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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Literargeschichtliches

Namen Hegel, Schelling, Hölderlin, Mörike, D. F. Strauß. Bischer, Hauff
vergegenwärtigen können.

Ebenfalls als Jubilüumsschrift und als Beitrag zur Charakteristik bieten
sich uns die von Eugen Kaltschmidt herausgegebnen Briefe unsers ge¬
liebten, unvergeßlichen Ludwig Richter an seinen Verleger und Freund
Georg Wigand aus den Jahren 1836 bis 1858 (bei G. Wigand in Leipzig.
203 S. 1903, mit einigen meist humoristischen Federzeichnungen. 3,50 Mark,
geb. 4,50 Mark). Er gehörte anscheinend zu den vielen Künstlern, die so in
ihre Kunst vertieft sind, daß sie dabei das Getöse der sausenden Welt ent¬
weder nicht hören oder nicht dessen Echo werden. Nein, liebenswürdig, be¬
scheiden tritt er uns auch hier entgegen. Er selbst gibt uns eine kleine
Skizze seines Lebens (140 f.), wir hören von seiner Arbeitsweise und von
den Nöten, die ihm nicht selten die Holzschneider und Stahlstecher machten.
Fühlen wir uns so oft aus seinen Bildern vom frischen Zauber der Natur
und tief anheimelnder Empfindung angeregt, so vergleicht er selbst einmal
seine "Bildchen nur mit einem frischen Blumenkranz, der um den gefüllten
Kristallpokal voll des duftigsten Rheinweins gelegt ist." Übrigens war er
trotz fleißiger Arbeit und seinem guten Verhältnisse zu seinem Verleger Wigand
niemals reich. Dazu war ihm noch beschieden, einmal auf einem Berliner
Bahnhof um seine Brieftasche bestohlen zu werdeu. Seine mannigfaltigen
Schöpfungen, die uns so recht deutsch vorkommen, fort und fort zu genießen
sollten mindestens die Deutschen nie müde werden.

In unsrer denkmalsfrohen Zeit werden wir abermals um hundert Jahre
zurückgeführt durch zwei Eduard Mörike gewidmete Bücher. In dem einen
wird sein Leben und Dichten von Hnrry Mahne dargestellt (Stuttgart und
Berlin, Cotta Nachfolger, 1902. 415 S. mit einem Bildnis Mörikes), in dem
andern geben uns Karl Fischer und Rudolf Krauß ausgewählte Briefe
Mörikes (Berlin, Otto Elsner, 1903. 340 S.), Band I, 1816 bis 1840.

Durch unsern Betrieb der philologisch-historischen Studien hat sich all¬
mählich eine beinahe erschöpfende Methode ausgebildet, die sich, irre ich nicht,
auf literarhistorischein Gebiet zuerst in Danzcls Lessing bewährt hat, und die
neuerdings wieder eine theoretische Formulierung durch Wilmnowitz erfahren
hat (Philologie. Berlin und Leipzig, 1903). Auf diesen Pfaden wandelt
denn auch Mahne. So eifrig wird^ allen Verhältnissen Mörikes nachgespürt,
der Familie, den Freunden, Zeitverhältnissen, Einwirkungen des Lebens, der
antiken und der modernen Muster, daß man sich kaum denken kann, je noch
wesentlich Neues über ihn zu erfahren, auch wenn die so beliebten "Funde"
gemacht werden sollten, die einem Epigonen ein Rühmlein oder Nnhmoid
verschaffen können. Sollte dereinst das Peregrinaproblem (62 f.) ganz gelöst
werden, dann wird man "Bewegung" empfinden oder, wenn man sonst Lust
hat, mit einem modernen Lyriker singen

Damit ich das nicht zu unterschätzen scheine, will ich gleich von dieser Lösung,
die uns die noch nicht erschöpften Lenden der Zukunft vielleicht bescheren, ver-


Literargeschichtliches

Namen Hegel, Schelling, Hölderlin, Mörike, D. F. Strauß. Bischer, Hauff
vergegenwärtigen können.

Ebenfalls als Jubilüumsschrift und als Beitrag zur Charakteristik bieten
sich uns die von Eugen Kaltschmidt herausgegebnen Briefe unsers ge¬
liebten, unvergeßlichen Ludwig Richter an seinen Verleger und Freund
Georg Wigand aus den Jahren 1836 bis 1858 (bei G. Wigand in Leipzig.
203 S. 1903, mit einigen meist humoristischen Federzeichnungen. 3,50 Mark,
geb. 4,50 Mark). Er gehörte anscheinend zu den vielen Künstlern, die so in
ihre Kunst vertieft sind, daß sie dabei das Getöse der sausenden Welt ent¬
weder nicht hören oder nicht dessen Echo werden. Nein, liebenswürdig, be¬
scheiden tritt er uns auch hier entgegen. Er selbst gibt uns eine kleine
Skizze seines Lebens (140 f.), wir hören von seiner Arbeitsweise und von
den Nöten, die ihm nicht selten die Holzschneider und Stahlstecher machten.
Fühlen wir uns so oft aus seinen Bildern vom frischen Zauber der Natur
und tief anheimelnder Empfindung angeregt, so vergleicht er selbst einmal
seine „Bildchen nur mit einem frischen Blumenkranz, der um den gefüllten
Kristallpokal voll des duftigsten Rheinweins gelegt ist." Übrigens war er
trotz fleißiger Arbeit und seinem guten Verhältnisse zu seinem Verleger Wigand
niemals reich. Dazu war ihm noch beschieden, einmal auf einem Berliner
Bahnhof um seine Brieftasche bestohlen zu werdeu. Seine mannigfaltigen
Schöpfungen, die uns so recht deutsch vorkommen, fort und fort zu genießen
sollten mindestens die Deutschen nie müde werden.

In unsrer denkmalsfrohen Zeit werden wir abermals um hundert Jahre
zurückgeführt durch zwei Eduard Mörike gewidmete Bücher. In dem einen
wird sein Leben und Dichten von Hnrry Mahne dargestellt (Stuttgart und
Berlin, Cotta Nachfolger, 1902. 415 S. mit einem Bildnis Mörikes), in dem
andern geben uns Karl Fischer und Rudolf Krauß ausgewählte Briefe
Mörikes (Berlin, Otto Elsner, 1903. 340 S.), Band I, 1816 bis 1840.

Durch unsern Betrieb der philologisch-historischen Studien hat sich all¬
mählich eine beinahe erschöpfende Methode ausgebildet, die sich, irre ich nicht,
auf literarhistorischein Gebiet zuerst in Danzcls Lessing bewährt hat, und die
neuerdings wieder eine theoretische Formulierung durch Wilmnowitz erfahren
hat (Philologie. Berlin und Leipzig, 1903). Auf diesen Pfaden wandelt
denn auch Mahne. So eifrig wird^ allen Verhältnissen Mörikes nachgespürt,
der Familie, den Freunden, Zeitverhältnissen, Einwirkungen des Lebens, der
antiken und der modernen Muster, daß man sich kaum denken kann, je noch
wesentlich Neues über ihn zu erfahren, auch wenn die so beliebten „Funde"
gemacht werden sollten, die einem Epigonen ein Rühmlein oder Nnhmoid
verschaffen können. Sollte dereinst das Peregrinaproblem (62 f.) ganz gelöst
werden, dann wird man „Bewegung" empfinden oder, wenn man sonst Lust
hat, mit einem modernen Lyriker singen

Damit ich das nicht zu unterschätzen scheine, will ich gleich von dieser Lösung,
die uns die noch nicht erschöpften Lenden der Zukunft vielleicht bescheren, ver-


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[0753] Literargeschichtliches Namen Hegel, Schelling, Hölderlin, Mörike, D. F. Strauß. Bischer, Hauff vergegenwärtigen können. Ebenfalls als Jubilüumsschrift und als Beitrag zur Charakteristik bieten sich uns die von Eugen Kaltschmidt herausgegebnen Briefe unsers ge¬ liebten, unvergeßlichen Ludwig Richter an seinen Verleger und Freund Georg Wigand aus den Jahren 1836 bis 1858 (bei G. Wigand in Leipzig. 203 S. 1903, mit einigen meist humoristischen Federzeichnungen. 3,50 Mark, geb. 4,50 Mark). Er gehörte anscheinend zu den vielen Künstlern, die so in ihre Kunst vertieft sind, daß sie dabei das Getöse der sausenden Welt ent¬ weder nicht hören oder nicht dessen Echo werden. Nein, liebenswürdig, be¬ scheiden tritt er uns auch hier entgegen. Er selbst gibt uns eine kleine Skizze seines Lebens (140 f.), wir hören von seiner Arbeitsweise und von den Nöten, die ihm nicht selten die Holzschneider und Stahlstecher machten. Fühlen wir uns so oft aus seinen Bildern vom frischen Zauber der Natur und tief anheimelnder Empfindung angeregt, so vergleicht er selbst einmal seine „Bildchen nur mit einem frischen Blumenkranz, der um den gefüllten Kristallpokal voll des duftigsten Rheinweins gelegt ist." Übrigens war er trotz fleißiger Arbeit und seinem guten Verhältnisse zu seinem Verleger Wigand niemals reich. Dazu war ihm noch beschieden, einmal auf einem Berliner Bahnhof um seine Brieftasche bestohlen zu werdeu. Seine mannigfaltigen Schöpfungen, die uns so recht deutsch vorkommen, fort und fort zu genießen sollten mindestens die Deutschen nie müde werden. In unsrer denkmalsfrohen Zeit werden wir abermals um hundert Jahre zurückgeführt durch zwei Eduard Mörike gewidmete Bücher. In dem einen wird sein Leben und Dichten von Hnrry Mahne dargestellt (Stuttgart und Berlin, Cotta Nachfolger, 1902. 415 S. mit einem Bildnis Mörikes), in dem andern geben uns Karl Fischer und Rudolf Krauß ausgewählte Briefe Mörikes (Berlin, Otto Elsner, 1903. 340 S.), Band I, 1816 bis 1840. Durch unsern Betrieb der philologisch-historischen Studien hat sich all¬ mählich eine beinahe erschöpfende Methode ausgebildet, die sich, irre ich nicht, auf literarhistorischein Gebiet zuerst in Danzcls Lessing bewährt hat, und die neuerdings wieder eine theoretische Formulierung durch Wilmnowitz erfahren hat (Philologie. Berlin und Leipzig, 1903). Auf diesen Pfaden wandelt denn auch Mahne. So eifrig wird^ allen Verhältnissen Mörikes nachgespürt, der Familie, den Freunden, Zeitverhältnissen, Einwirkungen des Lebens, der antiken und der modernen Muster, daß man sich kaum denken kann, je noch wesentlich Neues über ihn zu erfahren, auch wenn die so beliebten „Funde" gemacht werden sollten, die einem Epigonen ein Rühmlein oder Nnhmoid verschaffen können. Sollte dereinst das Peregrinaproblem (62 f.) ganz gelöst werden, dann wird man „Bewegung" empfinden oder, wenn man sonst Lust hat, mit einem modernen Lyriker singen Damit ich das nicht zu unterschätzen scheine, will ich gleich von dieser Lösung, die uns die noch nicht erschöpften Lenden der Zukunft vielleicht bescheren, ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/753>, abgerufen am 04.07.2024.