Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Napoleon im Zenit und im Niedergang und ihre Tochter Hortense, die Königin von Holland, "waren österreichisch Napoleon hat gehofft, dnrch diese Heirat Nußland und Österreich zu Der Vater der Geschichte, der alte Herodot, hätte eine andre Betrachtung Napoleon im Zenit und im Niedergang und ihre Tochter Hortense, die Königin von Holland, „waren österreichisch Napoleon hat gehofft, dnrch diese Heirat Nußland und Österreich zu Der Vater der Geschichte, der alte Herodot, hätte eine andre Betrachtung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294865"/> <fw type="header" place="top"> Napoleon im Zenit und im Niedergang</fw><lb/> <p xml:id="ID_1981" prev="#ID_1980"> und ihre Tochter Hortense, die Königin von Holland, „waren österreichisch<lb/> und russenfeindlich bis in die Seele." Eugen hatte den Mut, dem Kaiser<lb/> direkt die Erzherzogin zu empfehlen. Die Ehe wurde vollzogen, und war sie<lb/> vom legitimistischen Standpunkt aus eine Mesalliance, so war sie doch nach<lb/> dem Ausdruck der Gräfin Potocka uns brillante in«Z8g.Illg.ri<Z6.</p><lb/> <p xml:id="ID_1982"> Napoleon hat gehofft, dnrch diese Heirat Nußland und Österreich zu<lb/> trennen. Als ihm ein Sohn geboren wurde, schien seine Dynastie gesichert zu<lb/> sein; sogar der ewige Krieg mit England wurde allmählich als etwas Unvermeid¬<lb/> liches ertragen, und wenn der Bauer dem Kaiser seine Söhne für den spanischen<lb/> Krieg geben mußte, so erhielt er für seine Pferde, deren das Heer bedürfte,<lb/> einen vielfachen Preis; andrerseits verdienten auch die Geschäftsleute dnrch<lb/> den Krieg, der ungezählte Summen verschlang, schwer Geld. Eine Zeit lang<lb/> schien es auch, als wenn Frankreich, das bis zur Trave reichte, bis zum<lb/> Ebro erweitert werden sollte, Katalonien, nie kastilicmisch gesinnt, sollte zu<lb/> Frankreich geschlagen werden, der Begriff des zranäs smpiro wurde mehr<lb/> und mehr verwirklicht. Montaigne aber sagt: „Es gibt kein dauerhaftes Sein,<lb/> nicht von Menschen noch von Dingen; wir, unsre Ansichten und alle sterb¬<lb/> lichen Dinge fließen und rollen ohne Aufhören." So auch hier; überall<lb/> hören wir Kassandrci, der Jubelruf klingt wie ein Schrei des Schmerzes.<lb/> Die österreichische Ehe trennt Rußland nicht von Osterreich, sie nähert es ihm<lb/> vielmehr, weil es eine Stütze sucht; Alexander läßt Franz im Sommer 1810<lb/> versichern, daß er gegen die Herstellung des Kaiserstaats in seinen alten<lb/> Grenzen nichts zu erinnern hat. Gleichwohl muß Österreich 1812 äußerlich<lb/> uoch Napoleon Heerfolge leisten, der Kaiser zieht siegreich in Moskau ein.<lb/> Aber, sagt Sorel am Schluß des siebenten Bandes (S. 597), „die Eroberung,<lb/> soweit getrieben, scheitert und schlägt um. Die Flut hat den Kaiser bis an die<lb/> Mauern des Kreml getragen, nun tritt sie zurück, fortgerissen von ihrem eignen<lb/> Gewicht, durch den Umschwung, der sich in den tiefen Massen vollzieht,<lb/> fließt sie auf sich selbst zurück und weicht. Das ganze Eroberungswerk der<lb/> französischen Revolution stürzt mit der großen Armee zusammen, und die<lb/> französische Revolution selbst weicht zurück. Sie verschwindet nicht, sie ge¬<lb/> staltet sich um, sie verbreitet sich über andre Ufer, und nachdem sie in Frank¬<lb/> reich national gewesen war, wird sie es in allen Nationen Europas. Aber<lb/> durch ihr Rückfluten wurde die große Armee verschlungen, und Frankreich<lb/> selbst überschwemmt: rsvsrsg,s sunt g,Mg,ö se oxernsrnnt vnrrus et gauitss."</p><lb/> <p xml:id="ID_1983"> Der Vater der Geschichte, der alte Herodot, hätte eine andre Betrachtung<lb/> angestellt: er hätte uns davon gesprochen, daß es den Menschen im Blute liege,<lb/> sich durch den Erfolg blenden zu lassen und über das menschliche Maß hinaus<lb/> zu streben; daß es aber eine höhere Macht gebe, die alles sich Überhebende klein<lb/> mache und zurückdämme. Er hätte uns das alte Lied von dem Neide der Götter<lb/> gesungen, das sich an Krösus, an Cyrus und an Xerxes ebenso erfüllte wie an<lb/> dem gewaltigen Korsen, an den Franzosen nicht minder wie einst an den Lydern<lb/> und den Persern.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0448]
Napoleon im Zenit und im Niedergang
und ihre Tochter Hortense, die Königin von Holland, „waren österreichisch
und russenfeindlich bis in die Seele." Eugen hatte den Mut, dem Kaiser
direkt die Erzherzogin zu empfehlen. Die Ehe wurde vollzogen, und war sie
vom legitimistischen Standpunkt aus eine Mesalliance, so war sie doch nach
dem Ausdruck der Gräfin Potocka uns brillante in«Z8g.Illg.ri<Z6.
Napoleon hat gehofft, dnrch diese Heirat Nußland und Österreich zu
trennen. Als ihm ein Sohn geboren wurde, schien seine Dynastie gesichert zu
sein; sogar der ewige Krieg mit England wurde allmählich als etwas Unvermeid¬
liches ertragen, und wenn der Bauer dem Kaiser seine Söhne für den spanischen
Krieg geben mußte, so erhielt er für seine Pferde, deren das Heer bedürfte,
einen vielfachen Preis; andrerseits verdienten auch die Geschäftsleute dnrch
den Krieg, der ungezählte Summen verschlang, schwer Geld. Eine Zeit lang
schien es auch, als wenn Frankreich, das bis zur Trave reichte, bis zum
Ebro erweitert werden sollte, Katalonien, nie kastilicmisch gesinnt, sollte zu
Frankreich geschlagen werden, der Begriff des zranäs smpiro wurde mehr
und mehr verwirklicht. Montaigne aber sagt: „Es gibt kein dauerhaftes Sein,
nicht von Menschen noch von Dingen; wir, unsre Ansichten und alle sterb¬
lichen Dinge fließen und rollen ohne Aufhören." So auch hier; überall
hören wir Kassandrci, der Jubelruf klingt wie ein Schrei des Schmerzes.
Die österreichische Ehe trennt Rußland nicht von Osterreich, sie nähert es ihm
vielmehr, weil es eine Stütze sucht; Alexander läßt Franz im Sommer 1810
versichern, daß er gegen die Herstellung des Kaiserstaats in seinen alten
Grenzen nichts zu erinnern hat. Gleichwohl muß Österreich 1812 äußerlich
uoch Napoleon Heerfolge leisten, der Kaiser zieht siegreich in Moskau ein.
Aber, sagt Sorel am Schluß des siebenten Bandes (S. 597), „die Eroberung,
soweit getrieben, scheitert und schlägt um. Die Flut hat den Kaiser bis an die
Mauern des Kreml getragen, nun tritt sie zurück, fortgerissen von ihrem eignen
Gewicht, durch den Umschwung, der sich in den tiefen Massen vollzieht,
fließt sie auf sich selbst zurück und weicht. Das ganze Eroberungswerk der
französischen Revolution stürzt mit der großen Armee zusammen, und die
französische Revolution selbst weicht zurück. Sie verschwindet nicht, sie ge¬
staltet sich um, sie verbreitet sich über andre Ufer, und nachdem sie in Frank¬
reich national gewesen war, wird sie es in allen Nationen Europas. Aber
durch ihr Rückfluten wurde die große Armee verschlungen, und Frankreich
selbst überschwemmt: rsvsrsg,s sunt g,Mg,ö se oxernsrnnt vnrrus et gauitss."
Der Vater der Geschichte, der alte Herodot, hätte eine andre Betrachtung
angestellt: er hätte uns davon gesprochen, daß es den Menschen im Blute liege,
sich durch den Erfolg blenden zu lassen und über das menschliche Maß hinaus
zu streben; daß es aber eine höhere Macht gebe, die alles sich Überhebende klein
mache und zurückdämme. Er hätte uns das alte Lied von dem Neide der Götter
gesungen, das sich an Krösus, an Cyrus und an Xerxes ebenso erfüllte wie an
dem gewaltigen Korsen, an den Franzosen nicht minder wie einst an den Lydern
und den Persern.
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