Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Die Abnahme der Linwanderung in Südbrasilien sogar in den Koloniestrichen eine Art Auswanderungsbewegung gebildet, die sich Es verdient nochmals ausdrücklich betont zu werden, daß sich im Brasil¬ Grenzboten II 190467
Die Abnahme der Linwanderung in Südbrasilien sogar in den Koloniestrichen eine Art Auswanderungsbewegung gebildet, die sich Es verdient nochmals ausdrücklich betont zu werden, daß sich im Brasil¬ Grenzboten II 190467
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0509" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294128"/> <fw type="header" place="top"> Die Abnahme der Linwanderung in Südbrasilien</fw><lb/> <p xml:id="ID_2292" prev="#ID_2291"> sogar in den Koloniestrichen eine Art Auswanderungsbewegung gebildet, die sich<lb/> nicht etwa aus unbemittelten, sondern aus bemittelten Personen rekrutiert. Nach<lb/> Angaben, die auf Vollständigkeit keinerlei Anspruch machen können, sind im<lb/> Laufe der letzten drei Jahre über achtzig deutsch redende Familien aus den hie¬<lb/> sigen Kolonien nach Argentinien und nach Paraguay ausgewandert. Achtzig<lb/> Familien bedeuten bei dem hiesigen Kinderreichtum mindestens vierhundert Köpfe.<lb/> Die deutsche Auswanderung von hier ist stärker gewesen als die Einwanderung.</p><lb/> <p xml:id="ID_2293"> Es verdient nochmals ausdrücklich betont zu werden, daß sich im Brasil¬<lb/> staate Santa Catharina die Lage der Eingewanderten und Naturalisierten nicht<lb/> wesentlich gegen früher verändert und keineswegs verschlechtert hat. Und auch<lb/> für Rio Grande do Suk muß hinzugefügt werden, daß in einem Lande mit so<lb/> reichen natürlichen Vorzügen und Hilfsquellen die Anpassungsfähigkeit an ver¬<lb/> schlechterte wirtschaftliche Verhältnisse so groß ist, daß der Beobachter davon<lb/> überrascht wird. Die Krise war infolge der Entwertung der frühern landwirt¬<lb/> schaftlichen Hauptprodukte groß, aber innerhalb weniger Jahre begann sich viel¬<lb/> versprechendes neues Leben zu entwickeln. Die Rindviehzucht, die Schafzucht,<lb/> und ganz besonders die Schweinezucht und der Reisbau, haben sich auch unter<lb/> den geschilderten ungünstigen Verkehrs-, Handels- und Steuervcrhältnissen noch<lb/> als recht rentabel erwiesen, und es ist schon erkennbar, daß diese landwirtschaft¬<lb/> lichen Richtungen der Produktion ihr zukünftiges Gepräge, ihren bleibenden<lb/> Charakter geben werden. Auch würde jeder den Brasilianern Unrecht tun, der<lb/> etwa meinte, daß die Mißstände im Verwaltungs-, Steuer- und Verkehrswesen<lb/> etwa absichtlich herbeigeführt oder der Bosheit entsprungen seien. Nein, es<lb/> genügt, ihnen die Tatsächlichkeit dieser Mißstände in einleuchtender Form zu<lb/> beweisen — was allerdings bei der Kompliziertheit des Gegenstandes oft recht<lb/> schwierig ist —, und man wird sogleich die einsichtigern Leute für die Abstellung<lb/> von Übelständen gewinnen. Im Staate Santa Catharina sind eben die munizi-<lb/> palen Ausfuhrsteuern abgeschafft worden, in Rio Grande do Suk ist eine starke<lb/> Strömung für die Beseitigung der staatlichen Exportzölle bemerkbar, im Ver¬<lb/> kehrswesen ist manche Erleichterung angebahnt worden, gegen die Mißstände des<lb/> Küstenschiffahrtsmangels wird offen Krieg geführt, der Bundesfinanzminister hat<lb/> sich offiziell für die Einführung der Einkommensteuer an Stelle der bisherigen<lb/> Bundesexportzölle ausgesprochen. Kurz und gut, es ist der Trieb nach Fort¬<lb/> schritt, nach Besserung der mißlichen Wirtschaftslage bemerkbar. Und wenn man<lb/> auch nicht erwarten darf, daß durchgreifende Reformen bald eintreten werden,<lb/> so steht doch eine Besserung der Verhältnisse in Aussicht. Mit der Hebung<lb/> der wirtschaftlichen Lage aber wird sich auch die Einwanderung wieder beleben.<lb/> In Santa Catharina scheint es schon der Fall zu sein.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 190467</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0509]
Die Abnahme der Linwanderung in Südbrasilien
sogar in den Koloniestrichen eine Art Auswanderungsbewegung gebildet, die sich
nicht etwa aus unbemittelten, sondern aus bemittelten Personen rekrutiert. Nach
Angaben, die auf Vollständigkeit keinerlei Anspruch machen können, sind im
Laufe der letzten drei Jahre über achtzig deutsch redende Familien aus den hie¬
sigen Kolonien nach Argentinien und nach Paraguay ausgewandert. Achtzig
Familien bedeuten bei dem hiesigen Kinderreichtum mindestens vierhundert Köpfe.
Die deutsche Auswanderung von hier ist stärker gewesen als die Einwanderung.
Es verdient nochmals ausdrücklich betont zu werden, daß sich im Brasil¬
staate Santa Catharina die Lage der Eingewanderten und Naturalisierten nicht
wesentlich gegen früher verändert und keineswegs verschlechtert hat. Und auch
für Rio Grande do Suk muß hinzugefügt werden, daß in einem Lande mit so
reichen natürlichen Vorzügen und Hilfsquellen die Anpassungsfähigkeit an ver¬
schlechterte wirtschaftliche Verhältnisse so groß ist, daß der Beobachter davon
überrascht wird. Die Krise war infolge der Entwertung der frühern landwirt¬
schaftlichen Hauptprodukte groß, aber innerhalb weniger Jahre begann sich viel¬
versprechendes neues Leben zu entwickeln. Die Rindviehzucht, die Schafzucht,
und ganz besonders die Schweinezucht und der Reisbau, haben sich auch unter
den geschilderten ungünstigen Verkehrs-, Handels- und Steuervcrhältnissen noch
als recht rentabel erwiesen, und es ist schon erkennbar, daß diese landwirtschaft¬
lichen Richtungen der Produktion ihr zukünftiges Gepräge, ihren bleibenden
Charakter geben werden. Auch würde jeder den Brasilianern Unrecht tun, der
etwa meinte, daß die Mißstände im Verwaltungs-, Steuer- und Verkehrswesen
etwa absichtlich herbeigeführt oder der Bosheit entsprungen seien. Nein, es
genügt, ihnen die Tatsächlichkeit dieser Mißstände in einleuchtender Form zu
beweisen — was allerdings bei der Kompliziertheit des Gegenstandes oft recht
schwierig ist —, und man wird sogleich die einsichtigern Leute für die Abstellung
von Übelständen gewinnen. Im Staate Santa Catharina sind eben die munizi-
palen Ausfuhrsteuern abgeschafft worden, in Rio Grande do Suk ist eine starke
Strömung für die Beseitigung der staatlichen Exportzölle bemerkbar, im Ver¬
kehrswesen ist manche Erleichterung angebahnt worden, gegen die Mißstände des
Küstenschiffahrtsmangels wird offen Krieg geführt, der Bundesfinanzminister hat
sich offiziell für die Einführung der Einkommensteuer an Stelle der bisherigen
Bundesexportzölle ausgesprochen. Kurz und gut, es ist der Trieb nach Fort¬
schritt, nach Besserung der mißlichen Wirtschaftslage bemerkbar. Und wenn man
auch nicht erwarten darf, daß durchgreifende Reformen bald eintreten werden,
so steht doch eine Besserung der Verhältnisse in Aussicht. Mit der Hebung
der wirtschaftlichen Lage aber wird sich auch die Einwanderung wieder beleben.
In Santa Catharina scheint es schon der Fall zu sein.
Grenzboten II 190467
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