Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Der Mönch von ZVemfelden nicht furchtbar und drohend, wie damals, sondern wie ein leiser Nachklang, wie ein Die Stunde kam, wo sich Noldes Nachfolger, der junge Schalkenmehrener Nichts! Nichts! Auf dem steinigen Pfad läßt sich kein Schritt vernehmen. Die Stunde drängt, bald soll der Gottesdienst beginnen. Der Alte steigt die Das Geläut verklingt, und der Pfarrherr begibt sich in die Sakristei, um in Der Greis erhebt sich und tritt durch das Sakristeitürchen in die Kirche. Geduld! Es wird vorübergehn. Es ist ja nur eine Mahnung des Alters, Aber es geht nicht vorüber. Er kann nicht reden -- heute nicht reden, wo Der Mönch von ZVemfelden nicht furchtbar und drohend, wie damals, sondern wie ein leiser Nachklang, wie ein Die Stunde kam, wo sich Noldes Nachfolger, der junge Schalkenmehrener Nichts! Nichts! Auf dem steinigen Pfad läßt sich kein Schritt vernehmen. Die Stunde drängt, bald soll der Gottesdienst beginnen. Der Alte steigt die Das Geläut verklingt, und der Pfarrherr begibt sich in die Sakristei, um in Der Greis erhebt sich und tritt durch das Sakristeitürchen in die Kirche. Geduld! Es wird vorübergehn. Es ist ja nur eine Mahnung des Alters, Aber es geht nicht vorüber. Er kann nicht reden — heute nicht reden, wo <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0604" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294223"/> <fw type="header" place="top"> Der Mönch von ZVemfelden</fw><lb/> <p xml:id="ID_2678" prev="#ID_2677"> nicht furchtbar und drohend, wie damals, sondern wie ein leiser Nachklang, wie ein<lb/> Echo, das aus den tiefen Gründen der Vergangenheit gemildert in die Gegenwart<lb/> hineinscholl. Hätte er bis zum Spiegel des Maars hinabsehen können, so würde er<lb/> wahrgenommen haben, daß sich die dunkle Flut von der Mitte aus in niedrigen<lb/> Wellenringen dem Ufer zudrängte, als habe sich das, was da unten schlief, in einem<lb/> bangen Traume geregt und seine Bewegung dem stillen Wasser mitgeteilt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2679"> Die Stunde kam, wo sich Noldes Nachfolger, der junge Schalkenmehrener<lb/> Schmied, der an Festtagen den Küsterdienst versah, und den der Pastor schon vor<lb/> längerer Zeit an das Anniversar erinnert hatte, einstellen sollte. Gyllis wartete und<lb/> wartete. Umsonst! Der Schmied mußte den Tag vergessen haben. Wie war das<lb/> möglich! Gab es denn keinen in der Gemeinde, der ihn an seine Pflicht gemahnt<lb/> hätte? Geduld, alter Mann! Die Jugend hat ja immer Zeit, sie ahnt nicht, wie<lb/> kostbar die Stunden sind. Vielleicht hat sich der Mann verschlafen, vielleicht ist er<lb/> unterwegs; die Hitze des Junimorgens ist groß, da wird er sich nicht so beeilen.<lb/> Und der greise Geistliche wankt bis zum Kirchhofvförtchen und späht und lauscht,<lb/> ob der so sehnsüchtig Erwartete denn noch immer nicht kommen will.</p><lb/> <p xml:id="ID_2680"> Nichts! Nichts! Auf dem steinigen Pfad läßt sich kein Schritt vernehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2681"> Die Stunde drängt, bald soll der Gottesdienst beginnen. Der Alte steigt die<lb/> Stiege zum Turm hinauf und zieht den Glockenstrang. Wimmernd klingt die<lb/> dünne Stimme des Glöckleins über das Land dahin. Jetzt werden die Andächtigen<lb/> über den Höhenrücken herbeipilgern, heute werden sie alle kommen, alle, alle, Theis<lb/> Kuep voran — Theis Kuep? nein, der ist ja schon an die dreißig Jahre tot, aber<lb/> sein Sohn — sein Sohn? auch den deckt schon ein volles Jahrzehnt der Rasen —<lb/> aber gewiß sein Enkel, den sie nach dem Pastor Gyllis genannt haben, und der<lb/> Rehe Ströthers blonde Käe, nein, der blonden Kat Töchterlein Anna geheiratet hat.<lb/> Und die Schalkenmehrener werden sich sicherlich heute auch einfinden, das sind sie<lb/> bei einem so festlichen Anlaß doch ihren Dorfgenossen schuldig!</p><lb/> <p xml:id="ID_2682"> Das Geläut verklingt, und der Pfarrherr begibt sich in die Sakristei, um in<lb/> stillem Gebet Sammlung zu schöpfen. Hell scheint die Sonne durch das hohe<lb/> Fenster und verklärt das Haupt des Greises, der mit gefalteten Händen im Bet¬<lb/> stuhle kniet. An sein Ohr schlägt ein Geräusch, wie vom Brausen eines fernen<lb/> Stromes. Er weiß nicht, daß es nur die Wellen seines Blutes sind, die die Er¬<lb/> regung des großen Augenblicks zu seinen eingefallnen Schläfen emporjagt. Und<lb/> er hebt das Auge in einem langen dankbaren Blick zum strahlenden Morgenhimmel.<lb/> Ja, sie sind da, die Andächtigen, sie haben den Festtag und das liebe Heimat-<lb/> kirchlein und ihren alten Seelenhirten nicht vergessen. Was da so rauscht und<lb/> braust, sind die Stimmen der Betenden, die das Gotteshaus bis zum letzten<lb/> Platze füllen!</p><lb/> <p xml:id="ID_2683"> Der Greis erhebt sich und tritt durch das Sakristeitürchen in die Kirche.<lb/> Was tuts, daß seine schwachen Augen, noch geblendet vom Glänze der Junisonne,<lb/> sich in dem dämmrigen Raume nicht zurechtfinden! Er hat den Weg zum Altar<lb/> so unzählige tausendmal zurückgelegt, daß er ihn in der finstersten Nacht ohne an¬<lb/> zustoßen gehn könnte. Er steigt die Altarstufen hinan und beugt das Knie vor<lb/> dem Gekreuzigten. Dann erhebt er sich wieder und wendet sich um. Er will die<lb/> Gemeinde begrüßen, aber seine Zunge versagt den Dienst. Zugleich fühlt er, wie<lb/> seine Kniee zu zittern beginnen, wie eine Beklemmung seine Brust befällt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2684"> Geduld! Es wird vorübergehn. Es ist ja nur eine Mahnung des Alters,<lb/> hervorgebracht durch die Anstrengung des letzten Tages, durch die Hitze und durch<lb/> die Aufregung.</p><lb/> <p xml:id="ID_2685" next="#ID_2686"> Aber es geht nicht vorüber. Er kann nicht reden — heute nicht reden, wo<lb/> die Kirche mit Andächtigen gefüllt ist, wie noch nie zuvor. Wenn er sie nur<lb/> sehen könnte! Aber die Finsternis vor ihm nimmt immer mehr zu. Die Gemeinde<lb/> hat seinen Schwächeanfall noch nicht bemerkt, keiner rührt sich, ihm zur Hilfe zu<lb/> kommen, ihn zu stützen. Mit zitternder Hand sucht er den Altar. Da überfällt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0604]
Der Mönch von ZVemfelden
nicht furchtbar und drohend, wie damals, sondern wie ein leiser Nachklang, wie ein
Echo, das aus den tiefen Gründen der Vergangenheit gemildert in die Gegenwart
hineinscholl. Hätte er bis zum Spiegel des Maars hinabsehen können, so würde er
wahrgenommen haben, daß sich die dunkle Flut von der Mitte aus in niedrigen
Wellenringen dem Ufer zudrängte, als habe sich das, was da unten schlief, in einem
bangen Traume geregt und seine Bewegung dem stillen Wasser mitgeteilt.
Die Stunde kam, wo sich Noldes Nachfolger, der junge Schalkenmehrener
Schmied, der an Festtagen den Küsterdienst versah, und den der Pastor schon vor
längerer Zeit an das Anniversar erinnert hatte, einstellen sollte. Gyllis wartete und
wartete. Umsonst! Der Schmied mußte den Tag vergessen haben. Wie war das
möglich! Gab es denn keinen in der Gemeinde, der ihn an seine Pflicht gemahnt
hätte? Geduld, alter Mann! Die Jugend hat ja immer Zeit, sie ahnt nicht, wie
kostbar die Stunden sind. Vielleicht hat sich der Mann verschlafen, vielleicht ist er
unterwegs; die Hitze des Junimorgens ist groß, da wird er sich nicht so beeilen.
Und der greise Geistliche wankt bis zum Kirchhofvförtchen und späht und lauscht,
ob der so sehnsüchtig Erwartete denn noch immer nicht kommen will.
Nichts! Nichts! Auf dem steinigen Pfad läßt sich kein Schritt vernehmen.
Die Stunde drängt, bald soll der Gottesdienst beginnen. Der Alte steigt die
Stiege zum Turm hinauf und zieht den Glockenstrang. Wimmernd klingt die
dünne Stimme des Glöckleins über das Land dahin. Jetzt werden die Andächtigen
über den Höhenrücken herbeipilgern, heute werden sie alle kommen, alle, alle, Theis
Kuep voran — Theis Kuep? nein, der ist ja schon an die dreißig Jahre tot, aber
sein Sohn — sein Sohn? auch den deckt schon ein volles Jahrzehnt der Rasen —
aber gewiß sein Enkel, den sie nach dem Pastor Gyllis genannt haben, und der
Rehe Ströthers blonde Käe, nein, der blonden Kat Töchterlein Anna geheiratet hat.
Und die Schalkenmehrener werden sich sicherlich heute auch einfinden, das sind sie
bei einem so festlichen Anlaß doch ihren Dorfgenossen schuldig!
Das Geläut verklingt, und der Pfarrherr begibt sich in die Sakristei, um in
stillem Gebet Sammlung zu schöpfen. Hell scheint die Sonne durch das hohe
Fenster und verklärt das Haupt des Greises, der mit gefalteten Händen im Bet¬
stuhle kniet. An sein Ohr schlägt ein Geräusch, wie vom Brausen eines fernen
Stromes. Er weiß nicht, daß es nur die Wellen seines Blutes sind, die die Er¬
regung des großen Augenblicks zu seinen eingefallnen Schläfen emporjagt. Und
er hebt das Auge in einem langen dankbaren Blick zum strahlenden Morgenhimmel.
Ja, sie sind da, die Andächtigen, sie haben den Festtag und das liebe Heimat-
kirchlein und ihren alten Seelenhirten nicht vergessen. Was da so rauscht und
braust, sind die Stimmen der Betenden, die das Gotteshaus bis zum letzten
Platze füllen!
Der Greis erhebt sich und tritt durch das Sakristeitürchen in die Kirche.
Was tuts, daß seine schwachen Augen, noch geblendet vom Glänze der Junisonne,
sich in dem dämmrigen Raume nicht zurechtfinden! Er hat den Weg zum Altar
so unzählige tausendmal zurückgelegt, daß er ihn in der finstersten Nacht ohne an¬
zustoßen gehn könnte. Er steigt die Altarstufen hinan und beugt das Knie vor
dem Gekreuzigten. Dann erhebt er sich wieder und wendet sich um. Er will die
Gemeinde begrüßen, aber seine Zunge versagt den Dienst. Zugleich fühlt er, wie
seine Kniee zu zittern beginnen, wie eine Beklemmung seine Brust befällt.
Geduld! Es wird vorübergehn. Es ist ja nur eine Mahnung des Alters,
hervorgebracht durch die Anstrengung des letzten Tages, durch die Hitze und durch
die Aufregung.
Aber es geht nicht vorüber. Er kann nicht reden — heute nicht reden, wo
die Kirche mit Andächtigen gefüllt ist, wie noch nie zuvor. Wenn er sie nur
sehen könnte! Aber die Finsternis vor ihm nimmt immer mehr zu. Die Gemeinde
hat seinen Schwächeanfall noch nicht bemerkt, keiner rührt sich, ihm zur Hilfe zu
kommen, ihn zu stützen. Mit zitternder Hand sucht er den Altar. Da überfällt
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