Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Gräfin Susanna Ich bin doch wahrhaftig kein achtzehnjähriger Junge mehr! Ich darf ent¬ Aber dieser Versuch mißlang völlig. Zwei Minuten später dachte er ernst¬ Wenn sie wirklich Signora Torrebicmca ist, seufzte er sehnsüchtig, so werde Das Summen der Bienen, der Gesang der Vögel, der Duft der Blumen, Endlich fuhr er ärgerlich auf. Bah! rief er, es ist das Wetter! Dieses alberne, liebekranke Wetter! Und darauf verfügte er sich mit seinen Schreibmaterialien in den Billardsaal, Aber diese Veränderung schien keinen wesentlichen Erfolg zu haben, denn Heiß mich reden, und ich entzücke dein Ohr! erklang aus der Ferne Adrians Heiß mich reden, und ich entzücke dein O--O--Ohr! versicherte er nochmals Dieser schien ganz ins Briefschreiben vertieft zu sein. Hin! Hin! räusperte sich Adrian nach einer Weile. Aber Anthony sah nicht auf. Na, an diesem unwahrscheinlichsten aller Orte! sagte Adrian verwundert. Anthonys Feder flog über das Papier. Eine erstaunliche Fähigkeit zu geistiger Konzentration! sagte Adrian im Ton Nun? Was? fragte Anthony schließlich zerstreut, ohne aufzusehen. Ich habe weit und breit nach dir gesucht, sagte Adrian. Nun? Was? wiederholte Anthony, weiter schreibend. Nun riß Adrian die Geduld. Nun? Was? Ich will dich benunwasen, drohte er, die Faust schüttelnd. Wegen des Wetters, erklärte Anthony, der schließlich seinen Brief beiseite ge¬ Das Wetter? fragte Adrian verwundert. Du konntest das Wetter nicht ver¬ Dann verfiel er ans seinem spöttischen Ton plötzlich in den einer lustigen Gräfin Susanna Ich bin doch wahrhaftig kein achtzehnjähriger Junge mehr! Ich darf ent¬ Aber dieser Versuch mißlang völlig. Zwei Minuten später dachte er ernst¬ Wenn sie wirklich Signora Torrebicmca ist, seufzte er sehnsüchtig, so werde Das Summen der Bienen, der Gesang der Vögel, der Duft der Blumen, Endlich fuhr er ärgerlich auf. Bah! rief er, es ist das Wetter! Dieses alberne, liebekranke Wetter! Und darauf verfügte er sich mit seinen Schreibmaterialien in den Billardsaal, Aber diese Veränderung schien keinen wesentlichen Erfolg zu haben, denn Heiß mich reden, und ich entzücke dein Ohr! erklang aus der Ferne Adrians Heiß mich reden, und ich entzücke dein O—O—Ohr! versicherte er nochmals Dieser schien ganz ins Briefschreiben vertieft zu sein. Hin! Hin! räusperte sich Adrian nach einer Weile. Aber Anthony sah nicht auf. Na, an diesem unwahrscheinlichsten aller Orte! sagte Adrian verwundert. Anthonys Feder flog über das Papier. Eine erstaunliche Fähigkeit zu geistiger Konzentration! sagte Adrian im Ton Nun? Was? fragte Anthony schließlich zerstreut, ohne aufzusehen. Ich habe weit und breit nach dir gesucht, sagte Adrian. Nun? Was? wiederholte Anthony, weiter schreibend. Nun riß Adrian die Geduld. Nun? Was? Ich will dich benunwasen, drohte er, die Faust schüttelnd. Wegen des Wetters, erklärte Anthony, der schließlich seinen Brief beiseite ge¬ Das Wetter? fragte Adrian verwundert. Du konntest das Wetter nicht ver¬ Dann verfiel er ans seinem spöttischen Ton plötzlich in den einer lustigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294836"/> <fw type="header" place="top"> Gräfin Susanna</fw><lb/> <p xml:id="ID_1766"> Ich bin doch wahrhaftig kein achtzehnjähriger Junge mehr! Ich darf ent¬<lb/> schieden gar nicht mehr an sie denken!</p><lb/> <p xml:id="ID_1767"> Aber dieser Versuch mißlang völlig. Zwei Minuten später dachte er ernst¬<lb/> licher an sie als zuvor, und die sonderbare Aufregung, die sich seines von ihm<lb/> seit Jahren für unverwundbar gehaltnen Herzens schon vorhin bemächtigt hatte,<lb/> zeigte sich aufs neue.</p><lb/> <p xml:id="ID_1768"> Wenn sie wirklich Signora Torrebicmca ist, seufzte er sehnsüchtig, so werde<lb/> ich sie am Sonntag besuchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1769"> Das Summen der Bienen, der Gesang der Vögel, der Duft der Blumen,<lb/> mit dem die linde Luft geschwängert war: sie alle schienen sich mit dem Gedanken<lb/> an sie zu verschmelze» und ihn nur noch reizvoller, noch süßer zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1770"> Endlich fuhr er ärgerlich auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1771"> Bah! rief er, es ist das Wetter! Dieses alberne, liebekranke Wetter!</p><lb/> <p xml:id="ID_1772"> Und darauf verfügte er sich mit seinen Schreibmaterialien in den Billardsaal,<lb/> ein nach Norden liegendes Gemach, dessen Fenster auf den großen, schattigen Hof<lb/> gingen, und dessen Luft nur von dem geisterhaften Duft gestrigen Tabakrauchs er¬<lb/> füllt war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1773"> Aber diese Veränderung schien keinen wesentlichen Erfolg zu haben, denn<lb/> nach wenig Minuten rief er wieder: Bah! Ihre verwünschten Augen sinds! Diese<lb/> lachenden, forschenden, verheißenden Augen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1774"> Heiß mich reden, und ich entzücke dein Ohr! erklang aus der Ferne Adrians<lb/> Stimme, die unter fortwährender Wiederholung dieses liebenswürdigen, nach einer<lb/> improvisierten Melodie gesungnen Anerbietens immer näher kam, bis die Tür<lb/> aufging, und der Sänger auf der Schwelle stand.</p><lb/> <p xml:id="ID_1775"> Heiß mich reden, und ich entzücke dein O—O—Ohr! versicherte er nochmals<lb/> energisch und verstummte, als er Anthony erblickte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1776"> Dieser schien ganz ins Briefschreiben vertieft zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1777"> Hin! Hin! räusperte sich Adrian nach einer Weile.</p><lb/> <p xml:id="ID_1778"> Aber Anthony sah nicht auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1779"> Na, an diesem unwahrscheinlichsten aller Orte! sagte Adrian verwundert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1780"> Anthonys Feder flog über das Papier.</p><lb/> <p xml:id="ID_1781"> Eine erstaunliche Fähigkeit zu geistiger Konzentration! sagte Adrian im Ton<lb/> wissenschaftlicher Betrachtung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1782"> Nun? Was? fragte Anthony schließlich zerstreut, ohne aufzusehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1783"> Ich habe weit und breit nach dir gesucht, sagte Adrian.</p><lb/> <p xml:id="ID_1784"> Nun? Was? wiederholte Anthony, weiter schreibend.</p><lb/> <p xml:id="ID_1785"> Nun riß Adrian die Geduld.</p><lb/> <p xml:id="ID_1786"> Nun? Was? Ich will dich benunwasen, drohte er, die Faust schüttelnd.<lb/> Komm! Laß diese langweilige Briefschreiberei. Wissen Sie, wo Ihr Gebieter ist?<lb/> frage ich Wickersmith. — Ja, wenn Sie gütigst entschuldigen wollen, sagt Wickersmith,<lb/> ich glaube, ich habe ihn nach dem Billardsaal gehen sehen. — Blech, sage ich. Eine<lb/> optische Täuschung, mein guter Wink. So was tut kein Christenmensch. In dieser<lb/> düstern Höhle sitzen an einem solchen gottgesegneten Tage! — Doch nun erkenne die<lb/> siegende Macht der Wahrheit, fuhr er belehrend fort, und sieh, wie der Zweifler<lb/> vor ihr zunichte wird. Auf gut Glück lenke ich meine Schritte nach dem Billard¬<lb/> saal — und hier bist du!</p><lb/> <p xml:id="ID_1787"> Wegen des Wetters, erklärte Anthony, der schließlich seinen Brief beiseite ge¬<lb/> schoben hatte; ich war im Garten, aber ich konnte das Wetter nicht vertragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1788"> Das Wetter? fragte Adrian verwundert. Du konntest das Wetter nicht ver¬<lb/> tragen? Mein armes Lamm, was für eine zarte Konstitution es hat. Er konnte<lb/> das Wetter nicht vertragen! Mit zum Himmel gerichteten Augen schüttelte er mitleid¬<lb/> voll den Kopf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1789"> Dann verfiel er ans seinem spöttischen Ton plötzlich in den einer lustigen<lb/> Rhapsodie.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0419]
Gräfin Susanna
Ich bin doch wahrhaftig kein achtzehnjähriger Junge mehr! Ich darf ent¬
schieden gar nicht mehr an sie denken!
Aber dieser Versuch mißlang völlig. Zwei Minuten später dachte er ernst¬
licher an sie als zuvor, und die sonderbare Aufregung, die sich seines von ihm
seit Jahren für unverwundbar gehaltnen Herzens schon vorhin bemächtigt hatte,
zeigte sich aufs neue.
Wenn sie wirklich Signora Torrebicmca ist, seufzte er sehnsüchtig, so werde
ich sie am Sonntag besuchen.
Das Summen der Bienen, der Gesang der Vögel, der Duft der Blumen,
mit dem die linde Luft geschwängert war: sie alle schienen sich mit dem Gedanken
an sie zu verschmelze» und ihn nur noch reizvoller, noch süßer zu machen.
Endlich fuhr er ärgerlich auf.
Bah! rief er, es ist das Wetter! Dieses alberne, liebekranke Wetter!
Und darauf verfügte er sich mit seinen Schreibmaterialien in den Billardsaal,
ein nach Norden liegendes Gemach, dessen Fenster auf den großen, schattigen Hof
gingen, und dessen Luft nur von dem geisterhaften Duft gestrigen Tabakrauchs er¬
füllt war.
Aber diese Veränderung schien keinen wesentlichen Erfolg zu haben, denn
nach wenig Minuten rief er wieder: Bah! Ihre verwünschten Augen sinds! Diese
lachenden, forschenden, verheißenden Augen!
Heiß mich reden, und ich entzücke dein Ohr! erklang aus der Ferne Adrians
Stimme, die unter fortwährender Wiederholung dieses liebenswürdigen, nach einer
improvisierten Melodie gesungnen Anerbietens immer näher kam, bis die Tür
aufging, und der Sänger auf der Schwelle stand.
Heiß mich reden, und ich entzücke dein O—O—Ohr! versicherte er nochmals
energisch und verstummte, als er Anthony erblickte.
Dieser schien ganz ins Briefschreiben vertieft zu sein.
Hin! Hin! räusperte sich Adrian nach einer Weile.
Aber Anthony sah nicht auf.
Na, an diesem unwahrscheinlichsten aller Orte! sagte Adrian verwundert.
Anthonys Feder flog über das Papier.
Eine erstaunliche Fähigkeit zu geistiger Konzentration! sagte Adrian im Ton
wissenschaftlicher Betrachtung.
Nun? Was? fragte Anthony schließlich zerstreut, ohne aufzusehen.
Ich habe weit und breit nach dir gesucht, sagte Adrian.
Nun? Was? wiederholte Anthony, weiter schreibend.
Nun riß Adrian die Geduld.
Nun? Was? Ich will dich benunwasen, drohte er, die Faust schüttelnd.
Komm! Laß diese langweilige Briefschreiberei. Wissen Sie, wo Ihr Gebieter ist?
frage ich Wickersmith. — Ja, wenn Sie gütigst entschuldigen wollen, sagt Wickersmith,
ich glaube, ich habe ihn nach dem Billardsaal gehen sehen. — Blech, sage ich. Eine
optische Täuschung, mein guter Wink. So was tut kein Christenmensch. In dieser
düstern Höhle sitzen an einem solchen gottgesegneten Tage! — Doch nun erkenne die
siegende Macht der Wahrheit, fuhr er belehrend fort, und sieh, wie der Zweifler
vor ihr zunichte wird. Auf gut Glück lenke ich meine Schritte nach dem Billard¬
saal — und hier bist du!
Wegen des Wetters, erklärte Anthony, der schließlich seinen Brief beiseite ge¬
schoben hatte; ich war im Garten, aber ich konnte das Wetter nicht vertragen.
Das Wetter? fragte Adrian verwundert. Du konntest das Wetter nicht ver¬
tragen? Mein armes Lamm, was für eine zarte Konstitution es hat. Er konnte
das Wetter nicht vertragen! Mit zum Himmel gerichteten Augen schüttelte er mitleid¬
voll den Kopf.
Dann verfiel er ans seinem spöttischen Ton plötzlich in den einer lustigen
Rhapsodie.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |