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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die private Feuerversicherung

dazu ist das Publikum erst systematisch von den konkurrenzwütigen Vertretern
der Feuerversicherungen, und nicht gerade ihrer besten, erzogen worden. Es
wirkt doch geradezu lächerlich, wenn die Frau Oberleutnant von P. den Wert
ihres großen Tafeltuches von der Feuerversicherungsgesellschaft bezahlt zu haben
wünscht, weil ihr der Herr Hauptmann M. beim Diner mit der Zigarre ein
Löchelchen hineingebrannt hat, oder wenn der Rentier Samuelsohn einen neuen
Badeofen beansprucht, weil ihm der seinige gestern infolge von Überheizung
auseinandergeschmolzen sei. Das ist pure Ausbeutung, und doch können beide
sicher sein, daß ihnen anstandslos die -- anstandslos verlangte Entschädigung
ausgezahlt wird, denn mit solchen Kunden verdirbt es keine Gesellschaft gern;
aber ihre Ansprüche stehn moralisch sicher nicht höher als die eines armen
Arbeiters, der seinen durchnäßten Arbeitsrock zu nahe an den geheizten Ofen
gehängt und ein großes Loch hineingesengt hat, oder der armen Witwe, die
ihres Schulbübleins nasse und zerrissene Schuhe des Abends zum Trockne" in
den ausgebrannten Ofen gestellt und in der Schlaftrunkenheit des nächsten
Morgens beim Feueranmachen vergessen hat, sie herauszunehmen. Ob diesen
beiden Leuten ihre Ausbeutungsversuche ebenso gut glücken werden, ist mir
zweifelhaft, namentlich wenn es sich gerade um die Gesellschaften handelt, deren
Vertreter in den erwähnten andern Fällen eifrig versichern, daß sie "solche"
Schäden sehr gern vergüten. Von der ungeheuern Menge dieser kleinen soge¬
nannten Haushaltungsschäden macht sich der Laie kaum einen Begriff. Nach
einer kürzlich darüber ausgemachten Statistik sind im Jahre 1903 von einund-
dreißig größern Feuerversichernngsgesellschaften in Deutschland an solchen Bagatell-
schäden vergütet worden:

28211 Vrandsülle mit bis zu 10 Mark
20276 " " " " 20 "
10463 " " " " 30 "
6523 " " " " 40 "
3365 " " " " 50 "

und zwar mit einer Gesamtentschädigung von 1138533 Mark. Bedenkt man,
daß zu dieser Summe noch recht bedeutende, oft die Bagatellbeträge über¬
steigende Regulierungskosten kommen, die von der Gesellschaft getragen werden
müssen, und daß bei der bureaumäßigen Bearbeitung ein kleiner Schaden bei¬
nahe genau dasselbe Arbeitsmaß beansprucht wie ein großer, und erwägt man
die verlockende Wirkung der gewinnreichen Regulierung eines solchen Bagatell-
schadens auf nicht ganz taktfeste Versicherte, so wird man es begreiflich finden,
daß gerade die guten Gesellschaften, die bei wirklichen Brandschäden ihren Ver¬
pflichtungen gern im vollsten Umfange nachkommen, sich gegen dieses an Brand¬
bettel oder an Betrug grenzende Unwesen, das eine ganz bedeutende Ausbeutung
der Gesellschaften durch die Versicherten darstellt, möglichst ablehnend Verhalten-
Das neue Gesetz über den Versicherungsvertrag kommt ihnen dabei leider gar
nicht zu Hilfe, da es keine Begriffsbestimmung des Wortes "Brandereignis"
enthält und die auch nicht einmal maßgebende Bemerkung der Begründung
sS. 127), daß "der Verhinderer für solche Schäden nicht auszukommen habe, die


Die private Feuerversicherung

dazu ist das Publikum erst systematisch von den konkurrenzwütigen Vertretern
der Feuerversicherungen, und nicht gerade ihrer besten, erzogen worden. Es
wirkt doch geradezu lächerlich, wenn die Frau Oberleutnant von P. den Wert
ihres großen Tafeltuches von der Feuerversicherungsgesellschaft bezahlt zu haben
wünscht, weil ihr der Herr Hauptmann M. beim Diner mit der Zigarre ein
Löchelchen hineingebrannt hat, oder wenn der Rentier Samuelsohn einen neuen
Badeofen beansprucht, weil ihm der seinige gestern infolge von Überheizung
auseinandergeschmolzen sei. Das ist pure Ausbeutung, und doch können beide
sicher sein, daß ihnen anstandslos die — anstandslos verlangte Entschädigung
ausgezahlt wird, denn mit solchen Kunden verdirbt es keine Gesellschaft gern;
aber ihre Ansprüche stehn moralisch sicher nicht höher als die eines armen
Arbeiters, der seinen durchnäßten Arbeitsrock zu nahe an den geheizten Ofen
gehängt und ein großes Loch hineingesengt hat, oder der armen Witwe, die
ihres Schulbübleins nasse und zerrissene Schuhe des Abends zum Trockne» in
den ausgebrannten Ofen gestellt und in der Schlaftrunkenheit des nächsten
Morgens beim Feueranmachen vergessen hat, sie herauszunehmen. Ob diesen
beiden Leuten ihre Ausbeutungsversuche ebenso gut glücken werden, ist mir
zweifelhaft, namentlich wenn es sich gerade um die Gesellschaften handelt, deren
Vertreter in den erwähnten andern Fällen eifrig versichern, daß sie „solche"
Schäden sehr gern vergüten. Von der ungeheuern Menge dieser kleinen soge¬
nannten Haushaltungsschäden macht sich der Laie kaum einen Begriff. Nach
einer kürzlich darüber ausgemachten Statistik sind im Jahre 1903 von einund-
dreißig größern Feuerversichernngsgesellschaften in Deutschland an solchen Bagatell-
schäden vergütet worden:

28211 Vrandsülle mit bis zu 10 Mark
20276 „ „ „ „ 20 „
10463 „ „ „ „ 30 „
6523 „ „ „ „ 40 „
3365 „ „ „ „ 50 „

und zwar mit einer Gesamtentschädigung von 1138533 Mark. Bedenkt man,
daß zu dieser Summe noch recht bedeutende, oft die Bagatellbeträge über¬
steigende Regulierungskosten kommen, die von der Gesellschaft getragen werden
müssen, und daß bei der bureaumäßigen Bearbeitung ein kleiner Schaden bei¬
nahe genau dasselbe Arbeitsmaß beansprucht wie ein großer, und erwägt man
die verlockende Wirkung der gewinnreichen Regulierung eines solchen Bagatell-
schadens auf nicht ganz taktfeste Versicherte, so wird man es begreiflich finden,
daß gerade die guten Gesellschaften, die bei wirklichen Brandschäden ihren Ver¬
pflichtungen gern im vollsten Umfange nachkommen, sich gegen dieses an Brand¬
bettel oder an Betrug grenzende Unwesen, das eine ganz bedeutende Ausbeutung
der Gesellschaften durch die Versicherten darstellt, möglichst ablehnend Verhalten-
Das neue Gesetz über den Versicherungsvertrag kommt ihnen dabei leider gar
nicht zu Hilfe, da es keine Begriffsbestimmung des Wortes „Brandereignis"
enthält und die auch nicht einmal maßgebende Bemerkung der Begründung
sS. 127), daß „der Verhinderer für solche Schäden nicht auszukommen habe, die


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[0698] Die private Feuerversicherung dazu ist das Publikum erst systematisch von den konkurrenzwütigen Vertretern der Feuerversicherungen, und nicht gerade ihrer besten, erzogen worden. Es wirkt doch geradezu lächerlich, wenn die Frau Oberleutnant von P. den Wert ihres großen Tafeltuches von der Feuerversicherungsgesellschaft bezahlt zu haben wünscht, weil ihr der Herr Hauptmann M. beim Diner mit der Zigarre ein Löchelchen hineingebrannt hat, oder wenn der Rentier Samuelsohn einen neuen Badeofen beansprucht, weil ihm der seinige gestern infolge von Überheizung auseinandergeschmolzen sei. Das ist pure Ausbeutung, und doch können beide sicher sein, daß ihnen anstandslos die — anstandslos verlangte Entschädigung ausgezahlt wird, denn mit solchen Kunden verdirbt es keine Gesellschaft gern; aber ihre Ansprüche stehn moralisch sicher nicht höher als die eines armen Arbeiters, der seinen durchnäßten Arbeitsrock zu nahe an den geheizten Ofen gehängt und ein großes Loch hineingesengt hat, oder der armen Witwe, die ihres Schulbübleins nasse und zerrissene Schuhe des Abends zum Trockne» in den ausgebrannten Ofen gestellt und in der Schlaftrunkenheit des nächsten Morgens beim Feueranmachen vergessen hat, sie herauszunehmen. Ob diesen beiden Leuten ihre Ausbeutungsversuche ebenso gut glücken werden, ist mir zweifelhaft, namentlich wenn es sich gerade um die Gesellschaften handelt, deren Vertreter in den erwähnten andern Fällen eifrig versichern, daß sie „solche" Schäden sehr gern vergüten. Von der ungeheuern Menge dieser kleinen soge¬ nannten Haushaltungsschäden macht sich der Laie kaum einen Begriff. Nach einer kürzlich darüber ausgemachten Statistik sind im Jahre 1903 von einund- dreißig größern Feuerversichernngsgesellschaften in Deutschland an solchen Bagatell- schäden vergütet worden: 28211 Vrandsülle mit bis zu 10 Mark 20276 „ „ „ „ 20 „ 10463 „ „ „ „ 30 „ 6523 „ „ „ „ 40 „ 3365 „ „ „ „ 50 „ und zwar mit einer Gesamtentschädigung von 1138533 Mark. Bedenkt man, daß zu dieser Summe noch recht bedeutende, oft die Bagatellbeträge über¬ steigende Regulierungskosten kommen, die von der Gesellschaft getragen werden müssen, und daß bei der bureaumäßigen Bearbeitung ein kleiner Schaden bei¬ nahe genau dasselbe Arbeitsmaß beansprucht wie ein großer, und erwägt man die verlockende Wirkung der gewinnreichen Regulierung eines solchen Bagatell- schadens auf nicht ganz taktfeste Versicherte, so wird man es begreiflich finden, daß gerade die guten Gesellschaften, die bei wirklichen Brandschäden ihren Ver¬ pflichtungen gern im vollsten Umfange nachkommen, sich gegen dieses an Brand¬ bettel oder an Betrug grenzende Unwesen, das eine ganz bedeutende Ausbeutung der Gesellschaften durch die Versicherten darstellt, möglichst ablehnend Verhalten- Das neue Gesetz über den Versicherungsvertrag kommt ihnen dabei leider gar nicht zu Hilfe, da es keine Begriffsbestimmung des Wortes „Brandereignis" enthält und die auch nicht einmal maßgebende Bemerkung der Begründung sS. 127), daß „der Verhinderer für solche Schäden nicht auszukommen habe, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/698>, abgerufen am 26.06.2024.