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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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vom Kampfe gegen den Alkohol

Sprichworts Schneider, wenn er am Schreibtisch arbeitet, Schmied, wenn er
in den Ferien radelt oder Berge kraxelt. Und da kommt wenig darauf an,
ob sein Getränk einige Prozent Alkohol enthält oder nicht. Wolfgang Menzel
erzählt, daß er als junger Mann einmal an einem heißen Tage einen weiten
Marsch gemacht, in jedem Wirtshause (es war im Württembergischen) Wein
getrunken und so eine unglaubliche Quantität vertilgt habe; er habe das nie
wieder getan, aber damals habe er nicht die mindesten unangenehmen Folgen
verspürt. Man läuft sich eben die Flüssigkeit samt dem Alkohol aus. Der
Sitzende aber schadet sich mit einer großen Menge Wassers -- Wasserfanatiker
können auch unmäßig sein -- ganz ebenso wie mit einem Übermaß von Bier,
und bei kühlem Wetter vollends kann man sich auch beim Limonadetrinken
schon mit einem einzigen Schluck über das richtige Maß den Magen gründlich
verderben. Wer immer vernünftig gelebt hat, der fühlt, was ihm gut tut und
wieviel er davon braucht: Wasser, oder Milch, oder Wein, oder -- Schnaps,
denn auch für einen Kognak oder Korn kann unter Umständen wirkliches Be¬
dürfnis vorhanden sein.

Die Jugend in einer und zu eiuer vernünftigen Diät erziehn, das ist das
wichtigste. Kinder dürfen selbstverständlich niemals Schnaps, sollen aber auch
keinen Wein bekommen und müssen an Obst- und Milchkost gewöhnt werden.
Jungen Leuten mag man bei festlichen Gelegenheiten ein Glas Wein gönnen.
Was Bier und Zigarren betrifft, so sollte man ihnen sagen: "Beides ist euch
unverwehrt; ihr mögt diese sogenannten Genüsse kennen lernen, aber seid nicht
dumm und zwingt euch nicht aus Eitelkeit, für einen Genuß zu halten, was
euch widersteht. Und haltet auch in euerm spätern Leben an dem Grundsatze
fest, daß es töricht ist, aus Renommiersucht oder aus Höflichkeit oder um
der sogenannten geselligen Verpflichtungen willen sich den Magen zu ver¬
derben, Kopfweh und die Gicht anzuschaffen." Wenn die Verbote wegfielen,
würden die jungen Leute nicht mehr die Zigarre und das Bierglas für den
Beweis der erlangten männlichen Reife halten; aber solange es noch vor¬
kommen kann, daß ein neunzehnjähriger junger Mann in den Kärzer gesperrt
wird, weil er mit Kameraden im Wirtshaus ein Glas Bier getrunken und
eine Zigarre geraucht hat, so lange wird es jeder Gymnasiast, der sich ja,
wenn er kein Dämlack ist, zum Vorkämpfer der Freiheit berufen fühlt, für
seine heiligste Pflicht halten, in einem durch furchtbare Eide geweihten Verein
heimlich Zigarren und Bier zu vertilgen. Ist einer nun in der Jugend durch
vernünftige Erziehung an eine vernünftige Diät gewöhnt worden, dann wird
er jederzeit fühlen, ob er den Umständen nach etwas Alkoholisches genießen
iuuß oder darf, und beim wievielten Schluck er genug davou hat. Er wird
dann auch später die Erfahrung machen, daß im höhern Alter die Fähigkeit,
Alkohol zu verdauen, wieder abnimmt, und er wird sich danach richten.

(Schluß folgt)




Grenzboten III 19044
vom Kampfe gegen den Alkohol

Sprichworts Schneider, wenn er am Schreibtisch arbeitet, Schmied, wenn er
in den Ferien radelt oder Berge kraxelt. Und da kommt wenig darauf an,
ob sein Getränk einige Prozent Alkohol enthält oder nicht. Wolfgang Menzel
erzählt, daß er als junger Mann einmal an einem heißen Tage einen weiten
Marsch gemacht, in jedem Wirtshause (es war im Württembergischen) Wein
getrunken und so eine unglaubliche Quantität vertilgt habe; er habe das nie
wieder getan, aber damals habe er nicht die mindesten unangenehmen Folgen
verspürt. Man läuft sich eben die Flüssigkeit samt dem Alkohol aus. Der
Sitzende aber schadet sich mit einer großen Menge Wassers — Wasserfanatiker
können auch unmäßig sein — ganz ebenso wie mit einem Übermaß von Bier,
und bei kühlem Wetter vollends kann man sich auch beim Limonadetrinken
schon mit einem einzigen Schluck über das richtige Maß den Magen gründlich
verderben. Wer immer vernünftig gelebt hat, der fühlt, was ihm gut tut und
wieviel er davon braucht: Wasser, oder Milch, oder Wein, oder — Schnaps,
denn auch für einen Kognak oder Korn kann unter Umständen wirkliches Be¬
dürfnis vorhanden sein.

Die Jugend in einer und zu eiuer vernünftigen Diät erziehn, das ist das
wichtigste. Kinder dürfen selbstverständlich niemals Schnaps, sollen aber auch
keinen Wein bekommen und müssen an Obst- und Milchkost gewöhnt werden.
Jungen Leuten mag man bei festlichen Gelegenheiten ein Glas Wein gönnen.
Was Bier und Zigarren betrifft, so sollte man ihnen sagen: „Beides ist euch
unverwehrt; ihr mögt diese sogenannten Genüsse kennen lernen, aber seid nicht
dumm und zwingt euch nicht aus Eitelkeit, für einen Genuß zu halten, was
euch widersteht. Und haltet auch in euerm spätern Leben an dem Grundsatze
fest, daß es töricht ist, aus Renommiersucht oder aus Höflichkeit oder um
der sogenannten geselligen Verpflichtungen willen sich den Magen zu ver¬
derben, Kopfweh und die Gicht anzuschaffen." Wenn die Verbote wegfielen,
würden die jungen Leute nicht mehr die Zigarre und das Bierglas für den
Beweis der erlangten männlichen Reife halten; aber solange es noch vor¬
kommen kann, daß ein neunzehnjähriger junger Mann in den Kärzer gesperrt
wird, weil er mit Kameraden im Wirtshaus ein Glas Bier getrunken und
eine Zigarre geraucht hat, so lange wird es jeder Gymnasiast, der sich ja,
wenn er kein Dämlack ist, zum Vorkämpfer der Freiheit berufen fühlt, für
seine heiligste Pflicht halten, in einem durch furchtbare Eide geweihten Verein
heimlich Zigarren und Bier zu vertilgen. Ist einer nun in der Jugend durch
vernünftige Erziehung an eine vernünftige Diät gewöhnt worden, dann wird
er jederzeit fühlen, ob er den Umständen nach etwas Alkoholisches genießen
iuuß oder darf, und beim wievielten Schluck er genug davou hat. Er wird
dann auch später die Erfahrung machen, daß im höhern Alter die Fähigkeit,
Alkohol zu verdauen, wieder abnimmt, und er wird sich danach richten.

(Schluß folgt)




Grenzboten III 19044
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[0033] vom Kampfe gegen den Alkohol Sprichworts Schneider, wenn er am Schreibtisch arbeitet, Schmied, wenn er in den Ferien radelt oder Berge kraxelt. Und da kommt wenig darauf an, ob sein Getränk einige Prozent Alkohol enthält oder nicht. Wolfgang Menzel erzählt, daß er als junger Mann einmal an einem heißen Tage einen weiten Marsch gemacht, in jedem Wirtshause (es war im Württembergischen) Wein getrunken und so eine unglaubliche Quantität vertilgt habe; er habe das nie wieder getan, aber damals habe er nicht die mindesten unangenehmen Folgen verspürt. Man läuft sich eben die Flüssigkeit samt dem Alkohol aus. Der Sitzende aber schadet sich mit einer großen Menge Wassers — Wasserfanatiker können auch unmäßig sein — ganz ebenso wie mit einem Übermaß von Bier, und bei kühlem Wetter vollends kann man sich auch beim Limonadetrinken schon mit einem einzigen Schluck über das richtige Maß den Magen gründlich verderben. Wer immer vernünftig gelebt hat, der fühlt, was ihm gut tut und wieviel er davon braucht: Wasser, oder Milch, oder Wein, oder — Schnaps, denn auch für einen Kognak oder Korn kann unter Umständen wirkliches Be¬ dürfnis vorhanden sein. Die Jugend in einer und zu eiuer vernünftigen Diät erziehn, das ist das wichtigste. Kinder dürfen selbstverständlich niemals Schnaps, sollen aber auch keinen Wein bekommen und müssen an Obst- und Milchkost gewöhnt werden. Jungen Leuten mag man bei festlichen Gelegenheiten ein Glas Wein gönnen. Was Bier und Zigarren betrifft, so sollte man ihnen sagen: „Beides ist euch unverwehrt; ihr mögt diese sogenannten Genüsse kennen lernen, aber seid nicht dumm und zwingt euch nicht aus Eitelkeit, für einen Genuß zu halten, was euch widersteht. Und haltet auch in euerm spätern Leben an dem Grundsatze fest, daß es töricht ist, aus Renommiersucht oder aus Höflichkeit oder um der sogenannten geselligen Verpflichtungen willen sich den Magen zu ver¬ derben, Kopfweh und die Gicht anzuschaffen." Wenn die Verbote wegfielen, würden die jungen Leute nicht mehr die Zigarre und das Bierglas für den Beweis der erlangten männlichen Reife halten; aber solange es noch vor¬ kommen kann, daß ein neunzehnjähriger junger Mann in den Kärzer gesperrt wird, weil er mit Kameraden im Wirtshaus ein Glas Bier getrunken und eine Zigarre geraucht hat, so lange wird es jeder Gymnasiast, der sich ja, wenn er kein Dämlack ist, zum Vorkämpfer der Freiheit berufen fühlt, für seine heiligste Pflicht halten, in einem durch furchtbare Eide geweihten Verein heimlich Zigarren und Bier zu vertilgen. Ist einer nun in der Jugend durch vernünftige Erziehung an eine vernünftige Diät gewöhnt worden, dann wird er jederzeit fühlen, ob er den Umständen nach etwas Alkoholisches genießen iuuß oder darf, und beim wievielten Schluck er genug davou hat. Er wird dann auch später die Erfahrung machen, daß im höhern Alter die Fähigkeit, Alkohol zu verdauen, wieder abnimmt, und er wird sich danach richten. (Schluß folgt) Grenzboten III 19044

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/33>, abgerufen am 23.07.2024.