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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksinseln und Träume

Trümmern, die sich besonders in frühern Zeiten durch häufige Brände erhöhten.
Eine künftige Zeit wird vielleicht einmal diese Scherbenberge ausgraben.

Ein Grasgarten ist weder ein reiner Nutzgarten noch ein Park, sondern ist
beides zugleich. Die Bäume stehn zerstreut über den Rasen hin, ihre Reihen haben
die Tiefe eines Hains, und deshalb scheinen diese Gärten größer, als sie sind. Das
Hineinziehende und Anheimelnde teilen sie mit den Buchenhainen. Von der Schönheit
ihrer blütenbedeckten und fruchtreichen Zweige will ich gar nicht reden. Die Bauern
kümmern sich wenig um diese Gärten, es sind die Frauen und die Mädchen, die
auf dem Grase ihre Wäsche bleichen und es mähen, wenn es hoch genug gewachsen
ist. Wenn die Früchte der Bäume uicht sehr reichlich sind, wird wenig Wesens
daraus gemacht. Wer rationelle Obstknltur betreibt, bepflanzt Äcker oder Wiesen
mit Fruchtbäumen oder zieht an Mauern Spalierbäume. Die Bäume in den Gras¬
gärten sind deshalb oft ganz sich selbst überlassen. So wie um der ungepflegte
Wald malerischere Bäume enthält als der geregelte Forst, so stehn auch in den
Grasgärten alte Birn- und Apfelbäume, deren phantastische Gestalten, deren mit
Moos, Flechten und Mistelstrauch bedeckte Äste gute Bilder geben. Ihr graues
Alter stimmt zu dem altersbrauuen Holzwerk des Hauses dahinter.

Für den Stadtbewohner ist der Garten das letzte Guckfenster, durch das er
noch einen Blick in den Wandel der fort und fort schaffenden Natur gewinnt; für
den Landmann ist er die nächste Umgebung seines Hauses, seiner Hütte, seines
Wohnplatzes. Das Dorf steht gewissermaßen selbst im Garten, und jedes Haus
nimmt davon einen Raum ein, den man als den Lebensraum einer Bauernfamilie
bezeichne" könnte. Es ist der alte "Gard," der umfriedigte, zaunbewehrte, nächste
Besitz. Welches friedliche Bild, diese Umfriedigung, dieser "Gard" von heute, wo
nicht bloß Raum für das Durchschlüpfen von Katzen und Hunden, sondern in manchem
baufälligen Zaun sogar für Menschen ist. Man bedarf seiner nicht mehr als Schutz;
Holnnder und Rosen, die ihn umböschen, verraten die friedliche Natur der Palisade.

Man baut bei uns die Zäune aus jungen Fichtenstämmchen, die mit der Rinde
dicht nebeneinander in die Erde gesetzt werden, sie haben etwas Naturmäßiges und
sehen sogar zierlich aus, solange sie neu sind; wenn sie alt werden, trocknet die
Rinde ab, lost sich los, und sie haben dann etwas Rauhes. Sind sie aber so alt
geworden, daß die in der Erde steckenden Teile morsch werden, so neigen sie sich
hierhin und dorthin und werden nur noch durch den vielleicht auch schon morsch
werdenden Querbalken zusammengehalten, an dessen Außenseite sie befestigt siud.
In den Ecken der Zäune stehn Holundersträucher, und früher gab es auch viel
Weißdorn an ihnen entlang. An dessen Stelle sind Heckenrosen getreten, seitdem
man den Weißdorn im Verdacht hat, Ungeziefer anzuziehn; sie sind mich schön,
erheitern nicht bloß im Sommer die Umgebungen unsrer Häuser, wenn die weißen
oder Purpurrosen mit dem goldnen Mittelring der Staubfäden blühn, sondern auch
ini Spätherbst, wenn der Wind die Sträucher entblättert hat, wo dann die glänzenden
roten Hagebutten übrig bleiben. Die Holunderbüsche sind ernster mit ihrem dunkel¬
grünen Laub, ihren grünlichweißen Dolden und schwarzen Beeren. Es gibt einige
Heckenrosen, an deren kräftigen Duft die edelste Gartenrose uicht heranreicht.

Der angeborne Farbensinn des Menschen offenbart sich in der Art, wie die
hellen Farben der Geranien, Nelken, Tulpen, Kaiserkronen, Lilien und einiger andrer
zum Schmuck des Weiß, Grau und Braun der Wände und Mauern, Tore und
Dächer, der Holzstöße und Düngerhaufen herangezogen werden. In diesen Menschen,
die Tag für Tag in Staub und Schweiß ihr arbeitreiches Leben einförmig hin¬
bringen, lebt ein Sinn für die Poesie der blütenreichen Pflanzen, den kein Mühn
und Sorgen ersticken konnte. So wie sie sich im Frühjahr an ihren blütenschweren
Apfel- und Birnbäumen freuen, wollen sie sich den Sommer lang an den un¬
ermüdlich knospenden und blühenden Kräutern und Sträuchern des Hausgartens
und der Fensterbretter ergötzen. Je tiefer sich das Braun der Giebelverschalnng
mit dem Alter vertieft, desto fröhlicher soll es das sich jährlich verjüngende Leben


Glücksinseln und Träume

Trümmern, die sich besonders in frühern Zeiten durch häufige Brände erhöhten.
Eine künftige Zeit wird vielleicht einmal diese Scherbenberge ausgraben.

Ein Grasgarten ist weder ein reiner Nutzgarten noch ein Park, sondern ist
beides zugleich. Die Bäume stehn zerstreut über den Rasen hin, ihre Reihen haben
die Tiefe eines Hains, und deshalb scheinen diese Gärten größer, als sie sind. Das
Hineinziehende und Anheimelnde teilen sie mit den Buchenhainen. Von der Schönheit
ihrer blütenbedeckten und fruchtreichen Zweige will ich gar nicht reden. Die Bauern
kümmern sich wenig um diese Gärten, es sind die Frauen und die Mädchen, die
auf dem Grase ihre Wäsche bleichen und es mähen, wenn es hoch genug gewachsen
ist. Wenn die Früchte der Bäume uicht sehr reichlich sind, wird wenig Wesens
daraus gemacht. Wer rationelle Obstknltur betreibt, bepflanzt Äcker oder Wiesen
mit Fruchtbäumen oder zieht an Mauern Spalierbäume. Die Bäume in den Gras¬
gärten sind deshalb oft ganz sich selbst überlassen. So wie um der ungepflegte
Wald malerischere Bäume enthält als der geregelte Forst, so stehn auch in den
Grasgärten alte Birn- und Apfelbäume, deren phantastische Gestalten, deren mit
Moos, Flechten und Mistelstrauch bedeckte Äste gute Bilder geben. Ihr graues
Alter stimmt zu dem altersbrauuen Holzwerk des Hauses dahinter.

Für den Stadtbewohner ist der Garten das letzte Guckfenster, durch das er
noch einen Blick in den Wandel der fort und fort schaffenden Natur gewinnt; für
den Landmann ist er die nächste Umgebung seines Hauses, seiner Hütte, seines
Wohnplatzes. Das Dorf steht gewissermaßen selbst im Garten, und jedes Haus
nimmt davon einen Raum ein, den man als den Lebensraum einer Bauernfamilie
bezeichne» könnte. Es ist der alte „Gard," der umfriedigte, zaunbewehrte, nächste
Besitz. Welches friedliche Bild, diese Umfriedigung, dieser „Gard" von heute, wo
nicht bloß Raum für das Durchschlüpfen von Katzen und Hunden, sondern in manchem
baufälligen Zaun sogar für Menschen ist. Man bedarf seiner nicht mehr als Schutz;
Holnnder und Rosen, die ihn umböschen, verraten die friedliche Natur der Palisade.

Man baut bei uns die Zäune aus jungen Fichtenstämmchen, die mit der Rinde
dicht nebeneinander in die Erde gesetzt werden, sie haben etwas Naturmäßiges und
sehen sogar zierlich aus, solange sie neu sind; wenn sie alt werden, trocknet die
Rinde ab, lost sich los, und sie haben dann etwas Rauhes. Sind sie aber so alt
geworden, daß die in der Erde steckenden Teile morsch werden, so neigen sie sich
hierhin und dorthin und werden nur noch durch den vielleicht auch schon morsch
werdenden Querbalken zusammengehalten, an dessen Außenseite sie befestigt siud.
In den Ecken der Zäune stehn Holundersträucher, und früher gab es auch viel
Weißdorn an ihnen entlang. An dessen Stelle sind Heckenrosen getreten, seitdem
man den Weißdorn im Verdacht hat, Ungeziefer anzuziehn; sie sind mich schön,
erheitern nicht bloß im Sommer die Umgebungen unsrer Häuser, wenn die weißen
oder Purpurrosen mit dem goldnen Mittelring der Staubfäden blühn, sondern auch
ini Spätherbst, wenn der Wind die Sträucher entblättert hat, wo dann die glänzenden
roten Hagebutten übrig bleiben. Die Holunderbüsche sind ernster mit ihrem dunkel¬
grünen Laub, ihren grünlichweißen Dolden und schwarzen Beeren. Es gibt einige
Heckenrosen, an deren kräftigen Duft die edelste Gartenrose uicht heranreicht.

Der angeborne Farbensinn des Menschen offenbart sich in der Art, wie die
hellen Farben der Geranien, Nelken, Tulpen, Kaiserkronen, Lilien und einiger andrer
zum Schmuck des Weiß, Grau und Braun der Wände und Mauern, Tore und
Dächer, der Holzstöße und Düngerhaufen herangezogen werden. In diesen Menschen,
die Tag für Tag in Staub und Schweiß ihr arbeitreiches Leben einförmig hin¬
bringen, lebt ein Sinn für die Poesie der blütenreichen Pflanzen, den kein Mühn
und Sorgen ersticken konnte. So wie sie sich im Frühjahr an ihren blütenschweren
Apfel- und Birnbäumen freuen, wollen sie sich den Sommer lang an den un¬
ermüdlich knospenden und blühenden Kräutern und Sträuchern des Hausgartens
und der Fensterbretter ergötzen. Je tiefer sich das Braun der Giebelverschalnng
mit dem Alter vertieft, desto fröhlicher soll es das sich jährlich verjüngende Leben


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[0394] Glücksinseln und Träume Trümmern, die sich besonders in frühern Zeiten durch häufige Brände erhöhten. Eine künftige Zeit wird vielleicht einmal diese Scherbenberge ausgraben. Ein Grasgarten ist weder ein reiner Nutzgarten noch ein Park, sondern ist beides zugleich. Die Bäume stehn zerstreut über den Rasen hin, ihre Reihen haben die Tiefe eines Hains, und deshalb scheinen diese Gärten größer, als sie sind. Das Hineinziehende und Anheimelnde teilen sie mit den Buchenhainen. Von der Schönheit ihrer blütenbedeckten und fruchtreichen Zweige will ich gar nicht reden. Die Bauern kümmern sich wenig um diese Gärten, es sind die Frauen und die Mädchen, die auf dem Grase ihre Wäsche bleichen und es mähen, wenn es hoch genug gewachsen ist. Wenn die Früchte der Bäume uicht sehr reichlich sind, wird wenig Wesens daraus gemacht. Wer rationelle Obstknltur betreibt, bepflanzt Äcker oder Wiesen mit Fruchtbäumen oder zieht an Mauern Spalierbäume. Die Bäume in den Gras¬ gärten sind deshalb oft ganz sich selbst überlassen. So wie um der ungepflegte Wald malerischere Bäume enthält als der geregelte Forst, so stehn auch in den Grasgärten alte Birn- und Apfelbäume, deren phantastische Gestalten, deren mit Moos, Flechten und Mistelstrauch bedeckte Äste gute Bilder geben. Ihr graues Alter stimmt zu dem altersbrauuen Holzwerk des Hauses dahinter. Für den Stadtbewohner ist der Garten das letzte Guckfenster, durch das er noch einen Blick in den Wandel der fort und fort schaffenden Natur gewinnt; für den Landmann ist er die nächste Umgebung seines Hauses, seiner Hütte, seines Wohnplatzes. Das Dorf steht gewissermaßen selbst im Garten, und jedes Haus nimmt davon einen Raum ein, den man als den Lebensraum einer Bauernfamilie bezeichne» könnte. Es ist der alte „Gard," der umfriedigte, zaunbewehrte, nächste Besitz. Welches friedliche Bild, diese Umfriedigung, dieser „Gard" von heute, wo nicht bloß Raum für das Durchschlüpfen von Katzen und Hunden, sondern in manchem baufälligen Zaun sogar für Menschen ist. Man bedarf seiner nicht mehr als Schutz; Holnnder und Rosen, die ihn umböschen, verraten die friedliche Natur der Palisade. Man baut bei uns die Zäune aus jungen Fichtenstämmchen, die mit der Rinde dicht nebeneinander in die Erde gesetzt werden, sie haben etwas Naturmäßiges und sehen sogar zierlich aus, solange sie neu sind; wenn sie alt werden, trocknet die Rinde ab, lost sich los, und sie haben dann etwas Rauhes. Sind sie aber so alt geworden, daß die in der Erde steckenden Teile morsch werden, so neigen sie sich hierhin und dorthin und werden nur noch durch den vielleicht auch schon morsch werdenden Querbalken zusammengehalten, an dessen Außenseite sie befestigt siud. In den Ecken der Zäune stehn Holundersträucher, und früher gab es auch viel Weißdorn an ihnen entlang. An dessen Stelle sind Heckenrosen getreten, seitdem man den Weißdorn im Verdacht hat, Ungeziefer anzuziehn; sie sind mich schön, erheitern nicht bloß im Sommer die Umgebungen unsrer Häuser, wenn die weißen oder Purpurrosen mit dem goldnen Mittelring der Staubfäden blühn, sondern auch ini Spätherbst, wenn der Wind die Sträucher entblättert hat, wo dann die glänzenden roten Hagebutten übrig bleiben. Die Holunderbüsche sind ernster mit ihrem dunkel¬ grünen Laub, ihren grünlichweißen Dolden und schwarzen Beeren. Es gibt einige Heckenrosen, an deren kräftigen Duft die edelste Gartenrose uicht heranreicht. Der angeborne Farbensinn des Menschen offenbart sich in der Art, wie die hellen Farben der Geranien, Nelken, Tulpen, Kaiserkronen, Lilien und einiger andrer zum Schmuck des Weiß, Grau und Braun der Wände und Mauern, Tore und Dächer, der Holzstöße und Düngerhaufen herangezogen werden. In diesen Menschen, die Tag für Tag in Staub und Schweiß ihr arbeitreiches Leben einförmig hin¬ bringen, lebt ein Sinn für die Poesie der blütenreichen Pflanzen, den kein Mühn und Sorgen ersticken konnte. So wie sie sich im Frühjahr an ihren blütenschweren Apfel- und Birnbäumen freuen, wollen sie sich den Sommer lang an den un¬ ermüdlich knospenden und blühenden Kräutern und Sträuchern des Hausgartens und der Fensterbretter ergötzen. Je tiefer sich das Braun der Giebelverschalnng mit dem Alter vertieft, desto fröhlicher soll es das sich jährlich verjüngende Leben

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/394>, abgerufen am 29.06.2024.