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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Die Wehrsteuer

Bedenken, daß sie eine Reichsfinanzreform, d. h. eine Scheidung der Steuer¬
gewalt zwischen Reich und Einzelstaaten in etwas präjudizieren würde. Bisher
hat das Reich von jeder direkten Besteuerung wenigstens tatsächlich abgesehen,
und eine Neichsfinanzreform wird bei der Begrenzung der Finanzhoheit zwischen
Reich und Einzelstaaten erst zum Ausdruck bringen müssen, ob und inwieweit
das Reich überhaupt zu einer direkten Besteuerung zugelassen werden soll.
(Der Entwurf von 1881 hatte die Bedenken erkannt und einen Mittelweg ge¬
wählt, indem er den Ertrag der Wehrsteuer zunächst in die Reichskasse fließen
lassen wollte, von der sodann der Ertrag den einzelnen Bundesstaaten nach
Maßgabe der Größe der Bevölkerung, die für die Höhe der Matrikularbeiträge
bestimmend ist, überwiesen werden sollte.)

Auf die Schwierigkeiten der richtigen steuertechnischen Gestaltung einer
Wehrsteuer im einzelnen, zum Beispiel der Besteuerung des Vaters mit
mehreren Söhnen, von denen einer dient, der andre nicht dient, von der Un¬
gerechtigkeit, die darin liegt, jenen gewissermaßen doppelt zu treffen, usw. wollen
wir hier nicht näher eingehn.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich der Schluß, daß von einem allgemeinen
Billigkeitsstandpunkte die Wehrsteuer mancherlei für sich zu haben scheint. Geht
man aber den einzelnen in Betracht kommenden Gründen genauer nach, so zeigt
sich, daß ihre konsequente Durchführung zu einem befriedigenden Ergebnis zu
führen nicht geeignet ist. Weder sind allgemeine ethische noch rein finanzielle
Erwägungen noch solche wirtschaftlicher Natur oder ausgleichender Gerechtig¬
keit so überzeugend, daß man sich für diese Steuer sehr erwärmen könnte. In
Deutschland würde ihre Einführung noch besondre steuertechuische und steuer¬
politische Schwierigkeiten haben. Allerdings haben wir hier scheinbar die An¬
sicht keines Geringern als des Fürsten Bismcirck gegen uns. Er hat bei den
Verhandlungen 1881 zweimal das Wort ergriffen und geäußert:

"Zu der Wehrsteuer hat nur das Gefühl Anlaß gegeben, welches sich des
Musketen tragenden Soldaten bemächtigt, wenn er einen seiner Meinung nach
auch diensttauglichen Nachbar zuhause bleiben sieht." Und:

"Wir wissen nicht, wie eine Ausgleichung zwischen dem, der im Heere
dienen muß, und dem, der nicht zu dienen braucht, anders zu schaffen ist, und
der Unterschied ist doch in der Belästigung zugunsten des Staates ein großer.
Die distributive Gerechtigkeit ist nur die Ausgleichung einer Last, für die ich
einen andern Weg nicht finden kann."

Aber so übermüßig überzeugend klingen diese Worte aus dem Munde
Bismarcks nicht, dem ganz andre Beredsamkeit zu Gebote stand, wenn es
galt, eine Sache zu vertreten, von deren Richtigkeit er im Innersten durch¬
drungen war.

Durch die inzwischen erfolgte Einführung der zweijährigen Dienstzeit, die
eine viel größere Zahl von Dienstpflichtigen zu den Fahnen ruft, die Zensiten-
zcchl also vermindert, haben die Gründe für die Wehrsteuer gegen die Zeit von
1881 eher eine Schwächung erlitten. Andrerseits haben die Gründe gegen
eine solche Steuer durch die neue Einkommensteuergesetzgebung in Preußen und
in einigen andern Staaten, die das wirkliche Einkommen so genau ermittelt


Die Wehrsteuer

Bedenken, daß sie eine Reichsfinanzreform, d. h. eine Scheidung der Steuer¬
gewalt zwischen Reich und Einzelstaaten in etwas präjudizieren würde. Bisher
hat das Reich von jeder direkten Besteuerung wenigstens tatsächlich abgesehen,
und eine Neichsfinanzreform wird bei der Begrenzung der Finanzhoheit zwischen
Reich und Einzelstaaten erst zum Ausdruck bringen müssen, ob und inwieweit
das Reich überhaupt zu einer direkten Besteuerung zugelassen werden soll.
(Der Entwurf von 1881 hatte die Bedenken erkannt und einen Mittelweg ge¬
wählt, indem er den Ertrag der Wehrsteuer zunächst in die Reichskasse fließen
lassen wollte, von der sodann der Ertrag den einzelnen Bundesstaaten nach
Maßgabe der Größe der Bevölkerung, die für die Höhe der Matrikularbeiträge
bestimmend ist, überwiesen werden sollte.)

Auf die Schwierigkeiten der richtigen steuertechnischen Gestaltung einer
Wehrsteuer im einzelnen, zum Beispiel der Besteuerung des Vaters mit
mehreren Söhnen, von denen einer dient, der andre nicht dient, von der Un¬
gerechtigkeit, die darin liegt, jenen gewissermaßen doppelt zu treffen, usw. wollen
wir hier nicht näher eingehn.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich der Schluß, daß von einem allgemeinen
Billigkeitsstandpunkte die Wehrsteuer mancherlei für sich zu haben scheint. Geht
man aber den einzelnen in Betracht kommenden Gründen genauer nach, so zeigt
sich, daß ihre konsequente Durchführung zu einem befriedigenden Ergebnis zu
führen nicht geeignet ist. Weder sind allgemeine ethische noch rein finanzielle
Erwägungen noch solche wirtschaftlicher Natur oder ausgleichender Gerechtig¬
keit so überzeugend, daß man sich für diese Steuer sehr erwärmen könnte. In
Deutschland würde ihre Einführung noch besondre steuertechuische und steuer¬
politische Schwierigkeiten haben. Allerdings haben wir hier scheinbar die An¬
sicht keines Geringern als des Fürsten Bismcirck gegen uns. Er hat bei den
Verhandlungen 1881 zweimal das Wort ergriffen und geäußert:

„Zu der Wehrsteuer hat nur das Gefühl Anlaß gegeben, welches sich des
Musketen tragenden Soldaten bemächtigt, wenn er einen seiner Meinung nach
auch diensttauglichen Nachbar zuhause bleiben sieht." Und:

„Wir wissen nicht, wie eine Ausgleichung zwischen dem, der im Heere
dienen muß, und dem, der nicht zu dienen braucht, anders zu schaffen ist, und
der Unterschied ist doch in der Belästigung zugunsten des Staates ein großer.
Die distributive Gerechtigkeit ist nur die Ausgleichung einer Last, für die ich
einen andern Weg nicht finden kann."

Aber so übermüßig überzeugend klingen diese Worte aus dem Munde
Bismarcks nicht, dem ganz andre Beredsamkeit zu Gebote stand, wenn es
galt, eine Sache zu vertreten, von deren Richtigkeit er im Innersten durch¬
drungen war.

Durch die inzwischen erfolgte Einführung der zweijährigen Dienstzeit, die
eine viel größere Zahl von Dienstpflichtigen zu den Fahnen ruft, die Zensiten-
zcchl also vermindert, haben die Gründe für die Wehrsteuer gegen die Zeit von
1881 eher eine Schwächung erlitten. Andrerseits haben die Gründe gegen
eine solche Steuer durch die neue Einkommensteuergesetzgebung in Preußen und
in einigen andern Staaten, die das wirkliche Einkommen so genau ermittelt


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[0743] Die Wehrsteuer Bedenken, daß sie eine Reichsfinanzreform, d. h. eine Scheidung der Steuer¬ gewalt zwischen Reich und Einzelstaaten in etwas präjudizieren würde. Bisher hat das Reich von jeder direkten Besteuerung wenigstens tatsächlich abgesehen, und eine Neichsfinanzreform wird bei der Begrenzung der Finanzhoheit zwischen Reich und Einzelstaaten erst zum Ausdruck bringen müssen, ob und inwieweit das Reich überhaupt zu einer direkten Besteuerung zugelassen werden soll. (Der Entwurf von 1881 hatte die Bedenken erkannt und einen Mittelweg ge¬ wählt, indem er den Ertrag der Wehrsteuer zunächst in die Reichskasse fließen lassen wollte, von der sodann der Ertrag den einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe der Größe der Bevölkerung, die für die Höhe der Matrikularbeiträge bestimmend ist, überwiesen werden sollte.) Auf die Schwierigkeiten der richtigen steuertechnischen Gestaltung einer Wehrsteuer im einzelnen, zum Beispiel der Besteuerung des Vaters mit mehreren Söhnen, von denen einer dient, der andre nicht dient, von der Un¬ gerechtigkeit, die darin liegt, jenen gewissermaßen doppelt zu treffen, usw. wollen wir hier nicht näher eingehn. Aus dem Vorstehenden ergibt sich der Schluß, daß von einem allgemeinen Billigkeitsstandpunkte die Wehrsteuer mancherlei für sich zu haben scheint. Geht man aber den einzelnen in Betracht kommenden Gründen genauer nach, so zeigt sich, daß ihre konsequente Durchführung zu einem befriedigenden Ergebnis zu führen nicht geeignet ist. Weder sind allgemeine ethische noch rein finanzielle Erwägungen noch solche wirtschaftlicher Natur oder ausgleichender Gerechtig¬ keit so überzeugend, daß man sich für diese Steuer sehr erwärmen könnte. In Deutschland würde ihre Einführung noch besondre steuertechuische und steuer¬ politische Schwierigkeiten haben. Allerdings haben wir hier scheinbar die An¬ sicht keines Geringern als des Fürsten Bismcirck gegen uns. Er hat bei den Verhandlungen 1881 zweimal das Wort ergriffen und geäußert: „Zu der Wehrsteuer hat nur das Gefühl Anlaß gegeben, welches sich des Musketen tragenden Soldaten bemächtigt, wenn er einen seiner Meinung nach auch diensttauglichen Nachbar zuhause bleiben sieht." Und: „Wir wissen nicht, wie eine Ausgleichung zwischen dem, der im Heere dienen muß, und dem, der nicht zu dienen braucht, anders zu schaffen ist, und der Unterschied ist doch in der Belästigung zugunsten des Staates ein großer. Die distributive Gerechtigkeit ist nur die Ausgleichung einer Last, für die ich einen andern Weg nicht finden kann." Aber so übermüßig überzeugend klingen diese Worte aus dem Munde Bismarcks nicht, dem ganz andre Beredsamkeit zu Gebote stand, wenn es galt, eine Sache zu vertreten, von deren Richtigkeit er im Innersten durch¬ drungen war. Durch die inzwischen erfolgte Einführung der zweijährigen Dienstzeit, die eine viel größere Zahl von Dienstpflichtigen zu den Fahnen ruft, die Zensiten- zcchl also vermindert, haben die Gründe für die Wehrsteuer gegen die Zeit von 1881 eher eine Schwächung erlitten. Andrerseits haben die Gründe gegen eine solche Steuer durch die neue Einkommensteuergesetzgebung in Preußen und in einigen andern Staaten, die das wirkliche Einkommen so genau ermittelt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/743>, abgerufen am 25.07.2024.