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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Giordano Bruno

Erstaunen, wenn man ans der Vorbemerkung zu einer an andrer Stelle zu
erwähnenden Schrift Kuhlenbecks*) erfährt, daß dieser Mann ein viel be¬
schäftigter Rechtsanwalt ist.

Das Aschermittwochsmahl und die Vertreibung der Bestie gehören dem
englischen Lebensabschnitt Brunos um. Nach seiner Flucht aus dem Kloster
irrte er unter falschem Namen drei Jahre lang (1576 bis 1579) im nörd¬
lichen Italien umher und brachte sich dann nach Genf in Sicherheit, wohin
sich vor ihm andre italienische Protestanten geflüchtet hatten. Diese der-'
schafften ihm Korrekturarbeit in den Druckereien und veranlaßten ihn zum
Besuch der calvinistischen Predigten. Weil er sich jedoch nicht bekehren ließ
und sogar einen Genfer Philosophieprofessor, la Faye, in einer Streitschrift
angriff, ließ das Konsistorium ihn und den Drucker des Pamphlets ins Ge¬
fängnis werfen. Durch einen Widerruf erkaufte er sich die Freiheit und ver¬
ließ Genf mit einem Haß gegen den Calvinismus im Herzen, dem er später
oft Luft gemacht hat. Wäre Calvin noch am Leben gewesen, so würde
Bruno wohl nicht so leichten Kaufs davon gekommen sein. Es dürfte nicht
allgemein bekannt sein, daß, woran der Übersetzer in einer seiner Anmer¬
kungen zum zweiten Bande erinnert, unter Calvins Herrschaft in Genf
allein in den Jahren 1542 bis 1546 wegen Heterodoxie 58 Personen,
30 Männer und 28 Frauen, hingerichtet und 76 verbrannt worden sind;
10 wurden enthauptet, 13 gehängt, 35 lebendig verbrannt. Den Versuch,
Calvins Fanatismus durch das Servetdenkmal und seine Inschrift zu be¬
schönigen, findet Kuhlenbeck albern und geschmacklos. Bruno wandte sich
nach Frankreich. In Toulouse errang er den Doktorgrad und eine Professur
und las zwei Jahre über Aristoteles und über Astronomie. Dann hielt er in
Paris ohne amtliche Stellung Vortrüge und erwarb sich besonders durch die
Verbesserung der von dem Mystiker Raimundus Lullus erfundnen Gedüchtnis-
kunst die Gunst des Königs Heinrichs des Dritten. Die ihm cmgebotne
Professur schlug er aus, weil damit die Verpflichtung verbunden war, die
Messe zu besuchen. Im Jahre 1582 begab sich Bruno, vom Könige mit
Empfehlungen versehen, nach England, wo ihm der französische Gesandte,
Michel de Castelnau, Herr von Mauvissiere, in seinem Hause eine Dach¬
stube einräumte. Mauvissiere war strenggläubiger Katholik, eifriger An¬
walt der Maria Stuart -- ohne dadurch die Gunst der Königin Elisabeth
zu verlieren, was seine diplomatische Meisterschaft beweist -- und hat trotz¬
dem Bruno, der aus seiner Gesinnung kein Hehl machte, herzliche Freund¬
schaft erwiesen. Beide Männer waren eben nach Kuhlenbecks Darstellung
"hochgebildete Vollmenschen der Renaissance" im guten Sinne: frei und kühn
im Denken, aber tief gläubig, vou heiligem wissenschaftlichem Ernst erfüllt
und nicht im mindesten frivol; nur daß der Weltmann die Dogmen unbe¬
fangen hinnahm, der Philosoph sie kritisierte. "Nichts wäre falscher, als
Bruno jene vulgäre Freidenkerfeindschaft gegen Kirche oder gar Religion, oder
auch nnr gegen die katholische Kirche unterschieben zu wollen, wie dies einige



Im Hochland der Gedankenwelt.
Giordano Bruno

Erstaunen, wenn man ans der Vorbemerkung zu einer an andrer Stelle zu
erwähnenden Schrift Kuhlenbecks*) erfährt, daß dieser Mann ein viel be¬
schäftigter Rechtsanwalt ist.

Das Aschermittwochsmahl und die Vertreibung der Bestie gehören dem
englischen Lebensabschnitt Brunos um. Nach seiner Flucht aus dem Kloster
irrte er unter falschem Namen drei Jahre lang (1576 bis 1579) im nörd¬
lichen Italien umher und brachte sich dann nach Genf in Sicherheit, wohin
sich vor ihm andre italienische Protestanten geflüchtet hatten. Diese der-'
schafften ihm Korrekturarbeit in den Druckereien und veranlaßten ihn zum
Besuch der calvinistischen Predigten. Weil er sich jedoch nicht bekehren ließ
und sogar einen Genfer Philosophieprofessor, la Faye, in einer Streitschrift
angriff, ließ das Konsistorium ihn und den Drucker des Pamphlets ins Ge¬
fängnis werfen. Durch einen Widerruf erkaufte er sich die Freiheit und ver¬
ließ Genf mit einem Haß gegen den Calvinismus im Herzen, dem er später
oft Luft gemacht hat. Wäre Calvin noch am Leben gewesen, so würde
Bruno wohl nicht so leichten Kaufs davon gekommen sein. Es dürfte nicht
allgemein bekannt sein, daß, woran der Übersetzer in einer seiner Anmer¬
kungen zum zweiten Bande erinnert, unter Calvins Herrschaft in Genf
allein in den Jahren 1542 bis 1546 wegen Heterodoxie 58 Personen,
30 Männer und 28 Frauen, hingerichtet und 76 verbrannt worden sind;
10 wurden enthauptet, 13 gehängt, 35 lebendig verbrannt. Den Versuch,
Calvins Fanatismus durch das Servetdenkmal und seine Inschrift zu be¬
schönigen, findet Kuhlenbeck albern und geschmacklos. Bruno wandte sich
nach Frankreich. In Toulouse errang er den Doktorgrad und eine Professur
und las zwei Jahre über Aristoteles und über Astronomie. Dann hielt er in
Paris ohne amtliche Stellung Vortrüge und erwarb sich besonders durch die
Verbesserung der von dem Mystiker Raimundus Lullus erfundnen Gedüchtnis-
kunst die Gunst des Königs Heinrichs des Dritten. Die ihm cmgebotne
Professur schlug er aus, weil damit die Verpflichtung verbunden war, die
Messe zu besuchen. Im Jahre 1582 begab sich Bruno, vom Könige mit
Empfehlungen versehen, nach England, wo ihm der französische Gesandte,
Michel de Castelnau, Herr von Mauvissiere, in seinem Hause eine Dach¬
stube einräumte. Mauvissiere war strenggläubiger Katholik, eifriger An¬
walt der Maria Stuart — ohne dadurch die Gunst der Königin Elisabeth
zu verlieren, was seine diplomatische Meisterschaft beweist — und hat trotz¬
dem Bruno, der aus seiner Gesinnung kein Hehl machte, herzliche Freund¬
schaft erwiesen. Beide Männer waren eben nach Kuhlenbecks Darstellung
„hochgebildete Vollmenschen der Renaissance" im guten Sinne: frei und kühn
im Denken, aber tief gläubig, vou heiligem wissenschaftlichem Ernst erfüllt
und nicht im mindesten frivol; nur daß der Weltmann die Dogmen unbe¬
fangen hinnahm, der Philosoph sie kritisierte. „Nichts wäre falscher, als
Bruno jene vulgäre Freidenkerfeindschaft gegen Kirche oder gar Religion, oder
auch nnr gegen die katholische Kirche unterschieben zu wollen, wie dies einige



Im Hochland der Gedankenwelt.
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[0757] Giordano Bruno Erstaunen, wenn man ans der Vorbemerkung zu einer an andrer Stelle zu erwähnenden Schrift Kuhlenbecks*) erfährt, daß dieser Mann ein viel be¬ schäftigter Rechtsanwalt ist. Das Aschermittwochsmahl und die Vertreibung der Bestie gehören dem englischen Lebensabschnitt Brunos um. Nach seiner Flucht aus dem Kloster irrte er unter falschem Namen drei Jahre lang (1576 bis 1579) im nörd¬ lichen Italien umher und brachte sich dann nach Genf in Sicherheit, wohin sich vor ihm andre italienische Protestanten geflüchtet hatten. Diese der-' schafften ihm Korrekturarbeit in den Druckereien und veranlaßten ihn zum Besuch der calvinistischen Predigten. Weil er sich jedoch nicht bekehren ließ und sogar einen Genfer Philosophieprofessor, la Faye, in einer Streitschrift angriff, ließ das Konsistorium ihn und den Drucker des Pamphlets ins Ge¬ fängnis werfen. Durch einen Widerruf erkaufte er sich die Freiheit und ver¬ ließ Genf mit einem Haß gegen den Calvinismus im Herzen, dem er später oft Luft gemacht hat. Wäre Calvin noch am Leben gewesen, so würde Bruno wohl nicht so leichten Kaufs davon gekommen sein. Es dürfte nicht allgemein bekannt sein, daß, woran der Übersetzer in einer seiner Anmer¬ kungen zum zweiten Bande erinnert, unter Calvins Herrschaft in Genf allein in den Jahren 1542 bis 1546 wegen Heterodoxie 58 Personen, 30 Männer und 28 Frauen, hingerichtet und 76 verbrannt worden sind; 10 wurden enthauptet, 13 gehängt, 35 lebendig verbrannt. Den Versuch, Calvins Fanatismus durch das Servetdenkmal und seine Inschrift zu be¬ schönigen, findet Kuhlenbeck albern und geschmacklos. Bruno wandte sich nach Frankreich. In Toulouse errang er den Doktorgrad und eine Professur und las zwei Jahre über Aristoteles und über Astronomie. Dann hielt er in Paris ohne amtliche Stellung Vortrüge und erwarb sich besonders durch die Verbesserung der von dem Mystiker Raimundus Lullus erfundnen Gedüchtnis- kunst die Gunst des Königs Heinrichs des Dritten. Die ihm cmgebotne Professur schlug er aus, weil damit die Verpflichtung verbunden war, die Messe zu besuchen. Im Jahre 1582 begab sich Bruno, vom Könige mit Empfehlungen versehen, nach England, wo ihm der französische Gesandte, Michel de Castelnau, Herr von Mauvissiere, in seinem Hause eine Dach¬ stube einräumte. Mauvissiere war strenggläubiger Katholik, eifriger An¬ walt der Maria Stuart — ohne dadurch die Gunst der Königin Elisabeth zu verlieren, was seine diplomatische Meisterschaft beweist — und hat trotz¬ dem Bruno, der aus seiner Gesinnung kein Hehl machte, herzliche Freund¬ schaft erwiesen. Beide Männer waren eben nach Kuhlenbecks Darstellung „hochgebildete Vollmenschen der Renaissance" im guten Sinne: frei und kühn im Denken, aber tief gläubig, vou heiligem wissenschaftlichem Ernst erfüllt und nicht im mindesten frivol; nur daß der Weltmann die Dogmen unbe¬ fangen hinnahm, der Philosoph sie kritisierte. „Nichts wäre falscher, als Bruno jene vulgäre Freidenkerfeindschaft gegen Kirche oder gar Religion, oder auch nnr gegen die katholische Kirche unterschieben zu wollen, wie dies einige Im Hochland der Gedankenwelt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/757>, abgerufen am 28.09.2024.