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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Werden die Sozialdemokraten marschieren?

legenden, die übrige Gesellschaft umzugestalten. So weit sind wir aber leider
noch nicht.

Also . . . wenn nun doch Krieg ausbräche und Sie an der Landesgrenze
sich Herrn Guesde gegenüber befänden, würden Sie schießen?

Ich denke, dazu wird es nicht kommen. Wir sind wohl beide zu
alt, um. ..

Aber gesetzt den Fall, es käme dazu?

Nun, so würde ich schießen. Das wäre zwar ein Unglück, aber gleich¬
viel ... wie gesagt, ich wäre dazu gezwungen!"

Die vorstehenden Auslassungen sind besonders lehrreich, weil sich der in
diesem Punkte immer vorsichtige Bebel an andern Stellen wesentlich verschlossener
ausgedrückt hat. Im Reichstage sagte er am 4. Mai 1893, ganz ähnlich wie
vor kurzem wieder: "Aber wenn auswärtige Feinde Deutschland angreifen und
einen Teil seines Gebiets zu erobern versuchen sollten, so würden auch wir
Sozialdemokraten das nicht dulden. Denn nur wenn Deutschland in seinem vollen
Umfang erhalten wird, ist es ihm möglich, seine Kulturaufgabe zu erfüllen."

Schöne Worte, und im Grunde genommen dieselben, die Bebel auch im
vergangnen Mürz im deutschen Reichstage sprach. Wenigstens beim Ver¬
teidigungskriege behaupten die Sozialdemokraten also zum Mittnn bereit zu
sein. Das wäre schon etwas, und wenn diese Erklärungen wirklich die Herzens¬
meinung der Genossen wiedergäben, so könnte man ihnen zwar eine überaus
engherzig beschränkte Auffassung des Gedankens der Landesverteidigung zum
Vorwurf machen, aber man würde nicht berechtigt sein, von ihnen als von
einer "Rotte Menschen zu reden, die nicht wert seien, den Namen Deutscher
zu tragen."

Es ist wesentlich der Zweck dieser Erörterungen, mit Benutzung von weiteren
Material zu untersuchen, ob die Sozialdemokraten es mit solchen Äußerungen
ehrlich meinen, oder ob sie ans opportunistischen Gründen, in "jesuitischer"
Weise, gegen ihre innere Meinung reden? mit einem Worte, ob sie unter be¬
sondern Verhältnissen wirklich marschieren und ob sie dies bereitwillig oder
nur notgedrungen tun werden. Dabei drängen sich die folgenden Fragen auf:
sind -- unter der vorläufigen Annahme, daß es den Führern mit den ab¬
gegebneu Erklärungen ernst sei -- die Sozialdemokraten nur für gewisse Kriegs¬
arten und gegen gewisse Gegner zu haben? Und ferner: Dürfen wir den mit¬
geteilten Erklärungen Glauben schenken?

Zur Beantwortung der letzten Frage wird es nötig, die Stellung der
Sozialdemokraten zu dem Kriege, dem Vaterland und dem obersten Kriegsherrn
ins Auge zu fassen und uns weiter zu fragen, ob ihre große Masse hinter den
Führern steht. Auch bleibt zu erörtern, was der sozialdemokratische Soldat an
sich wert ist.


2. Unter welchen Bedingungen wollen die Sozialdemokraten marschieren?

In bezug auf diese Frage ist beachtenswert, daß bei allen Äußerungen
der sozialistischen Führer ein Hauptnachdruck auf das Wort "Verteidigungs¬
krieg" gelegt wird. Nur den wollen sie -- nach außen hin wenigstens -


Werden die Sozialdemokraten marschieren?

legenden, die übrige Gesellschaft umzugestalten. So weit sind wir aber leider
noch nicht.

Also . . . wenn nun doch Krieg ausbräche und Sie an der Landesgrenze
sich Herrn Guesde gegenüber befänden, würden Sie schießen?

Ich denke, dazu wird es nicht kommen. Wir sind wohl beide zu
alt, um. ..

Aber gesetzt den Fall, es käme dazu?

Nun, so würde ich schießen. Das wäre zwar ein Unglück, aber gleich¬
viel ... wie gesagt, ich wäre dazu gezwungen!"

Die vorstehenden Auslassungen sind besonders lehrreich, weil sich der in
diesem Punkte immer vorsichtige Bebel an andern Stellen wesentlich verschlossener
ausgedrückt hat. Im Reichstage sagte er am 4. Mai 1893, ganz ähnlich wie
vor kurzem wieder: „Aber wenn auswärtige Feinde Deutschland angreifen und
einen Teil seines Gebiets zu erobern versuchen sollten, so würden auch wir
Sozialdemokraten das nicht dulden. Denn nur wenn Deutschland in seinem vollen
Umfang erhalten wird, ist es ihm möglich, seine Kulturaufgabe zu erfüllen."

Schöne Worte, und im Grunde genommen dieselben, die Bebel auch im
vergangnen Mürz im deutschen Reichstage sprach. Wenigstens beim Ver¬
teidigungskriege behaupten die Sozialdemokraten also zum Mittnn bereit zu
sein. Das wäre schon etwas, und wenn diese Erklärungen wirklich die Herzens¬
meinung der Genossen wiedergäben, so könnte man ihnen zwar eine überaus
engherzig beschränkte Auffassung des Gedankens der Landesverteidigung zum
Vorwurf machen, aber man würde nicht berechtigt sein, von ihnen als von
einer „Rotte Menschen zu reden, die nicht wert seien, den Namen Deutscher
zu tragen."

Es ist wesentlich der Zweck dieser Erörterungen, mit Benutzung von weiteren
Material zu untersuchen, ob die Sozialdemokraten es mit solchen Äußerungen
ehrlich meinen, oder ob sie ans opportunistischen Gründen, in „jesuitischer"
Weise, gegen ihre innere Meinung reden? mit einem Worte, ob sie unter be¬
sondern Verhältnissen wirklich marschieren und ob sie dies bereitwillig oder
nur notgedrungen tun werden. Dabei drängen sich die folgenden Fragen auf:
sind — unter der vorläufigen Annahme, daß es den Führern mit den ab¬
gegebneu Erklärungen ernst sei — die Sozialdemokraten nur für gewisse Kriegs¬
arten und gegen gewisse Gegner zu haben? Und ferner: Dürfen wir den mit¬
geteilten Erklärungen Glauben schenken?

Zur Beantwortung der letzten Frage wird es nötig, die Stellung der
Sozialdemokraten zu dem Kriege, dem Vaterland und dem obersten Kriegsherrn
ins Auge zu fassen und uns weiter zu fragen, ob ihre große Masse hinter den
Führern steht. Auch bleibt zu erörtern, was der sozialdemokratische Soldat an
sich wert ist.


2. Unter welchen Bedingungen wollen die Sozialdemokraten marschieren?

In bezug auf diese Frage ist beachtenswert, daß bei allen Äußerungen
der sozialistischen Führer ein Hauptnachdruck auf das Wort „Verteidigungs¬
krieg" gelegt wird. Nur den wollen sie — nach außen hin wenigstens -


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[0365] Werden die Sozialdemokraten marschieren? legenden, die übrige Gesellschaft umzugestalten. So weit sind wir aber leider noch nicht. Also . . . wenn nun doch Krieg ausbräche und Sie an der Landesgrenze sich Herrn Guesde gegenüber befänden, würden Sie schießen? Ich denke, dazu wird es nicht kommen. Wir sind wohl beide zu alt, um. .. Aber gesetzt den Fall, es käme dazu? Nun, so würde ich schießen. Das wäre zwar ein Unglück, aber gleich¬ viel ... wie gesagt, ich wäre dazu gezwungen!" Die vorstehenden Auslassungen sind besonders lehrreich, weil sich der in diesem Punkte immer vorsichtige Bebel an andern Stellen wesentlich verschlossener ausgedrückt hat. Im Reichstage sagte er am 4. Mai 1893, ganz ähnlich wie vor kurzem wieder: „Aber wenn auswärtige Feinde Deutschland angreifen und einen Teil seines Gebiets zu erobern versuchen sollten, so würden auch wir Sozialdemokraten das nicht dulden. Denn nur wenn Deutschland in seinem vollen Umfang erhalten wird, ist es ihm möglich, seine Kulturaufgabe zu erfüllen." Schöne Worte, und im Grunde genommen dieselben, die Bebel auch im vergangnen Mürz im deutschen Reichstage sprach. Wenigstens beim Ver¬ teidigungskriege behaupten die Sozialdemokraten also zum Mittnn bereit zu sein. Das wäre schon etwas, und wenn diese Erklärungen wirklich die Herzens¬ meinung der Genossen wiedergäben, so könnte man ihnen zwar eine überaus engherzig beschränkte Auffassung des Gedankens der Landesverteidigung zum Vorwurf machen, aber man würde nicht berechtigt sein, von ihnen als von einer „Rotte Menschen zu reden, die nicht wert seien, den Namen Deutscher zu tragen." Es ist wesentlich der Zweck dieser Erörterungen, mit Benutzung von weiteren Material zu untersuchen, ob die Sozialdemokraten es mit solchen Äußerungen ehrlich meinen, oder ob sie ans opportunistischen Gründen, in „jesuitischer" Weise, gegen ihre innere Meinung reden? mit einem Worte, ob sie unter be¬ sondern Verhältnissen wirklich marschieren und ob sie dies bereitwillig oder nur notgedrungen tun werden. Dabei drängen sich die folgenden Fragen auf: sind — unter der vorläufigen Annahme, daß es den Führern mit den ab¬ gegebneu Erklärungen ernst sei — die Sozialdemokraten nur für gewisse Kriegs¬ arten und gegen gewisse Gegner zu haben? Und ferner: Dürfen wir den mit¬ geteilten Erklärungen Glauben schenken? Zur Beantwortung der letzten Frage wird es nötig, die Stellung der Sozialdemokraten zu dem Kriege, dem Vaterland und dem obersten Kriegsherrn ins Auge zu fassen und uns weiter zu fragen, ob ihre große Masse hinter den Führern steht. Auch bleibt zu erörtern, was der sozialdemokratische Soldat an sich wert ist. 2. Unter welchen Bedingungen wollen die Sozialdemokraten marschieren? In bezug auf diese Frage ist beachtenswert, daß bei allen Äußerungen der sozialistischen Führer ein Hauptnachdruck auf das Wort „Verteidigungs¬ krieg" gelegt wird. Nur den wollen sie — nach außen hin wenigstens -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/365>, abgerufen am 03.07.2024.