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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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müssen. Wenn Reinhard bei seinen, Streben und Bemühen, wie er am Schlüsse
seiner Laufbahn gesteht, geirrt hat, so war das das Menschliche an ihm. "Es
irrt der Mensch, solang er strebt." Goethe, von dem dieses Wort stammt, war
der Freund Reinharts gewesen. Der andre, früh vollendete Freund und Lmids-
maun aber, Schiller, sowie auch Wieland, wie überhaupt so ziemlich die meisten
Kosmopoliten vor hundert Jahren, schwäbische und nichtschwäbische, haben die
Idee des Weltbürgertums mit Wissen von sich abgestreift und als eine wesent¬
lich verfrühte und deshalb verfehlte einsehen lernen. Die französische Praxis
mit ihren Blutbefehlen und die französischen Eroberungskriege mit ihren Ein-
quartierungen, Durchzügen und Brandschatzungen und die ganze französische
Fremdherrschaft überhaupt trugen das ihrige dazu bei, daß sie aus diesen Er¬
fahrungen an sich selbst und an ihren Freunden Heralls sich wieder auf den
Boden des Nationalismus zurückbegaben. Die Saat Mosers und Spittlers,
Schubarts und Pasis ging doch noch auf. Und gerade hundert Jahre sind es
jetzt, daß Schiller in seinem "Tell" (1804) als sein Vermächtnis an alle
Völker und insbesondre auch an seine lieben Deutschen Worte niederlegte, die
gerade auch uns nun durch die Gestalt des Grafen Reinhard doppelt greifbar
vor die Seele treten. Das eine: "Der fremde Zauber reißt die Jugend fort,"
und das andre: "Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an, das halte fest mit
deinem ganzen Herzen! Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft, dort in
der fremden Welt stehst du allein."

Ein Menschenalter, nicht länger, hatte das Weltbürgertum die öffentliche
Meinung beherrscht. Da erlosch es, wie wenn ein Meteor zur Erde füllt.
Wohl flackerte ums Jahr 1848 da und dort bei uns ein weltbürgerlich ange¬
hauchter Partikularismus empor. Aber der bald darauf beginnende und sieg¬
reich durchgeführte Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland hat auch den
Epigonen Reinharts das Unnatürliche dieses Weltbürgertums vor Augen führen
müssen. Sie konnten einem Worte Goethes beipflichten, daß "Kultur nichts
andres sei als ein höherer Begriff von politischen und militärischen Verhält¬
nissen, und daß es bei den Nationen ans die Kunst ankomme, sich in der
Welt zu betragen und nach Erfordern auch drein zu schlagen." Seitdem Bis-
marck Deutschland in den Sattel gesetzt hat, reitet keiner mehr das kosmopoli¬
tische Steckenpferd. Nicht ein Weltbürger, sondern vivis gsrinanuZ, ein Bürger
des Deutschen Reichs zu sein, ist der Stolz eines jeden. Und in der Treue
zum neuerstcmdnen Reiche, zu unserm Reiche, das uns nationale Wohlfahrt,
Macht und Ehre und die Stellung nnter den Völkern verbürgt, auf die wir
als ein großes Kulturvolk mit Recht Anspruch haben, lassen sich die Schwaben
von keinem andern Stamme übertreffen.




Grenzboten III 1904(.7
schwäbisches lOeltbnrgertum vor hundert Jahren

müssen. Wenn Reinhard bei seinen, Streben und Bemühen, wie er am Schlüsse
seiner Laufbahn gesteht, geirrt hat, so war das das Menschliche an ihm. „Es
irrt der Mensch, solang er strebt." Goethe, von dem dieses Wort stammt, war
der Freund Reinharts gewesen. Der andre, früh vollendete Freund und Lmids-
maun aber, Schiller, sowie auch Wieland, wie überhaupt so ziemlich die meisten
Kosmopoliten vor hundert Jahren, schwäbische und nichtschwäbische, haben die
Idee des Weltbürgertums mit Wissen von sich abgestreift und als eine wesent¬
lich verfrühte und deshalb verfehlte einsehen lernen. Die französische Praxis
mit ihren Blutbefehlen und die französischen Eroberungskriege mit ihren Ein-
quartierungen, Durchzügen und Brandschatzungen und die ganze französische
Fremdherrschaft überhaupt trugen das ihrige dazu bei, daß sie aus diesen Er¬
fahrungen an sich selbst und an ihren Freunden Heralls sich wieder auf den
Boden des Nationalismus zurückbegaben. Die Saat Mosers und Spittlers,
Schubarts und Pasis ging doch noch auf. Und gerade hundert Jahre sind es
jetzt, daß Schiller in seinem „Tell" (1804) als sein Vermächtnis an alle
Völker und insbesondre auch an seine lieben Deutschen Worte niederlegte, die
gerade auch uns nun durch die Gestalt des Grafen Reinhard doppelt greifbar
vor die Seele treten. Das eine: „Der fremde Zauber reißt die Jugend fort,"
und das andre: „Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an, das halte fest mit
deinem ganzen Herzen! Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft, dort in
der fremden Welt stehst du allein."

Ein Menschenalter, nicht länger, hatte das Weltbürgertum die öffentliche
Meinung beherrscht. Da erlosch es, wie wenn ein Meteor zur Erde füllt.
Wohl flackerte ums Jahr 1848 da und dort bei uns ein weltbürgerlich ange¬
hauchter Partikularismus empor. Aber der bald darauf beginnende und sieg¬
reich durchgeführte Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland hat auch den
Epigonen Reinharts das Unnatürliche dieses Weltbürgertums vor Augen führen
müssen. Sie konnten einem Worte Goethes beipflichten, daß „Kultur nichts
andres sei als ein höherer Begriff von politischen und militärischen Verhält¬
nissen, und daß es bei den Nationen ans die Kunst ankomme, sich in der
Welt zu betragen und nach Erfordern auch drein zu schlagen." Seitdem Bis-
marck Deutschland in den Sattel gesetzt hat, reitet keiner mehr das kosmopoli¬
tische Steckenpferd. Nicht ein Weltbürger, sondern vivis gsrinanuZ, ein Bürger
des Deutschen Reichs zu sein, ist der Stolz eines jeden. Und in der Treue
zum neuerstcmdnen Reiche, zu unserm Reiche, das uns nationale Wohlfahrt,
Macht und Ehre und die Stellung nnter den Völkern verbürgt, auf die wir
als ein großes Kulturvolk mit Recht Anspruch haben, lassen sich die Schwaben
von keinem andern Stamme übertreffen.




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[0513] schwäbisches lOeltbnrgertum vor hundert Jahren müssen. Wenn Reinhard bei seinen, Streben und Bemühen, wie er am Schlüsse seiner Laufbahn gesteht, geirrt hat, so war das das Menschliche an ihm. „Es irrt der Mensch, solang er strebt." Goethe, von dem dieses Wort stammt, war der Freund Reinharts gewesen. Der andre, früh vollendete Freund und Lmids- maun aber, Schiller, sowie auch Wieland, wie überhaupt so ziemlich die meisten Kosmopoliten vor hundert Jahren, schwäbische und nichtschwäbische, haben die Idee des Weltbürgertums mit Wissen von sich abgestreift und als eine wesent¬ lich verfrühte und deshalb verfehlte einsehen lernen. Die französische Praxis mit ihren Blutbefehlen und die französischen Eroberungskriege mit ihren Ein- quartierungen, Durchzügen und Brandschatzungen und die ganze französische Fremdherrschaft überhaupt trugen das ihrige dazu bei, daß sie aus diesen Er¬ fahrungen an sich selbst und an ihren Freunden Heralls sich wieder auf den Boden des Nationalismus zurückbegaben. Die Saat Mosers und Spittlers, Schubarts und Pasis ging doch noch auf. Und gerade hundert Jahre sind es jetzt, daß Schiller in seinem „Tell" (1804) als sein Vermächtnis an alle Völker und insbesondre auch an seine lieben Deutschen Worte niederlegte, die gerade auch uns nun durch die Gestalt des Grafen Reinhard doppelt greifbar vor die Seele treten. Das eine: „Der fremde Zauber reißt die Jugend fort," und das andre: „Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an, das halte fest mit deinem ganzen Herzen! Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft, dort in der fremden Welt stehst du allein." Ein Menschenalter, nicht länger, hatte das Weltbürgertum die öffentliche Meinung beherrscht. Da erlosch es, wie wenn ein Meteor zur Erde füllt. Wohl flackerte ums Jahr 1848 da und dort bei uns ein weltbürgerlich ange¬ hauchter Partikularismus empor. Aber der bald darauf beginnende und sieg¬ reich durchgeführte Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland hat auch den Epigonen Reinharts das Unnatürliche dieses Weltbürgertums vor Augen führen müssen. Sie konnten einem Worte Goethes beipflichten, daß „Kultur nichts andres sei als ein höherer Begriff von politischen und militärischen Verhält¬ nissen, und daß es bei den Nationen ans die Kunst ankomme, sich in der Welt zu betragen und nach Erfordern auch drein zu schlagen." Seitdem Bis- marck Deutschland in den Sattel gesetzt hat, reitet keiner mehr das kosmopoli¬ tische Steckenpferd. Nicht ein Weltbürger, sondern vivis gsrinanuZ, ein Bürger des Deutschen Reichs zu sein, ist der Stolz eines jeden. Und in der Treue zum neuerstcmdnen Reiche, zu unserm Reiche, das uns nationale Wohlfahrt, Macht und Ehre und die Stellung nnter den Völkern verbürgt, auf die wir als ein großes Kulturvolk mit Recht Anspruch haben, lassen sich die Schwaben von keinem andern Stamme übertreffen. Grenzboten III 1904(.7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/513>, abgerufen am 24.06.2024.