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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksinseln und Träume

beschwerte erfolgte, nahmen wir es mit dem gewohnten Lärm wieder auf. Ich
dachte bei mir im stillen: Die Geister sind wohl wie meine Mutter, die uns auch
einmal ein "Stille!" zuruft, wenn es des Lärmes zuviel wird, dann aber, wenn
es nichts hilft, lächelnd dem Treiben zusieht. Die Geistergeschichte endete übrigens
nicht immer so harmlos. Als ein Spielkamerad erzählt hatte, es käme vor, daß
einem, der zuviel in den Spiegel scheine, eine schreckliche Fratze daraus angrinse,
er habe eine gesehen, die sich mit den Fingern in den Mund gefahren sei, um
denselben überlas ganze Gesicht hin auszuweiden, traute ich mich wochenlang nicht,
wenigstens nicht am Abend, in den Spiegel zu schauen. Damals fiel mir diese
Enthaltsamkeit nicht schwer, weil ich den Spiegel ohnehin als lästiges Toilettestück
auf eine Linie mit dem Schwamm und der Bürste stellte. Es war nur eine
willkommne Vereinfachung, die Haare ohne Spiegel zu bürsten. Der schräge
Scheitel kam dann freilich zickzackförmig heraus.

Zu den geheimnisvollen Angelegenheiten gehörten mich die Versuche, der
Natur ins Handwerk zu pfuschen, die auf manchen Umwegen einige aus meinem
Gespielenkreis endlich bis zur Pharmazie und zur Chemie geführt haben. Keine
Rosenzeit ging vorüber, ohne daß von neuem wieder Rosenblätter und Wasser in
lange schmale Flaschen gefüllt, wie man sie damals für Kölnisch Wasser benutzte,
und in die Sonne gestellt wurden. Daß diese durch ihre sonderbare Gestalt auf¬
fallenden Flaschen nun nicht imstande waren, aus der Mischung etwas viel besseres
als den natürlichen Rosenduft zu destillieren, kam uns gar überraschend vor und
enttäuschte besonders lebhaft, wenn eigensinniges Verharren auf dem Wege dieser
"Sonnendestillation" endlich nichts als ein höchst übelriechendes Produkt erreichte.
Bedenkliche Richtungen schlug dieser Probiertrieb in etwas späterer Zeit ein, als er
sich auf Feuerwerk warf. Ich weiß nicht, wie es kam, daß unsre Soldaten auf
dem Exerzierplatz so viel volle Patronen verloren, aber es war ganz bekannt, daß
man bei den Übungen im Feuer nur hinter einer Plänklerkette herzngehn brauchte,
um da und dort eine volle oder nur Halbgeleertc Patrone zu finden. Indem wir
zusammenladen, füllten wir ganze Flaschen mit Pulver. Mit Speichel befeuchtet
wurden daraus kleine Berge geformt, die unter sprühen und Spratzen verbrannten.
Als ich mich einmal zu nahe heranwagte und hineinblies, sprang mir der ganze
Feuerteufel ins Gesicht. Es war am Tag nach meinem zwölften Geburtstag. Die
Pulverexplosion warf mich plötzlich um einiges in meiner eignen Schätzung zurück,
ich kam mir jünger und -- dümmer vor, wiewohl mich die abgesengten Augenbrauen,
Wimpern und Stirnhaare seltsam alt aussehen machten.

Zu den sonderbarsten Dingen gehört die deutliche Erinnerung an Träume,
die ich in früher Jugend hatte. Das kann wohl nur damit zusammenhängen, daß
wir sehr oft einen bestimmten Traum träumen, der dann auf einmal verschwindet.
Als Erinnerung, die wir oft schwer von den Eindrücken der Wirklichkeit trennen,
taucht er dann zu irgend einer Zeit wieder auf. Ich muß zum Beispiel sehr oft
vom Fliegen über einem weiten Wasser geträumt haben. Wenn ich um über den
Strom hinflog, fühlte ich die mächtige Anziehung des Wassers, teils fürchtete ich
sie, teils war es ein süßes Gefühl, so hart darüber hinzustreifen. Dem bekannten
Trick des Trmuugottes, uns durch eine endlose Reihe von Zimmer" zu führen,
bis wir im letzten frei von Mauern in der Luft stehn, muß ich öfters zum Opfer
gefallen sein. Und nun nach 1849, also in sehr früher Jngend, muß ich oft im
Traum deu roten preußischen Husaren neben seinem Pferd ans dem Marktplatz
haben stehn sehen, den ich ein einzigesmal in Wirklichkeit dort erblickt hatte. So
hat wohl auch in spätern Jahren jeder Mensch seine Traumgestalt, die ihn gleich¬
sam begleitet, ein Schatten, der in Träumen ihm erscheint, wenn er ihn im Leben
vielleicht nnr ein einzigesmal gesehen hatte und im wachen Zustand seiner kaum
jemals inne wird. Es ist sonderbar, wie von den Sternen der Kindheit, wenn
der Tag des Lebens Heller wird, so viele verlöschen, und gerade die in der Er¬
innerung fortleuchteu, die einst am wenigsten beachtet worden waren. Gerade so


Glücksinseln und Träume

beschwerte erfolgte, nahmen wir es mit dem gewohnten Lärm wieder auf. Ich
dachte bei mir im stillen: Die Geister sind wohl wie meine Mutter, die uns auch
einmal ein „Stille!" zuruft, wenn es des Lärmes zuviel wird, dann aber, wenn
es nichts hilft, lächelnd dem Treiben zusieht. Die Geistergeschichte endete übrigens
nicht immer so harmlos. Als ein Spielkamerad erzählt hatte, es käme vor, daß
einem, der zuviel in den Spiegel scheine, eine schreckliche Fratze daraus angrinse,
er habe eine gesehen, die sich mit den Fingern in den Mund gefahren sei, um
denselben überlas ganze Gesicht hin auszuweiden, traute ich mich wochenlang nicht,
wenigstens nicht am Abend, in den Spiegel zu schauen. Damals fiel mir diese
Enthaltsamkeit nicht schwer, weil ich den Spiegel ohnehin als lästiges Toilettestück
auf eine Linie mit dem Schwamm und der Bürste stellte. Es war nur eine
willkommne Vereinfachung, die Haare ohne Spiegel zu bürsten. Der schräge
Scheitel kam dann freilich zickzackförmig heraus.

Zu den geheimnisvollen Angelegenheiten gehörten mich die Versuche, der
Natur ins Handwerk zu pfuschen, die auf manchen Umwegen einige aus meinem
Gespielenkreis endlich bis zur Pharmazie und zur Chemie geführt haben. Keine
Rosenzeit ging vorüber, ohne daß von neuem wieder Rosenblätter und Wasser in
lange schmale Flaschen gefüllt, wie man sie damals für Kölnisch Wasser benutzte,
und in die Sonne gestellt wurden. Daß diese durch ihre sonderbare Gestalt auf¬
fallenden Flaschen nun nicht imstande waren, aus der Mischung etwas viel besseres
als den natürlichen Rosenduft zu destillieren, kam uns gar überraschend vor und
enttäuschte besonders lebhaft, wenn eigensinniges Verharren auf dem Wege dieser
„Sonnendestillation" endlich nichts als ein höchst übelriechendes Produkt erreichte.
Bedenkliche Richtungen schlug dieser Probiertrieb in etwas späterer Zeit ein, als er
sich auf Feuerwerk warf. Ich weiß nicht, wie es kam, daß unsre Soldaten auf
dem Exerzierplatz so viel volle Patronen verloren, aber es war ganz bekannt, daß
man bei den Übungen im Feuer nur hinter einer Plänklerkette herzngehn brauchte,
um da und dort eine volle oder nur Halbgeleertc Patrone zu finden. Indem wir
zusammenladen, füllten wir ganze Flaschen mit Pulver. Mit Speichel befeuchtet
wurden daraus kleine Berge geformt, die unter sprühen und Spratzen verbrannten.
Als ich mich einmal zu nahe heranwagte und hineinblies, sprang mir der ganze
Feuerteufel ins Gesicht. Es war am Tag nach meinem zwölften Geburtstag. Die
Pulverexplosion warf mich plötzlich um einiges in meiner eignen Schätzung zurück,
ich kam mir jünger und — dümmer vor, wiewohl mich die abgesengten Augenbrauen,
Wimpern und Stirnhaare seltsam alt aussehen machten.

Zu den sonderbarsten Dingen gehört die deutliche Erinnerung an Träume,
die ich in früher Jugend hatte. Das kann wohl nur damit zusammenhängen, daß
wir sehr oft einen bestimmten Traum träumen, der dann auf einmal verschwindet.
Als Erinnerung, die wir oft schwer von den Eindrücken der Wirklichkeit trennen,
taucht er dann zu irgend einer Zeit wieder auf. Ich muß zum Beispiel sehr oft
vom Fliegen über einem weiten Wasser geträumt haben. Wenn ich um über den
Strom hinflog, fühlte ich die mächtige Anziehung des Wassers, teils fürchtete ich
sie, teils war es ein süßes Gefühl, so hart darüber hinzustreifen. Dem bekannten
Trick des Trmuugottes, uns durch eine endlose Reihe von Zimmer» zu führen,
bis wir im letzten frei von Mauern in der Luft stehn, muß ich öfters zum Opfer
gefallen sein. Und nun nach 1849, also in sehr früher Jngend, muß ich oft im
Traum deu roten preußischen Husaren neben seinem Pferd ans dem Marktplatz
haben stehn sehen, den ich ein einzigesmal in Wirklichkeit dort erblickt hatte. So
hat wohl auch in spätern Jahren jeder Mensch seine Traumgestalt, die ihn gleich¬
sam begleitet, ein Schatten, der in Träumen ihm erscheint, wenn er ihn im Leben
vielleicht nnr ein einzigesmal gesehen hatte und im wachen Zustand seiner kaum
jemals inne wird. Es ist sonderbar, wie von den Sternen der Kindheit, wenn
der Tag des Lebens Heller wird, so viele verlöschen, und gerade die in der Er¬
innerung fortleuchteu, die einst am wenigsten beachtet worden waren. Gerade so


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[0105] Glücksinseln und Träume beschwerte erfolgte, nahmen wir es mit dem gewohnten Lärm wieder auf. Ich dachte bei mir im stillen: Die Geister sind wohl wie meine Mutter, die uns auch einmal ein „Stille!" zuruft, wenn es des Lärmes zuviel wird, dann aber, wenn es nichts hilft, lächelnd dem Treiben zusieht. Die Geistergeschichte endete übrigens nicht immer so harmlos. Als ein Spielkamerad erzählt hatte, es käme vor, daß einem, der zuviel in den Spiegel scheine, eine schreckliche Fratze daraus angrinse, er habe eine gesehen, die sich mit den Fingern in den Mund gefahren sei, um denselben überlas ganze Gesicht hin auszuweiden, traute ich mich wochenlang nicht, wenigstens nicht am Abend, in den Spiegel zu schauen. Damals fiel mir diese Enthaltsamkeit nicht schwer, weil ich den Spiegel ohnehin als lästiges Toilettestück auf eine Linie mit dem Schwamm und der Bürste stellte. Es war nur eine willkommne Vereinfachung, die Haare ohne Spiegel zu bürsten. Der schräge Scheitel kam dann freilich zickzackförmig heraus. Zu den geheimnisvollen Angelegenheiten gehörten mich die Versuche, der Natur ins Handwerk zu pfuschen, die auf manchen Umwegen einige aus meinem Gespielenkreis endlich bis zur Pharmazie und zur Chemie geführt haben. Keine Rosenzeit ging vorüber, ohne daß von neuem wieder Rosenblätter und Wasser in lange schmale Flaschen gefüllt, wie man sie damals für Kölnisch Wasser benutzte, und in die Sonne gestellt wurden. Daß diese durch ihre sonderbare Gestalt auf¬ fallenden Flaschen nun nicht imstande waren, aus der Mischung etwas viel besseres als den natürlichen Rosenduft zu destillieren, kam uns gar überraschend vor und enttäuschte besonders lebhaft, wenn eigensinniges Verharren auf dem Wege dieser „Sonnendestillation" endlich nichts als ein höchst übelriechendes Produkt erreichte. Bedenkliche Richtungen schlug dieser Probiertrieb in etwas späterer Zeit ein, als er sich auf Feuerwerk warf. Ich weiß nicht, wie es kam, daß unsre Soldaten auf dem Exerzierplatz so viel volle Patronen verloren, aber es war ganz bekannt, daß man bei den Übungen im Feuer nur hinter einer Plänklerkette herzngehn brauchte, um da und dort eine volle oder nur Halbgeleertc Patrone zu finden. Indem wir zusammenladen, füllten wir ganze Flaschen mit Pulver. Mit Speichel befeuchtet wurden daraus kleine Berge geformt, die unter sprühen und Spratzen verbrannten. Als ich mich einmal zu nahe heranwagte und hineinblies, sprang mir der ganze Feuerteufel ins Gesicht. Es war am Tag nach meinem zwölften Geburtstag. Die Pulverexplosion warf mich plötzlich um einiges in meiner eignen Schätzung zurück, ich kam mir jünger und — dümmer vor, wiewohl mich die abgesengten Augenbrauen, Wimpern und Stirnhaare seltsam alt aussehen machten. Zu den sonderbarsten Dingen gehört die deutliche Erinnerung an Träume, die ich in früher Jugend hatte. Das kann wohl nur damit zusammenhängen, daß wir sehr oft einen bestimmten Traum träumen, der dann auf einmal verschwindet. Als Erinnerung, die wir oft schwer von den Eindrücken der Wirklichkeit trennen, taucht er dann zu irgend einer Zeit wieder auf. Ich muß zum Beispiel sehr oft vom Fliegen über einem weiten Wasser geträumt haben. Wenn ich um über den Strom hinflog, fühlte ich die mächtige Anziehung des Wassers, teils fürchtete ich sie, teils war es ein süßes Gefühl, so hart darüber hinzustreifen. Dem bekannten Trick des Trmuugottes, uns durch eine endlose Reihe von Zimmer» zu führen, bis wir im letzten frei von Mauern in der Luft stehn, muß ich öfters zum Opfer gefallen sein. Und nun nach 1849, also in sehr früher Jngend, muß ich oft im Traum deu roten preußischen Husaren neben seinem Pferd ans dem Marktplatz haben stehn sehen, den ich ein einzigesmal in Wirklichkeit dort erblickt hatte. So hat wohl auch in spätern Jahren jeder Mensch seine Traumgestalt, die ihn gleich¬ sam begleitet, ein Schatten, der in Träumen ihm erscheint, wenn er ihn im Leben vielleicht nnr ein einzigesmal gesehen hatte und im wachen Zustand seiner kaum jemals inne wird. Es ist sonderbar, wie von den Sternen der Kindheit, wenn der Tag des Lebens Heller wird, so viele verlöschen, und gerade die in der Er¬ innerung fortleuchteu, die einst am wenigsten beachtet worden waren. Gerade so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/105>, abgerufen am 26.06.2024.