Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.Ver oberösterreichische Biineriiciiifst^ut fallen war, aber sie spricht nicht mit Verachtung von ihm, denn er war ein Der große Krieg hatte die österreichische Monarchie geschaffen, die aber Nur schwer laßt sich die geistige Blüte eines Volkes wieder ausziehn. Grenzboten IV 1904 35
Ver oberösterreichische Biineriiciiifst^ut fallen war, aber sie spricht nicht mit Verachtung von ihm, denn er war ein Der große Krieg hatte die österreichische Monarchie geschaffen, die aber Nur schwer laßt sich die geistige Blüte eines Volkes wieder ausziehn. Grenzboten IV 1904 35
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Ver oberösterreichische Biineriiciiifst^ut
fallen war, aber sie spricht nicht mit Verachtung von ihm, denn er war ein
ehrlicher Kriegsmann und nicht schuld, daß die von ihm zur Beschwichtigung
gegebnen Versprechungen von andern nicht gehalten worden sind.
Der große Krieg hatte die österreichische Monarchie geschaffen, die aber
zugleich aus dem Deutschen Reiche hinausgewachsen war, denn die Mehrzahl
der Mitglieder des Reiches sah sie, ebenso wie die Schweden, als eine halb¬
fremde Macht an. Trotzdem bestand das alte historische Band noch über zwei¬
hundert Jahre weiter, bis die größte Entscheidungsschlacht des vergangnen
Jahrhunderts, die von Königgrätz, neue politische Klarheit brachte. Die
Brechung der Macht der Staude in Österreich war nötig, zum Einheitsstaat
und zur Großmnchtstellung zu gelangen, sie vollzog sich auch in England
und in Frankreich in ähnlicher Weise; die tief einwirkende Beimischung religiöser
Bestrebungen lag in den Zeitströmungcu. War schon das Wahlkaisertum
zum politischen Widersinn geworden, weil es den Kaiser jeder politischen Ini¬
tiative beraubte, so brachte die Verpflichtung der Fürsten, vor der Huldigung
die Vorrechte der Stände zu bestätigen, nicht bloß eine Schmälerung der Stants-
autorität mit sich, sondern war auch ein Hindernis jedes staatlichen Fortschritts.
Jede soziale Änderung wurde dadurch unmöglich gemacht, und tatsächlich ist
die Befreiung und die Hebung des Bauernstandes überall erst Schritt für
Schritt mit der Beseitigung der Standesvorrechte vorwärts gegangen. Ob es
aber auch nötig war, mit der Brechung der Macht der Stände eine mit den
härtesten Gewaltmitteln durchgeführte und die Leute zur Verzweiflung treibende
Gegenreformation zu verbinde», darüber ist uoch heute keine einheitliche Meinung
vorhanden. Die Neligionseiuheit hat unstreitig viel zur Förderung der Staats¬
einheit in Österreich beigetragen, aber dieser Vorteil ist durch den schweren
Verlust, der namentlich die deutsche Bevölkerung, aber auch die tschechische, traf,
teuer erkauft wordeu. Es waren sicher die Tüchtigsten, die selbständige« und
denkenden Köpfe, die eigentlichen Führer des Volkes, die an der Spitze ihrer
Landsleute für ihre» Glauben fielen, hingerichtet wurden, im Kerker starben,
heimlich oder nach Opferung des zehnten Teiles ihres Vermögens das Land
verließen. Die Zurückgebliebnen bestanden aus klug rechnenden Leuten, aus
Fügsamen und Schwachen, schließlich ans armen Teufeln. Die Folge davon hat
sich zwei Jahrhunderte laug in der tiefen Politischen Ruhe der kaiserlichen Erb-
länder gezeigt, die man mit Unrecht politischem und kirchlichem Druck allein
zugeschrieben hat. Die Bevölkerung hat weder Druck noch Anregung von
außen empfunden, weil ihre Kraft gebrochen war, weil sie keine Nachkommenschaft
führender Geister hatte. Was die ungebrochne Kraft eines deutschen Volks¬
stammes vermag, bewiesen 1809 die Tiroler, auf denen doch der angebliche Druck
am längsten gelastet haben mußte; ihre Taten sind auch ebenso im deutschen
Liede besungen worden wie die Leistungen nördlicher deutscher Provinzen, wo
sich Alt und Jung unter die Waffen reihte zur Befreiung des Vaterlandes.
Nur schwer laßt sich die geistige Blüte eines Volkes wieder ausziehn.
Auch das übrige Deutschland war um dreiviertel seiner Bevölkerung gebracht
worden, aber es lebten doch noch viele, die an großen Kämpfen führend teil¬
genommen hatten, sich dessen bewußt blieben und diesen Geist vererbten, der in
Grenzboten IV 1904 35
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