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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Frankreich und der Heilige Stuhl

es von allen Irrtümern frei erklärt wurde. Und gerade dieses Handbuch war
der Liebling des gallikanischen Sulpizianismus. Daß es nach diesen zahlreichen
Verbesserungen ein gutes Handbuch geworden sei, kann man nicht behaupten;
aber es war wenigstens so viel erreicht, daß keine positiven Irrtümer mehr darin
waren. Als hauptsächlichen Vertreter der sich langsam anbahnenden treu katho¬
lischen Richtung nenne ich den hervorragenden Theologen Dominique Bouix,
der nur durch die Schiebung äußerer Umstände nicht zum Kardinal erhoben
worden ist.

Die Gründung des französischen Seminars in Rom sollte nach dem Willen
Pius des Neunten das Mittel bieten, langsam einen guten Stamm von
durchgebildeten Theologen heranzuziehen. Und in der Tat haben die Zöglinge
dieser Anstalt schon viel gutes stiften können, nachdem sie in die Heimat zurück¬
gekehrt waren.

Eigentlich noch schlimmer als die geschilderten Schäden in den Lehrbüchern
war die offen ausgesprochne Meinung zahlreicher Bischöfe, daß es nicht ange¬
bracht sei, den Klerikern eine wirklich wissenschaftliche Bildung zu geben. Man
müsse sich damit begnügen, ihnen nur so viel beizubringen, daß sie ihre Pflichten
gut erfüllen könnten. Systematisch wurde also das wissenschaftliche Streben
des Klerus hintangehalten und nur ein höchst mittelmüßiger philosophischer und
theologischer Lehrgang geboten. Ja manche unter den Bischöfen gingen sogar
so weit, daß sie jeden Geistlichen, der sich mit der Wissenschaft abgab, für einen
gefährlichen Neuerer hielten.

Man kann sich leicht denken, wie tief der wissenschaftliche Stand der
Seminarien sinken mußte, wenn sich solche Grundsätze langsam einbürgern konnten.
Man begreift den immer lauter werdenden Ruf nach einer gründlichen Reform
der Seminarien, der von den verschiedensten Seiten ertönt. Daß der Augenblick
dazu günstig ist, ergibt sich aus der Tatsache, daß zahlreiche Seminarien, die
von Ordensgeistlichen verwaltet wurden, jetzt neu eingerichtet werden müssen, weil
die bisherigen Leiter aus Frankreich ausgewiesen worden sind. Dagegen, und
auch das muß betont werden, hat die Regierung den Sulpizianern die Leitung
ihrer vierundzwanzig Seminarien gelassen. Sie haben Gnade vor Combes ge¬
funden, obschon die Regierung über Zwirnsfaden -- in diesem Falle einzelne
Bestimmungen der sulpizicmischen Satzungen, die das Institut qus.8i als einen
Weltpriesterverein bezeichnen -- sonst nicht zu stolpern pflegt. Im großen
und ganzen kann man nur sagen, daß man sich, wenn man ernstlich an die
Frage der Reform der meisten französischen Seminarien herantreten will, nur
nach den Rezepten des Erzbischofs von Alby und des Bischofs von Rochelle
und andrer zu richten braucht. Namentlich der erste hat in mehreren meister¬
haften Kundgebungen die Richtlinien scharf vorgezeichnet, die für die philoso¬
phische und theologische Ausbildung der Kleriker, uusern heutigen Verhältnissen
entsprechend, maßgebend sein müssen.

Weil ein verhältnismäßig geringes Verständnis für die höhern Studien
im Klerus vorhanden war, infolgedessen die ausländische Literatur nur von
den wenigsten beachtet und von noch wenigem verfolgt wurde, ist eine wahre
Panik in die Reihen des jüngern Klerus eingerissen, als sie nun mit einem


Frankreich und der Heilige Stuhl

es von allen Irrtümern frei erklärt wurde. Und gerade dieses Handbuch war
der Liebling des gallikanischen Sulpizianismus. Daß es nach diesen zahlreichen
Verbesserungen ein gutes Handbuch geworden sei, kann man nicht behaupten;
aber es war wenigstens so viel erreicht, daß keine positiven Irrtümer mehr darin
waren. Als hauptsächlichen Vertreter der sich langsam anbahnenden treu katho¬
lischen Richtung nenne ich den hervorragenden Theologen Dominique Bouix,
der nur durch die Schiebung äußerer Umstände nicht zum Kardinal erhoben
worden ist.

Die Gründung des französischen Seminars in Rom sollte nach dem Willen
Pius des Neunten das Mittel bieten, langsam einen guten Stamm von
durchgebildeten Theologen heranzuziehen. Und in der Tat haben die Zöglinge
dieser Anstalt schon viel gutes stiften können, nachdem sie in die Heimat zurück¬
gekehrt waren.

Eigentlich noch schlimmer als die geschilderten Schäden in den Lehrbüchern
war die offen ausgesprochne Meinung zahlreicher Bischöfe, daß es nicht ange¬
bracht sei, den Klerikern eine wirklich wissenschaftliche Bildung zu geben. Man
müsse sich damit begnügen, ihnen nur so viel beizubringen, daß sie ihre Pflichten
gut erfüllen könnten. Systematisch wurde also das wissenschaftliche Streben
des Klerus hintangehalten und nur ein höchst mittelmüßiger philosophischer und
theologischer Lehrgang geboten. Ja manche unter den Bischöfen gingen sogar
so weit, daß sie jeden Geistlichen, der sich mit der Wissenschaft abgab, für einen
gefährlichen Neuerer hielten.

Man kann sich leicht denken, wie tief der wissenschaftliche Stand der
Seminarien sinken mußte, wenn sich solche Grundsätze langsam einbürgern konnten.
Man begreift den immer lauter werdenden Ruf nach einer gründlichen Reform
der Seminarien, der von den verschiedensten Seiten ertönt. Daß der Augenblick
dazu günstig ist, ergibt sich aus der Tatsache, daß zahlreiche Seminarien, die
von Ordensgeistlichen verwaltet wurden, jetzt neu eingerichtet werden müssen, weil
die bisherigen Leiter aus Frankreich ausgewiesen worden sind. Dagegen, und
auch das muß betont werden, hat die Regierung den Sulpizianern die Leitung
ihrer vierundzwanzig Seminarien gelassen. Sie haben Gnade vor Combes ge¬
funden, obschon die Regierung über Zwirnsfaden — in diesem Falle einzelne
Bestimmungen der sulpizicmischen Satzungen, die das Institut qus.8i als einen
Weltpriesterverein bezeichnen — sonst nicht zu stolpern pflegt. Im großen
und ganzen kann man nur sagen, daß man sich, wenn man ernstlich an die
Frage der Reform der meisten französischen Seminarien herantreten will, nur
nach den Rezepten des Erzbischofs von Alby und des Bischofs von Rochelle
und andrer zu richten braucht. Namentlich der erste hat in mehreren meister¬
haften Kundgebungen die Richtlinien scharf vorgezeichnet, die für die philoso¬
phische und theologische Ausbildung der Kleriker, uusern heutigen Verhältnissen
entsprechend, maßgebend sein müssen.

Weil ein verhältnismäßig geringes Verständnis für die höhern Studien
im Klerus vorhanden war, infolgedessen die ausländische Literatur nur von
den wenigsten beachtet und von noch wenigem verfolgt wurde, ist eine wahre
Panik in die Reihen des jüngern Klerus eingerissen, als sie nun mit einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/619>, abgerufen am 02.07.2024.