Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Glücksmseln und Träume

alten Mütterchens zu mischen, und als dürfte ich dieses Glück nicht von mir
stoßen. In einem Augenblick lag ich dort vor dem Sofa, das Gesicht auf ihren
Knien, und aller Schmerz war weg, als ich diese lieben Hände fühlte, die sich
an Wangen und Ohren überzeugten, daß ich es sei. Ich glaubte auch einen
Augenblick die schwere Hand meines Vaters auf meinem Haupte zu fühlen, die ich
wohl kannte; aber sie zog sich rasch wieder zurück. Ich dachte nichts als: nicht
von hier weggehn, beisammen bleiben, so kniend oder kauernd, selbst hundeartig
unter dem Sofa, nur bleiben. Es dauerte aber leider doch nicht lange, da stand
ich wieder aufrecht, mein Vater und meine Mutter hielten meine Hände in den
ihren, die Schraube und die Landkarte waren verschwunden, ich weinte nicht mehr,
doch war es mir viel weher zumute, so wie wenn man das Wort: Ich meinte,
ich müßte vergehn, wörtlich nimmt. Ich hörte Ermahnungen und versprach, was
man wollte, aber in meinem Innern wunderte ich mich, wann ich eigentlich ver¬
gehn ^ ^
" , versinken sollte.

Unser Land besteht aus gelblichem Keuperscmdstein, der ziemlich weich, und
aus schiefrigem Ton, der sehr weich ist; deshalb steigt man beständig rundliche
Hügel hinan, die nicht sehr hoch, und breite Mulden hinab, die nicht sehr tief
sind. In den Mulden gehn stille Bäche unter Erlen über grüne, wohldrainierte
Wiesen, an ihnen ziehn sich Dörfchen von mäßiger Größe hin, an den Hängen
liegen die Felder, und oben stehn dunkle Wälder mit ganz geraden Rändern. Es
ist eine weiche, liebliche Welt, für den Menschen wie gemacht, dem sie keine großen
Beschwerden entgegensetzt, und diese Welt besteht wieder aus ebensovielen kleinen
Welten, als Dörfer sich um Kirchtürme gesammelt haben, jede von der andern
so weit entfernt, daß sich die Herren Pfarrer und andre, die übrige Zeit haben,
bequem an schönen Nachmittagen besuchen können. Oben auf den Höhen laufen
die bequemen Landstraßen, unten in den Tälern die lauschigen Fußwege, die
diese kleinen Welten untereinander und mit der weitern Welt draußen verbinden.
An den Landstraßen stehn große Obstbäume und längs den Fußwegen an den
Bächen Erlen, deren Blätter fast schwarzgrün und glänzend sind, und wo Wege
über Wiesen führen, Hecken, die Brombeere und Waldrebe dicht überspannen haben.
Es liegt in der Natur eines solchen Landes, daß es viele idyllische Winkel hat,
und die Menschen, die sich darin angesiedelt haben, haben viele Jahrhunderte lang
dazu beigetragen, solche Winkel zu hegen und zu vermehren. Sie wissen, daß
das schön ist und wohl tut, reden aber nicht davon; es muß so sein.

Als ich unter dem großen Nußbaum oben auf der Höhe stand, die die
Landstraße überschreitet, und den grünen Stellwagen in einer Staubwolke hinunter¬
rollen sah, der meine Eltern von mir wegtrug, empfand ich das Menschenfreund¬
liche dieser Landschaft nicht sogleich, meinte vielmehr zu fühlen, daß dieses Hinunter¬
rollen besonders grausam sei. Hätte ich dem Wagen auf ebner Straße lange
nachschauen können, wäre die Trennung leichter gewesen. Aber so mußte er im
Nu in der Mulde dort unter verschwinden, man konnte es berechnen; und nun
rollte er wohl schon in dem Dorfe, dessen Turmspitze ich über den Bäumen noch
eben auftauchen sehe. Aber schon meinen ersten Blick, als ich mich wandte, um
dem Dorfe zuzuschreiten, das meine Heimat für Jahre sein sollte, traf ein ver¬
söhnendes Bild: ein hohes Kreuz aus Stein, ohne den Gekreuzigten zwar, aber
mit einem Weihespruch auf dem Sockel, und auf dem Rand des Sockels stand ein
weißes geblümtes Töpfchen mit einem Strauß der lilafarbnen kleinen Astern, wie sie
in Strichen dieser Gegend im Herbste blühn. Dieses einfache Kreuz mit seinem
frommen Spruch und der bescheiden schönen Opfergabe irgend eines kindlichen
Gemüts machte damals einen großen Eindruck auf mich, und auch heute noch steht
es in meiner Erinnerung als ein Sinnbild der Erhabenheit eines einfachen
Glaubens, der nicht viel Schmuck und Farbe nötig hat. Auf der andern Seite
des Weges ging es eben in einen kleinen Steinbruch hinein, wo schöne gelbe


Glücksmseln und Träume

alten Mütterchens zu mischen, und als dürfte ich dieses Glück nicht von mir
stoßen. In einem Augenblick lag ich dort vor dem Sofa, das Gesicht auf ihren
Knien, und aller Schmerz war weg, als ich diese lieben Hände fühlte, die sich
an Wangen und Ohren überzeugten, daß ich es sei. Ich glaubte auch einen
Augenblick die schwere Hand meines Vaters auf meinem Haupte zu fühlen, die ich
wohl kannte; aber sie zog sich rasch wieder zurück. Ich dachte nichts als: nicht
von hier weggehn, beisammen bleiben, so kniend oder kauernd, selbst hundeartig
unter dem Sofa, nur bleiben. Es dauerte aber leider doch nicht lange, da stand
ich wieder aufrecht, mein Vater und meine Mutter hielten meine Hände in den
ihren, die Schraube und die Landkarte waren verschwunden, ich weinte nicht mehr,
doch war es mir viel weher zumute, so wie wenn man das Wort: Ich meinte,
ich müßte vergehn, wörtlich nimmt. Ich hörte Ermahnungen und versprach, was
man wollte, aber in meinem Innern wunderte ich mich, wann ich eigentlich ver¬
gehn ^ ^
» , versinken sollte.

Unser Land besteht aus gelblichem Keuperscmdstein, der ziemlich weich, und
aus schiefrigem Ton, der sehr weich ist; deshalb steigt man beständig rundliche
Hügel hinan, die nicht sehr hoch, und breite Mulden hinab, die nicht sehr tief
sind. In den Mulden gehn stille Bäche unter Erlen über grüne, wohldrainierte
Wiesen, an ihnen ziehn sich Dörfchen von mäßiger Größe hin, an den Hängen
liegen die Felder, und oben stehn dunkle Wälder mit ganz geraden Rändern. Es
ist eine weiche, liebliche Welt, für den Menschen wie gemacht, dem sie keine großen
Beschwerden entgegensetzt, und diese Welt besteht wieder aus ebensovielen kleinen
Welten, als Dörfer sich um Kirchtürme gesammelt haben, jede von der andern
so weit entfernt, daß sich die Herren Pfarrer und andre, die übrige Zeit haben,
bequem an schönen Nachmittagen besuchen können. Oben auf den Höhen laufen
die bequemen Landstraßen, unten in den Tälern die lauschigen Fußwege, die
diese kleinen Welten untereinander und mit der weitern Welt draußen verbinden.
An den Landstraßen stehn große Obstbäume und längs den Fußwegen an den
Bächen Erlen, deren Blätter fast schwarzgrün und glänzend sind, und wo Wege
über Wiesen führen, Hecken, die Brombeere und Waldrebe dicht überspannen haben.
Es liegt in der Natur eines solchen Landes, daß es viele idyllische Winkel hat,
und die Menschen, die sich darin angesiedelt haben, haben viele Jahrhunderte lang
dazu beigetragen, solche Winkel zu hegen und zu vermehren. Sie wissen, daß
das schön ist und wohl tut, reden aber nicht davon; es muß so sein.

Als ich unter dem großen Nußbaum oben auf der Höhe stand, die die
Landstraße überschreitet, und den grünen Stellwagen in einer Staubwolke hinunter¬
rollen sah, der meine Eltern von mir wegtrug, empfand ich das Menschenfreund¬
liche dieser Landschaft nicht sogleich, meinte vielmehr zu fühlen, daß dieses Hinunter¬
rollen besonders grausam sei. Hätte ich dem Wagen auf ebner Straße lange
nachschauen können, wäre die Trennung leichter gewesen. Aber so mußte er im
Nu in der Mulde dort unter verschwinden, man konnte es berechnen; und nun
rollte er wohl schon in dem Dorfe, dessen Turmspitze ich über den Bäumen noch
eben auftauchen sehe. Aber schon meinen ersten Blick, als ich mich wandte, um
dem Dorfe zuzuschreiten, das meine Heimat für Jahre sein sollte, traf ein ver¬
söhnendes Bild: ein hohes Kreuz aus Stein, ohne den Gekreuzigten zwar, aber
mit einem Weihespruch auf dem Sockel, und auf dem Rand des Sockels stand ein
weißes geblümtes Töpfchen mit einem Strauß der lilafarbnen kleinen Astern, wie sie
in Strichen dieser Gegend im Herbste blühn. Dieses einfache Kreuz mit seinem
frommen Spruch und der bescheiden schönen Opfergabe irgend eines kindlichen
Gemüts machte damals einen großen Eindruck auf mich, und auch heute noch steht
es in meiner Erinnerung als ein Sinnbild der Erhabenheit eines einfachen
Glaubens, der nicht viel Schmuck und Farbe nötig hat. Auf der andern Seite
des Weges ging es eben in einen kleinen Steinbruch hinein, wo schöne gelbe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0161" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295380"/>
            <fw type="header" place="top"> Glücksmseln und Träume</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_734" prev="#ID_733"> alten Mütterchens zu mischen, und als dürfte ich dieses Glück nicht von mir<lb/>
stoßen. In einem Augenblick lag ich dort vor dem Sofa, das Gesicht auf ihren<lb/>
Knien, und aller Schmerz war weg, als ich diese lieben Hände fühlte, die sich<lb/>
an Wangen und Ohren überzeugten, daß ich es sei. Ich glaubte auch einen<lb/>
Augenblick die schwere Hand meines Vaters auf meinem Haupte zu fühlen, die ich<lb/>
wohl kannte; aber sie zog sich rasch wieder zurück. Ich dachte nichts als: nicht<lb/>
von hier weggehn, beisammen bleiben, so kniend oder kauernd, selbst hundeartig<lb/>
unter dem Sofa, nur bleiben. Es dauerte aber leider doch nicht lange, da stand<lb/>
ich wieder aufrecht, mein Vater und meine Mutter hielten meine Hände in den<lb/>
ihren, die Schraube und die Landkarte waren verschwunden, ich weinte nicht mehr,<lb/>
doch war es mir viel weher zumute, so wie wenn man das Wort: Ich meinte,<lb/>
ich müßte vergehn, wörtlich nimmt. Ich hörte Ermahnungen und versprach, was<lb/>
man wollte, aber in meinem Innern wunderte ich mich, wann ich eigentlich ver¬<lb/>
gehn ^ ^<lb/>
» , versinken sollte. </p><lb/>
            <p xml:id="ID_735"> Unser Land besteht aus gelblichem Keuperscmdstein, der ziemlich weich, und<lb/>
aus schiefrigem Ton, der sehr weich ist; deshalb steigt man beständig rundliche<lb/>
Hügel hinan, die nicht sehr hoch, und breite Mulden hinab, die nicht sehr tief<lb/>
sind. In den Mulden gehn stille Bäche unter Erlen über grüne, wohldrainierte<lb/>
Wiesen, an ihnen ziehn sich Dörfchen von mäßiger Größe hin, an den Hängen<lb/>
liegen die Felder, und oben stehn dunkle Wälder mit ganz geraden Rändern. Es<lb/>
ist eine weiche, liebliche Welt, für den Menschen wie gemacht, dem sie keine großen<lb/>
Beschwerden entgegensetzt, und diese Welt besteht wieder aus ebensovielen kleinen<lb/>
Welten, als Dörfer sich um Kirchtürme gesammelt haben, jede von der andern<lb/>
so weit entfernt, daß sich die Herren Pfarrer und andre, die übrige Zeit haben,<lb/>
bequem an schönen Nachmittagen besuchen können. Oben auf den Höhen laufen<lb/>
die bequemen Landstraßen, unten in den Tälern die lauschigen Fußwege, die<lb/>
diese kleinen Welten untereinander und mit der weitern Welt draußen verbinden.<lb/>
An den Landstraßen stehn große Obstbäume und längs den Fußwegen an den<lb/>
Bächen Erlen, deren Blätter fast schwarzgrün und glänzend sind, und wo Wege<lb/>
über Wiesen führen, Hecken, die Brombeere und Waldrebe dicht überspannen haben.<lb/>
Es liegt in der Natur eines solchen Landes, daß es viele idyllische Winkel hat,<lb/>
und die Menschen, die sich darin angesiedelt haben, haben viele Jahrhunderte lang<lb/>
dazu beigetragen, solche Winkel zu hegen und zu vermehren. Sie wissen, daß<lb/>
das schön ist und wohl tut, reden aber nicht davon; es muß so sein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_736" next="#ID_737"> Als ich unter dem großen Nußbaum oben auf der Höhe stand, die die<lb/>
Landstraße überschreitet, und den grünen Stellwagen in einer Staubwolke hinunter¬<lb/>
rollen sah, der meine Eltern von mir wegtrug, empfand ich das Menschenfreund¬<lb/>
liche dieser Landschaft nicht sogleich, meinte vielmehr zu fühlen, daß dieses Hinunter¬<lb/>
rollen besonders grausam sei. Hätte ich dem Wagen auf ebner Straße lange<lb/>
nachschauen können, wäre die Trennung leichter gewesen. Aber so mußte er im<lb/>
Nu in der Mulde dort unter verschwinden, man konnte es berechnen; und nun<lb/>
rollte er wohl schon in dem Dorfe, dessen Turmspitze ich über den Bäumen noch<lb/>
eben auftauchen sehe. Aber schon meinen ersten Blick, als ich mich wandte, um<lb/>
dem Dorfe zuzuschreiten, das meine Heimat für Jahre sein sollte, traf ein ver¬<lb/>
söhnendes Bild: ein hohes Kreuz aus Stein, ohne den Gekreuzigten zwar, aber<lb/>
mit einem Weihespruch auf dem Sockel, und auf dem Rand des Sockels stand ein<lb/>
weißes geblümtes Töpfchen mit einem Strauß der lilafarbnen kleinen Astern, wie sie<lb/>
in Strichen dieser Gegend im Herbste blühn. Dieses einfache Kreuz mit seinem<lb/>
frommen Spruch und der bescheiden schönen Opfergabe irgend eines kindlichen<lb/>
Gemüts machte damals einen großen Eindruck auf mich, und auch heute noch steht<lb/>
es in meiner Erinnerung als ein Sinnbild der Erhabenheit eines einfachen<lb/>
Glaubens, der nicht viel Schmuck und Farbe nötig hat. Auf der andern Seite<lb/>
des Weges ging es eben in einen kleinen Steinbruch hinein, wo schöne gelbe</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0161] Glücksmseln und Träume alten Mütterchens zu mischen, und als dürfte ich dieses Glück nicht von mir stoßen. In einem Augenblick lag ich dort vor dem Sofa, das Gesicht auf ihren Knien, und aller Schmerz war weg, als ich diese lieben Hände fühlte, die sich an Wangen und Ohren überzeugten, daß ich es sei. Ich glaubte auch einen Augenblick die schwere Hand meines Vaters auf meinem Haupte zu fühlen, die ich wohl kannte; aber sie zog sich rasch wieder zurück. Ich dachte nichts als: nicht von hier weggehn, beisammen bleiben, so kniend oder kauernd, selbst hundeartig unter dem Sofa, nur bleiben. Es dauerte aber leider doch nicht lange, da stand ich wieder aufrecht, mein Vater und meine Mutter hielten meine Hände in den ihren, die Schraube und die Landkarte waren verschwunden, ich weinte nicht mehr, doch war es mir viel weher zumute, so wie wenn man das Wort: Ich meinte, ich müßte vergehn, wörtlich nimmt. Ich hörte Ermahnungen und versprach, was man wollte, aber in meinem Innern wunderte ich mich, wann ich eigentlich ver¬ gehn ^ ^ » , versinken sollte. Unser Land besteht aus gelblichem Keuperscmdstein, der ziemlich weich, und aus schiefrigem Ton, der sehr weich ist; deshalb steigt man beständig rundliche Hügel hinan, die nicht sehr hoch, und breite Mulden hinab, die nicht sehr tief sind. In den Mulden gehn stille Bäche unter Erlen über grüne, wohldrainierte Wiesen, an ihnen ziehn sich Dörfchen von mäßiger Größe hin, an den Hängen liegen die Felder, und oben stehn dunkle Wälder mit ganz geraden Rändern. Es ist eine weiche, liebliche Welt, für den Menschen wie gemacht, dem sie keine großen Beschwerden entgegensetzt, und diese Welt besteht wieder aus ebensovielen kleinen Welten, als Dörfer sich um Kirchtürme gesammelt haben, jede von der andern so weit entfernt, daß sich die Herren Pfarrer und andre, die übrige Zeit haben, bequem an schönen Nachmittagen besuchen können. Oben auf den Höhen laufen die bequemen Landstraßen, unten in den Tälern die lauschigen Fußwege, die diese kleinen Welten untereinander und mit der weitern Welt draußen verbinden. An den Landstraßen stehn große Obstbäume und längs den Fußwegen an den Bächen Erlen, deren Blätter fast schwarzgrün und glänzend sind, und wo Wege über Wiesen führen, Hecken, die Brombeere und Waldrebe dicht überspannen haben. Es liegt in der Natur eines solchen Landes, daß es viele idyllische Winkel hat, und die Menschen, die sich darin angesiedelt haben, haben viele Jahrhunderte lang dazu beigetragen, solche Winkel zu hegen und zu vermehren. Sie wissen, daß das schön ist und wohl tut, reden aber nicht davon; es muß so sein. Als ich unter dem großen Nußbaum oben auf der Höhe stand, die die Landstraße überschreitet, und den grünen Stellwagen in einer Staubwolke hinunter¬ rollen sah, der meine Eltern von mir wegtrug, empfand ich das Menschenfreund¬ liche dieser Landschaft nicht sogleich, meinte vielmehr zu fühlen, daß dieses Hinunter¬ rollen besonders grausam sei. Hätte ich dem Wagen auf ebner Straße lange nachschauen können, wäre die Trennung leichter gewesen. Aber so mußte er im Nu in der Mulde dort unter verschwinden, man konnte es berechnen; und nun rollte er wohl schon in dem Dorfe, dessen Turmspitze ich über den Bäumen noch eben auftauchen sehe. Aber schon meinen ersten Blick, als ich mich wandte, um dem Dorfe zuzuschreiten, das meine Heimat für Jahre sein sollte, traf ein ver¬ söhnendes Bild: ein hohes Kreuz aus Stein, ohne den Gekreuzigten zwar, aber mit einem Weihespruch auf dem Sockel, und auf dem Rand des Sockels stand ein weißes geblümtes Töpfchen mit einem Strauß der lilafarbnen kleinen Astern, wie sie in Strichen dieser Gegend im Herbste blühn. Dieses einfache Kreuz mit seinem frommen Spruch und der bescheiden schönen Opfergabe irgend eines kindlichen Gemüts machte damals einen großen Eindruck auf mich, und auch heute noch steht es in meiner Erinnerung als ein Sinnbild der Erhabenheit eines einfachen Glaubens, der nicht viel Schmuck und Farbe nötig hat. Auf der andern Seite des Weges ging es eben in einen kleinen Steinbruch hinein, wo schöne gelbe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/161
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/161>, abgerufen am 29.09.2024.