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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Bartholomäus Sastrow

einst die Handelsartikel, mit denen die Ritter den Orient zu europäisieren
strebten. Ob es dem dreistöckigen, mit allen Erzeugnissen moderner Industrie ge¬
füllten Magazin von Rhodos besser gelingen wird als ihnen? Wenn es meistens
die Griechen sind, die jetzt diese Rolle der Vermittlung materieller Güter
zwischen zwei feindlichen Kultursphären übernommen haben, so gebührt ihnen
auch das nicht geringe Verdienst, daß sie wenigstens zeitweise in die furchtbare
geistige Stagnation der rhodischen Hauptstadt einiges Leben zu bringen suchen.
Griechische Schauspielertruppen, die im Winter den Orient durchziehn, lassen
dann ihre Kunst auch auf der alten Sonneninsel leuchten, und die Aristokratie
der Hauptstadt pilgert dann an den dunkeln Winterabenden, mit Stalllaternen
bewaffnet, zu dem Tempel des Thespis, einem geräumigen Bretterbau außer¬
halb der Stadt. Außer griechischen Possen werden auch beliebte fremde Stücke
in griechischer Übersetzung aufgeführt, und ich mußte erst bis uach dem fernen
Rhodos ziehn, um eine Komödie kennen zu lernen, die auch bei uns vor
Jahren die Gemüter erregt hat, jetzt aber bald vergessen ist: Charleys Tante!
Die übermütige Posse, die während der Zeit meines Aufenthalts wiederholt
gegeben wurde, fand großen Beifall sowohl bei den türkischen Notabeln wie
bei der griechischen Damenwelt und wurde nicht schlecht gespielt. Es war für
den Europäer ein eigentümliches Gefühl: eine englische Posse in griechischer
Sprache auf türkischem Boden! So platzen auch in Rhodos die Kulturgcgen-
sätze schon scharf aufeinander, wie überall im vordem Orient. Vielleicht kommt
auch für diese gesegnete Insel eine Zeit, wo die Sonne europäischer Kultur
wieder über ihr aufgeht und sie zu neuem, eignem Leben erweckt.

(Fortsetzung folgt)




Vartholomäus sastrow
F. Runtze vonin
(Schluß)

in 29. August, also kurz vor der Eröffnung des Reichstags, traf
Sastrow in Augsburg ein. Er fand Unterkunft am Wcinmarkt
bei einem alten Zunftmeister und bestellte hier auch Quartier für
seine pommerschen Landsleute. Ebenfalls an: Weinmarkte, bei den
Fuggcrs, wohnte der Kaiser, nicht weit davon, im Welserschen
Hause, der gefangne Kurfürst von Sachsen. Er durfte Gesellschaft bei sich sehen,
seinem Lieblingssport, dem Reiten und Fechten, obliegen, auch frei in der Stadt
umhergehn, wobei ihn freilich immer eine spanische Wache begleitete. Wieder
konnte Sastrow gleich nach seiner Ankunft eine Militärrevvlte erleben. Und
wieder waren es die Deutschen, die diesesmal aufsässig waren, weil sie keinen
Sold erhalten hatten -- es hieß, das Geld sei von Herzog Albci verspielt
worden -- und nun mit dem Rufe "Entweder Geld oder Blut" die Stadt
durchzogen. Sie wurden schließlich abgelohnt und entlassen. Aber als sie die


Bartholomäus Sastrow

einst die Handelsartikel, mit denen die Ritter den Orient zu europäisieren
strebten. Ob es dem dreistöckigen, mit allen Erzeugnissen moderner Industrie ge¬
füllten Magazin von Rhodos besser gelingen wird als ihnen? Wenn es meistens
die Griechen sind, die jetzt diese Rolle der Vermittlung materieller Güter
zwischen zwei feindlichen Kultursphären übernommen haben, so gebührt ihnen
auch das nicht geringe Verdienst, daß sie wenigstens zeitweise in die furchtbare
geistige Stagnation der rhodischen Hauptstadt einiges Leben zu bringen suchen.
Griechische Schauspielertruppen, die im Winter den Orient durchziehn, lassen
dann ihre Kunst auch auf der alten Sonneninsel leuchten, und die Aristokratie
der Hauptstadt pilgert dann an den dunkeln Winterabenden, mit Stalllaternen
bewaffnet, zu dem Tempel des Thespis, einem geräumigen Bretterbau außer¬
halb der Stadt. Außer griechischen Possen werden auch beliebte fremde Stücke
in griechischer Übersetzung aufgeführt, und ich mußte erst bis uach dem fernen
Rhodos ziehn, um eine Komödie kennen zu lernen, die auch bei uns vor
Jahren die Gemüter erregt hat, jetzt aber bald vergessen ist: Charleys Tante!
Die übermütige Posse, die während der Zeit meines Aufenthalts wiederholt
gegeben wurde, fand großen Beifall sowohl bei den türkischen Notabeln wie
bei der griechischen Damenwelt und wurde nicht schlecht gespielt. Es war für
den Europäer ein eigentümliches Gefühl: eine englische Posse in griechischer
Sprache auf türkischem Boden! So platzen auch in Rhodos die Kulturgcgen-
sätze schon scharf aufeinander, wie überall im vordem Orient. Vielleicht kommt
auch für diese gesegnete Insel eine Zeit, wo die Sonne europäischer Kultur
wieder über ihr aufgeht und sie zu neuem, eignem Leben erweckt.

(Fortsetzung folgt)




Vartholomäus sastrow
F. Runtze vonin
(Schluß)

in 29. August, also kurz vor der Eröffnung des Reichstags, traf
Sastrow in Augsburg ein. Er fand Unterkunft am Wcinmarkt
bei einem alten Zunftmeister und bestellte hier auch Quartier für
seine pommerschen Landsleute. Ebenfalls an: Weinmarkte, bei den
Fuggcrs, wohnte der Kaiser, nicht weit davon, im Welserschen
Hause, der gefangne Kurfürst von Sachsen. Er durfte Gesellschaft bei sich sehen,
seinem Lieblingssport, dem Reiten und Fechten, obliegen, auch frei in der Stadt
umhergehn, wobei ihn freilich immer eine spanische Wache begleitete. Wieder
konnte Sastrow gleich nach seiner Ankunft eine Militärrevvlte erleben. Und
wieder waren es die Deutschen, die diesesmal aufsässig waren, weil sie keinen
Sold erhalten hatten — es hieß, das Geld sei von Herzog Albci verspielt
worden — und nun mit dem Rufe „Entweder Geld oder Blut" die Stadt
durchzogen. Sie wurden schließlich abgelohnt und entlassen. Aber als sie die


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[0145] Bartholomäus Sastrow einst die Handelsartikel, mit denen die Ritter den Orient zu europäisieren strebten. Ob es dem dreistöckigen, mit allen Erzeugnissen moderner Industrie ge¬ füllten Magazin von Rhodos besser gelingen wird als ihnen? Wenn es meistens die Griechen sind, die jetzt diese Rolle der Vermittlung materieller Güter zwischen zwei feindlichen Kultursphären übernommen haben, so gebührt ihnen auch das nicht geringe Verdienst, daß sie wenigstens zeitweise in die furchtbare geistige Stagnation der rhodischen Hauptstadt einiges Leben zu bringen suchen. Griechische Schauspielertruppen, die im Winter den Orient durchziehn, lassen dann ihre Kunst auch auf der alten Sonneninsel leuchten, und die Aristokratie der Hauptstadt pilgert dann an den dunkeln Winterabenden, mit Stalllaternen bewaffnet, zu dem Tempel des Thespis, einem geräumigen Bretterbau außer¬ halb der Stadt. Außer griechischen Possen werden auch beliebte fremde Stücke in griechischer Übersetzung aufgeführt, und ich mußte erst bis uach dem fernen Rhodos ziehn, um eine Komödie kennen zu lernen, die auch bei uns vor Jahren die Gemüter erregt hat, jetzt aber bald vergessen ist: Charleys Tante! Die übermütige Posse, die während der Zeit meines Aufenthalts wiederholt gegeben wurde, fand großen Beifall sowohl bei den türkischen Notabeln wie bei der griechischen Damenwelt und wurde nicht schlecht gespielt. Es war für den Europäer ein eigentümliches Gefühl: eine englische Posse in griechischer Sprache auf türkischem Boden! So platzen auch in Rhodos die Kulturgcgen- sätze schon scharf aufeinander, wie überall im vordem Orient. Vielleicht kommt auch für diese gesegnete Insel eine Zeit, wo die Sonne europäischer Kultur wieder über ihr aufgeht und sie zu neuem, eignem Leben erweckt. (Fortsetzung folgt) Vartholomäus sastrow F. Runtze vonin (Schluß) in 29. August, also kurz vor der Eröffnung des Reichstags, traf Sastrow in Augsburg ein. Er fand Unterkunft am Wcinmarkt bei einem alten Zunftmeister und bestellte hier auch Quartier für seine pommerschen Landsleute. Ebenfalls an: Weinmarkte, bei den Fuggcrs, wohnte der Kaiser, nicht weit davon, im Welserschen Hause, der gefangne Kurfürst von Sachsen. Er durfte Gesellschaft bei sich sehen, seinem Lieblingssport, dem Reiten und Fechten, obliegen, auch frei in der Stadt umhergehn, wobei ihn freilich immer eine spanische Wache begleitete. Wieder konnte Sastrow gleich nach seiner Ankunft eine Militärrevvlte erleben. Und wieder waren es die Deutschen, die diesesmal aufsässig waren, weil sie keinen Sold erhalten hatten — es hieß, das Geld sei von Herzog Albci verspielt worden — und nun mit dem Rufe „Entweder Geld oder Blut" die Stadt durchzogen. Sie wurden schließlich abgelohnt und entlassen. Aber als sie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/145>, abgerufen am 23.07.2024.