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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Viel von seinen sozialpolitischen Bestrebungen, die ihn ganz erfüllen. Er vermischt
in seiner frischen, aber allzu sichern Art gute und praktisch ausführbare Dinge mit
weit abliegenden und über seinen Gesichtskreis hinausliegenden Ideen. Ich habe
immer den Eindruck der Überhastung bei ihm: aus dem besten Willen heraus eine
aufrichtige Liebe zu unserm Volke, zu den Armen und Niedrigen, auch eine intui¬
tive Erkenntnis der tiefsten Schäden unsers Volkslebens, aber eine dilettcmtenhafte
Voreiligkeit im Aussprechen von Vorschlägen zur Abhilfe, ein scharfes Tadeln dessen,
was ist, ein wenig besonnenes und fast aussichtsloses Reden über die Wege, auf
denen man es besser machen könnte. Er meint, die Mittel zur Heilung lägen auf
der Straße, man brauche sie nur aufzunehmen, um ein großer Mann zu werden.
Nicht daß er dabei an sich dächte, aber die Männer, die das Zeug hätten, Re¬
formen in seinem Sinne zu machen, wissen besser als er, daß es nicht so leicht und
so, wie er sich die Dinge denkt, überhaupt nicht geht. So schwärmt er für ein
staatliches Jnseratenmonopol, schon um die "verlogne Judenpresse" tot zu machen.
Ferner will er den Grundbesitz retten, indem der Staat durch Gesetz sämtliche
Hypotheken für unkündbare, allmählich zu amortisierende Renten erklären soll.
Neue Hypothekenschuldeu dürfte dann niemand machen. Das erscheint ihm alles
kinderleicht. Von dem Wesen und der Bedeutung des Kredits scheint er keine
Ahnung zu haben. Richtig ist, daß die "kleinen Leute" vom Staate eine Besserung
ihrer Lage erwarten. Der Staat kann auch in gewissen Grenzen helfen. Aber
Stöcker unterschätzt denn doch die Umwandlung unsers römisch rechtlichen Eigentums
in ein "soziales" Eigentum, wenn er solche Dinge durch einfachen Gesetzeszwang
"machen" will, statt sie sich entwickeln zu lassen. Er trägt sich mit einem im
Grunde doch höchst unkonservativen Radikalismus. Als ich ihm die Armee als eine
konservative Institution hinstellte, meinte er -- und darin hat er Recht --, konser¬
vativ sei sie insofern, als sie der Punkt im Staate sei, wo unbedingter Gehorsam
der unbestrittne Pol sei, um den sich alles drehe. Aber andrerseits sei doch auch
die Paschawirtschaft der Kommandeure gegen Untergebne, die sie durch ein Wort
oft zum Abschiede zwängen, unerhört hart und schlimm. Ferner klagte er über die
Unsittlichkeit jüngerer Offiziere, Unteroffiziere und der Soldaten in geschlechtlicher
Hinsicht. Die Bauerburschen kämen als unverdorbne Rekruten, würden aber fast
ausnahmslos verführt und vergiftet. Die Offiziere seien der Mehrzahl nach
nihilistisch. Das könne nur besser werden, wenn sittlich ernste Männer an die
entscheidenden Stellen gesetzt würden. Der König habe für Persönlichkeiten keinen
Blick, wie man an seiner Umgebung sehe. Darin mag manches Wahre sein. Vieles
aber ist offenbar übertrieben.

Von Bismarck erzählte Stöcker, daß er zu einem hochgestellten Manne gesagt
haben solle: "Haben Sie das Bedürfnis, Ihre Kollegen zu achten? Ich nicht." Wenn
es wahr ist, daß er das gesagt hat -- und es ist wenigstens nicht unwahrschein¬
lich --, so ist es bedauerlich, daß der Fürst bei diesem Grade der Menschenver¬
achtung angelangt ist. Aber wie traurige Erfahrungen muß er gemacht haben, ehe
er soweit gekommen ist!

Viel hübscher ist eine Geschichte, die der Geheimrat Insel von Bismarck er¬
zählte. Mein Vorgänger, der Vortragende Rat beim Staatsministerium, Geheimer
Rat Zuelmcmn, kommt einmal zum Fürsten mit dem Entwurf eines ablehnenden
Bescheides auf irgend eine Eingabe. Nachdem Bismarck den Entwurf gelesen hat,
sagt er zu Zitelmann: "Wie können Sie eine Ablehnung so unhöflich fassen? Sie
müssen bei der Abfassung von Bescheiden immer an Franz den Ersten und Karl
den Fünften denken. Kennen Sie den Vorgang?" Zitelmann: "Nein, Durchlaucht/'
Bismarck: "Wenn Franz der Erste ein Gesuch ablehnte, so geschah dies in so be¬
zaubernd gütiger und liebenswürdiger Form, daß jeder, der einen ablehnenden
Bescheid erhielt, entzückt und glücklich darüber war. Karl der Fünfte dagegen
faßte seine Gnadenbezeugungen und die Gewährung von Gesuchen in so bockledcrne,
steife, verklausulierte Formen, daß jeder, dem er eine Gunst gewährte, sich darüber


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Viel von seinen sozialpolitischen Bestrebungen, die ihn ganz erfüllen. Er vermischt
in seiner frischen, aber allzu sichern Art gute und praktisch ausführbare Dinge mit
weit abliegenden und über seinen Gesichtskreis hinausliegenden Ideen. Ich habe
immer den Eindruck der Überhastung bei ihm: aus dem besten Willen heraus eine
aufrichtige Liebe zu unserm Volke, zu den Armen und Niedrigen, auch eine intui¬
tive Erkenntnis der tiefsten Schäden unsers Volkslebens, aber eine dilettcmtenhafte
Voreiligkeit im Aussprechen von Vorschlägen zur Abhilfe, ein scharfes Tadeln dessen,
was ist, ein wenig besonnenes und fast aussichtsloses Reden über die Wege, auf
denen man es besser machen könnte. Er meint, die Mittel zur Heilung lägen auf
der Straße, man brauche sie nur aufzunehmen, um ein großer Mann zu werden.
Nicht daß er dabei an sich dächte, aber die Männer, die das Zeug hätten, Re¬
formen in seinem Sinne zu machen, wissen besser als er, daß es nicht so leicht und
so, wie er sich die Dinge denkt, überhaupt nicht geht. So schwärmt er für ein
staatliches Jnseratenmonopol, schon um die „verlogne Judenpresse" tot zu machen.
Ferner will er den Grundbesitz retten, indem der Staat durch Gesetz sämtliche
Hypotheken für unkündbare, allmählich zu amortisierende Renten erklären soll.
Neue Hypothekenschuldeu dürfte dann niemand machen. Das erscheint ihm alles
kinderleicht. Von dem Wesen und der Bedeutung des Kredits scheint er keine
Ahnung zu haben. Richtig ist, daß die „kleinen Leute" vom Staate eine Besserung
ihrer Lage erwarten. Der Staat kann auch in gewissen Grenzen helfen. Aber
Stöcker unterschätzt denn doch die Umwandlung unsers römisch rechtlichen Eigentums
in ein „soziales" Eigentum, wenn er solche Dinge durch einfachen Gesetzeszwang
„machen" will, statt sie sich entwickeln zu lassen. Er trägt sich mit einem im
Grunde doch höchst unkonservativen Radikalismus. Als ich ihm die Armee als eine
konservative Institution hinstellte, meinte er — und darin hat er Recht —, konser¬
vativ sei sie insofern, als sie der Punkt im Staate sei, wo unbedingter Gehorsam
der unbestrittne Pol sei, um den sich alles drehe. Aber andrerseits sei doch auch
die Paschawirtschaft der Kommandeure gegen Untergebne, die sie durch ein Wort
oft zum Abschiede zwängen, unerhört hart und schlimm. Ferner klagte er über die
Unsittlichkeit jüngerer Offiziere, Unteroffiziere und der Soldaten in geschlechtlicher
Hinsicht. Die Bauerburschen kämen als unverdorbne Rekruten, würden aber fast
ausnahmslos verführt und vergiftet. Die Offiziere seien der Mehrzahl nach
nihilistisch. Das könne nur besser werden, wenn sittlich ernste Männer an die
entscheidenden Stellen gesetzt würden. Der König habe für Persönlichkeiten keinen
Blick, wie man an seiner Umgebung sehe. Darin mag manches Wahre sein. Vieles
aber ist offenbar übertrieben.

Von Bismarck erzählte Stöcker, daß er zu einem hochgestellten Manne gesagt
haben solle: „Haben Sie das Bedürfnis, Ihre Kollegen zu achten? Ich nicht." Wenn
es wahr ist, daß er das gesagt hat — und es ist wenigstens nicht unwahrschein¬
lich —, so ist es bedauerlich, daß der Fürst bei diesem Grade der Menschenver¬
achtung angelangt ist. Aber wie traurige Erfahrungen muß er gemacht haben, ehe
er soweit gekommen ist!

Viel hübscher ist eine Geschichte, die der Geheimrat Insel von Bismarck er¬
zählte. Mein Vorgänger, der Vortragende Rat beim Staatsministerium, Geheimer
Rat Zuelmcmn, kommt einmal zum Fürsten mit dem Entwurf eines ablehnenden
Bescheides auf irgend eine Eingabe. Nachdem Bismarck den Entwurf gelesen hat,
sagt er zu Zitelmann: „Wie können Sie eine Ablehnung so unhöflich fassen? Sie
müssen bei der Abfassung von Bescheiden immer an Franz den Ersten und Karl
den Fünften denken. Kennen Sie den Vorgang?" Zitelmann: „Nein, Durchlaucht/'
Bismarck: „Wenn Franz der Erste ein Gesuch ablehnte, so geschah dies in so be¬
zaubernd gütiger und liebenswürdiger Form, daß jeder, der einen ablehnenden
Bescheid erhielt, entzückt und glücklich darüber war. Karl der Fünfte dagegen
faßte seine Gnadenbezeugungen und die Gewährung von Gesuchen in so bockledcrne,
steife, verklausulierte Formen, daß jeder, dem er eine Gunst gewährte, sich darüber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/538>, abgerufen am 30.06.2024.