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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Iverden die Sozialdemokraten marschieren?

nichts weniger als eine leere Phrase ist. Wo ist denn der Friede während des
letzten Menschenalters glücklicher erhalten geblieben, wo wird er in der gegen¬
wärtigen, konfliktschwangern Zeit besser gehütet als im waffenstarrenden Enropa?

Der Abgeordnete Wurm will die stehenden Heere abgeschafft und dafür die
wirkliche Volksbewaffnung eingeführt sehen; eine Miliz etwa nach Schweizer
Muster, Nun, mit unsern "stehenden Heeren" werden keine Kriege geführt;
das ist ihrer ganzen innern Einrichtung nach ganz unmöglich. Sie sind nur
das Gerippe für das längst vorhandne "Volk in Waffen," und so könnte man
von der Wehrordnung auf Grund allgemeiner Dienstpflicht als von einem
"Milizsystem" sprechen; nur daß die Ausbildungszeit in unsern angeblich
stehenden Heeren -- der Ausdruck erweckt eben eine falsche Vorstellung -- etwas
länger dauert, und zwar nur so lange, wie unerläßlich nötig erscheint, die waffen¬
fähige Jugend nicht nur im Gebrauch der Waffen äußerlich zu unterweisen,
sondern sie innerlich zu Soldaten zu erziehn. Die Erziehung soll fast zwei
Jahrzehnte lang vorhalten. Im übrigen verfüge ich über zahlreiche Unznfricden-
heitsäußerungen von Sozialisten über das, was das Heerwesen anbetrifft,
sozialdemokratische Musterländlein. Auch in der "freien Schweiz" begehren die
Genossen gegen den überhand nehmenden Militarismus auf.

Um mit noch zwei Proben diesen Abschnitt zu beschließen, sei zunächst
mitgeteilt, was Liebknecht im Jahre 1893 einem eigens von Paris abgesandten
Ausfrager des "Germinal" erklärte: er fürchte den Krieg nicht und sei auch
sicher, daß der Angreifer geschlagen werde. Ganz augenfällig hat er mit "dem
Angreifer" Deutschland gemeint? ja es leuchtet eine gewisse Schadenfreude über
die voraussichtliche Niederlage seines Vaterlandes durch. Seines Vaterlandes?
Nun, ein Mensch, der so spricht, hat kein Vaterland und ist auch nicht wert,
eins zu haben.

Die zweite Probe, die die Stellung der Sozialdemokraten zum Kriegs¬
gedanken besonders kennzeichnet, ist einem Flugblatt der Hamburger Sozial-
demokraten zum 1. Mai 1904 entnommen. Es heißt dort:

"Das Recht kann niemals durch die brutale Gewalt entschieden werden.
Der Krieg ist also kein geeignetes Mittel, um Recht zu schaffen.

Unsre Demonstration am 1. Mai gilt einem flammenden Protest:

Gegen den Krieg!
Für den Völkerfrieden!

Das ist unsre Losung vom Maifesttage. Millionenstimmig lassen wir den
Ruf erschallen: "Die Waffen nieder!"

Nicht in blutigen Kämpfen soll die Menschheit sich befehden, sondern im
friedlichen Wettkampf fleißiger und nutzbringender Arbeit ein immer höheres
Kulturniveau für alle schaffen.

Die Barbarei des Krieges ist unwürdig der zivilisierten Menschheit!

Wir sehen gegenwärtig wieder, wie fern in Ostasien der Kampf zweier
Nationen tobt, wie kulturverwüstend dieser Kampf wirkt, wie barbarisch die
Kampfmittel sind, die dabei in Anwendung kommen.


Iverden die Sozialdemokraten marschieren?

nichts weniger als eine leere Phrase ist. Wo ist denn der Friede während des
letzten Menschenalters glücklicher erhalten geblieben, wo wird er in der gegen¬
wärtigen, konfliktschwangern Zeit besser gehütet als im waffenstarrenden Enropa?

Der Abgeordnete Wurm will die stehenden Heere abgeschafft und dafür die
wirkliche Volksbewaffnung eingeführt sehen; eine Miliz etwa nach Schweizer
Muster, Nun, mit unsern „stehenden Heeren" werden keine Kriege geführt;
das ist ihrer ganzen innern Einrichtung nach ganz unmöglich. Sie sind nur
das Gerippe für das längst vorhandne „Volk in Waffen," und so könnte man
von der Wehrordnung auf Grund allgemeiner Dienstpflicht als von einem
„Milizsystem" sprechen; nur daß die Ausbildungszeit in unsern angeblich
stehenden Heeren — der Ausdruck erweckt eben eine falsche Vorstellung — etwas
länger dauert, und zwar nur so lange, wie unerläßlich nötig erscheint, die waffen¬
fähige Jugend nicht nur im Gebrauch der Waffen äußerlich zu unterweisen,
sondern sie innerlich zu Soldaten zu erziehn. Die Erziehung soll fast zwei
Jahrzehnte lang vorhalten. Im übrigen verfüge ich über zahlreiche Unznfricden-
heitsäußerungen von Sozialisten über das, was das Heerwesen anbetrifft,
sozialdemokratische Musterländlein. Auch in der „freien Schweiz" begehren die
Genossen gegen den überhand nehmenden Militarismus auf.

Um mit noch zwei Proben diesen Abschnitt zu beschließen, sei zunächst
mitgeteilt, was Liebknecht im Jahre 1893 einem eigens von Paris abgesandten
Ausfrager des „Germinal" erklärte: er fürchte den Krieg nicht und sei auch
sicher, daß der Angreifer geschlagen werde. Ganz augenfällig hat er mit „dem
Angreifer" Deutschland gemeint? ja es leuchtet eine gewisse Schadenfreude über
die voraussichtliche Niederlage seines Vaterlandes durch. Seines Vaterlandes?
Nun, ein Mensch, der so spricht, hat kein Vaterland und ist auch nicht wert,
eins zu haben.

Die zweite Probe, die die Stellung der Sozialdemokraten zum Kriegs¬
gedanken besonders kennzeichnet, ist einem Flugblatt der Hamburger Sozial-
demokraten zum 1. Mai 1904 entnommen. Es heißt dort:

„Das Recht kann niemals durch die brutale Gewalt entschieden werden.
Der Krieg ist also kein geeignetes Mittel, um Recht zu schaffen.

Unsre Demonstration am 1. Mai gilt einem flammenden Protest:

Gegen den Krieg!
Für den Völkerfrieden!

Das ist unsre Losung vom Maifesttage. Millionenstimmig lassen wir den
Ruf erschallen: »Die Waffen nieder!«

Nicht in blutigen Kämpfen soll die Menschheit sich befehden, sondern im
friedlichen Wettkampf fleißiger und nutzbringender Arbeit ein immer höheres
Kulturniveau für alle schaffen.

Die Barbarei des Krieges ist unwürdig der zivilisierten Menschheit!

Wir sehen gegenwärtig wieder, wie fern in Ostasien der Kampf zweier
Nationen tobt, wie kulturverwüstend dieser Kampf wirkt, wie barbarisch die
Kampfmittel sind, die dabei in Anwendung kommen.


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[0370] Iverden die Sozialdemokraten marschieren? nichts weniger als eine leere Phrase ist. Wo ist denn der Friede während des letzten Menschenalters glücklicher erhalten geblieben, wo wird er in der gegen¬ wärtigen, konfliktschwangern Zeit besser gehütet als im waffenstarrenden Enropa? Der Abgeordnete Wurm will die stehenden Heere abgeschafft und dafür die wirkliche Volksbewaffnung eingeführt sehen; eine Miliz etwa nach Schweizer Muster, Nun, mit unsern „stehenden Heeren" werden keine Kriege geführt; das ist ihrer ganzen innern Einrichtung nach ganz unmöglich. Sie sind nur das Gerippe für das längst vorhandne „Volk in Waffen," und so könnte man von der Wehrordnung auf Grund allgemeiner Dienstpflicht als von einem „Milizsystem" sprechen; nur daß die Ausbildungszeit in unsern angeblich stehenden Heeren — der Ausdruck erweckt eben eine falsche Vorstellung — etwas länger dauert, und zwar nur so lange, wie unerläßlich nötig erscheint, die waffen¬ fähige Jugend nicht nur im Gebrauch der Waffen äußerlich zu unterweisen, sondern sie innerlich zu Soldaten zu erziehn. Die Erziehung soll fast zwei Jahrzehnte lang vorhalten. Im übrigen verfüge ich über zahlreiche Unznfricden- heitsäußerungen von Sozialisten über das, was das Heerwesen anbetrifft, sozialdemokratische Musterländlein. Auch in der „freien Schweiz" begehren die Genossen gegen den überhand nehmenden Militarismus auf. Um mit noch zwei Proben diesen Abschnitt zu beschließen, sei zunächst mitgeteilt, was Liebknecht im Jahre 1893 einem eigens von Paris abgesandten Ausfrager des „Germinal" erklärte: er fürchte den Krieg nicht und sei auch sicher, daß der Angreifer geschlagen werde. Ganz augenfällig hat er mit „dem Angreifer" Deutschland gemeint? ja es leuchtet eine gewisse Schadenfreude über die voraussichtliche Niederlage seines Vaterlandes durch. Seines Vaterlandes? Nun, ein Mensch, der so spricht, hat kein Vaterland und ist auch nicht wert, eins zu haben. Die zweite Probe, die die Stellung der Sozialdemokraten zum Kriegs¬ gedanken besonders kennzeichnet, ist einem Flugblatt der Hamburger Sozial- demokraten zum 1. Mai 1904 entnommen. Es heißt dort: „Das Recht kann niemals durch die brutale Gewalt entschieden werden. Der Krieg ist also kein geeignetes Mittel, um Recht zu schaffen. Unsre Demonstration am 1. Mai gilt einem flammenden Protest: Gegen den Krieg! Für den Völkerfrieden! Das ist unsre Losung vom Maifesttage. Millionenstimmig lassen wir den Ruf erschallen: »Die Waffen nieder!« Nicht in blutigen Kämpfen soll die Menschheit sich befehden, sondern im friedlichen Wettkampf fleißiger und nutzbringender Arbeit ein immer höheres Kulturniveau für alle schaffen. Die Barbarei des Krieges ist unwürdig der zivilisierten Menschheit! Wir sehen gegenwärtig wieder, wie fern in Ostasien der Kampf zweier Nationen tobt, wie kulturverwüstend dieser Kampf wirkt, wie barbarisch die Kampfmittel sind, die dabei in Anwendung kommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/370>, abgerufen am 01.07.2024.