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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

dort nicht selten auch noch die letzten Rosinen aus dem Kuchen. Neidisch sah
man in Windhuk, Dar es Salaam und an allen andern Gouverneurssitzen auf
Kiautschou, das dank seiner Pflegemutter, der Marine, so ungleich begünstigter
emporwuchs und so sichtbar gedieh, daß sogar Herr Eugen Richter nicht umhin
konnte, die praktische Folgerung zu ziehn -- nicht etwa die naheliegende, mehr Geld
zu bewilligen, sondern die weitere: die sämtlichen Schutzgebiete unter die Marine
zu stellen. Jetzt haben nun wohl die Vorgänge in Südwestafrika belehrend auf
den Reichstag eingewirkt. Die Verantwortlichkeit für Ablehnung von Eisenbahnen
zu übernehmen, trägt nach den dortigen Erfahrungen doch mancher Abgeordnete mit
Recht Bedenken. So bekam denn Togo seine Baumwollbahn und Ostafrika seine
Erschließungsbahn von Dar es Salaam nach Mrogoro, die später hoffentlich ihre
Fortsetzung bis an die Seen finden wird. Jedenfalls ist diese Bewilligung ein
Ereignis. Verbunden mit dem energischen Eingreifen der Regierung in Südwest¬
afrika bedeutet sie den Beginn eines neuen und voraussichtlich ergebnisreicher Ab¬
schnitts unsers Kolonialwesens. Kommt, wie zu hoffen steht, im nächsten Jahre
auch Kamerun zu einer Eisenbahn oder den Anfängen eines Bahnnetzes, wird nach
Beendigung des Aufstandes in Südwestafrika die Otavibahn energisch gefördert,
das jetzige "Bähnchen" Swakopmund-Windhuk in eine wirklich leistungsfähige
Verfassung gesetzt, dann ist in allen unsern afrikanischen Schutzgebieten mit der
wirklichen wirtschaftlichen Erschließung endlich Ernst gemacht. Es bleibt freilich sehr
zu wünschen, daß künftige Unternehmungen sich auf eigne Füße, unabhängig von
jeder Reichsgarantie, stellen, denn solange das deutsche Kapital nicht das Vertrauen
in die Ertragfähigkeit kolonialer Eisenbahnen hat, werden die verneinenden Parteien
im Reichstage für sich das Recht in Anspruch nehmen, sich nicht minder mißtrauisch
zu verhalten. Das ist nun einmal bei uns des Landes so der Brauch.

Erfreulicherweise sind die verbündeten Regierungen auf eine Vertagung statt
Schließung des Reichstags eingegangen. Es war das ein Entgegenkommen ebenso
an die Wünsche des Hauses wie an die Geschäftslage. Die ersten Sessionen jeder
Legislaturperiode sind erfahrungsmäßig am meisten dem Ablassen von überflüssigem
Rededampf ausgesetzt, deshalb hat der Reichstag von seinen hundert Sitzungen bei¬
nahe die Hälfte, siebenundvierzig, für den Etat verbraucht, obwohl mit diesem irgend¬
welche bedeutendem Neuforderungen nicht verknüpft waren. Ein großer Teil des
Zeitverbrauchs kommt dabei auf die umfangreichen sozialpolitischen Debatten beim
Etat des Reichsamts des Innern. Im kommenden Winter treten die Handelsver¬
träge, die Neuregelung des Quinquennats und wohl noch manches andre hinzu,
sodaß die Fortsetzung der Session dem jetzt abgeschlossenen ersten Abschnitt inhaltlich
bedeutend überlegen sein dürfte. Hoffentlich ist es auch mit dem Inhalt der Reden
im Gegensatz zur Zahl der Fall.

Bis zum Winter hin wird sich auch die auswärtige Politik etwas übersicht¬
licher gestalten, als es in den verflossenen Monaten hin und wieder den Anschein hatte.
Die Annahme ist wohl nicht unbegründet, daß der an Menschenleben so opferreiche
russisch-japanische Krieg bis zum Herbst in das entscheidende Stadium gelangt
sein wird. Je näher dann die Zeit des Friedensschlusses rückt, desto mehr könnte
die Neigung in den Vordergrund treten, diesem ebenso wie den Friedensschlüssen
von 1856 und 1878 einen internationalen Charakter zu geben. England dürfte
dazu am meisten geneigt sein, da seine Interessen dort von allen am Kriege nicht
beteiligten Mächten die größten sind. Es wird darüber gestritten, ob der neue
englische Botschafter in Petersburg die guten Dienste Englands schon angeboten
habe oder nicht. Wenn ja -- so könnte das Anerbieten nur in vertraulicher,
nicht amtlicher Weise erfolgt sein, denn es muß als völlig ausgeschlossen gelten,
daß Rußland vor größern militärischen Erfolgen auf Verhandlungen eingeht, es
sei denn, daß sie den Status o.no sudo zum Ziel haben, auf den wiederum Japan
nur nach einer schweren Niederlage eingehn würde. Der russisch-japanische
Krieg hat unstreitig mit dem Krimkriege insofern eine Ähnlichkeit, als jetzt, wie


Maßgebliches und Unmaßgebliches

dort nicht selten auch noch die letzten Rosinen aus dem Kuchen. Neidisch sah
man in Windhuk, Dar es Salaam und an allen andern Gouverneurssitzen auf
Kiautschou, das dank seiner Pflegemutter, der Marine, so ungleich begünstigter
emporwuchs und so sichtbar gedieh, daß sogar Herr Eugen Richter nicht umhin
konnte, die praktische Folgerung zu ziehn — nicht etwa die naheliegende, mehr Geld
zu bewilligen, sondern die weitere: die sämtlichen Schutzgebiete unter die Marine
zu stellen. Jetzt haben nun wohl die Vorgänge in Südwestafrika belehrend auf
den Reichstag eingewirkt. Die Verantwortlichkeit für Ablehnung von Eisenbahnen
zu übernehmen, trägt nach den dortigen Erfahrungen doch mancher Abgeordnete mit
Recht Bedenken. So bekam denn Togo seine Baumwollbahn und Ostafrika seine
Erschließungsbahn von Dar es Salaam nach Mrogoro, die später hoffentlich ihre
Fortsetzung bis an die Seen finden wird. Jedenfalls ist diese Bewilligung ein
Ereignis. Verbunden mit dem energischen Eingreifen der Regierung in Südwest¬
afrika bedeutet sie den Beginn eines neuen und voraussichtlich ergebnisreicher Ab¬
schnitts unsers Kolonialwesens. Kommt, wie zu hoffen steht, im nächsten Jahre
auch Kamerun zu einer Eisenbahn oder den Anfängen eines Bahnnetzes, wird nach
Beendigung des Aufstandes in Südwestafrika die Otavibahn energisch gefördert,
das jetzige „Bähnchen" Swakopmund-Windhuk in eine wirklich leistungsfähige
Verfassung gesetzt, dann ist in allen unsern afrikanischen Schutzgebieten mit der
wirklichen wirtschaftlichen Erschließung endlich Ernst gemacht. Es bleibt freilich sehr
zu wünschen, daß künftige Unternehmungen sich auf eigne Füße, unabhängig von
jeder Reichsgarantie, stellen, denn solange das deutsche Kapital nicht das Vertrauen
in die Ertragfähigkeit kolonialer Eisenbahnen hat, werden die verneinenden Parteien
im Reichstage für sich das Recht in Anspruch nehmen, sich nicht minder mißtrauisch
zu verhalten. Das ist nun einmal bei uns des Landes so der Brauch.

Erfreulicherweise sind die verbündeten Regierungen auf eine Vertagung statt
Schließung des Reichstags eingegangen. Es war das ein Entgegenkommen ebenso
an die Wünsche des Hauses wie an die Geschäftslage. Die ersten Sessionen jeder
Legislaturperiode sind erfahrungsmäßig am meisten dem Ablassen von überflüssigem
Rededampf ausgesetzt, deshalb hat der Reichstag von seinen hundert Sitzungen bei¬
nahe die Hälfte, siebenundvierzig, für den Etat verbraucht, obwohl mit diesem irgend¬
welche bedeutendem Neuforderungen nicht verknüpft waren. Ein großer Teil des
Zeitverbrauchs kommt dabei auf die umfangreichen sozialpolitischen Debatten beim
Etat des Reichsamts des Innern. Im kommenden Winter treten die Handelsver¬
träge, die Neuregelung des Quinquennats und wohl noch manches andre hinzu,
sodaß die Fortsetzung der Session dem jetzt abgeschlossenen ersten Abschnitt inhaltlich
bedeutend überlegen sein dürfte. Hoffentlich ist es auch mit dem Inhalt der Reden
im Gegensatz zur Zahl der Fall.

Bis zum Winter hin wird sich auch die auswärtige Politik etwas übersicht¬
licher gestalten, als es in den verflossenen Monaten hin und wieder den Anschein hatte.
Die Annahme ist wohl nicht unbegründet, daß der an Menschenleben so opferreiche
russisch-japanische Krieg bis zum Herbst in das entscheidende Stadium gelangt
sein wird. Je näher dann die Zeit des Friedensschlusses rückt, desto mehr könnte
die Neigung in den Vordergrund treten, diesem ebenso wie den Friedensschlüssen
von 1856 und 1878 einen internationalen Charakter zu geben. England dürfte
dazu am meisten geneigt sein, da seine Interessen dort von allen am Kriege nicht
beteiligten Mächten die größten sind. Es wird darüber gestritten, ob der neue
englische Botschafter in Petersburg die guten Dienste Englands schon angeboten
habe oder nicht. Wenn ja — so könnte das Anerbieten nur in vertraulicher,
nicht amtlicher Weise erfolgt sein, denn es muß als völlig ausgeschlossen gelten,
daß Rußland vor größern militärischen Erfolgen auf Verhandlungen eingeht, es
sei denn, daß sie den Status o.no sudo zum Ziel haben, auf den wiederum Japan
nur nach einer schweren Niederlage eingehn würde. Der russisch-japanische
Krieg hat unstreitig mit dem Krimkriege insofern eine Ähnlichkeit, als jetzt, wie


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[0726] Maßgebliches und Unmaßgebliches dort nicht selten auch noch die letzten Rosinen aus dem Kuchen. Neidisch sah man in Windhuk, Dar es Salaam und an allen andern Gouverneurssitzen auf Kiautschou, das dank seiner Pflegemutter, der Marine, so ungleich begünstigter emporwuchs und so sichtbar gedieh, daß sogar Herr Eugen Richter nicht umhin konnte, die praktische Folgerung zu ziehn — nicht etwa die naheliegende, mehr Geld zu bewilligen, sondern die weitere: die sämtlichen Schutzgebiete unter die Marine zu stellen. Jetzt haben nun wohl die Vorgänge in Südwestafrika belehrend auf den Reichstag eingewirkt. Die Verantwortlichkeit für Ablehnung von Eisenbahnen zu übernehmen, trägt nach den dortigen Erfahrungen doch mancher Abgeordnete mit Recht Bedenken. So bekam denn Togo seine Baumwollbahn und Ostafrika seine Erschließungsbahn von Dar es Salaam nach Mrogoro, die später hoffentlich ihre Fortsetzung bis an die Seen finden wird. Jedenfalls ist diese Bewilligung ein Ereignis. Verbunden mit dem energischen Eingreifen der Regierung in Südwest¬ afrika bedeutet sie den Beginn eines neuen und voraussichtlich ergebnisreicher Ab¬ schnitts unsers Kolonialwesens. Kommt, wie zu hoffen steht, im nächsten Jahre auch Kamerun zu einer Eisenbahn oder den Anfängen eines Bahnnetzes, wird nach Beendigung des Aufstandes in Südwestafrika die Otavibahn energisch gefördert, das jetzige „Bähnchen" Swakopmund-Windhuk in eine wirklich leistungsfähige Verfassung gesetzt, dann ist in allen unsern afrikanischen Schutzgebieten mit der wirklichen wirtschaftlichen Erschließung endlich Ernst gemacht. Es bleibt freilich sehr zu wünschen, daß künftige Unternehmungen sich auf eigne Füße, unabhängig von jeder Reichsgarantie, stellen, denn solange das deutsche Kapital nicht das Vertrauen in die Ertragfähigkeit kolonialer Eisenbahnen hat, werden die verneinenden Parteien im Reichstage für sich das Recht in Anspruch nehmen, sich nicht minder mißtrauisch zu verhalten. Das ist nun einmal bei uns des Landes so der Brauch. Erfreulicherweise sind die verbündeten Regierungen auf eine Vertagung statt Schließung des Reichstags eingegangen. Es war das ein Entgegenkommen ebenso an die Wünsche des Hauses wie an die Geschäftslage. Die ersten Sessionen jeder Legislaturperiode sind erfahrungsmäßig am meisten dem Ablassen von überflüssigem Rededampf ausgesetzt, deshalb hat der Reichstag von seinen hundert Sitzungen bei¬ nahe die Hälfte, siebenundvierzig, für den Etat verbraucht, obwohl mit diesem irgend¬ welche bedeutendem Neuforderungen nicht verknüpft waren. Ein großer Teil des Zeitverbrauchs kommt dabei auf die umfangreichen sozialpolitischen Debatten beim Etat des Reichsamts des Innern. Im kommenden Winter treten die Handelsver¬ träge, die Neuregelung des Quinquennats und wohl noch manches andre hinzu, sodaß die Fortsetzung der Session dem jetzt abgeschlossenen ersten Abschnitt inhaltlich bedeutend überlegen sein dürfte. Hoffentlich ist es auch mit dem Inhalt der Reden im Gegensatz zur Zahl der Fall. Bis zum Winter hin wird sich auch die auswärtige Politik etwas übersicht¬ licher gestalten, als es in den verflossenen Monaten hin und wieder den Anschein hatte. Die Annahme ist wohl nicht unbegründet, daß der an Menschenleben so opferreiche russisch-japanische Krieg bis zum Herbst in das entscheidende Stadium gelangt sein wird. Je näher dann die Zeit des Friedensschlusses rückt, desto mehr könnte die Neigung in den Vordergrund treten, diesem ebenso wie den Friedensschlüssen von 1856 und 1878 einen internationalen Charakter zu geben. England dürfte dazu am meisten geneigt sein, da seine Interessen dort von allen am Kriege nicht beteiligten Mächten die größten sind. Es wird darüber gestritten, ob der neue englische Botschafter in Petersburg die guten Dienste Englands schon angeboten habe oder nicht. Wenn ja — so könnte das Anerbieten nur in vertraulicher, nicht amtlicher Weise erfolgt sein, denn es muß als völlig ausgeschlossen gelten, daß Rußland vor größern militärischen Erfolgen auf Verhandlungen eingeht, es sei denn, daß sie den Status o.no sudo zum Ziel haben, auf den wiederum Japan nur nach einer schweren Niederlage eingehn würde. Der russisch-japanische Krieg hat unstreitig mit dem Krimkriege insofern eine Ähnlichkeit, als jetzt, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/726>, abgerufen am 30.06.2024.