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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Zur nordschleswigscheu Optantenfragc

junge" Leuten der ersten Jahrgänge so leicht mit der Prüfung zum einjährigen
Dienst, daß jeder normal begabte Mensch bestehn mußte --, wurde als ganz
unerträglich angesehen.

So begannen Optionen, weil mau der preußischen Wehrpflicht entgehn
wollte. Diese Optanteu -- und fast alle fallen in diese Kategorie -- hätten
am liebsten die Wehrpflicht durch ihre Option von sich abgestoßen, das Recht
des Wohnsitzes aber aufrechterhalten. Das erlaubte die preußische Regierung
nicht, sondern gab denen, die im Begriff waren zu optieren, zu verstehn, daß
mit der Pflicht auch alles und jedes Recht, das aus dem Uutertcmenver-
hältnis entspringe, erlöschen würde. Der Optant mußte also das Land ver¬
lassen. Was für Verhältnisse wurden denn hier entstanden sein, wenn die
loyalen Untertanen ihrer Militärpflicht genügt hätten, die Optanten aber
einfach zuhause geblieben wären, dabei aber, wie die dänischen Parteiführer
verlangt haben, die Rechte der andern, besonders das des Aufenthalts und
des Wählers, behalten hätten. Eine tiefe Mißstimmung unter den eignen,
Preußischen Untertanen wäre die notwendige Folge gewesen, und jedes fried¬
liche Zusammenleben der Deutschen und der Dänen in Nordschleswig wäre
ausgeschlossen gewesen, wie der damalige Ministerialdirektor Peters in der
Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 24. Februar 1902 betonte.

Als der Krieg zwischen Preuße" und Frankreich auszubrechen drohte,
mehrten sich die Optionen. Und da hier unzweideutig hervortrat, daß sie nur
von Leuten geschahen, die sich der Wehrpflicht entziehn wollten, woran die
vertragschließenden Mächte sicher nicht gedacht hatten, bemerkte Fürst Bismarck
in eiuer Note an den dänischen Minister des Äußern, daß die Leute eigent¬
lich hätten bestraft werden sollen, was man aber aus frenndnachbarlichcr
Rücksicht auf Dänemark unterlassen hätte.

Doch es kam noch besser. Der Krieg kam, und die Mobilmachung wurde be¬
fohlen. Da wurde die Auswanderung geradezu zur Fahnenflucht, indem nicht
nur Leute ohne Abgabe der Optionserklärnng -- diese wurde eine Zeit laug
nicht angenommen -- nach Dänemark reisten und sich damit begnügten, von
dort aus zu optieren, sondern auch in vielen Fällen die Reservisten die An¬
nahme der Einbernfungsorder verweigerten, und sogar viele nach der Annahme
der Order flüchteten und von Dänemark aus optierten. Preußen reklamierte
diese Reservisten und Landwehrleute, Dünemark weigerte sich, sie auszuliefern.
I" der loyalen Bevölkerung herrschte tiefe Mißstimmung, besonders bei denen,
die ihr Blut für das Vaterland dargeboten hatten. Es waren das unhalt¬
bare Zustände, und dieses alles führte dazu, daß 1872 in Apenrade eine
Kommission aus Vertretern Preußens und Dänemarks zusammentrat, um Be¬
stimmungen über die Wehrpflichtigen zu treffen, die nach Dänemark überge¬
treten waren.

Preußen zeigte sich sehr entgegenkommend, indem es nicht nnr alle die
als dänische Untertanen anerkannte, die im Jahre 1870 ausgewandert waren,
bevor die Einberufungsorder erging oder doch ihnen mitgeteilt worden war,
sondern "aus Milde und Allerhöchster Gnade" auch die, die nach Empfang
der Order gegangen waren oder sich deren Übermittlung entzogen hatten.


Zur nordschleswigscheu Optantenfragc

junge» Leuten der ersten Jahrgänge so leicht mit der Prüfung zum einjährigen
Dienst, daß jeder normal begabte Mensch bestehn mußte —, wurde als ganz
unerträglich angesehen.

So begannen Optionen, weil mau der preußischen Wehrpflicht entgehn
wollte. Diese Optanteu — und fast alle fallen in diese Kategorie — hätten
am liebsten die Wehrpflicht durch ihre Option von sich abgestoßen, das Recht
des Wohnsitzes aber aufrechterhalten. Das erlaubte die preußische Regierung
nicht, sondern gab denen, die im Begriff waren zu optieren, zu verstehn, daß
mit der Pflicht auch alles und jedes Recht, das aus dem Uutertcmenver-
hältnis entspringe, erlöschen würde. Der Optant mußte also das Land ver¬
lassen. Was für Verhältnisse wurden denn hier entstanden sein, wenn die
loyalen Untertanen ihrer Militärpflicht genügt hätten, die Optanten aber
einfach zuhause geblieben wären, dabei aber, wie die dänischen Parteiführer
verlangt haben, die Rechte der andern, besonders das des Aufenthalts und
des Wählers, behalten hätten. Eine tiefe Mißstimmung unter den eignen,
Preußischen Untertanen wäre die notwendige Folge gewesen, und jedes fried¬
liche Zusammenleben der Deutschen und der Dänen in Nordschleswig wäre
ausgeschlossen gewesen, wie der damalige Ministerialdirektor Peters in der
Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 24. Februar 1902 betonte.

Als der Krieg zwischen Preuße» und Frankreich auszubrechen drohte,
mehrten sich die Optionen. Und da hier unzweideutig hervortrat, daß sie nur
von Leuten geschahen, die sich der Wehrpflicht entziehn wollten, woran die
vertragschließenden Mächte sicher nicht gedacht hatten, bemerkte Fürst Bismarck
in eiuer Note an den dänischen Minister des Äußern, daß die Leute eigent¬
lich hätten bestraft werden sollen, was man aber aus frenndnachbarlichcr
Rücksicht auf Dänemark unterlassen hätte.

Doch es kam noch besser. Der Krieg kam, und die Mobilmachung wurde be¬
fohlen. Da wurde die Auswanderung geradezu zur Fahnenflucht, indem nicht
nur Leute ohne Abgabe der Optionserklärnng — diese wurde eine Zeit laug
nicht angenommen — nach Dänemark reisten und sich damit begnügten, von
dort aus zu optieren, sondern auch in vielen Fällen die Reservisten die An¬
nahme der Einbernfungsorder verweigerten, und sogar viele nach der Annahme
der Order flüchteten und von Dänemark aus optierten. Preußen reklamierte
diese Reservisten und Landwehrleute, Dünemark weigerte sich, sie auszuliefern.
I» der loyalen Bevölkerung herrschte tiefe Mißstimmung, besonders bei denen,
die ihr Blut für das Vaterland dargeboten hatten. Es waren das unhalt¬
bare Zustände, und dieses alles führte dazu, daß 1872 in Apenrade eine
Kommission aus Vertretern Preußens und Dänemarks zusammentrat, um Be¬
stimmungen über die Wehrpflichtigen zu treffen, die nach Dänemark überge¬
treten waren.

Preußen zeigte sich sehr entgegenkommend, indem es nicht nnr alle die
als dänische Untertanen anerkannte, die im Jahre 1870 ausgewandert waren,
bevor die Einberufungsorder erging oder doch ihnen mitgeteilt worden war,
sondern „aus Milde und Allerhöchster Gnade" auch die, die nach Empfang
der Order gegangen waren oder sich deren Übermittlung entzogen hatten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/559>, abgerufen am 29.06.2024.