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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gelöst werden konnte, als wie sie gelöst worden ist. Kurzum, in allen vier Welt¬
teilen außerhalb Europas haben wir, wenn auch nicht akute Differenzpunkte so
doch chronische Interessengegensätze zu England, die por Zeit zu Zeit akut werden
und dann eine einstweilige Lösung verlangen. Es sind nicht so schwerwiegende
Fragen wie die, die zwischen England und Frankreich durch ein Abkommen zum
Austrag gebracht worden sind, aber es ist immerhin eine ganze Reihe von Gelegen¬
heiten, bei denen sich England uns gegenüber mehr oder weniger freundschaftlich
und entgegenkommend Verhalten kann. Es liegt sicherlich kein Anlaß vor, in
Kiel über den einen oder den andern dieser Punkte zu verhandeln, Wohl aber
könnte die Kieler Begegnung maßgebend werden für den Geist, worin solche Ver¬
handlungen in Zukunft bei gegebnen Anlaß gepflogen werden sollen.

Als Präludium zum Wiederbeginn der Parlamentarischen Arbeiten hat die
letzte Woche uns eine Fülle von Reden und Zeitungsartikeln über den konservativ-
nationalliberalen Schulantrag im preußischen Abgeordnetenhause gebracht. Wir
Deutschen sind nnn einmal gute Theoretiker, aber schlechte Praktiker, und so hat
der bloße Gedanke eines Zuscimmengehns der Nationalliberalen mit den Konser¬
vativen im Landtage für eine Anzahl nationalliberaler Blätter hingereicht, sie mit
Besorgnis zu erfüllen. Mit den Sozinldemokraten gegen die Konservativen -- ja,
auch wenn man damit den Ast ansagt, auf dem man sitzt. Aber mit den Konser¬
vativen zu irgend einer verständigen Aktion -- brrr! Unmöglich! Da wird sofort
der Parteitag und der Vorstandstag einberufen, um der unbotmäßigen Landtags¬
fraktion die Zügel anzulegen. Es ist und bleibt der alte Doktrinarismus, der so
viel des Jammers in der deutschen Geschichte verschuldet hat. Die freisinnige Linke
weint Krokodilstränen, daß die nationalliberale Fraktion ihr nicht einmal Mitteilung
über die gepflognen Verhandlungen gemacht habe, und flugs stimmt der ganze
Chorus in die Klage ein. Eine vorherige Mitteilung an die Freisinnigen würde
selbstverständlich zu einem sofortigen Aufgebot des liberalen Landsturms zur Ver¬
eitelung jeder Verhandlung geführt haben. Im unmittelbaren Anschluß an die
Wahl in Frankfurt a. O., wo Herr Bassermann doch nur mit Hilfe der Kon¬
servativen gesiegt hat, macht dieser Aufruhr im natioualliberalen Lager doch einen
für die Partei wenig günstigen Eindruck und könnte leicht geeignet sein, bei
weitern Nachwahlen eine solche gemeinsame Bekämpfung sozialdemokratischer Kan¬
didaturen recht zu erschweren. Herr Bassermann mag sich gratuliere", daß er sein
Mandat in der Tasche hat. Vielleicht wendet er jetzt seinen Einfluß auf, seinen
Parteigenossen klar zu machen, daß ein erfolgreiches Zusammenhalten der bürger¬
lichen Parteien jetzt dringender und wichtiger ist als theoretische Gefechte in Schul¬
fragen. Es ist immer die alte Geschichte, daß die alles liberalisierenden Richtungen
Verstöße gegen den liberalen Katechismus am wenigsten ertragen können. Und doch
ist Freiheit keineswegs immer gleichbedeutend mit "liberal."

Dieser Ansicht ist auch der Abgeordnete Memel, der den Kampf gegen das
allgemeine Stimmrecht in Hamburger und Altonaer Blättern unermüdlich fortsetzt.
Die nationalliberale Partei hat sich bekanntlich von ihm losgesagt und sich bei dieser
Gelegenheit noch einmal auf das bestimmteste zu dem Dogma vom allgemeinen
Stimmrecht bekannt. Ob das politisch richtig war, kann erst die Zukunft erweisen,
falls die Wahlrechtsfrage jemals aktuell werden sollte. Daß das heutige Wahlrecht
in Verbindung mit der jetzigen Sozialpolitik die stärkste Waffe der Sozialdemokratie
ist, hat diese selbst wiederholt ausgesprochen; es liegt deshalb für eine bürgerliche
Partei tatsächlich kein Grund vor, sich in so bindender Weise festzulegen. Ob die
Frage jemals in ein akutes Stadium treten wird, ist freilich heute noch gar nicht
abzusehen. Herr Memel hat die Arbeitgeberverbände aufgefordert, ihren Kampf
gegen die Sozialdemokratie mit einem Kampf gegen das allgemeine Stimmrecht zu
eröffnen. Die Arbeitgeberverbände haben demgegenüber ihre Abneigung, diesem
Rat zu folgen, ausgesprochen. Taktisch war das unzweifelhaft richtig; denn sie
haben eine große Anzahl Natioualliberaler in ihrer Mitte und würden durch solche


Maßgebliches und Unmaßgebliches

gelöst werden konnte, als wie sie gelöst worden ist. Kurzum, in allen vier Welt¬
teilen außerhalb Europas haben wir, wenn auch nicht akute Differenzpunkte so
doch chronische Interessengegensätze zu England, die por Zeit zu Zeit akut werden
und dann eine einstweilige Lösung verlangen. Es sind nicht so schwerwiegende
Fragen wie die, die zwischen England und Frankreich durch ein Abkommen zum
Austrag gebracht worden sind, aber es ist immerhin eine ganze Reihe von Gelegen¬
heiten, bei denen sich England uns gegenüber mehr oder weniger freundschaftlich
und entgegenkommend Verhalten kann. Es liegt sicherlich kein Anlaß vor, in
Kiel über den einen oder den andern dieser Punkte zu verhandeln, Wohl aber
könnte die Kieler Begegnung maßgebend werden für den Geist, worin solche Ver¬
handlungen in Zukunft bei gegebnen Anlaß gepflogen werden sollen.

Als Präludium zum Wiederbeginn der Parlamentarischen Arbeiten hat die
letzte Woche uns eine Fülle von Reden und Zeitungsartikeln über den konservativ-
nationalliberalen Schulantrag im preußischen Abgeordnetenhause gebracht. Wir
Deutschen sind nnn einmal gute Theoretiker, aber schlechte Praktiker, und so hat
der bloße Gedanke eines Zuscimmengehns der Nationalliberalen mit den Konser¬
vativen im Landtage für eine Anzahl nationalliberaler Blätter hingereicht, sie mit
Besorgnis zu erfüllen. Mit den Sozinldemokraten gegen die Konservativen — ja,
auch wenn man damit den Ast ansagt, auf dem man sitzt. Aber mit den Konser¬
vativen zu irgend einer verständigen Aktion — brrr! Unmöglich! Da wird sofort
der Parteitag und der Vorstandstag einberufen, um der unbotmäßigen Landtags¬
fraktion die Zügel anzulegen. Es ist und bleibt der alte Doktrinarismus, der so
viel des Jammers in der deutschen Geschichte verschuldet hat. Die freisinnige Linke
weint Krokodilstränen, daß die nationalliberale Fraktion ihr nicht einmal Mitteilung
über die gepflognen Verhandlungen gemacht habe, und flugs stimmt der ganze
Chorus in die Klage ein. Eine vorherige Mitteilung an die Freisinnigen würde
selbstverständlich zu einem sofortigen Aufgebot des liberalen Landsturms zur Ver¬
eitelung jeder Verhandlung geführt haben. Im unmittelbaren Anschluß an die
Wahl in Frankfurt a. O., wo Herr Bassermann doch nur mit Hilfe der Kon¬
servativen gesiegt hat, macht dieser Aufruhr im natioualliberalen Lager doch einen
für die Partei wenig günstigen Eindruck und könnte leicht geeignet sein, bei
weitern Nachwahlen eine solche gemeinsame Bekämpfung sozialdemokratischer Kan¬
didaturen recht zu erschweren. Herr Bassermann mag sich gratuliere», daß er sein
Mandat in der Tasche hat. Vielleicht wendet er jetzt seinen Einfluß auf, seinen
Parteigenossen klar zu machen, daß ein erfolgreiches Zusammenhalten der bürger¬
lichen Parteien jetzt dringender und wichtiger ist als theoretische Gefechte in Schul¬
fragen. Es ist immer die alte Geschichte, daß die alles liberalisierenden Richtungen
Verstöße gegen den liberalen Katechismus am wenigsten ertragen können. Und doch
ist Freiheit keineswegs immer gleichbedeutend mit „liberal."

Dieser Ansicht ist auch der Abgeordnete Memel, der den Kampf gegen das
allgemeine Stimmrecht in Hamburger und Altonaer Blättern unermüdlich fortsetzt.
Die nationalliberale Partei hat sich bekanntlich von ihm losgesagt und sich bei dieser
Gelegenheit noch einmal auf das bestimmteste zu dem Dogma vom allgemeinen
Stimmrecht bekannt. Ob das politisch richtig war, kann erst die Zukunft erweisen,
falls die Wahlrechtsfrage jemals aktuell werden sollte. Daß das heutige Wahlrecht
in Verbindung mit der jetzigen Sozialpolitik die stärkste Waffe der Sozialdemokratie
ist, hat diese selbst wiederholt ausgesprochen; es liegt deshalb für eine bürgerliche
Partei tatsächlich kein Grund vor, sich in so bindender Weise festzulegen. Ob die
Frage jemals in ein akutes Stadium treten wird, ist freilich heute noch gar nicht
abzusehen. Herr Memel hat die Arbeitgeberverbände aufgefordert, ihren Kampf
gegen die Sozialdemokratie mit einem Kampf gegen das allgemeine Stimmrecht zu
eröffnen. Die Arbeitgeberverbände haben demgegenüber ihre Abneigung, diesem
Rat zu folgen, ausgesprochen. Taktisch war das unzweifelhaft richtig; denn sie
haben eine große Anzahl Natioualliberaler in ihrer Mitte und würden durch solche


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[0607] Maßgebliches und Unmaßgebliches gelöst werden konnte, als wie sie gelöst worden ist. Kurzum, in allen vier Welt¬ teilen außerhalb Europas haben wir, wenn auch nicht akute Differenzpunkte so doch chronische Interessengegensätze zu England, die por Zeit zu Zeit akut werden und dann eine einstweilige Lösung verlangen. Es sind nicht so schwerwiegende Fragen wie die, die zwischen England und Frankreich durch ein Abkommen zum Austrag gebracht worden sind, aber es ist immerhin eine ganze Reihe von Gelegen¬ heiten, bei denen sich England uns gegenüber mehr oder weniger freundschaftlich und entgegenkommend Verhalten kann. Es liegt sicherlich kein Anlaß vor, in Kiel über den einen oder den andern dieser Punkte zu verhandeln, Wohl aber könnte die Kieler Begegnung maßgebend werden für den Geist, worin solche Ver¬ handlungen in Zukunft bei gegebnen Anlaß gepflogen werden sollen. Als Präludium zum Wiederbeginn der Parlamentarischen Arbeiten hat die letzte Woche uns eine Fülle von Reden und Zeitungsartikeln über den konservativ- nationalliberalen Schulantrag im preußischen Abgeordnetenhause gebracht. Wir Deutschen sind nnn einmal gute Theoretiker, aber schlechte Praktiker, und so hat der bloße Gedanke eines Zuscimmengehns der Nationalliberalen mit den Konser¬ vativen im Landtage für eine Anzahl nationalliberaler Blätter hingereicht, sie mit Besorgnis zu erfüllen. Mit den Sozinldemokraten gegen die Konservativen — ja, auch wenn man damit den Ast ansagt, auf dem man sitzt. Aber mit den Konser¬ vativen zu irgend einer verständigen Aktion — brrr! Unmöglich! Da wird sofort der Parteitag und der Vorstandstag einberufen, um der unbotmäßigen Landtags¬ fraktion die Zügel anzulegen. Es ist und bleibt der alte Doktrinarismus, der so viel des Jammers in der deutschen Geschichte verschuldet hat. Die freisinnige Linke weint Krokodilstränen, daß die nationalliberale Fraktion ihr nicht einmal Mitteilung über die gepflognen Verhandlungen gemacht habe, und flugs stimmt der ganze Chorus in die Klage ein. Eine vorherige Mitteilung an die Freisinnigen würde selbstverständlich zu einem sofortigen Aufgebot des liberalen Landsturms zur Ver¬ eitelung jeder Verhandlung geführt haben. Im unmittelbaren Anschluß an die Wahl in Frankfurt a. O., wo Herr Bassermann doch nur mit Hilfe der Kon¬ servativen gesiegt hat, macht dieser Aufruhr im natioualliberalen Lager doch einen für die Partei wenig günstigen Eindruck und könnte leicht geeignet sein, bei weitern Nachwahlen eine solche gemeinsame Bekämpfung sozialdemokratischer Kan¬ didaturen recht zu erschweren. Herr Bassermann mag sich gratuliere», daß er sein Mandat in der Tasche hat. Vielleicht wendet er jetzt seinen Einfluß auf, seinen Parteigenossen klar zu machen, daß ein erfolgreiches Zusammenhalten der bürger¬ lichen Parteien jetzt dringender und wichtiger ist als theoretische Gefechte in Schul¬ fragen. Es ist immer die alte Geschichte, daß die alles liberalisierenden Richtungen Verstöße gegen den liberalen Katechismus am wenigsten ertragen können. Und doch ist Freiheit keineswegs immer gleichbedeutend mit „liberal." Dieser Ansicht ist auch der Abgeordnete Memel, der den Kampf gegen das allgemeine Stimmrecht in Hamburger und Altonaer Blättern unermüdlich fortsetzt. Die nationalliberale Partei hat sich bekanntlich von ihm losgesagt und sich bei dieser Gelegenheit noch einmal auf das bestimmteste zu dem Dogma vom allgemeinen Stimmrecht bekannt. Ob das politisch richtig war, kann erst die Zukunft erweisen, falls die Wahlrechtsfrage jemals aktuell werden sollte. Daß das heutige Wahlrecht in Verbindung mit der jetzigen Sozialpolitik die stärkste Waffe der Sozialdemokratie ist, hat diese selbst wiederholt ausgesprochen; es liegt deshalb für eine bürgerliche Partei tatsächlich kein Grund vor, sich in so bindender Weise festzulegen. Ob die Frage jemals in ein akutes Stadium treten wird, ist freilich heute noch gar nicht abzusehen. Herr Memel hat die Arbeitgeberverbände aufgefordert, ihren Kampf gegen die Sozialdemokratie mit einem Kampf gegen das allgemeine Stimmrecht zu eröffnen. Die Arbeitgeberverbände haben demgegenüber ihre Abneigung, diesem Rat zu folgen, ausgesprochen. Taktisch war das unzweifelhaft richtig; denn sie haben eine große Anzahl Natioualliberaler in ihrer Mitte und würden durch solche

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/607>, abgerufen am 02.07.2024.