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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksinseln und Träume

nie gewußt, wie müde die weithin hallenden Töne in solchem Wellenlnnde klingen.
Der Westwind trug nus dem Hardtwald dann und wann einen Schuß herüber,
der dem Reh, das er traf, scharf ins Ohr geklungen haben mochte; zu mir kam
er verhallend, fast verhaucheud, wobei mich die verhallende Melodie eines alten
Liedes umstimmte: Vom Eichenwald die Stimme schallt, so fern, so fern, so fern.
Und so flog das Rasseln der Eisenbahn, auf deren Lokomotive sich meine Gedanken
schwangen, um sie immer und immer wieder heimwärts zu lenken, wie eine Kette
Von müden Windstößen widerwillig hoch durch die Luft, und jeder Naubvogelruf
klang wie ein Klagen. Nahrung für mich! Das Fttdleiu Fremdsein nud Allein¬
sein fand kein Ende; ich spann zu allen ruhigen Stunden daran fort, es war ein
düster-schönes Gefallen an diesem planlosen Phantasieren, das mich selbst immer
tiefer einspann und alle Menschen um mich her draußen ließ, während dieselben
Fäden, die ich mir ums Haupt zog, die Bäume und die Pflanzen, die Wolken
und die Sterne mit umspannen und an mich heranzogen. Dieses willkürliche Aus¬
sondern des Nahen und Heranziehen des Fernen, dieses Vergesellschaften und Be¬
freunden mit einer fernen reichen Welt war nun im Grunde doch nur ein
beschönigendes Ausstaffieren der selbstgewollten Einsamkeit. Aber es war immerhin
ein Sichverbinden mit einer lebendigen Wirklichkeit, das mir manchmal das Gefühl
eines unerschöpflichen Reichtums gab. Ich ahmte den jungen Wvrdsworth nach,
von dem ich einmal gelesen hatte, er habe in seiner träumerischen Periode eine solche
Kraft des Sichhinausversetzens aus der Wirklichkeit gehabt, daß er auf Spazier-
güngen plötzlich einen Baum umarmt habe, um sich zu versichern, daß er noch
in der Welt sei. Das gelbe Blatt, das mir durch die Herbstluft zuschwebte, sagte.
Siehe die reiche Welt um dich her, öffne deine Seele, sie ist dein.

Die Welt war in dieser Zeit voller Wunder für mich, und ich hätte insofern
glücklich sein können, als ich jede halbe Stunde einen Schatz heben konnte. Jedes
späte verkümmerte Gänseblümchen am Wege, jedes verwehte Herbstblatt, das einen
roten Fleck trug, schien mir zu sagen: Ich bin für dich da, staune mich um,
pflücke mich, trage mich in deine Schatzkammer. Solcher Wunderglaube ist mir
für den, der ihn hegt, und wehe ihm, wenn er Kunde davon über den engsten
Bereich seines Seelenlebens gelangen läßt. Als einst ein Glas hellgelben Weines
vor mir stand, bei dessen kristallnem Glanz mich der Gedanke befiel, ob das wohl
dieselbe Farbe und dasselbe Licht sei, die der liebe Gott in den Topas gelegt hat,
hob ich das Glas, um dieses Feuer gleichsam mit den Augen zu schlürfen. Aber
rasch setzte ich es nieder, als die Stimme der Schraube scheltend über den Tisch
klang: Der Wein ist dir wohl nicht gut genug, daß du ihn so zweifelnd an¬
schaust? Zweifel, v Gott! Nichts war mir in diesem Augenblick ferner als
Zweifel; danken hatte ich dem lieben Gott wollen, daß er etwas so Schönes ge¬
schaffen hat. Aber ich konnte davon nichts verlauten lassen, mußte schweigen.
Und da mir nun das Herz in der Kehle schlug, brachte ich keinen Tropfen
hinunter, was mir nun erst recht übel gedeutet wurde. Und so kam es, daß ich
zum Dank für mein Anstauueu des Wunders des Schöpfers im gelben hellen
Wein längere Zeit keinen Wein mehr zu sehen bekam. Ich hatte, wenn die
andern ihre Gläser leerten, Zeit, darüber nachzudenken, daß sich der Urvater Noah
einer lebhaftem Anerkennung seiner Weinfreude erfreut hatte als ich, und da ich
gerade von dem Nachteil gelesen hatte, worin die Epigonen gegenüber den Vor¬
fahren zu sein pflegten, fühlte ich mich als Epigone, fand Wort und Stellung
schön und sog daraus Trost für "entgangnen" Genuß der Kristallhelle des Weines.
Wie, dachte ich, wenn ich nun erst der Schraube sagen würde, ich verzichtete gern
darauf, den Wein zu trinken, wenn man mir erlaubte, mich nur an seiner Farbe
zu erfreuen wie an einem glänzenden Kristall? Ich glaube, sie hätten mich für
einen Narren gehalten.

Es war ein seltsames Doppeltleben, von dein ich zwar recht Wohl fühlte, daß
es, wie alles Doppeltselige, nicht bestimmt war zu dauern, in das ich mich aber


Glücksinseln und Träume

nie gewußt, wie müde die weithin hallenden Töne in solchem Wellenlnnde klingen.
Der Westwind trug nus dem Hardtwald dann und wann einen Schuß herüber,
der dem Reh, das er traf, scharf ins Ohr geklungen haben mochte; zu mir kam
er verhallend, fast verhaucheud, wobei mich die verhallende Melodie eines alten
Liedes umstimmte: Vom Eichenwald die Stimme schallt, so fern, so fern, so fern.
Und so flog das Rasseln der Eisenbahn, auf deren Lokomotive sich meine Gedanken
schwangen, um sie immer und immer wieder heimwärts zu lenken, wie eine Kette
Von müden Windstößen widerwillig hoch durch die Luft, und jeder Naubvogelruf
klang wie ein Klagen. Nahrung für mich! Das Fttdleiu Fremdsein nud Allein¬
sein fand kein Ende; ich spann zu allen ruhigen Stunden daran fort, es war ein
düster-schönes Gefallen an diesem planlosen Phantasieren, das mich selbst immer
tiefer einspann und alle Menschen um mich her draußen ließ, während dieselben
Fäden, die ich mir ums Haupt zog, die Bäume und die Pflanzen, die Wolken
und die Sterne mit umspannen und an mich heranzogen. Dieses willkürliche Aus¬
sondern des Nahen und Heranziehen des Fernen, dieses Vergesellschaften und Be¬
freunden mit einer fernen reichen Welt war nun im Grunde doch nur ein
beschönigendes Ausstaffieren der selbstgewollten Einsamkeit. Aber es war immerhin
ein Sichverbinden mit einer lebendigen Wirklichkeit, das mir manchmal das Gefühl
eines unerschöpflichen Reichtums gab. Ich ahmte den jungen Wvrdsworth nach,
von dem ich einmal gelesen hatte, er habe in seiner träumerischen Periode eine solche
Kraft des Sichhinausversetzens aus der Wirklichkeit gehabt, daß er auf Spazier-
güngen plötzlich einen Baum umarmt habe, um sich zu versichern, daß er noch
in der Welt sei. Das gelbe Blatt, das mir durch die Herbstluft zuschwebte, sagte.
Siehe die reiche Welt um dich her, öffne deine Seele, sie ist dein.

Die Welt war in dieser Zeit voller Wunder für mich, und ich hätte insofern
glücklich sein können, als ich jede halbe Stunde einen Schatz heben konnte. Jedes
späte verkümmerte Gänseblümchen am Wege, jedes verwehte Herbstblatt, das einen
roten Fleck trug, schien mir zu sagen: Ich bin für dich da, staune mich um,
pflücke mich, trage mich in deine Schatzkammer. Solcher Wunderglaube ist mir
für den, der ihn hegt, und wehe ihm, wenn er Kunde davon über den engsten
Bereich seines Seelenlebens gelangen läßt. Als einst ein Glas hellgelben Weines
vor mir stand, bei dessen kristallnem Glanz mich der Gedanke befiel, ob das wohl
dieselbe Farbe und dasselbe Licht sei, die der liebe Gott in den Topas gelegt hat,
hob ich das Glas, um dieses Feuer gleichsam mit den Augen zu schlürfen. Aber
rasch setzte ich es nieder, als die Stimme der Schraube scheltend über den Tisch
klang: Der Wein ist dir wohl nicht gut genug, daß du ihn so zweifelnd an¬
schaust? Zweifel, v Gott! Nichts war mir in diesem Augenblick ferner als
Zweifel; danken hatte ich dem lieben Gott wollen, daß er etwas so Schönes ge¬
schaffen hat. Aber ich konnte davon nichts verlauten lassen, mußte schweigen.
Und da mir nun das Herz in der Kehle schlug, brachte ich keinen Tropfen
hinunter, was mir nun erst recht übel gedeutet wurde. Und so kam es, daß ich
zum Dank für mein Anstauueu des Wunders des Schöpfers im gelben hellen
Wein längere Zeit keinen Wein mehr zu sehen bekam. Ich hatte, wenn die
andern ihre Gläser leerten, Zeit, darüber nachzudenken, daß sich der Urvater Noah
einer lebhaftem Anerkennung seiner Weinfreude erfreut hatte als ich, und da ich
gerade von dem Nachteil gelesen hatte, worin die Epigonen gegenüber den Vor¬
fahren zu sein pflegten, fühlte ich mich als Epigone, fand Wort und Stellung
schön und sog daraus Trost für „entgangnen" Genuß der Kristallhelle des Weines.
Wie, dachte ich, wenn ich nun erst der Schraube sagen würde, ich verzichtete gern
darauf, den Wein zu trinken, wenn man mir erlaubte, mich nur an seiner Farbe
zu erfreuen wie an einem glänzenden Kristall? Ich glaube, sie hätten mich für
einen Narren gehalten.

Es war ein seltsames Doppeltleben, von dein ich zwar recht Wohl fühlte, daß
es, wie alles Doppeltselige, nicht bestimmt war zu dauern, in das ich mich aber


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[0163] Glücksinseln und Träume nie gewußt, wie müde die weithin hallenden Töne in solchem Wellenlnnde klingen. Der Westwind trug nus dem Hardtwald dann und wann einen Schuß herüber, der dem Reh, das er traf, scharf ins Ohr geklungen haben mochte; zu mir kam er verhallend, fast verhaucheud, wobei mich die verhallende Melodie eines alten Liedes umstimmte: Vom Eichenwald die Stimme schallt, so fern, so fern, so fern. Und so flog das Rasseln der Eisenbahn, auf deren Lokomotive sich meine Gedanken schwangen, um sie immer und immer wieder heimwärts zu lenken, wie eine Kette Von müden Windstößen widerwillig hoch durch die Luft, und jeder Naubvogelruf klang wie ein Klagen. Nahrung für mich! Das Fttdleiu Fremdsein nud Allein¬ sein fand kein Ende; ich spann zu allen ruhigen Stunden daran fort, es war ein düster-schönes Gefallen an diesem planlosen Phantasieren, das mich selbst immer tiefer einspann und alle Menschen um mich her draußen ließ, während dieselben Fäden, die ich mir ums Haupt zog, die Bäume und die Pflanzen, die Wolken und die Sterne mit umspannen und an mich heranzogen. Dieses willkürliche Aus¬ sondern des Nahen und Heranziehen des Fernen, dieses Vergesellschaften und Be¬ freunden mit einer fernen reichen Welt war nun im Grunde doch nur ein beschönigendes Ausstaffieren der selbstgewollten Einsamkeit. Aber es war immerhin ein Sichverbinden mit einer lebendigen Wirklichkeit, das mir manchmal das Gefühl eines unerschöpflichen Reichtums gab. Ich ahmte den jungen Wvrdsworth nach, von dem ich einmal gelesen hatte, er habe in seiner träumerischen Periode eine solche Kraft des Sichhinausversetzens aus der Wirklichkeit gehabt, daß er auf Spazier- güngen plötzlich einen Baum umarmt habe, um sich zu versichern, daß er noch in der Welt sei. Das gelbe Blatt, das mir durch die Herbstluft zuschwebte, sagte. Siehe die reiche Welt um dich her, öffne deine Seele, sie ist dein. Die Welt war in dieser Zeit voller Wunder für mich, und ich hätte insofern glücklich sein können, als ich jede halbe Stunde einen Schatz heben konnte. Jedes späte verkümmerte Gänseblümchen am Wege, jedes verwehte Herbstblatt, das einen roten Fleck trug, schien mir zu sagen: Ich bin für dich da, staune mich um, pflücke mich, trage mich in deine Schatzkammer. Solcher Wunderglaube ist mir für den, der ihn hegt, und wehe ihm, wenn er Kunde davon über den engsten Bereich seines Seelenlebens gelangen läßt. Als einst ein Glas hellgelben Weines vor mir stand, bei dessen kristallnem Glanz mich der Gedanke befiel, ob das wohl dieselbe Farbe und dasselbe Licht sei, die der liebe Gott in den Topas gelegt hat, hob ich das Glas, um dieses Feuer gleichsam mit den Augen zu schlürfen. Aber rasch setzte ich es nieder, als die Stimme der Schraube scheltend über den Tisch klang: Der Wein ist dir wohl nicht gut genug, daß du ihn so zweifelnd an¬ schaust? Zweifel, v Gott! Nichts war mir in diesem Augenblick ferner als Zweifel; danken hatte ich dem lieben Gott wollen, daß er etwas so Schönes ge¬ schaffen hat. Aber ich konnte davon nichts verlauten lassen, mußte schweigen. Und da mir nun das Herz in der Kehle schlug, brachte ich keinen Tropfen hinunter, was mir nun erst recht übel gedeutet wurde. Und so kam es, daß ich zum Dank für mein Anstauueu des Wunders des Schöpfers im gelben hellen Wein längere Zeit keinen Wein mehr zu sehen bekam. Ich hatte, wenn die andern ihre Gläser leerten, Zeit, darüber nachzudenken, daß sich der Urvater Noah einer lebhaftem Anerkennung seiner Weinfreude erfreut hatte als ich, und da ich gerade von dem Nachteil gelesen hatte, worin die Epigonen gegenüber den Vor¬ fahren zu sein pflegten, fühlte ich mich als Epigone, fand Wort und Stellung schön und sog daraus Trost für „entgangnen" Genuß der Kristallhelle des Weines. Wie, dachte ich, wenn ich nun erst der Schraube sagen würde, ich verzichtete gern darauf, den Wein zu trinken, wenn man mir erlaubte, mich nur an seiner Farbe zu erfreuen wie an einem glänzenden Kristall? Ich glaube, sie hätten mich für einen Narren gehalten. Es war ein seltsames Doppeltleben, von dein ich zwar recht Wohl fühlte, daß es, wie alles Doppeltselige, nicht bestimmt war zu dauern, in das ich mich aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/163>, abgerufen am 29.06.2024.