Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Die ewige Wiederkehr Akten immer wieder ab: absolute Einheit der Stoffe, Übergang zur Trennung, Eine detailliertere Ausmalung des Bildes geben uns erst die Stoiker. Jsts nun aber, fragt ein gewissenhafter Seher oder Denker, genau der¬ Während Markus Antoninus (M. Aurel) die antiken Gedanken ohne neue Die ewige Wiederkehr Akten immer wieder ab: absolute Einheit der Stoffe, Übergang zur Trennung, Eine detailliertere Ausmalung des Bildes geben uns erst die Stoiker. Jsts nun aber, fragt ein gewissenhafter Seher oder Denker, genau der¬ Während Markus Antoninus (M. Aurel) die antiken Gedanken ohne neue <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0576" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294195"/> <fw type="header" place="top"> Die ewige Wiederkehr</fw><lb/> <p xml:id="ID_2568" prev="#ID_2567"> Akten immer wieder ab: absolute Einheit der Stoffe, Übergang zur Trennung,<lb/> absolute Trennung, Rückkehr zur Einheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_2569"> Eine detailliertere Ausmalung des Bildes geben uns erst die Stoiker.<lb/> Das UrWesen ist das heraklitische Feuer, das sich zuerst in luftartigen Dunst,<lb/> dann in Wasser verwandelt hat, aus dem sich ein Teil als Erde niederschlägt,<lb/> ein andrer als atmosphärische Luft konstituiert, die ihrerseits wieder Feuer aus<lb/> sich entzündet. So scheidet das UrWesen gleichsam den Stoff als seinen Leib<lb/> aus. Die Welt hat eine bestimmte Zeit. An deren Ende führt ein allgemeiner<lb/> Weltbrand alle Dinge in den Urzustand zurück, sodaß nur das Urfeuer übrig<lb/> bleibt. Dann ist ein Weltjahr abgelaufen, und die Bildung einer neuen Welt<lb/> beginnt. Sie ist der vorigen vollkommen gleich, in der Art, daß alle einzelnen<lb/> Dinge, Personen und Vorgänge in ihr genau so wiederkehren, wie sie früher<lb/> gewesen sind. Diese Wiederkehr heißt Apokatastasis; die Welt erlebt eine<lb/> Wiedergeburt, Palingenesie. Da wird wieder ein Sokrates auftreten, seine<lb/> Xanthippe heiraten, von Anytos und Meletos verklagt werden. Xanthippe, so<lb/> müssen wir fortfahren, wird wieder „gerettet" werden, und zwar wie einst in<lb/> den Vorträgen und Abhandlungen von Ed. Zeller. Um noch eine realistische<lb/> Einzelheit des griechischen und des sonstigen Lebens hinzuzufügen, so werden<lb/> auch dieselben Wanzen wieder die ihnen von Chrysippus freundlich beigelegte<lb/> Teleologie bewahrheiten, daß sie den klassischen griechischen oder einen Pro-<lb/> fanern Schläfer an zu langem Schlafe hindern.</p><lb/> <p xml:id="ID_2570"> Jsts nun aber, fragt ein gewissenhafter Seher oder Denker, genau der¬<lb/> selbe Sokrates? Da meinten doch einige: Identisch sind die Sokratesse nicht,<lb/> aber — unterschiedlos ähnlich. Oder es sind, freilich nur unbedeutende, Unter¬<lb/> schiede vorhanden. Immerhin bewegt sich die Geschichte der Welt, da Kraft<lb/> und Stoff ewig sind, in endlosem Kreislauf durch dieselben Bahnen. Auf Epikurs<lb/> Meinung kommen wir noch zurück.</p><lb/> <p xml:id="ID_2571" next="#ID_2572"> Während Markus Antoninus (M. Aurel) die antiken Gedanken ohne neue<lb/> Färbung wiederholt (7, 19. 11, 1), erfahren sie bei dem tiefsinnigen Origenes<lb/> Widerspruch, sowohl in der großen Streitschrift gegen Celsus als auch an<lb/> andern Stellen. Origenes geht schon auf einige Einzelheiten der Konsequenz<lb/> ein; so findet er es z.B. lächerlich, daß Sokrates auch genau dieselben Kleider<lb/> tragen, in derselben Armut, genau derselben Stadt Athen leben müßte. Das<lb/> alles sollte eine Art von Auferstehung erleben? Freilich sind vor dieser Welt,<lb/> so glauben wir, andre gewesen — dafür können wir uns auf den Prediger (1, 9)<lb/> berufen; und daß nach der Vernichtung (oorruxtio) dieser jetzigen Welt eine<lb/> andre sein wird, das lehrt uns Jesaja (as xrinoix. III, 3, vgl. die oben<lb/> angeführten Stellen). Aber die unendliche Weiterreise entspricht nur der ewigen<lb/> Tätigkeit Gottes als Schöpfer, und die Wiederbringung aller Dinge (Apokata¬<lb/> stasis) geschieht mit Vernichtung der Körperlichkeit. „Alle Geister werden in<lb/> der Form ihres individuellen Lebens schließlich gerettet und verklärt, um einer<lb/> neuen Weltepoche zu dienen, wobei dann das sinnlich Materielle von selbst<lb/> abfüllt. Es wird ein eorxus sxiriruals aufersteh«, dem alle Eigenschaften des<lb/> Sinnlichen, ja alle Glieder, die sinnliche Funktionen haben, fehlen werden, und<lb/> das, wie die Engel und Gestirne, in Lichtglanz strahlen wird" (Harnack, Dogmen-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0576]
Die ewige Wiederkehr
Akten immer wieder ab: absolute Einheit der Stoffe, Übergang zur Trennung,
absolute Trennung, Rückkehr zur Einheit.
Eine detailliertere Ausmalung des Bildes geben uns erst die Stoiker.
Das UrWesen ist das heraklitische Feuer, das sich zuerst in luftartigen Dunst,
dann in Wasser verwandelt hat, aus dem sich ein Teil als Erde niederschlägt,
ein andrer als atmosphärische Luft konstituiert, die ihrerseits wieder Feuer aus
sich entzündet. So scheidet das UrWesen gleichsam den Stoff als seinen Leib
aus. Die Welt hat eine bestimmte Zeit. An deren Ende führt ein allgemeiner
Weltbrand alle Dinge in den Urzustand zurück, sodaß nur das Urfeuer übrig
bleibt. Dann ist ein Weltjahr abgelaufen, und die Bildung einer neuen Welt
beginnt. Sie ist der vorigen vollkommen gleich, in der Art, daß alle einzelnen
Dinge, Personen und Vorgänge in ihr genau so wiederkehren, wie sie früher
gewesen sind. Diese Wiederkehr heißt Apokatastasis; die Welt erlebt eine
Wiedergeburt, Palingenesie. Da wird wieder ein Sokrates auftreten, seine
Xanthippe heiraten, von Anytos und Meletos verklagt werden. Xanthippe, so
müssen wir fortfahren, wird wieder „gerettet" werden, und zwar wie einst in
den Vorträgen und Abhandlungen von Ed. Zeller. Um noch eine realistische
Einzelheit des griechischen und des sonstigen Lebens hinzuzufügen, so werden
auch dieselben Wanzen wieder die ihnen von Chrysippus freundlich beigelegte
Teleologie bewahrheiten, daß sie den klassischen griechischen oder einen Pro-
fanern Schläfer an zu langem Schlafe hindern.
Jsts nun aber, fragt ein gewissenhafter Seher oder Denker, genau der¬
selbe Sokrates? Da meinten doch einige: Identisch sind die Sokratesse nicht,
aber — unterschiedlos ähnlich. Oder es sind, freilich nur unbedeutende, Unter¬
schiede vorhanden. Immerhin bewegt sich die Geschichte der Welt, da Kraft
und Stoff ewig sind, in endlosem Kreislauf durch dieselben Bahnen. Auf Epikurs
Meinung kommen wir noch zurück.
Während Markus Antoninus (M. Aurel) die antiken Gedanken ohne neue
Färbung wiederholt (7, 19. 11, 1), erfahren sie bei dem tiefsinnigen Origenes
Widerspruch, sowohl in der großen Streitschrift gegen Celsus als auch an
andern Stellen. Origenes geht schon auf einige Einzelheiten der Konsequenz
ein; so findet er es z.B. lächerlich, daß Sokrates auch genau dieselben Kleider
tragen, in derselben Armut, genau derselben Stadt Athen leben müßte. Das
alles sollte eine Art von Auferstehung erleben? Freilich sind vor dieser Welt,
so glauben wir, andre gewesen — dafür können wir uns auf den Prediger (1, 9)
berufen; und daß nach der Vernichtung (oorruxtio) dieser jetzigen Welt eine
andre sein wird, das lehrt uns Jesaja (as xrinoix. III, 3, vgl. die oben
angeführten Stellen). Aber die unendliche Weiterreise entspricht nur der ewigen
Tätigkeit Gottes als Schöpfer, und die Wiederbringung aller Dinge (Apokata¬
stasis) geschieht mit Vernichtung der Körperlichkeit. „Alle Geister werden in
der Form ihres individuellen Lebens schließlich gerettet und verklärt, um einer
neuen Weltepoche zu dienen, wobei dann das sinnlich Materielle von selbst
abfüllt. Es wird ein eorxus sxiriruals aufersteh«, dem alle Eigenschaften des
Sinnlichen, ja alle Glieder, die sinnliche Funktionen haben, fehlen werden, und
das, wie die Engel und Gestirne, in Lichtglanz strahlen wird" (Harnack, Dogmen-
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