftigen
Kä Aarl Lredner mpfe erkundet und aufgenommen wurde.




Grenzboten IV 190400
Napoleon der Lrste in Dresden 1.307

Wieder aus und besetzten die Brücke und den Weg bis zum Weißen Tore, den
der Hof schon gestern auf der Fahrt nach Moritzburg passiert hatte. Um sechs
Uhr donnerten die Kanonen und meldeten den Anwohnern beider Elbufer,
soweit man noch nicht davon unterrichtet war, daß der Kaiser die Stadt wieder
verlassen hatte. Der Zug war ähnlich wie bei dem Einzug. Auch der König
begleitete seinen Gast wieder und fuhr mit bis Meißen, von wo er noch am
Abend zurückkehrte, während Napoleon ohne längere Unterbrechung heim nach
Frankreich eilte. In Leipzig, wo man den Kaiser schon seit einigen Tagen er¬
wartete und große Vorbereitungen getroffen hatte, traf der Kaiser am Donnerstag
früh um fünf Uhr ein und wechselte zur allgemeinen Enttäuschung nur die
Pferde. Am 27. Juli war er in Paris.

Der fünftägige Besuch des Kaisers war für Hof und Residenz sicherlich
eine große viclbemerkte Auszeichnung, um so mehr, als, wie der schon zitierte
zeitgenössische Chronist hervorhebt, „Höchstdieselben (Napoleon) im gerechten Ver¬
trauen auf die Biederkeit der Sachsen, keinen einzigen Mann von Ihren Leib¬
garden mitgebracht, sondern lediglich dem Schutze der Königlichen Trabanten
die Bewachung Ihrer höchsten Person überlassen" hatten. Aber auch der Kaiser
durfte mit der Aufnahme zufrieden sein; alles, was er wünschte, wurde ihm
geboten: weitestes politisches Entgegenkommen, rauschende Ovationen, prunkvolle
Hoffeste. Er hat spater noch öfter in Dresden geweilt, und diese Tage voll
weltgeschichtlicher Bedeutung haben den anscheinend bedeutungsarmen Besuch in
den Julitagen 1807 im Allgemeinbcwußtsein verlöscht. Es ist bekannt, wie er
im Frühjahr 1812 nahezu zwei Wochen, umgeben von den Fürsten Europas,
in Dresden Hof hielt, und wie er im Winter desselben Jahres auf seiner
Flucht von Rußlands leichenbedeckten Schneefeldern den Schlitten Nachts auf
ein paar Stunden in Dresden halten ließ, um mit Friedrich August heimliche
Zwiesprache zu halten. Noch bekannter ist sein Aufenthalt im Sommer 1813,
denn er währte Monate und verwandelte Dresden der Reihe nach in Napoleons
Kriegslager, Residenz, militärischen Stützpunkt und schließlich sogar in ein
blutiges Schlachtfeld. Aber wenn sich der Besuch im Jahre 1807 auch an
weltgeschichtlicher Bedeutung diesen Ereignissen nicht vergleichen kann, so ist
er doch für Sachsen nicht minder wichtig. Denn er ist die feierliche Be-
siegelung der sächsisch-französischen Allianz und ein notwendiges Glied in der
Kette der damit verbundnen Ereignisse. Man kann ihn gewissermaßen mit
einem Nekognoszierungsritt vergleichen, bei dem das Terrain für die zukünftigen
Kä Aarl Lredner mpfe erkundet und aufgenommen wurde.




Grenzboten IV 190400
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[0445] Napoleon der Lrste in Dresden 1.307 Wieder aus und besetzten die Brücke und den Weg bis zum Weißen Tore, den der Hof schon gestern auf der Fahrt nach Moritzburg passiert hatte. Um sechs Uhr donnerten die Kanonen und meldeten den Anwohnern beider Elbufer, soweit man noch nicht davon unterrichtet war, daß der Kaiser die Stadt wieder verlassen hatte. Der Zug war ähnlich wie bei dem Einzug. Auch der König begleitete seinen Gast wieder und fuhr mit bis Meißen, von wo er noch am Abend zurückkehrte, während Napoleon ohne längere Unterbrechung heim nach Frankreich eilte. In Leipzig, wo man den Kaiser schon seit einigen Tagen er¬ wartete und große Vorbereitungen getroffen hatte, traf der Kaiser am Donnerstag früh um fünf Uhr ein und wechselte zur allgemeinen Enttäuschung nur die Pferde. Am 27. Juli war er in Paris. Der fünftägige Besuch des Kaisers war für Hof und Residenz sicherlich eine große viclbemerkte Auszeichnung, um so mehr, als, wie der schon zitierte zeitgenössische Chronist hervorhebt, „Höchstdieselben (Napoleon) im gerechten Ver¬ trauen auf die Biederkeit der Sachsen, keinen einzigen Mann von Ihren Leib¬ garden mitgebracht, sondern lediglich dem Schutze der Königlichen Trabanten die Bewachung Ihrer höchsten Person überlassen" hatten. Aber auch der Kaiser durfte mit der Aufnahme zufrieden sein; alles, was er wünschte, wurde ihm geboten: weitestes politisches Entgegenkommen, rauschende Ovationen, prunkvolle Hoffeste. Er hat spater noch öfter in Dresden geweilt, und diese Tage voll weltgeschichtlicher Bedeutung haben den anscheinend bedeutungsarmen Besuch in den Julitagen 1807 im Allgemeinbcwußtsein verlöscht. Es ist bekannt, wie er im Frühjahr 1812 nahezu zwei Wochen, umgeben von den Fürsten Europas, in Dresden Hof hielt, und wie er im Winter desselben Jahres auf seiner Flucht von Rußlands leichenbedeckten Schneefeldern den Schlitten Nachts auf ein paar Stunden in Dresden halten ließ, um mit Friedrich August heimliche Zwiesprache zu halten. Noch bekannter ist sein Aufenthalt im Sommer 1813, denn er währte Monate und verwandelte Dresden der Reihe nach in Napoleons Kriegslager, Residenz, militärischen Stützpunkt und schließlich sogar in ein blutiges Schlachtfeld. Aber wenn sich der Besuch im Jahre 1807 auch an weltgeschichtlicher Bedeutung diesen Ereignissen nicht vergleichen kann, so ist er doch für Sachsen nicht minder wichtig. Denn er ist die feierliche Be- siegelung der sächsisch-französischen Allianz und ein notwendiges Glied in der Kette der damit verbundnen Ereignisse. Man kann ihn gewissermaßen mit einem Nekognoszierungsritt vergleichen, bei dem das Terrain für die zukünftigen Kä Aarl Lredner mpfe erkundet und aufgenommen wurde. Grenzboten IV 190400

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/445>, abgerufen am 29.06.2024.