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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Die Philosophie des Unbewußten

Fürst von Neufchatel zugegen. Talleyrand blieb überhaupt, freiwillig oder un¬
freiwillig, die meiste Zeit für sich im Brühlschen Palais, wo das diplomatische
Kabinett Wohnung genommen hatte.

Am Abend fand dann endlich die große Illumination statt. Die ganze
Stadt war prachtvoll erleuchtet. Königshaus, Rat und Bürgerschaft hatten
viele Tausende ausgegeben, die Residenz in ein gewaltiges Flammenmeer zu
verwandeln. Der Glanzpunkt waren die Umgebung des Schlosses, der antike
Triumphbogen, die Brücke und ein Obelisk in: Schloßhof, worauf ja das Auge
des Kaisers selbst fallen mußte. Oben auf dem Triumphbogen nach dem
Schlosse zu prangte das kaiserlich französische Wappen und darunter in Flammen¬
schrift die Widmung: UÄvolöcmi NaZno, viotori, x^eilleatori. Man schätzte die
Zahl der Lampen, die allein den Triumphbogen beleuchteten, auf zwanzigtausend.
Dazu noch mehrere Tausend auf der Brücke, da jeder der zweiunddreißig Sterne
von sechsundsiebzig Lampen bestrahlt wurde. Die Stadt bemühte sich, dahinter
nicht zurück zu bleiben; fast alle Häuser hatten vollständig illuminiert. Viele
Fenster waren nach der Sitte der Zeit mit transparenten Bildern und Versen
geschmückt. Die Verse waren meist besser gemeint als gedichtet, aber gerade
darum in ihrer naiven Einfalt oft rührend und jedenfalls für die Stimmung
der Bürgerschaft charakteristisch.

Liebe, Bewunderung, Dankbarkeit und Freude, Wünsche für eine segens¬
reiche, Handel und Wandel günstige Zukunft sprechen sich in ihnen aus.

Leider wurde das Fest gestört. Ein Gewitter machte der Schwüle der
letzten Tage ein Ende und verlöschte mit seinen heftigen Güssen vorzeitig Lampen,
Feuerbecken und Kerzen. Aber rasch, wie es gekommen, verzog sich auch das
Unwetter wieder, und gegen ein Uhr Nachts wimmelten die Straßen wieder
von Menschen, die staunend noch in den traurigen Resten die vernichtete Herr¬
lichk ^ folgt) eit bewunderten.




Die Philosophie des Unbewußten

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MMZ-Klhilosophieprofessoren gibt es zu Hunderten, verständig philo¬
sophierende Laien zu Hunderttausenden; auch die Zahl der prak¬
tischen Philosophen, das heißt der Menschen, die weise leben,
mag nicht klein sein; alle wahrhaft Frommen gehören dazu,
l Aber die Philosophen im strengen Sinne des Worts sind Sä¬
kularmenschen; die letzten dreihundert Jahre haben nicht viel über ein Dutzend
solcher Genien hervorgebracht, die großartige neue Einblicke in die Natur der
Dinge eröffnen und die vorhandnen, zum Teil von ihnen selbst ans Licht ge¬
förderten Erkenntnisse zu einem harmonischen Ganzen, einem in sich folge¬
richtigen System anordnen. Seit Lotzes Tode haben wir in Deutschland noch
einen solchen Gedankenriesen: Eduard von Hartmann. Denn auch die
berühmtesten Philosophieprofessoren sind nur geistreiche und gewandte Dar-


Die Philosophie des Unbewußten

Fürst von Neufchatel zugegen. Talleyrand blieb überhaupt, freiwillig oder un¬
freiwillig, die meiste Zeit für sich im Brühlschen Palais, wo das diplomatische
Kabinett Wohnung genommen hatte.

Am Abend fand dann endlich die große Illumination statt. Die ganze
Stadt war prachtvoll erleuchtet. Königshaus, Rat und Bürgerschaft hatten
viele Tausende ausgegeben, die Residenz in ein gewaltiges Flammenmeer zu
verwandeln. Der Glanzpunkt waren die Umgebung des Schlosses, der antike
Triumphbogen, die Brücke und ein Obelisk in: Schloßhof, worauf ja das Auge
des Kaisers selbst fallen mußte. Oben auf dem Triumphbogen nach dem
Schlosse zu prangte das kaiserlich französische Wappen und darunter in Flammen¬
schrift die Widmung: UÄvolöcmi NaZno, viotori, x^eilleatori. Man schätzte die
Zahl der Lampen, die allein den Triumphbogen beleuchteten, auf zwanzigtausend.
Dazu noch mehrere Tausend auf der Brücke, da jeder der zweiunddreißig Sterne
von sechsundsiebzig Lampen bestrahlt wurde. Die Stadt bemühte sich, dahinter
nicht zurück zu bleiben; fast alle Häuser hatten vollständig illuminiert. Viele
Fenster waren nach der Sitte der Zeit mit transparenten Bildern und Versen
geschmückt. Die Verse waren meist besser gemeint als gedichtet, aber gerade
darum in ihrer naiven Einfalt oft rührend und jedenfalls für die Stimmung
der Bürgerschaft charakteristisch.

Liebe, Bewunderung, Dankbarkeit und Freude, Wünsche für eine segens¬
reiche, Handel und Wandel günstige Zukunft sprechen sich in ihnen aus.

Leider wurde das Fest gestört. Ein Gewitter machte der Schwüle der
letzten Tage ein Ende und verlöschte mit seinen heftigen Güssen vorzeitig Lampen,
Feuerbecken und Kerzen. Aber rasch, wie es gekommen, verzog sich auch das
Unwetter wieder, und gegen ein Uhr Nachts wimmelten die Straßen wieder
von Menschen, die staunend noch in den traurigen Resten die vernichtete Herr¬
lichk ^ folgt) eit bewunderten.




Die Philosophie des Unbewußten

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MMZ-Klhilosophieprofessoren gibt es zu Hunderten, verständig philo¬
sophierende Laien zu Hunderttausenden; auch die Zahl der prak¬
tischen Philosophen, das heißt der Menschen, die weise leben,
mag nicht klein sein; alle wahrhaft Frommen gehören dazu,
l Aber die Philosophen im strengen Sinne des Worts sind Sä¬
kularmenschen; die letzten dreihundert Jahre haben nicht viel über ein Dutzend
solcher Genien hervorgebracht, die großartige neue Einblicke in die Natur der
Dinge eröffnen und die vorhandnen, zum Teil von ihnen selbst ans Licht ge¬
förderten Erkenntnisse zu einem harmonischen Ganzen, einem in sich folge¬
richtigen System anordnen. Seit Lotzes Tode haben wir in Deutschland noch
einen solchen Gedankenriesen: Eduard von Hartmann. Denn auch die
berühmtesten Philosophieprofessoren sind nur geistreiche und gewandte Dar-


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[0381] Die Philosophie des Unbewußten Fürst von Neufchatel zugegen. Talleyrand blieb überhaupt, freiwillig oder un¬ freiwillig, die meiste Zeit für sich im Brühlschen Palais, wo das diplomatische Kabinett Wohnung genommen hatte. Am Abend fand dann endlich die große Illumination statt. Die ganze Stadt war prachtvoll erleuchtet. Königshaus, Rat und Bürgerschaft hatten viele Tausende ausgegeben, die Residenz in ein gewaltiges Flammenmeer zu verwandeln. Der Glanzpunkt waren die Umgebung des Schlosses, der antike Triumphbogen, die Brücke und ein Obelisk in: Schloßhof, worauf ja das Auge des Kaisers selbst fallen mußte. Oben auf dem Triumphbogen nach dem Schlosse zu prangte das kaiserlich französische Wappen und darunter in Flammen¬ schrift die Widmung: UÄvolöcmi NaZno, viotori, x^eilleatori. Man schätzte die Zahl der Lampen, die allein den Triumphbogen beleuchteten, auf zwanzigtausend. Dazu noch mehrere Tausend auf der Brücke, da jeder der zweiunddreißig Sterne von sechsundsiebzig Lampen bestrahlt wurde. Die Stadt bemühte sich, dahinter nicht zurück zu bleiben; fast alle Häuser hatten vollständig illuminiert. Viele Fenster waren nach der Sitte der Zeit mit transparenten Bildern und Versen geschmückt. Die Verse waren meist besser gemeint als gedichtet, aber gerade darum in ihrer naiven Einfalt oft rührend und jedenfalls für die Stimmung der Bürgerschaft charakteristisch. Liebe, Bewunderung, Dankbarkeit und Freude, Wünsche für eine segens¬ reiche, Handel und Wandel günstige Zukunft sprechen sich in ihnen aus. Leider wurde das Fest gestört. Ein Gewitter machte der Schwüle der letzten Tage ein Ende und verlöschte mit seinen heftigen Güssen vorzeitig Lampen, Feuerbecken und Kerzen. Aber rasch, wie es gekommen, verzog sich auch das Unwetter wieder, und gegen ein Uhr Nachts wimmelten die Straßen wieder von Menschen, die staunend noch in den traurigen Resten die vernichtete Herr¬ lichk ^ folgt) eit bewunderten. Die Philosophie des Unbewußten MM< MMZ-Klhilosophieprofessoren gibt es zu Hunderten, verständig philo¬ sophierende Laien zu Hunderttausenden; auch die Zahl der prak¬ tischen Philosophen, das heißt der Menschen, die weise leben, mag nicht klein sein; alle wahrhaft Frommen gehören dazu, l Aber die Philosophen im strengen Sinne des Worts sind Sä¬ kularmenschen; die letzten dreihundert Jahre haben nicht viel über ein Dutzend solcher Genien hervorgebracht, die großartige neue Einblicke in die Natur der Dinge eröffnen und die vorhandnen, zum Teil von ihnen selbst ans Licht ge¬ förderten Erkenntnisse zu einem harmonischen Ganzen, einem in sich folge¬ richtigen System anordnen. Seit Lotzes Tode haben wir in Deutschland noch einen solchen Gedankenriesen: Eduard von Hartmann. Denn auch die berühmtesten Philosophieprofessoren sind nur geistreiche und gewandte Dar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/381>, abgerufen am 23.07.2024.