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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus der preußischen Archivverwaltung

War ein junger Beamter unter den geschilderten Verhältnissen mit seinem
Vorstand unzufrieden, so schloß er sich gern um so enger an den zweiten Be¬
amten, den Archivsekretär oder Archivar, an. Dieser hatte, wie bemerkt worden
ist, in allen Angelegenheiten beratende Stimme. Traf nun aber der Vorstand
seine Entscheidungen nicht im Sinne dieser beratenden Stimme, so entstand leicht
ein gespanntes Verhältnis zwischen den beiden Beamten. Diese Erscheinung
konnte man an vielen Archiven beobachten. Die zweiten Beamten beanspruchten
die Stellung von Mitregenten. Nach einer Erzählung, deren Richtigkeit wir
nicht kontrollieren können, sollte Sybel selbst geäußert haben, daß er den
Staatsarchivar nur als xriruus iutvr xaros betrachte. Jedenfalls hat das
Direktorium in seinen amtlichen Erlassen diese Auffassung nicht durchgeführt,
sondern die Staatsarchivare allein für alle Vorkommnisse verantwortlich
gemacht.

Wollte ein jüngerer Beamter sich der Fronde gegen den Vorstand nicht
anschließen, so kam er in den Ruf eines schlechten Kameraden. So herrschte
zum Beispiel an dem Staatsarchive zu N. eine Meinungsverschiedenheit zwischen
dem Staatsarchivar und dem zweiten Beamten, Archivar A., über die Benutzung
eines zum Dienstgebäude gehörigen Grundstücks. Der dritte Beamte, den wir
mit B. bezeichnen wollen, hielt sich neutral, da er kein Interesse an der Sache
hatte. Der Streit wurde bald gegenstandslos, weil das Direktorium über das
Grundstück anderweitig verfügte. Später wurde A. mit Beförderung versetzt;
an das Archiv kam ein neuer Assistent. Dieser fragte eines Tags B. nach
der Geschichte jenes Handels. B. teilte ihm mit, was er davon wußte, und
führte dabei eine Äußerung von A. wörtlich an. Der Assistent suchte dann
Freunde von A. auf, sprach mit ihnen ebenfalls über die Angelegenheit und
behauptete fälschlich, B. habe jene vertrauliche Äußerung von A. dem Staats¬
archivar hinterbracht. Die Folge war, daß manche ihre Beziehungen zu B.
abbrachen.

Auch die literarische Tätigkeit führte nicht selten zu persönlichen Kon¬
flikten. Der Archivar, der eine größere Publikation übernahm, fand selten in
seinem eignen Archiv den Stoff vollständig beisammen; er mußte an andern
Orten Ergänzungen suchen. Hierbei war er auf die Beihilfe seiner Kollegen
angewiesen. Den akademischen Gelehrten gegenüber war er, wie wir gesehen
haben, dadurch im Nachteil, daß ihm weniger literarische Hilfsmittel zu Gebote
standen; leicht konnte er ein in sein Gebiet einschlagendes Werk übersehen und
sich dadurch Vorwürfe zuziehn. Tatsächlich gehört es zu den Schattenseiten
der modernen Fachkritik, daß sie bei ihren Objekten mehr die Fehler als das
Gute hervorhebt. Bei manchen Archivaren riefen diese Umstände eine nervöse
Reizbarkeit hervor; diese äußerte sich in besonders unangenehmer Weise, wenn
den eignen Arbeiten von andrer Seite Konkurrenz gemacht wurde. Den Lesern
der Grenzboten ist der Streit erinnerlich, den im Jahre 1885 Reinhold
Koser gegen die Firma Grunow führte, als diese eine deutsche Übersetzung der
von Koser herausgegebnen Memoiren von Henri de Caet veranstaltete. Wir
können aus eigner Erfahrung einen ähnlichen Fall anführen. Ein akademischer
Gelehrter veröffentlichte ein Werk über ein Thema, das schon einige Jahre


Erinnerungen aus der preußischen Archivverwaltung

War ein junger Beamter unter den geschilderten Verhältnissen mit seinem
Vorstand unzufrieden, so schloß er sich gern um so enger an den zweiten Be¬
amten, den Archivsekretär oder Archivar, an. Dieser hatte, wie bemerkt worden
ist, in allen Angelegenheiten beratende Stimme. Traf nun aber der Vorstand
seine Entscheidungen nicht im Sinne dieser beratenden Stimme, so entstand leicht
ein gespanntes Verhältnis zwischen den beiden Beamten. Diese Erscheinung
konnte man an vielen Archiven beobachten. Die zweiten Beamten beanspruchten
die Stellung von Mitregenten. Nach einer Erzählung, deren Richtigkeit wir
nicht kontrollieren können, sollte Sybel selbst geäußert haben, daß er den
Staatsarchivar nur als xriruus iutvr xaros betrachte. Jedenfalls hat das
Direktorium in seinen amtlichen Erlassen diese Auffassung nicht durchgeführt,
sondern die Staatsarchivare allein für alle Vorkommnisse verantwortlich
gemacht.

Wollte ein jüngerer Beamter sich der Fronde gegen den Vorstand nicht
anschließen, so kam er in den Ruf eines schlechten Kameraden. So herrschte
zum Beispiel an dem Staatsarchive zu N. eine Meinungsverschiedenheit zwischen
dem Staatsarchivar und dem zweiten Beamten, Archivar A., über die Benutzung
eines zum Dienstgebäude gehörigen Grundstücks. Der dritte Beamte, den wir
mit B. bezeichnen wollen, hielt sich neutral, da er kein Interesse an der Sache
hatte. Der Streit wurde bald gegenstandslos, weil das Direktorium über das
Grundstück anderweitig verfügte. Später wurde A. mit Beförderung versetzt;
an das Archiv kam ein neuer Assistent. Dieser fragte eines Tags B. nach
der Geschichte jenes Handels. B. teilte ihm mit, was er davon wußte, und
führte dabei eine Äußerung von A. wörtlich an. Der Assistent suchte dann
Freunde von A. auf, sprach mit ihnen ebenfalls über die Angelegenheit und
behauptete fälschlich, B. habe jene vertrauliche Äußerung von A. dem Staats¬
archivar hinterbracht. Die Folge war, daß manche ihre Beziehungen zu B.
abbrachen.

Auch die literarische Tätigkeit führte nicht selten zu persönlichen Kon¬
flikten. Der Archivar, der eine größere Publikation übernahm, fand selten in
seinem eignen Archiv den Stoff vollständig beisammen; er mußte an andern
Orten Ergänzungen suchen. Hierbei war er auf die Beihilfe seiner Kollegen
angewiesen. Den akademischen Gelehrten gegenüber war er, wie wir gesehen
haben, dadurch im Nachteil, daß ihm weniger literarische Hilfsmittel zu Gebote
standen; leicht konnte er ein in sein Gebiet einschlagendes Werk übersehen und
sich dadurch Vorwürfe zuziehn. Tatsächlich gehört es zu den Schattenseiten
der modernen Fachkritik, daß sie bei ihren Objekten mehr die Fehler als das
Gute hervorhebt. Bei manchen Archivaren riefen diese Umstände eine nervöse
Reizbarkeit hervor; diese äußerte sich in besonders unangenehmer Weise, wenn
den eignen Arbeiten von andrer Seite Konkurrenz gemacht wurde. Den Lesern
der Grenzboten ist der Streit erinnerlich, den im Jahre 1885 Reinhold
Koser gegen die Firma Grunow führte, als diese eine deutsche Übersetzung der
von Koser herausgegebnen Memoiren von Henri de Caet veranstaltete. Wir
können aus eigner Erfahrung einen ähnlichen Fall anführen. Ein akademischer
Gelehrter veröffentlichte ein Werk über ein Thema, das schon einige Jahre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/455>, abgerufen am 26.06.2024.