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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Deutschland und Japan

die allen Bewegungen mit dem Notizbuch in der Hand, zum Teil auch mit
photographischen Apparaten genau folgten, den Lager- und Garnisondienst
studierten, kurzum nicht müde wurden, sich das deutsche Vorbild einzuprägen.
Als sich Napoleon der Dritte bei der Zusammenkunft mit König Wilhelm
in Bellevue bei Sedan äußerst anerkennend über die preußische Artillerie aus¬
sprach, erwiderte ihm der Sieger: Wir haben uns bemüht, zu lernen. Das¬
selbe dürfen die Japaner heute von sich sagen, und sie haben es in Telegrammen
an den General Meckel, der einst in Japan ihr Lehrer gewesen war, dankbar
ausgesprochen. An dieser Bewährung der deutschen Dienstvorschriften, einem
europäisch geschulten Heere von großer Tapferkeit und Ausdauer gegenüber,
besteht begreiflicherweise auf deutscher Seite das höchste Interesse, wenngleich
die Waffenerfolge der Japaner kaum als absolute gelten können, da sie bisher
der russischen Armee gegenüber immer die Vorteile einer großen Übermacht
und einer bessern Kriegsvorbereitung hatten.

Nach dem japanisch-chinesischen Kriege war vielfach ausgesprochen worden,
die Leistungen der auch damals immer siegreichen Japaner beruhten auf der
Minderwertigkeit des chinesischen Gegners, einem europäischen Heere gegenüber
kämen sie nicht in Betracht. Diese Ansicht, die schon während der chinesischen
Expedition von 1900 vielfach korrigiert worden ist, und die Feldmarschall Graf
Waldersee als höchst fehlerhaft bezeichnet hat, der eine sehr hohe Meinung
von dem japanischen Heere mit nach Hause brachte, dürfte nun wohl überall
in ihr Gegenteil verkehrt sein. Eine Armee von etwa 400000 Mann mit
solchen Führern und solchen Leistungen zu Lande wie zur See ist im Gesamt¬
bilde der Weltlage eine neue und hochbedeutsame Erscheinung, wobei die
zähe Entschlossenheit des japanischen Nationalcharakters noch besonders ins
Gewicht fällt.

Für die deutsche Armee kommt ferner in Betracht, daß die Gestaltung
des Kriegsschauplatzes fast alle Kriegsmöglichkeiten umfaßt, mit denen eine
Großmacht irgend zu rechnen haben kann: Eisenbahntransport zu den Häfen,
Einschiffung großer Heeresmassen, Seetransport und dessen Deckung, Landung,
schwieriges waldreiches Terrain mit gar nicht oder sehr mangelhaft vorhandnen
Wegen und Straßen, Flußübergänge im großen Stil, dann der Kampf in
Gebirgen und Pässen, Vorgehn gegen stark befestigte Positionen unter Be¬
festigung der eignen Linien als Aufnahmestellungen, alle Schwierigkeiten des
Munitions- und Provianttransports, des Lazarettwesens in einem wenig
kultivierten Lande usw. In der Mandschurei hat die japanische Armee wieder
ein chinesisches Kriegstheater betreten, auf dem sie vor vier Jahren gemeinsam
mit uns operierte, und das ihr aus dem chinesisch-japanischen Kriege noch sehr
geläufig ist. Das Verhältnis zur chinesischen Bevölkerung, deren Verhalten,
die Verpflegungsfrage, Anlegung und Sicherung der Telegraphenlinien -- das
alles sind Dinge vom höchsten Interesse auch für das deutsche Heer, das auch
in frühern Jahrzehnten (1860 bis 1864), als wir noch keine überseeischen
Interessen hatten, dennoch überseeische Kriege mit großer Aufmerksamkeit be¬
obachtet hat. So den spanischen Feldzug in Marokko 1860, die französische
Expedition nach Mexiko, den amerikanischen Sezessionskrieg. General von


Deutschland und Japan

die allen Bewegungen mit dem Notizbuch in der Hand, zum Teil auch mit
photographischen Apparaten genau folgten, den Lager- und Garnisondienst
studierten, kurzum nicht müde wurden, sich das deutsche Vorbild einzuprägen.
Als sich Napoleon der Dritte bei der Zusammenkunft mit König Wilhelm
in Bellevue bei Sedan äußerst anerkennend über die preußische Artillerie aus¬
sprach, erwiderte ihm der Sieger: Wir haben uns bemüht, zu lernen. Das¬
selbe dürfen die Japaner heute von sich sagen, und sie haben es in Telegrammen
an den General Meckel, der einst in Japan ihr Lehrer gewesen war, dankbar
ausgesprochen. An dieser Bewährung der deutschen Dienstvorschriften, einem
europäisch geschulten Heere von großer Tapferkeit und Ausdauer gegenüber,
besteht begreiflicherweise auf deutscher Seite das höchste Interesse, wenngleich
die Waffenerfolge der Japaner kaum als absolute gelten können, da sie bisher
der russischen Armee gegenüber immer die Vorteile einer großen Übermacht
und einer bessern Kriegsvorbereitung hatten.

Nach dem japanisch-chinesischen Kriege war vielfach ausgesprochen worden,
die Leistungen der auch damals immer siegreichen Japaner beruhten auf der
Minderwertigkeit des chinesischen Gegners, einem europäischen Heere gegenüber
kämen sie nicht in Betracht. Diese Ansicht, die schon während der chinesischen
Expedition von 1900 vielfach korrigiert worden ist, und die Feldmarschall Graf
Waldersee als höchst fehlerhaft bezeichnet hat, der eine sehr hohe Meinung
von dem japanischen Heere mit nach Hause brachte, dürfte nun wohl überall
in ihr Gegenteil verkehrt sein. Eine Armee von etwa 400000 Mann mit
solchen Führern und solchen Leistungen zu Lande wie zur See ist im Gesamt¬
bilde der Weltlage eine neue und hochbedeutsame Erscheinung, wobei die
zähe Entschlossenheit des japanischen Nationalcharakters noch besonders ins
Gewicht fällt.

Für die deutsche Armee kommt ferner in Betracht, daß die Gestaltung
des Kriegsschauplatzes fast alle Kriegsmöglichkeiten umfaßt, mit denen eine
Großmacht irgend zu rechnen haben kann: Eisenbahntransport zu den Häfen,
Einschiffung großer Heeresmassen, Seetransport und dessen Deckung, Landung,
schwieriges waldreiches Terrain mit gar nicht oder sehr mangelhaft vorhandnen
Wegen und Straßen, Flußübergänge im großen Stil, dann der Kampf in
Gebirgen und Pässen, Vorgehn gegen stark befestigte Positionen unter Be¬
festigung der eignen Linien als Aufnahmestellungen, alle Schwierigkeiten des
Munitions- und Provianttransports, des Lazarettwesens in einem wenig
kultivierten Lande usw. In der Mandschurei hat die japanische Armee wieder
ein chinesisches Kriegstheater betreten, auf dem sie vor vier Jahren gemeinsam
mit uns operierte, und das ihr aus dem chinesisch-japanischen Kriege noch sehr
geläufig ist. Das Verhältnis zur chinesischen Bevölkerung, deren Verhalten,
die Verpflegungsfrage, Anlegung und Sicherung der Telegraphenlinien — das
alles sind Dinge vom höchsten Interesse auch für das deutsche Heer, das auch
in frühern Jahrzehnten (1860 bis 1864), als wir noch keine überseeischen
Interessen hatten, dennoch überseeische Kriege mit großer Aufmerksamkeit be¬
obachtet hat. So den spanischen Feldzug in Marokko 1860, die französische
Expedition nach Mexiko, den amerikanischen Sezessionskrieg. General von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/499>, abgerufen am 26.06.2024.