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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Wanderungen in der Niederlausitz

zu Wittenberg gebildeten kursächsischen Theologen nach Brandenburg in hervor¬
ragende geistliche Ämter. Er war seit 1650 Propst zu Mittenwalde, seit 1657
Prediger an der Nikolaikirche in Berlin. Aber sein streng lutherisches Gewissen
brachte ihn mit den Unionsbestrebungen des Großen Kurfürsten in Konflikt. Obwohl
er durchaus friedfertig war, kam er doch bei seinem Landesherrn in den Geruch,
zu denen zu gehören, die von den Kanzeln gegen die religiösen Ansgleichsversuche
donnerten. Am 10. Februar 1666 schreibt der Große Kurfürst aus Kleve: "Weil
wir uns erinnern, daß noch mehr vorhanden, so den Revers nicht von sich gegeben,
von denen insonderheit der Pfarrer zu Se. Nicolai Paulus Gerhardt die andern
nicht wenig von Unterschreibung des Reverses dehortiret, als befehlen wir Euch
gnädigst, denselben vor Euch zu fordern und zu Ausstellung des Reverses, daß er
unsern Edikten gehorsamst nachkommen wolle, anzuhalten, und da er solches zu thun
sich verweigert, ihn gleichfalls mit der Remotion zu betrauen."

Als die "Remotion" vom Amte am 22. Februar 1666 wirklich erfolgt war,
baten der Rat und die Gewerke von Berlin den Kurfürsten um Wiedereinsetzung
des beliebten und verehrten Predigers, und der Kurfürst gab 1667 auch nach.
Aber Gerhardt fürchtete neue Verwicklungen, verzichtete auf sein Amt und lebte,
nachdem er die Hofpredigerstelle in Merseburg ausgeschlagen hatte, einige Zeit mit
einem ihm vom Herzog Christian von Sachsen-Merseburg ausgesetzten Jahresgehalt
in Berlin, bis er 1669 als Pfarrer nach Lübben übersiedelte. Hier lebte er auf
sächsischem Boden noch sieben stille Jahre -- aber seine Leier war in den Ge¬
wissenskämpfen und den Kümmernissen verstummt. In der Pfarrkirche zu Lübben
ist sein schlichtes Grab erhalten; nahe dabei hängt an der Wand sein Bild mit
einigen lateinischen Distichen darunter, die der Philologe F. G. Wernsdorff ge¬
dichtet hat.

In Lübben spielt auch ein Stück der Fabel des ersten klassischen Lustspiels
der Deutschen, der "Minna von Barnhelm." Zwar zum Charakter Tellheims soll
der preußische Major und Dichter Ewald von Kleist Modell gestanden haben, aber
die Tat Tellheims, worauf die ganze Verwicklung des Stückes beruht, ist das Eben¬
bild einer Begebenheit, die sich in Lübben zugetragen hat. Der Lübbener Chronist
Neumann erzählt, daß Friedrich der Große im Jahre 1761 bei der Eintreibung
der Kontributionen in den verschiednen sächsischen Landen mit unerbittlicher Strenge
zu Werke gegangen sei. "So rettete das ständische Landhaus hier in Lübben nur
der Edelmut des Majors von Marschall, der auf Befehl des Königs von den
Ständen binnen drei Tagen eine Kontribution von 20000 Thalern beitreiben,
wenn sie binnen dieser Zeit nicht einginge, das Landhaus in Brand stecken sollte.
Das Geld wurde von Leipzig bezogen und konnte in dieser Frist hier nicht an¬
kommen, und nur dadurch, daß der Major von Marschall dem Kriegsrat Hirsch
einen Wechsel über 20000 Thaler, dieser den Ständen aber hierauf die Quittung
über den Empfang jener Summe ausstellte, entging das Landhaus der Einäscherung."
Ein wenig erquickendes Bild -- der unter den Sorgen und den Aufregungen des
Krieges verhärtende und von seinem eignen Humanitätsideal abfallende Philosoph
von Sanssouci, ein erquickenderes der brave Offizier, der mit Gefahr des eignen
Vermögens die Härte des Königs mildert, das erquickendste Bild aber der
Gouvernementssekretär in Breslau, der in seiner sächsisch-preußischen Doppelnatur
ein Bewundrer des großen Königs und ein warmer Freund der Heimat von dem
ihm zugetragnen Stoffe so gepackt wird, daß er uns den eignen Herzenskonflikt
zum ersten deutschen Drama von "spezifisch temporärem Gehalt" ausdichtet und
das Kunstwerk schafft, von dem Goethe so treffend sagt: "Die Anmut und Liebens¬
würdigkeit der Sächsinnen überwindet den Wert, die Würde, den Starrsinn der
Preußen, und sowohl an den Hauptpersonen als den Subalternen wird eine glück¬
liche Vereinigung bizarrer und widerstrebender Elemente kunstgemäß dargestellt."

Das dritte literarische Porträt, das uns Lübben entgegenbringt, ist das eines
fast vergessenen Mannes. In der Trinkstube des Landhauses bangt über dem


Wanderungen in der Niederlausitz

zu Wittenberg gebildeten kursächsischen Theologen nach Brandenburg in hervor¬
ragende geistliche Ämter. Er war seit 1650 Propst zu Mittenwalde, seit 1657
Prediger an der Nikolaikirche in Berlin. Aber sein streng lutherisches Gewissen
brachte ihn mit den Unionsbestrebungen des Großen Kurfürsten in Konflikt. Obwohl
er durchaus friedfertig war, kam er doch bei seinem Landesherrn in den Geruch,
zu denen zu gehören, die von den Kanzeln gegen die religiösen Ansgleichsversuche
donnerten. Am 10. Februar 1666 schreibt der Große Kurfürst aus Kleve: „Weil
wir uns erinnern, daß noch mehr vorhanden, so den Revers nicht von sich gegeben,
von denen insonderheit der Pfarrer zu Se. Nicolai Paulus Gerhardt die andern
nicht wenig von Unterschreibung des Reverses dehortiret, als befehlen wir Euch
gnädigst, denselben vor Euch zu fordern und zu Ausstellung des Reverses, daß er
unsern Edikten gehorsamst nachkommen wolle, anzuhalten, und da er solches zu thun
sich verweigert, ihn gleichfalls mit der Remotion zu betrauen."

Als die „Remotion" vom Amte am 22. Februar 1666 wirklich erfolgt war,
baten der Rat und die Gewerke von Berlin den Kurfürsten um Wiedereinsetzung
des beliebten und verehrten Predigers, und der Kurfürst gab 1667 auch nach.
Aber Gerhardt fürchtete neue Verwicklungen, verzichtete auf sein Amt und lebte,
nachdem er die Hofpredigerstelle in Merseburg ausgeschlagen hatte, einige Zeit mit
einem ihm vom Herzog Christian von Sachsen-Merseburg ausgesetzten Jahresgehalt
in Berlin, bis er 1669 als Pfarrer nach Lübben übersiedelte. Hier lebte er auf
sächsischem Boden noch sieben stille Jahre — aber seine Leier war in den Ge¬
wissenskämpfen und den Kümmernissen verstummt. In der Pfarrkirche zu Lübben
ist sein schlichtes Grab erhalten; nahe dabei hängt an der Wand sein Bild mit
einigen lateinischen Distichen darunter, die der Philologe F. G. Wernsdorff ge¬
dichtet hat.

In Lübben spielt auch ein Stück der Fabel des ersten klassischen Lustspiels
der Deutschen, der „Minna von Barnhelm." Zwar zum Charakter Tellheims soll
der preußische Major und Dichter Ewald von Kleist Modell gestanden haben, aber
die Tat Tellheims, worauf die ganze Verwicklung des Stückes beruht, ist das Eben¬
bild einer Begebenheit, die sich in Lübben zugetragen hat. Der Lübbener Chronist
Neumann erzählt, daß Friedrich der Große im Jahre 1761 bei der Eintreibung
der Kontributionen in den verschiednen sächsischen Landen mit unerbittlicher Strenge
zu Werke gegangen sei. „So rettete das ständische Landhaus hier in Lübben nur
der Edelmut des Majors von Marschall, der auf Befehl des Königs von den
Ständen binnen drei Tagen eine Kontribution von 20000 Thalern beitreiben,
wenn sie binnen dieser Zeit nicht einginge, das Landhaus in Brand stecken sollte.
Das Geld wurde von Leipzig bezogen und konnte in dieser Frist hier nicht an¬
kommen, und nur dadurch, daß der Major von Marschall dem Kriegsrat Hirsch
einen Wechsel über 20000 Thaler, dieser den Ständen aber hierauf die Quittung
über den Empfang jener Summe ausstellte, entging das Landhaus der Einäscherung."
Ein wenig erquickendes Bild — der unter den Sorgen und den Aufregungen des
Krieges verhärtende und von seinem eignen Humanitätsideal abfallende Philosoph
von Sanssouci, ein erquickenderes der brave Offizier, der mit Gefahr des eignen
Vermögens die Härte des Königs mildert, das erquickendste Bild aber der
Gouvernementssekretär in Breslau, der in seiner sächsisch-preußischen Doppelnatur
ein Bewundrer des großen Königs und ein warmer Freund der Heimat von dem
ihm zugetragnen Stoffe so gepackt wird, daß er uns den eignen Herzenskonflikt
zum ersten deutschen Drama von „spezifisch temporärem Gehalt" ausdichtet und
das Kunstwerk schafft, von dem Goethe so treffend sagt: „Die Anmut und Liebens¬
würdigkeit der Sächsinnen überwindet den Wert, die Würde, den Starrsinn der
Preußen, und sowohl an den Hauptpersonen als den Subalternen wird eine glück¬
liche Vereinigung bizarrer und widerstrebender Elemente kunstgemäß dargestellt."

Das dritte literarische Porträt, das uns Lübben entgegenbringt, ist das eines
fast vergessenen Mannes. In der Trinkstube des Landhauses bangt über dem


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[0714] Wanderungen in der Niederlausitz zu Wittenberg gebildeten kursächsischen Theologen nach Brandenburg in hervor¬ ragende geistliche Ämter. Er war seit 1650 Propst zu Mittenwalde, seit 1657 Prediger an der Nikolaikirche in Berlin. Aber sein streng lutherisches Gewissen brachte ihn mit den Unionsbestrebungen des Großen Kurfürsten in Konflikt. Obwohl er durchaus friedfertig war, kam er doch bei seinem Landesherrn in den Geruch, zu denen zu gehören, die von den Kanzeln gegen die religiösen Ansgleichsversuche donnerten. Am 10. Februar 1666 schreibt der Große Kurfürst aus Kleve: „Weil wir uns erinnern, daß noch mehr vorhanden, so den Revers nicht von sich gegeben, von denen insonderheit der Pfarrer zu Se. Nicolai Paulus Gerhardt die andern nicht wenig von Unterschreibung des Reverses dehortiret, als befehlen wir Euch gnädigst, denselben vor Euch zu fordern und zu Ausstellung des Reverses, daß er unsern Edikten gehorsamst nachkommen wolle, anzuhalten, und da er solches zu thun sich verweigert, ihn gleichfalls mit der Remotion zu betrauen." Als die „Remotion" vom Amte am 22. Februar 1666 wirklich erfolgt war, baten der Rat und die Gewerke von Berlin den Kurfürsten um Wiedereinsetzung des beliebten und verehrten Predigers, und der Kurfürst gab 1667 auch nach. Aber Gerhardt fürchtete neue Verwicklungen, verzichtete auf sein Amt und lebte, nachdem er die Hofpredigerstelle in Merseburg ausgeschlagen hatte, einige Zeit mit einem ihm vom Herzog Christian von Sachsen-Merseburg ausgesetzten Jahresgehalt in Berlin, bis er 1669 als Pfarrer nach Lübben übersiedelte. Hier lebte er auf sächsischem Boden noch sieben stille Jahre — aber seine Leier war in den Ge¬ wissenskämpfen und den Kümmernissen verstummt. In der Pfarrkirche zu Lübben ist sein schlichtes Grab erhalten; nahe dabei hängt an der Wand sein Bild mit einigen lateinischen Distichen darunter, die der Philologe F. G. Wernsdorff ge¬ dichtet hat. In Lübben spielt auch ein Stück der Fabel des ersten klassischen Lustspiels der Deutschen, der „Minna von Barnhelm." Zwar zum Charakter Tellheims soll der preußische Major und Dichter Ewald von Kleist Modell gestanden haben, aber die Tat Tellheims, worauf die ganze Verwicklung des Stückes beruht, ist das Eben¬ bild einer Begebenheit, die sich in Lübben zugetragen hat. Der Lübbener Chronist Neumann erzählt, daß Friedrich der Große im Jahre 1761 bei der Eintreibung der Kontributionen in den verschiednen sächsischen Landen mit unerbittlicher Strenge zu Werke gegangen sei. „So rettete das ständische Landhaus hier in Lübben nur der Edelmut des Majors von Marschall, der auf Befehl des Königs von den Ständen binnen drei Tagen eine Kontribution von 20000 Thalern beitreiben, wenn sie binnen dieser Zeit nicht einginge, das Landhaus in Brand stecken sollte. Das Geld wurde von Leipzig bezogen und konnte in dieser Frist hier nicht an¬ kommen, und nur dadurch, daß der Major von Marschall dem Kriegsrat Hirsch einen Wechsel über 20000 Thaler, dieser den Ständen aber hierauf die Quittung über den Empfang jener Summe ausstellte, entging das Landhaus der Einäscherung." Ein wenig erquickendes Bild — der unter den Sorgen und den Aufregungen des Krieges verhärtende und von seinem eignen Humanitätsideal abfallende Philosoph von Sanssouci, ein erquickenderes der brave Offizier, der mit Gefahr des eignen Vermögens die Härte des Königs mildert, das erquickendste Bild aber der Gouvernementssekretär in Breslau, der in seiner sächsisch-preußischen Doppelnatur ein Bewundrer des großen Königs und ein warmer Freund der Heimat von dem ihm zugetragnen Stoffe so gepackt wird, daß er uns den eignen Herzenskonflikt zum ersten deutschen Drama von „spezifisch temporärem Gehalt" ausdichtet und das Kunstwerk schafft, von dem Goethe so treffend sagt: „Die Anmut und Liebens¬ würdigkeit der Sächsinnen überwindet den Wert, die Würde, den Starrsinn der Preußen, und sowohl an den Hauptpersonen als den Subalternen wird eine glück¬ liche Vereinigung bizarrer und widerstrebender Elemente kunstgemäß dargestellt." Das dritte literarische Porträt, das uns Lübben entgegenbringt, ist das eines fast vergessenen Mannes. In der Trinkstube des Landhauses bangt über dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/714>, abgerufen am 25.07.2024.