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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Der Mönch von Veinfelden

Der Tag war heiß gewesen, und auch die Nacht schien keine Abkühlung bringen
zu wollen. Der Mond strahlte mit rötlichen Schein durch einen Dunstschleier, und
weder im Bongert noch droben im Walde regte sich ein Blatt. Kein Laut ließ sich
weit und breit vernehmen, kein Nachtvogel zeigte sich; sogar die Fische im Teiche,
die sonst in hellen Nächten aus der Flut emporzuspringen und ihre glitzernden
Leiber im Mondlicht zu baden pflegten, schienen verzaubert und in die kühle Tiefe
festgebannt zu sein. Die ganze Natur lag in bleiernen Schlafe, in einem Schlafe,
aus dem zu erwachen Erquickung ist.

Der Burgherr war froh, als er den stillen Weiher hinter sich hatte. Er dachte
mit Furcht und Abscheu an die letzte Nacht, wo aus diesem acherusischen Gewässer
die dämonische Störerin seines Seelenfriedens gleich einer Sirene der Heidenzeit
emporgetaucht war. Er beschleunigte seine Schritte und gönnte sich erst ein wenig
Ruhe, als ihm der Wald den Anblick des Wasserspiegels entzog. Auf der Höhe des
Mäusebergs hielt er noch einmal an und streckte sich in das Heidekraut, unter dessen
dichtem Teppich noch immer die Wärme des vergangnen Tages brütete. Eine Weile
blieb er, die Arme unter dem Kopfe verschränkt, liegen und schaute zu dem dunkel¬
blauen Nachthimmel auf, an dem nur die wenigen Sterne sichtbar waren, die es
mit dem großen Rivalen aufzunehmen gewagt hatten. Als er sich dann aufrichtete
und den Blick in die Tiefe hinabsandte, woher er gekommen war, sah er eben noch
das Schieferdach des Burghauses im Mondlicht schimmern und dahinter die Höfe
und die Lehmhütten der Bauerschaft, die sich, wie helle Küchlein um eine schwarze
Glucke, um den düstern Steinbau des Herrensitzes zu scharen schienen. Es war ein
Bild des Friedens, aber ein Bild, das nicht der Wirklichkeit entsprach, und das in
dem einsamen Beschauer nur die trübe Erinnerung an eine Zeit wachrief, die weit
hinter ihm lag, und an Zustände, die vielleicht nirgends als in seinem weltfremden
und hoffnungsfreudigen Geiste bestanden hatten. Er fühlte, daß die alte Bitterkeit
wieder in ihm aufzusteigen drohte, raffte sich auf und eilte über den Bergrücken
zum Gemündener Maar hinab.

Dort unten in der Tiefe des mit dichtem Laubwald bestandnen Trichters war
es kühl; der stille, von verborgnen Quellen gespeiste See, dessen Spiegel während
des Tages nur wenige Stunden von der Sonne getroffen wurde, atmete einen eisig
frischen Hauch aus. Herr Gyllis beeilte sich deshalb, als er das Wildbret aus dem
Binsenversteck hervorgeholt hatte, nicht besonders mit der Heimkehr, sondern nahm,
bevor er sich die Last auf die Schulter lud, in der kristallklaren Flut ein erquickendes
Bad. Geistig und leiblich gestärkt machte er sich dann auf den Heimweg.

Als er die Höhe des Mäusebergs wieder erreicht hatte, warf er die Bürde
hin und begann mit seinem Weidmesser Wacholderzweige abzuschneiden, deren er
zum Räuchern des Wildbrets bedürfte. Dabei näherte er sich der Stelle, an der
er vorher Rast gehalten hatte. Da er jetzt aufrecht stand, konnte er das ganze
Burghaus samt einem Teil des Weihers übersehen, und dabei bemerkte er, daß sich
am Ufer und auf der Sperrmauer dunkle Gestalten bewegten, zu denen sich vom
Bongert her immer noch neue gesellten. Was konnte das seltsame Treiben der Leute
zu bedeuten haben? War trotz seinen Vorsichtsmaßregeln wieder ein Anschlag wider
ihn im Werke? Hatten die Bauern etwa doch von seiner Abwesenheit Kenntnis
erhalten und sie zu dem Versuch benutzt, den ganzen Teich mit einem Stellnetz
aufzufischen?

Er ließ das Wildbret im Stich und eilte, sich vorsichtig im Schutze des Unter¬
holzes haltend, den Abhang hinab. Hinter einen Haselstrauch gedeckt beobachtete
er, was dort unten vorging. ' Wenn die Bauern wirklich einen großen Fischzug
vorbereiteten, weshalb mochten sie sich dann auf der Sperrmauer zu schaffen machen,
da das Netz doch nur an der Bergseite des Weihers auf das Ufer gezogen werden
konnte? Das Mondlicht erlaubte ihm, einzelne der Gestalten zu erkennen. Da war
Cord von der Aarlei und Doreh im Brvehl, beide mit langen Stangen versehen,
da stand Goerres, der Totengräber, mit seinem blanken Spaten, da schleppten


Der Mönch von Veinfelden

Der Tag war heiß gewesen, und auch die Nacht schien keine Abkühlung bringen
zu wollen. Der Mond strahlte mit rötlichen Schein durch einen Dunstschleier, und
weder im Bongert noch droben im Walde regte sich ein Blatt. Kein Laut ließ sich
weit und breit vernehmen, kein Nachtvogel zeigte sich; sogar die Fische im Teiche,
die sonst in hellen Nächten aus der Flut emporzuspringen und ihre glitzernden
Leiber im Mondlicht zu baden pflegten, schienen verzaubert und in die kühle Tiefe
festgebannt zu sein. Die ganze Natur lag in bleiernen Schlafe, in einem Schlafe,
aus dem zu erwachen Erquickung ist.

Der Burgherr war froh, als er den stillen Weiher hinter sich hatte. Er dachte
mit Furcht und Abscheu an die letzte Nacht, wo aus diesem acherusischen Gewässer
die dämonische Störerin seines Seelenfriedens gleich einer Sirene der Heidenzeit
emporgetaucht war. Er beschleunigte seine Schritte und gönnte sich erst ein wenig
Ruhe, als ihm der Wald den Anblick des Wasserspiegels entzog. Auf der Höhe des
Mäusebergs hielt er noch einmal an und streckte sich in das Heidekraut, unter dessen
dichtem Teppich noch immer die Wärme des vergangnen Tages brütete. Eine Weile
blieb er, die Arme unter dem Kopfe verschränkt, liegen und schaute zu dem dunkel¬
blauen Nachthimmel auf, an dem nur die wenigen Sterne sichtbar waren, die es
mit dem großen Rivalen aufzunehmen gewagt hatten. Als er sich dann aufrichtete
und den Blick in die Tiefe hinabsandte, woher er gekommen war, sah er eben noch
das Schieferdach des Burghauses im Mondlicht schimmern und dahinter die Höfe
und die Lehmhütten der Bauerschaft, die sich, wie helle Küchlein um eine schwarze
Glucke, um den düstern Steinbau des Herrensitzes zu scharen schienen. Es war ein
Bild des Friedens, aber ein Bild, das nicht der Wirklichkeit entsprach, und das in
dem einsamen Beschauer nur die trübe Erinnerung an eine Zeit wachrief, die weit
hinter ihm lag, und an Zustände, die vielleicht nirgends als in seinem weltfremden
und hoffnungsfreudigen Geiste bestanden hatten. Er fühlte, daß die alte Bitterkeit
wieder in ihm aufzusteigen drohte, raffte sich auf und eilte über den Bergrücken
zum Gemündener Maar hinab.

Dort unten in der Tiefe des mit dichtem Laubwald bestandnen Trichters war
es kühl; der stille, von verborgnen Quellen gespeiste See, dessen Spiegel während
des Tages nur wenige Stunden von der Sonne getroffen wurde, atmete einen eisig
frischen Hauch aus. Herr Gyllis beeilte sich deshalb, als er das Wildbret aus dem
Binsenversteck hervorgeholt hatte, nicht besonders mit der Heimkehr, sondern nahm,
bevor er sich die Last auf die Schulter lud, in der kristallklaren Flut ein erquickendes
Bad. Geistig und leiblich gestärkt machte er sich dann auf den Heimweg.

Als er die Höhe des Mäusebergs wieder erreicht hatte, warf er die Bürde
hin und begann mit seinem Weidmesser Wacholderzweige abzuschneiden, deren er
zum Räuchern des Wildbrets bedürfte. Dabei näherte er sich der Stelle, an der
er vorher Rast gehalten hatte. Da er jetzt aufrecht stand, konnte er das ganze
Burghaus samt einem Teil des Weihers übersehen, und dabei bemerkte er, daß sich
am Ufer und auf der Sperrmauer dunkle Gestalten bewegten, zu denen sich vom
Bongert her immer noch neue gesellten. Was konnte das seltsame Treiben der Leute
zu bedeuten haben? War trotz seinen Vorsichtsmaßregeln wieder ein Anschlag wider
ihn im Werke? Hatten die Bauern etwa doch von seiner Abwesenheit Kenntnis
erhalten und sie zu dem Versuch benutzt, den ganzen Teich mit einem Stellnetz
aufzufischen?

Er ließ das Wildbret im Stich und eilte, sich vorsichtig im Schutze des Unter¬
holzes haltend, den Abhang hinab. Hinter einen Haselstrauch gedeckt beobachtete
er, was dort unten vorging. ' Wenn die Bauern wirklich einen großen Fischzug
vorbereiteten, weshalb mochten sie sich dann auf der Sperrmauer zu schaffen machen,
da das Netz doch nur an der Bergseite des Weihers auf das Ufer gezogen werden
konnte? Das Mondlicht erlaubte ihm, einzelne der Gestalten zu erkennen. Da war
Cord von der Aarlei und Doreh im Brvehl, beide mit langen Stangen versehen,
da stand Goerres, der Totengräber, mit seinem blanken Spaten, da schleppten


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[0540] Der Mönch von Veinfelden Der Tag war heiß gewesen, und auch die Nacht schien keine Abkühlung bringen zu wollen. Der Mond strahlte mit rötlichen Schein durch einen Dunstschleier, und weder im Bongert noch droben im Walde regte sich ein Blatt. Kein Laut ließ sich weit und breit vernehmen, kein Nachtvogel zeigte sich; sogar die Fische im Teiche, die sonst in hellen Nächten aus der Flut emporzuspringen und ihre glitzernden Leiber im Mondlicht zu baden pflegten, schienen verzaubert und in die kühle Tiefe festgebannt zu sein. Die ganze Natur lag in bleiernen Schlafe, in einem Schlafe, aus dem zu erwachen Erquickung ist. Der Burgherr war froh, als er den stillen Weiher hinter sich hatte. Er dachte mit Furcht und Abscheu an die letzte Nacht, wo aus diesem acherusischen Gewässer die dämonische Störerin seines Seelenfriedens gleich einer Sirene der Heidenzeit emporgetaucht war. Er beschleunigte seine Schritte und gönnte sich erst ein wenig Ruhe, als ihm der Wald den Anblick des Wasserspiegels entzog. Auf der Höhe des Mäusebergs hielt er noch einmal an und streckte sich in das Heidekraut, unter dessen dichtem Teppich noch immer die Wärme des vergangnen Tages brütete. Eine Weile blieb er, die Arme unter dem Kopfe verschränkt, liegen und schaute zu dem dunkel¬ blauen Nachthimmel auf, an dem nur die wenigen Sterne sichtbar waren, die es mit dem großen Rivalen aufzunehmen gewagt hatten. Als er sich dann aufrichtete und den Blick in die Tiefe hinabsandte, woher er gekommen war, sah er eben noch das Schieferdach des Burghauses im Mondlicht schimmern und dahinter die Höfe und die Lehmhütten der Bauerschaft, die sich, wie helle Küchlein um eine schwarze Glucke, um den düstern Steinbau des Herrensitzes zu scharen schienen. Es war ein Bild des Friedens, aber ein Bild, das nicht der Wirklichkeit entsprach, und das in dem einsamen Beschauer nur die trübe Erinnerung an eine Zeit wachrief, die weit hinter ihm lag, und an Zustände, die vielleicht nirgends als in seinem weltfremden und hoffnungsfreudigen Geiste bestanden hatten. Er fühlte, daß die alte Bitterkeit wieder in ihm aufzusteigen drohte, raffte sich auf und eilte über den Bergrücken zum Gemündener Maar hinab. Dort unten in der Tiefe des mit dichtem Laubwald bestandnen Trichters war es kühl; der stille, von verborgnen Quellen gespeiste See, dessen Spiegel während des Tages nur wenige Stunden von der Sonne getroffen wurde, atmete einen eisig frischen Hauch aus. Herr Gyllis beeilte sich deshalb, als er das Wildbret aus dem Binsenversteck hervorgeholt hatte, nicht besonders mit der Heimkehr, sondern nahm, bevor er sich die Last auf die Schulter lud, in der kristallklaren Flut ein erquickendes Bad. Geistig und leiblich gestärkt machte er sich dann auf den Heimweg. Als er die Höhe des Mäusebergs wieder erreicht hatte, warf er die Bürde hin und begann mit seinem Weidmesser Wacholderzweige abzuschneiden, deren er zum Räuchern des Wildbrets bedürfte. Dabei näherte er sich der Stelle, an der er vorher Rast gehalten hatte. Da er jetzt aufrecht stand, konnte er das ganze Burghaus samt einem Teil des Weihers übersehen, und dabei bemerkte er, daß sich am Ufer und auf der Sperrmauer dunkle Gestalten bewegten, zu denen sich vom Bongert her immer noch neue gesellten. Was konnte das seltsame Treiben der Leute zu bedeuten haben? War trotz seinen Vorsichtsmaßregeln wieder ein Anschlag wider ihn im Werke? Hatten die Bauern etwa doch von seiner Abwesenheit Kenntnis erhalten und sie zu dem Versuch benutzt, den ganzen Teich mit einem Stellnetz aufzufischen? Er ließ das Wildbret im Stich und eilte, sich vorsichtig im Schutze des Unter¬ holzes haltend, den Abhang hinab. Hinter einen Haselstrauch gedeckt beobachtete er, was dort unten vorging. ' Wenn die Bauern wirklich einen großen Fischzug vorbereiteten, weshalb mochten sie sich dann auf der Sperrmauer zu schaffen machen, da das Netz doch nur an der Bergseite des Weihers auf das Ufer gezogen werden konnte? Das Mondlicht erlaubte ihm, einzelne der Gestalten zu erkennen. Da war Cord von der Aarlei und Doreh im Brvehl, beide mit langen Stangen versehen, da stand Goerres, der Totengräber, mit seinem blanken Spaten, da schleppten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/540>, abgerufen am 30.06.2024.