Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

eigentlich ein Freidenker? Dem Worte und der geschichtlichen Entstehung des Frei-
denkertums nach ein Melun, der sich seine wissenschaftlichen, religiösen und Poli¬
tischen Überzeugungen nicht von Autoritäten aufnötigen läßt, sondern sie durch
eignes unabhängiges Denken schafft. Darin liegt nicht die Forderung, daß man
alles verwerfen müsse, was die Autoritäten lehren, denn da die Schöpfer der in
verschiednen Zeiten zur Herrschaft gelangten Meinungen nicht alle Dummköpfe ge¬
wesen sind, meist sogar das Gegenteil, so kann man von vornherein erwarten, daß
unter den hergebrachten Meinungen auch manche richtige sein werden; der frei¬
denkerische Grundsatz fordert bloß, daß keine Meinung ungeprüft angenommen
werde, und daß man bestrebt sei, den vorhandnen Wissensschatz durch eigne
Forschung zu vermehren. Wenn nun aber Haeckel seine Meinung zum Kredo des
Freidenkertums machen will, so setzt er an die Stelle der von ihm abgeschafften
Autoritäten eine neue, nämlich seine eigne, und die Freidenker haben wieder einen
Papst, dessen einziger Vorzug vor dem römischen Papste seine Machtlosigkeit ist.
Oder sollte Haeckel wirklich so naiv sein, zu glauben, jeder frei und selbständig
Forschende müsse notwendigerweise beim Hylozoismus ankommen? So hat er
nämlich seinen Monismus einmal ganz richtig genannt. Der das schreibt, ist auf
dem Wege ganz freier Forschung auch bei einem Monismus angelangt, aber bei
dem von Leibniz und Lotze, der vom Haeckelschen so himmelweit verschieden ist
wie der kirchliche Dualismus. Andre werden durch freie Forschung Pessimisten oder
Sozialisten, die Haeckel beide haßt, und mancher kommt auch heute noch ans dem
Wege selbständigen Nachdenkens zu der Überzeugung, der lutherische oder der katho¬
lische Kirchenglaube sei das wahrste und beste.

Auch die Freidenkerkongresse bestätigen nur die alte Erfahrung, daß alle Par¬
teien, Bünde und Klubs, die das Wörtlein frei auf ihre Fahne schreiben, nur eine
neue Art absoluter Herrschaft wollen. Im Mittelalter wurden die Menschen, die
eine von der herrschenden abweichende Meinung verkündigten, lebendig verbrannt,
im Reformationszeitalter teils verbrannt, teils (in England) mit aufgeschlitztem
Bauche gehängt, nach der "Befreiung" durch die Jakobiner geköpft, was ja immer¬
hin schon ein Fortschritt war. Seitdem sind wir noch weiter fortgeschritten, denn
der moderne Europäer ist zartnervig und kein Freund von schmerzhaften Opera¬
tionen, aber Schippels mit abweichenden Meinungen duldet keine Partei in ihrem
Herrschaftsbereich, soweit es ihr gelingt, sie durch unblutige Maßregeln zu unter¬
drücken. Es stünde auch heute noch schlimm um die Rede- und Preßfreiheit (Ge¬
danken sind zu allen Zeiten zollfrei), wenn wir uns nicht einer großen Menge von
Parteien erfreuten, deren jede ihren eignen Parteiglauben hat, von denen aber
keine stark genug ist, die übrigen zu unterdrücken. Dieser Zustand macht denn
auch den wirklich Freien das Dasein möglich, die, keiner Partei sich anschließend,
zwischen ihnen unbemerkt hindurchschlüpfen.

Unter diesem Titel veröffentlicht Max
Seiling (Leipzig, Oswald Mütze, 1904) eine Studie, zu der ihn der Umstand
veranlaßt hat, daß Haeckel und andre Materialisten der darwinischen Schule Goethe
als einen der ihrigen feiern. Dazu hätten sie auch nicht den Schein eines Rechts,
und der illoyale Kunstgriff dieser Herren richte großen Schaden an, weil die Autorität
Goethes viele Unwissende und Halbwissende verführe. Haeckel wolle allerdings seinen
Monismus nicht Materialismus genannt wissen, aber dieser Monismus trage alle
Merkmale des landläufigen Materialismus an sich, nämlich: "die Ahnungslosigkeit
in Sachen des erkenntnistheoretischen Problems; die Anmaßung, das Psychische aus
dem Physischen erklären zu wollen; den Mangel aller Teleologie und den aus¬
schließlichen Mechanismus im Weltprozeß; den tollen Widerspruch zwischen den
"ewigen, ehernen" Naturgesetzen und dem blinden Zufall; die Aufhebung der Selbst¬
herrlichkeit des Individuums, dessen Bedeutungslosigkeit der des winzigsten Bazillus
gleichkomme, dn es, wie dieser, nur ein zufälliges und sinnloses Aggregat von


Goethe und der Materialismus.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

eigentlich ein Freidenker? Dem Worte und der geschichtlichen Entstehung des Frei-
denkertums nach ein Melun, der sich seine wissenschaftlichen, religiösen und Poli¬
tischen Überzeugungen nicht von Autoritäten aufnötigen läßt, sondern sie durch
eignes unabhängiges Denken schafft. Darin liegt nicht die Forderung, daß man
alles verwerfen müsse, was die Autoritäten lehren, denn da die Schöpfer der in
verschiednen Zeiten zur Herrschaft gelangten Meinungen nicht alle Dummköpfe ge¬
wesen sind, meist sogar das Gegenteil, so kann man von vornherein erwarten, daß
unter den hergebrachten Meinungen auch manche richtige sein werden; der frei¬
denkerische Grundsatz fordert bloß, daß keine Meinung ungeprüft angenommen
werde, und daß man bestrebt sei, den vorhandnen Wissensschatz durch eigne
Forschung zu vermehren. Wenn nun aber Haeckel seine Meinung zum Kredo des
Freidenkertums machen will, so setzt er an die Stelle der von ihm abgeschafften
Autoritäten eine neue, nämlich seine eigne, und die Freidenker haben wieder einen
Papst, dessen einziger Vorzug vor dem römischen Papste seine Machtlosigkeit ist.
Oder sollte Haeckel wirklich so naiv sein, zu glauben, jeder frei und selbständig
Forschende müsse notwendigerweise beim Hylozoismus ankommen? So hat er
nämlich seinen Monismus einmal ganz richtig genannt. Der das schreibt, ist auf
dem Wege ganz freier Forschung auch bei einem Monismus angelangt, aber bei
dem von Leibniz und Lotze, der vom Haeckelschen so himmelweit verschieden ist
wie der kirchliche Dualismus. Andre werden durch freie Forschung Pessimisten oder
Sozialisten, die Haeckel beide haßt, und mancher kommt auch heute noch ans dem
Wege selbständigen Nachdenkens zu der Überzeugung, der lutherische oder der katho¬
lische Kirchenglaube sei das wahrste und beste.

Auch die Freidenkerkongresse bestätigen nur die alte Erfahrung, daß alle Par¬
teien, Bünde und Klubs, die das Wörtlein frei auf ihre Fahne schreiben, nur eine
neue Art absoluter Herrschaft wollen. Im Mittelalter wurden die Menschen, die
eine von der herrschenden abweichende Meinung verkündigten, lebendig verbrannt,
im Reformationszeitalter teils verbrannt, teils (in England) mit aufgeschlitztem
Bauche gehängt, nach der „Befreiung" durch die Jakobiner geköpft, was ja immer¬
hin schon ein Fortschritt war. Seitdem sind wir noch weiter fortgeschritten, denn
der moderne Europäer ist zartnervig und kein Freund von schmerzhaften Opera¬
tionen, aber Schippels mit abweichenden Meinungen duldet keine Partei in ihrem
Herrschaftsbereich, soweit es ihr gelingt, sie durch unblutige Maßregeln zu unter¬
drücken. Es stünde auch heute noch schlimm um die Rede- und Preßfreiheit (Ge¬
danken sind zu allen Zeiten zollfrei), wenn wir uns nicht einer großen Menge von
Parteien erfreuten, deren jede ihren eignen Parteiglauben hat, von denen aber
keine stark genug ist, die übrigen zu unterdrücken. Dieser Zustand macht denn
auch den wirklich Freien das Dasein möglich, die, keiner Partei sich anschließend,
zwischen ihnen unbemerkt hindurchschlüpfen.

Unter diesem Titel veröffentlicht Max
Seiling (Leipzig, Oswald Mütze, 1904) eine Studie, zu der ihn der Umstand
veranlaßt hat, daß Haeckel und andre Materialisten der darwinischen Schule Goethe
als einen der ihrigen feiern. Dazu hätten sie auch nicht den Schein eines Rechts,
und der illoyale Kunstgriff dieser Herren richte großen Schaden an, weil die Autorität
Goethes viele Unwissende und Halbwissende verführe. Haeckel wolle allerdings seinen
Monismus nicht Materialismus genannt wissen, aber dieser Monismus trage alle
Merkmale des landläufigen Materialismus an sich, nämlich: „die Ahnungslosigkeit
in Sachen des erkenntnistheoretischen Problems; die Anmaßung, das Psychische aus
dem Physischen erklären zu wollen; den Mangel aller Teleologie und den aus¬
schließlichen Mechanismus im Weltprozeß; den tollen Widerspruch zwischen den
»ewigen, ehernen« Naturgesetzen und dem blinden Zufall; die Aufhebung der Selbst¬
herrlichkeit des Individuums, dessen Bedeutungslosigkeit der des winzigsten Bazillus
gleichkomme, dn es, wie dieser, nur ein zufälliges und sinnloses Aggregat von


Goethe und der Materialismus.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0418" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295637"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2084" prev="#ID_2083"> eigentlich ein Freidenker? Dem Worte und der geschichtlichen Entstehung des Frei-<lb/>
denkertums nach ein Melun, der sich seine wissenschaftlichen, religiösen und Poli¬<lb/>
tischen Überzeugungen nicht von Autoritäten aufnötigen läßt, sondern sie durch<lb/>
eignes unabhängiges Denken schafft. Darin liegt nicht die Forderung, daß man<lb/>
alles verwerfen müsse, was die Autoritäten lehren, denn da die Schöpfer der in<lb/>
verschiednen Zeiten zur Herrschaft gelangten Meinungen nicht alle Dummköpfe ge¬<lb/>
wesen sind, meist sogar das Gegenteil, so kann man von vornherein erwarten, daß<lb/>
unter den hergebrachten Meinungen auch manche richtige sein werden; der frei¬<lb/>
denkerische Grundsatz fordert bloß, daß keine Meinung ungeprüft angenommen<lb/>
werde, und daß man bestrebt sei, den vorhandnen Wissensschatz durch eigne<lb/>
Forschung zu vermehren. Wenn nun aber Haeckel seine Meinung zum Kredo des<lb/>
Freidenkertums machen will, so setzt er an die Stelle der von ihm abgeschafften<lb/>
Autoritäten eine neue, nämlich seine eigne, und die Freidenker haben wieder einen<lb/>
Papst, dessen einziger Vorzug vor dem römischen Papste seine Machtlosigkeit ist.<lb/>
Oder sollte Haeckel wirklich so naiv sein, zu glauben, jeder frei und selbständig<lb/>
Forschende müsse notwendigerweise beim Hylozoismus ankommen? So hat er<lb/>
nämlich seinen Monismus einmal ganz richtig genannt. Der das schreibt, ist auf<lb/>
dem Wege ganz freier Forschung auch bei einem Monismus angelangt, aber bei<lb/>
dem von Leibniz und Lotze, der vom Haeckelschen so himmelweit verschieden ist<lb/>
wie der kirchliche Dualismus. Andre werden durch freie Forschung Pessimisten oder<lb/>
Sozialisten, die Haeckel beide haßt, und mancher kommt auch heute noch ans dem<lb/>
Wege selbständigen Nachdenkens zu der Überzeugung, der lutherische oder der katho¬<lb/>
lische Kirchenglaube sei das wahrste und beste.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2085"> Auch die Freidenkerkongresse bestätigen nur die alte Erfahrung, daß alle Par¬<lb/>
teien, Bünde und Klubs, die das Wörtlein frei auf ihre Fahne schreiben, nur eine<lb/>
neue Art absoluter Herrschaft wollen. Im Mittelalter wurden die Menschen, die<lb/>
eine von der herrschenden abweichende Meinung verkündigten, lebendig verbrannt,<lb/>
im Reformationszeitalter teils verbrannt, teils (in England) mit aufgeschlitztem<lb/>
Bauche gehängt, nach der &#x201E;Befreiung" durch die Jakobiner geköpft, was ja immer¬<lb/>
hin schon ein Fortschritt war. Seitdem sind wir noch weiter fortgeschritten, denn<lb/>
der moderne Europäer ist zartnervig und kein Freund von schmerzhaften Opera¬<lb/>
tionen, aber Schippels mit abweichenden Meinungen duldet keine Partei in ihrem<lb/>
Herrschaftsbereich, soweit es ihr gelingt, sie durch unblutige Maßregeln zu unter¬<lb/>
drücken. Es stünde auch heute noch schlimm um die Rede- und Preßfreiheit (Ge¬<lb/>
danken sind zu allen Zeiten zollfrei), wenn wir uns nicht einer großen Menge von<lb/>
Parteien erfreuten, deren jede ihren eignen Parteiglauben hat, von denen aber<lb/>
keine stark genug ist, die übrigen zu unterdrücken. Dieser Zustand macht denn<lb/>
auch den wirklich Freien das Dasein möglich, die, keiner Partei sich anschließend,<lb/>
zwischen ihnen unbemerkt hindurchschlüpfen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2086" next="#ID_2087"><fw type="sig" place="bottom"> Goethe und der Materialismus.</fw> Unter diesem Titel veröffentlicht Max<lb/>
Seiling (Leipzig, Oswald Mütze, 1904) eine Studie, zu der ihn der Umstand<lb/>
veranlaßt hat, daß Haeckel und andre Materialisten der darwinischen Schule Goethe<lb/>
als einen der ihrigen feiern. Dazu hätten sie auch nicht den Schein eines Rechts,<lb/>
und der illoyale Kunstgriff dieser Herren richte großen Schaden an, weil die Autorität<lb/>
Goethes viele Unwissende und Halbwissende verführe. Haeckel wolle allerdings seinen<lb/>
Monismus nicht Materialismus genannt wissen, aber dieser Monismus trage alle<lb/>
Merkmale des landläufigen Materialismus an sich, nämlich: &#x201E;die Ahnungslosigkeit<lb/>
in Sachen des erkenntnistheoretischen Problems; die Anmaßung, das Psychische aus<lb/>
dem Physischen erklären zu wollen; den Mangel aller Teleologie und den aus¬<lb/>
schließlichen Mechanismus im Weltprozeß; den tollen Widerspruch zwischen den<lb/>
»ewigen, ehernen« Naturgesetzen und dem blinden Zufall; die Aufhebung der Selbst¬<lb/>
herrlichkeit des Individuums, dessen Bedeutungslosigkeit der des winzigsten Bazillus<lb/>
gleichkomme, dn es, wie dieser, nur ein zufälliges und sinnloses Aggregat von</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0418] Maßgebliches und Unmaßgebliches eigentlich ein Freidenker? Dem Worte und der geschichtlichen Entstehung des Frei- denkertums nach ein Melun, der sich seine wissenschaftlichen, religiösen und Poli¬ tischen Überzeugungen nicht von Autoritäten aufnötigen läßt, sondern sie durch eignes unabhängiges Denken schafft. Darin liegt nicht die Forderung, daß man alles verwerfen müsse, was die Autoritäten lehren, denn da die Schöpfer der in verschiednen Zeiten zur Herrschaft gelangten Meinungen nicht alle Dummköpfe ge¬ wesen sind, meist sogar das Gegenteil, so kann man von vornherein erwarten, daß unter den hergebrachten Meinungen auch manche richtige sein werden; der frei¬ denkerische Grundsatz fordert bloß, daß keine Meinung ungeprüft angenommen werde, und daß man bestrebt sei, den vorhandnen Wissensschatz durch eigne Forschung zu vermehren. Wenn nun aber Haeckel seine Meinung zum Kredo des Freidenkertums machen will, so setzt er an die Stelle der von ihm abgeschafften Autoritäten eine neue, nämlich seine eigne, und die Freidenker haben wieder einen Papst, dessen einziger Vorzug vor dem römischen Papste seine Machtlosigkeit ist. Oder sollte Haeckel wirklich so naiv sein, zu glauben, jeder frei und selbständig Forschende müsse notwendigerweise beim Hylozoismus ankommen? So hat er nämlich seinen Monismus einmal ganz richtig genannt. Der das schreibt, ist auf dem Wege ganz freier Forschung auch bei einem Monismus angelangt, aber bei dem von Leibniz und Lotze, der vom Haeckelschen so himmelweit verschieden ist wie der kirchliche Dualismus. Andre werden durch freie Forschung Pessimisten oder Sozialisten, die Haeckel beide haßt, und mancher kommt auch heute noch ans dem Wege selbständigen Nachdenkens zu der Überzeugung, der lutherische oder der katho¬ lische Kirchenglaube sei das wahrste und beste. Auch die Freidenkerkongresse bestätigen nur die alte Erfahrung, daß alle Par¬ teien, Bünde und Klubs, die das Wörtlein frei auf ihre Fahne schreiben, nur eine neue Art absoluter Herrschaft wollen. Im Mittelalter wurden die Menschen, die eine von der herrschenden abweichende Meinung verkündigten, lebendig verbrannt, im Reformationszeitalter teils verbrannt, teils (in England) mit aufgeschlitztem Bauche gehängt, nach der „Befreiung" durch die Jakobiner geköpft, was ja immer¬ hin schon ein Fortschritt war. Seitdem sind wir noch weiter fortgeschritten, denn der moderne Europäer ist zartnervig und kein Freund von schmerzhaften Opera¬ tionen, aber Schippels mit abweichenden Meinungen duldet keine Partei in ihrem Herrschaftsbereich, soweit es ihr gelingt, sie durch unblutige Maßregeln zu unter¬ drücken. Es stünde auch heute noch schlimm um die Rede- und Preßfreiheit (Ge¬ danken sind zu allen Zeiten zollfrei), wenn wir uns nicht einer großen Menge von Parteien erfreuten, deren jede ihren eignen Parteiglauben hat, von denen aber keine stark genug ist, die übrigen zu unterdrücken. Dieser Zustand macht denn auch den wirklich Freien das Dasein möglich, die, keiner Partei sich anschließend, zwischen ihnen unbemerkt hindurchschlüpfen. Unter diesem Titel veröffentlicht Max Seiling (Leipzig, Oswald Mütze, 1904) eine Studie, zu der ihn der Umstand veranlaßt hat, daß Haeckel und andre Materialisten der darwinischen Schule Goethe als einen der ihrigen feiern. Dazu hätten sie auch nicht den Schein eines Rechts, und der illoyale Kunstgriff dieser Herren richte großen Schaden an, weil die Autorität Goethes viele Unwissende und Halbwissende verführe. Haeckel wolle allerdings seinen Monismus nicht Materialismus genannt wissen, aber dieser Monismus trage alle Merkmale des landläufigen Materialismus an sich, nämlich: „die Ahnungslosigkeit in Sachen des erkenntnistheoretischen Problems; die Anmaßung, das Psychische aus dem Physischen erklären zu wollen; den Mangel aller Teleologie und den aus¬ schließlichen Mechanismus im Weltprozeß; den tollen Widerspruch zwischen den »ewigen, ehernen« Naturgesetzen und dem blinden Zufall; die Aufhebung der Selbst¬ herrlichkeit des Individuums, dessen Bedeutungslosigkeit der des winzigsten Bazillus gleichkomme, dn es, wie dieser, nur ein zufälliges und sinnloses Aggregat von Goethe und der Materialismus.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/418
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/418>, abgerufen am 29.06.2024.